Probleme lösen#
(Einige vorindustrielle Aspekte)#
Von Martin Krusche#
In Europas Mythologie gilt Prometheus als Begründer der Technik. Er steht für Unerschrockenheit und Problemlösungskompetenz. Seine Name bedeutet „Der Vorausschauende“.
Das ist ein Hinweis auf eine spezielle menschliche Eigenart. Unser symbolisches Denken, mit dem wir uns Dinge vorstellen können, die es (noch) nicht gibt. Falls mir taugliche Annahmen über das Kommende gelingen und ich mich dafür wappnen kann… Jedes unserer Werkzeuge ist der Beleg eines Zusammenhangs zwischen möglichen Problemen und deren Lösung.
Eines der großen Themen, rund um die Welt, quer durch alle ethnischen Varianten, war und ist der Hunger; mancherorts bis heute. Menschen mußten stets darum ringen, jeden Tag genug Kalorien zu sich nehmen zu können, um bei Kräften zu bleiben. Das regte auch allerhand technische Lösungen an. Zum Beispiel gab es den Speer sicher vor dem Ritzstock. Der eine wurde per Speerschleuder zu einer effizienten Fernwaffe, schließlich zu Gewehr, Kanone und Rakete. Der andere entwickelte sich zum Pflug.
Mensch, Tier, Technik#
Ein Großteil menschlicher Anstrengungen war stets der Abwehr des Hungers gewidmet. Mit der Seßhaftwerdung unsere Spezies im Neolithikum, mit den Anfängen des Ackerbaus, begann eine Ära neuer technischer Anstrengungen, um für die Alltagsorganisation eine Vielzahl von Erleichterungen zu erreichen. Werkzeuge wurden erdacht, Betriebsmittel organisiert.Ein prägnantes Beispiel: mit der Stangenschleife, zwei zur Dreiecksform gespreizten Langhölzern, konnte die Transportkapazität von Menschen und Tieren nennenswert erhöht werden. Der erste Fund einer Rad-Achse-Kombination in der Nähe des slowenischen Ljubljana belegt, was man in unserer Gegend vor wenigstens 5.000 Jahren begonnen hatte. Solche Stangenschleifen wurden technisch aufgerüstet. Scheibenräder an einer Achse in Kombination mit einer dreieckigen Schleife ergaben einen tauglichen Karren, der von domestizierten Tieren gezogen werden konnte.
Was die Domestikation von Haustieren angeht, ist die der Rinder für einen Zeitraum von rund 8.500 Jahren belegt, Esel waren schon vor 6.000 Jahren, Pferde vor 5.500 Jahren verfügbar. Hunde, die übrigens auch Stangenschleifen ziehen konnten, gehören seit wenigstens 30.000 Jahren zum Menschen. (Reichholf)
Stiere sind seit jeher die stärksten Landtiere unseres Lebensraumes. Durch Kastration wird ihr Temperament gezügelt und sie sind als Ochsen praktisch einsetzbar. Ochsengespanne waren immer noch übliche Transportmittel in den Jugendtagen von Menschen, die ich zu diesen Themen befragen konnte.
Da konnte man den lächelnd vorgetragenen Einwand gegen die sprunghafte Mechanisierung der Landwirtschaft noch zu hören bekommen: „Alles, was schneller ist als ein Ochs, ist ein Glump!“ Im Grund eine Zivilisationskritik, auf die permanente Beschleunigung in allen Lebensbereichen gerichtet.
Ernten, Mißernten und Technologie#
Mit der Ertragssteigerung beim Kreuzen von Wildgräsern, beim Züchten von Getreidesorten, mit den zunehmenden Erfahrungen rund um Bedingungen des Ackerbaus, setzte nicht bloß eine bemerkenswerte Technologiegeschichte ein. Problemlösungen in einem Bereich regten Innovationen in anderen Bereichen an.Wie oben erwähnt, aus dem Ritzpflock entstanden raffinierte Pflüge. Noch zu Zeiten des Erzherzog Johann von Österreich konnte etwa durch die Erfindung des „Messersech“, die einem steirischen Schmied zu verdanken ist, eine Effizienzsteigerung des Pflügens erreicht werden. (Der Sech ist eine senkrecht angebrachte Klinge vor der Pflugschar.)
