Protokoll #24: Haben Sie gute Absichten?#
(Eine Erörterung)#
von Martin KruscheWir saßen auf einer Terrasse in Takern, nahe dem kleinen Kraftwerk am Fluß Raab, wo in einer vormaligen Mühle ausgezeichnet gekocht wird. Der Maler Heinz Payer und ich sind die patriarchalen Restposten im Projekt „Amselsturm“, welches von Autorin Eva Surma explizit feministisch angelegt wurde.
Es ist demnach eine interessante Aufgabe für zwei alte weiße Männer, sich über eine adäquate Form der Teilnahme zu verständigen, zu einigen. Ich habe unseren Part separat aufgestellt und eingefügt. Jener Teil ist mit „Official Bootleg“ überschrieben, weil ich das Patriarchat als eine Kopie der Kopie einer Kopie deute, und zwar deshalb im Sinn eine Raubkopie, weil sich über die ursprünglichen Intentionen – mangels Quellenlagen – bloß spekulieren läßt.
Dem gegenüber ist der gegenwärtige Status dieser vorherrschenden Männerkultur weder genauer definiert und offiziell erklärt worden, noch durch ausdrückliche Zustimmung (von wem auch immer) legitimiert. Es ist gewissermaßen Folklore, die dem Machterhalt dient und in empirisch klären läßt, wer ein- und wer ausgeschlossen wird.
Diese Aspekte mußte ich mit Heinz Payer nicht erst verhandeln, da korrespondieren unsere Befunde. Wir befassen uns nun mit Überlegungen, welcher Modus sich dafür in einem feministischen Projekt als komplementär bewähren kann. Dazu haben wir folgende Übereinkunft: Man generiert keine Wahrheiten, indem man einfach Widersprüche eliminiert.
Wir setzen auf verschiedene Narrative, die zur Debatte stehen, die einander punktuell auch widersprechen können. Daraus folgt zwingend, daß Dissens und Differenz nicht als Makel ausgewiesen werden, sondern daß wir sie als genuinen Ausdruck menschlicher Gemeinschaft zur Kenntnis nehmen können, um damit an den Fragen und Bedürfnissen der Gemeinschaft zu arbeiten; soweit wir uns dafür zuständig fühlen.
Sich zuständig fühlen#
Das bedeutet ja auch, daß zu klären ist, wofür man Verantwortung übernehmen mag und kann. Sowas verlangt nach einem Verzicht auf verdeckte Intentionen. (Ich schätze dabei gelegentlich die offene und direkte Frage: „Haben Sie gute Absichten?“) Außerdem hatten wir zu erörtern, in welchem Maß sich unsere Auffassungen bezüglich der Conditio humana decken. Darin fanden wir leicht Konsens.Im Kern bedeutet es, wir Menschen denken in Worten, Bildern, Klängen und Emotionen/Gefühlen. Wo diese Mittel gemeinsam wirken, sollte Verständigung gelingen; mit sich selbst und mit anderen Menschen. Das macht nebenbei anschaulich, wie sehr auch unsere Körper an all dem mitwirken, daß da nicht bloß die Ratio arbeitet. (Darin lag übrigens der cartesianische Irrtum, dieses Cogito.)
Payer und ich haben all das in einigen Details weiter aufgefächert. Ich denke, mit diesen Zusammenhängen werden wir noch länger zu tun haben, weil vor allem auch für die Arbeit am Thema Patriarchat/Feminismus einige Genauigkeit unverzichtbar bleibt. Wir können schließlich nicht zu uns selbst auf eine Metaebene gehen, sondern sind bestenfalls zur teilnehmenden Beobachtung befähigt.
Darin liegt dann auch der Wert von laufenden, vor allem öffentlichen Diskursen. Im Gegenüber finde ich Auffassungen, die auch mich betreffen mögen, zu denen ich aus mir heraus aber nicht gelangen kann.
Orchestrieren ist wie malen#
Ich suche zu all dem auch laufend Einblicke in andere Modi, denn ich bin ein Homme de lettres. Da dominieren die Worte im Wechselspiel mit den übrigen Mitteln meiner kognitiven Ausstattung. Payer hat als Maler naturgemäß eine besondere Gewichtung im Visuellen.Außerdem befrage ich derzeit den Musiker und Komponisten Sigi Lemmerer bezüglich seiner Gewichtung und Möglichkeiten, denn da geht es um noch ganz andere Dimensionen. Er schickte mir eben eine Sounddatei mit den Worten: „Hier ist der 1. Satz der Symphonie.“ Ich darauf: „Boah! (Und ich höre da vermutlich ein Cello heraus.)“
Lemmerer: „Das braucht zehn Celli, das Ding! 16 erste Violinen, 14 zweite, 12 Bratschen und acht Kontrabässe. Dazu viel Holz und Blech! Orchestrieren ist wie malen - fetzige Sache! Partitur ist fertig (200 Seiten). Die Symphonie dauert an die 80 Minuten. Nach dem 4. Satz betritt eine Jodler-Göttin die Bühne und bestreitet den ersten Orchesterjodler der Musikgeschichte. Das Ganze möchte ich 2025 im Ausseer Kurhaussaal abpfeffern...“
Oh! Ich las: „Orchestrieren ist wie malen.“ Das fand ich interessant! Und Lemmerers Hinweis: „Die Kernidee war: Wenn James Joyce mit seinem opus magnum 'Ulisses' die Leute für 24 Stunden in Dublin festnageln kann, so machen wir das für eine gute Stunde lang in der Steiermark!“
Das mit dem Malen wollte ich etwas genauer wissen. Lemmerer: „Es ist verdammt wichtig, dass man seinen persönlichen Weg zum Orchester findet! Das ist eine große Herausforderung. Der Dirigent Karolos Trikolidis aus Saloniki hat mir ein paar Tricks gezeigt, wie man gut orchestriert, aber das war sehr spätromantisch angehaucht.“ Dazu folgende Dialog-Sequenz:
- Kru: „ich war grad mit einer jazz-combo auf der bühne. schon da ist mir schleierhaft, wie man die koordiniert. orchester... huh!“
- Lemmerer: „Der Herr mit dem Stäbchen soll's richten!“
- Kru: „ist mir auch ein rätsel, wie verstanden wird, was der tut.“
- Lemmerer: „Das ist ein harter Job! Mahlers 8. Symphonie durchzuwacheln ist Spitzensport!“
- Kru: „glaub ich sofort. ordnung schaffen. was da für eine wucht aufkommen kann.“
- Lemmerer: „Ich bin ein Riesenfan von Daniel Barenboim. Unglaublich wie der einen transparenten Orchesterklang herbei zaubert!“
- Kru: „und dass man so viele stimmen zusammendenken kann. unfassbar!“
- Lemmerer: „Du hast einzelne Familien (Blech, Holz, Perkussion und Streicher). Ist irgendwie wie ein kleiner Marktplatz. Orchestrierung ist ungefähr wie malen! Karolos Trikolisdis (griech. Dirigent) sagte einmal zu mir: 'Wo hast du Tuba? Wenn ich nicht haben kann Tuba, scheiß' ich auf Flette (Flöte)!'“
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- Official Bootleg (Eine Erzählung)
Weiterführende Links#
- Nachtschicht mit Berndt Luef (Eine Reminiszenz)
- Sigi Lemmerer, Steirer-Blues (Ein Dialog als NID-Booklet)