Axiom#
(Diese Bradbury-Sache)#
Von Martin Krusche#
Ich hab es erst kürzlich auf diesen Punkt bringen können: „Fahrenheit reloaded“. Keine Sensation. Kein Durchbruch. Einfach ein adäquater Schriftzug auf einem Etikett, das ich demnächst wo hinkleben werde. (Womöglich ein quantenmechanisches Türschild.)
Metaphern-Kram. Ich sortiere meine Gedanken oft in Bildern und überprüfe die Bilder auf ihre emotionale Wirkung, worauf sich dann davon Sätze ableiten lassen. Manchmal läßt sich aber nichts ableiten. Dann geht es dennoch weiter, indem ich ein Axiom anwende.
Das ist eine Art Joker. Wann immer ich im Packeis stecke und das Gefühl bekomme, ich hab gerade alle Klugheit verbraucht, aber das, was nun gelöst sein soll, blieb ungelöst, meine Fundus reicht nicht, zack! Axiom! Eine nächste, eine neue Annahme.
Es ist gewissermaßen die Haarwurzel des eigenen Schopfes, an dem man sich aus etwas Ungelöstem herauszieht. Kein Zirkustrick, sondern eine kulturelle Basistechnik. Nun aber die Sache mit Fahrenheit 451. Das Feuer, in dem sich die Poesie noch nie verbraucht hat, selbst wenn die Bücher brennen. Poesie, die - ganz anders als der Phoenix - grundsätzlich aus dem Feuer aufzusteigen vermag. Nicht nach einem rituellen Sterben, sondern gemäß ihrem Wesen: als Poiesis. Weil sie sich von Natur aus stets neu erschafft. Das Feuer des Phoenix ist bloß ein Flackern in der Nacht. Die Poesie ist ein Planet unter Sternen.
Eine Hintergrundfolie#
Es ist fast 20 Jahre her, daß ich in meinem „Grid of Books“ notiert habe: „Zu allererst bin ich Autor und viel meiner Erfahrungen basiert auf der Lektüre von Büchern. Daraus ergeben sich also einige grundlegende Inputs für meine Arbeit.“ Das stand als Einleitung für eine Reihe von Zitaten, mit denen ich Bücher in die Landschaft eingeschrieben hab. Eine Auswahl von Büchern aus meiner Bibliothek, an verschiedenen Plätzen vor Ort jeweils mit einer konkreten Person und Situation verbunden.Eine der Projekt-Übersichten hatte ich mit diesem Covermotiv versehen: „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury. Im Rahmen einer Querverbindung notierte ich 2005: „Eine Stadt ist, was die Erzählung über sie ist“. Das bezog sich unter anderem auf die „High Spirited Networked City“ („Ortlos“) im Grazer „MedienKunstLabor“, das heute nicht mehr existiert. (Dazu auch so launige Notizen wie: „Verebbt das Budget, verduftet der Spirit.“)
Ich war dabei mit dem Mythos vom Golem befaßt, mit Cyrano de Bergerac, ferner mit der Idee, eine Schnittstelle zwischen Graz und Gleisdorf einzurichten, quasi von Vitrine zu Vitrine, darin unter anderem Immanuel Kant. Es war eine Paraphrase meiner verschwundenen Galerie von 2003. Die Objekte blieben samt der Vitrine im privaten Raum jedem Zugriff entzogen. Ausschließlich via Web, also im simulierten öffentlichen Raum, konnten die Exponate betrachtet werden. (Dabei auch Paraphrasen von Emil Gruber, der nicht mehr lebt.) Das „City Upgrade“, das Festival „steirischer herbst“, Sie merken schon, bei mir tauchen immer auch diese Literatur-Bezüge auf.
In der Kalenderwoche 42/2005 notierte ich: „Mein Favorit ist Hephaistos der Schmied. Er stand auf keinen Bühnen herum, war meist über seine Esse gebeugt, um an der Umsetzung seiner Ideen zu arbeiten. Der hinkende Sohn von Zeus und Hera baute den Göttern Paläste, hatte also von Architektur und Olymp-Planung eine Ahnung. In seiner Schmiede fertigt er für sein nobles Klientel Waffen und feine Gerätschaften. Wie etwa die Pfeile des Eros. Oder den Sonnenwagen des Helios, mit welchem der ungestüme Phaeton beinahe einen Weltenbrand entfacht hätte.“
Alles#
Das ist alles (auch) Literatur, vor über zweitausend Jahren, nachdem Logos den Mythos abgelöst hatte. Und heute? Ich lebe seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in der Kunst. Literatur ist einer der mächtigsten Ströme in dieser Existenz. So wurde ich zu einer Erzählung, die sich selbst erzählt (Autopoiesis), als Teil einer wandelnden Bibliothek. Und das ist sehr Bradbury, ist sehr Fahrenheit 451 in der Schluß-Sequenz. Das hat seine Resonanzen und Interferenzen. Das verzahnt sich jeden Tag mit mir.Ich mußte manchmal staunen, wer alles sich an solchen Zusammenhängen stößt. Es löst auch Herablassung und Abschätzigkeit aus. Selbst gebildete Leute fühlen sich manchmal von so einer Existenz provoziert.
Über Ressentiments zu streiten lohnt sich nicht. Ich denke, ich hab noch nie versucht, das jemandem zu erklären: Ein Leben in der Kunst. Wozu auch? Erklärt de Schwalbe, weshalb sie fliegt? Erklärt der Löwenzahn, weshalb er blüht? Hat uns das Wasser etwas mitzuteilen, da es fließt?
Postskriptum#
Diese Notiz markiert den Auftakt eines Prozesses, der mir nun klar scheint, nachdem die 20 Jahre von „The Long Distance Howl“ abzuschließen waren. Der Arbeitstitel lautet „Fahrenheit reloaded“ und bezieht sich auf die Schlußsequenz des Buches „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury, auf die rostigen Geleise, welche aus der Stadt führen. Jenseits von all dem der Wald, in dem Menschen hausen, von denen jede Person ein Buch auswendig gelernt hat.- Fahrenheit reloaded (Eine Erzählung)
- 20 Jahre: The Long Distance Howl (2003-2022 Rückblick und Ausblick)