Außerdem waren das mühsame Mörsern von Körnern, das Zermahlen des Getreides oder der Gewürze von Hand, ein Anlaß für die Entwicklung und Verfeinerung von Mühlen. Dieses Genre bewährte sich über mehr als tausend Jahre als ein Hauptereignis der Entwicklung von Maschinen.
Die Mechanisierung der Welt, wie ich es recht allgemein formuliert habe, ist freilich kein globales Phänomen. Noch heute arbeiten etliche Milliarden Menschen in der agrarischen Welt ohne Zugtiere und ohne Maschinen.
Nicht zu vergessen, daß Europa vom Anfang des 15. Jahrhunderts an bis hinein in das 19. Jahrhundert immer wieder Abschnitts eines recht kühlen Klimas und folglich desaströser Mißernten erlebte. Man spricht heute von einer „Kleinen Eiszeit“ mit ihren regional und zeitlich sehr unterschiedlich starken Ausprägungen.
Eines der markantesten Ereignisse fand 1815 statt und hat auch Gebiete des heutigen Österreichs betroffen. Der Ausbruch des Tambora, eines Schichtvulkans östlich von Java, schleuderte so viel Material in die Atmosphäre, daß die Sonneneinstrahlung davon verändert wurde.
Als dann 1816 das „Jahr ohne Sommer“ wurde, entstand daraus die übelste Hungersnot des 19. Jahrhunderts. Klimakatastrophen, Mißernten, Nahrungsengpässe, deshalb auch ein großen Pferdesterben, die Auswirkungen waren stets radikal. Doch solche Kräftespiele wurden auch von anderen Aspekten vorangetrieben. Politische Entscheidungen, Landreformen, Herrschaftswechsel… Es gibt viele Beispiele dafür, daß Bevölkerungen nicht bloß von der Natur, sondern auch von ihrer Herrschenden unter Druck gerieten.
Technische Fortschritte halfen immer wieder, solcher Belastungen zu mildern. Ich hab an einigen Stellen erwähnt, daß Erzherzog Johann von Österreich damals Großbritannien bereist hatte, um sich über technische und wirtschaftliche Standards zu informieren. (Dabei traf er auch James Watt und ließ sich dessen Maschinen erläutern.)
Karl von Drais entwickelte zu jener Zeit sein einspuriges „Laufrad“, ließ es von einem Stellmacher bauen und führte seine „Fußkutsche“ am 12. Juni 1817 der Öffentlichkeit vor. Das sei erwähnt, weil jede technisch geprägte Ära von einer Vielzahl der Ereignisse in anderen Lebensbereichen mitbestimmt wurde.
Meine Generation kam ohne die kollektive Erfahrung aus, daß der Magerl in Not umschlägt und die meisten Leute hungrig ins Bett gehen müssen. Unsere Kinder und Enkel kennen das bestenfalls aus Kolportage. Aber man kann in der Oststeiermark ohne große Mühe Menschen finden, vormalige Dienstboten- und Keuschlerkinder, die haben das erlebt. Leute, die derzeit zwischen Mitte 70 und Mitte 80 sind… Doch weil wir längst Systeme geschaffen haben, die größer sind als unsere individuelle Auffassungsgabe, muß hier zumindest notiert sein, daß wir mit Technologie nicht bloß Probleme lösen, sondern auch erzeugen.
Vertiefend#
Wir gehen den Aspekten dieser Themen auch laufend auf unseren Fahrten nach, etwa um in einem Gehege Przewalski-Pferde sehen zu können, eine der letzten Wildpferde-Arten, oder Bisons, während Ochsen bei uns ja kaum noch wo finden kann. Siehe dazu: „Raumüberwindung“ (Kontext Grenzen und Überfahrten)!- Die Mechanisierung der Welt (Übersicht)
- Der milde Leviathan (Journal und Diskursraum)