Suchen und Lauern#
Wir sind Sammler auf vielfache Arten#
von Martin Krusche
Eben hat in einer Konditorei am Wiener Hauptbahnhof eine etwa vierstündige Konferenz den Auftakt eines kuriosen Projektes markiert. Im Fokus dieses Projektes steht „Der kleinste Lastwagen der Welt“, der unübertreffliche Steyr-Puch Haflinger. Dieser AP 700 (Allrad-Plattform, 700 ccm) hatte vor bald 60 Jahren in Graz seinen Produktionsbeginn. Die Geschichte drum herum ist komplex und vermutlich nicht nur für Puch-Fans interessant.
Ein so exponiertes Fahrzeug ist als Klassiker Angelpunkt für sehr verschiedene Leidenschaften. Das alles handelt von einem feinen Stück österreichischer Technologiegeschichte. Das handelt ebenso von einer sehr lebhaften Schrauber- und Sammler-Szene, die ihre Preziosen nicht unter den Glassturz stellt, sondern lieber ausführt, wie das für Kraftfahrzeuge unverzichtbar ist. Das handelt auch von Sammelleidenschaften, durch die manche Menschen freundlich werden, andere, na, sagen wir: verhaltensoriginell.
Ich bin selbst in all das verstrickt und möchte annehmen, daß ich im Lager der Freundlichen stehe. Wie bei vielen der für das Sammeln Anfälligen drückt auch meine Sammlung ein Stück meiner Lebensgeschichte aus.
Im Dunkel einer selten genutzten Schublade lagern Briefmarkenalben aus meinen Kindertagen. Dazu hatte mich meine Großmutter Marianne angeregt. Sie war die Nichte, beziehungsweise Cousine der Renner-Buben, deren Luftschiff Estaric von einem Puchmotor bewegt wurde.
Die Leidenschaft zum Briefmarkensammeln habe ich vor Jahrzehnten aufgegeben. Sie wurde aber teilweise wieder akut, wo es um die Geschichte von Kraftfahrzeugen geht. Dazu kommt: Aus vielen meiner Schränke und Kommoden, aus kleinen Containern und großen Schachteln würden bei einem heftigen Erdbeben unzählige Modellautos quellen.
Ferner wäre von so einem Beben eine fette Handbibliothek zum Thema erschüttert, verzweigt in Bücherregale, die der Zeitgeschichte, der Sozialgeschichte und allerhand anderen Themen gewidmet sind. Sie ahnen gewiß, ich bin ein Büchernarr und ein Sammler, an manchen Stellen hart an der Grenze zum Messie.
Ich hab mich natürlich all die Jahre immer wieder nach anregenden Thesen umgesehen, weshalb wir Menschen zum Sammeln neigen. Erzählen Sie mir jetzt bitte nichts von den stammesgeschichtlichen Konsequenzen unserer Zeit als Jäger und Sammler. Die Neolithische Revolution hat uns vor wenigstens zehntausend Jahren neue Lebenskonzepte eingebracht. Das ist doch ein sehr langer Zeitraum. Da sollten wir inzwischen jünger Motive haben. Oder etwa nicht? Naja, vielleicht sind es doch Steinzeit-Manieren, die mich da bewegen.
Aktuelle Schätzung besagen, daß wir europäischen Wohlstandskinder heute jeweils wenigstens zehntausend Gegenstände besitzen. Menschen bloß zwei Generationen vor mir, falls sie zu den Dienstboten der agrarischen Welt gehörten, wahlweise zum Industrieproletariat, besaßen nicht einmal den Bruchteil davon. Sie hatten auch nicht dieses Ausmaß an gesicherter Freizeit, um sich mit all dem Zeug zu beschäftigen. Außerdem hätte den meisten Menschen zum Sammeln der geeignete Raum gefehlt. Kurz, die breite Bevölkerung hatte kaum Möglichkeiten, aus persönlicher Passion zu sammeln.
Preziosen, Kuriosa, Andenken, Fetische, lehrreiche Schaustücke, die privaten Wunderkammern und Kunstkammern sind einst den gut situierten Eliten vorbehalten gewesen, dem hohen Klerus, der Aristokratie. Das subalterne Volk hatte, wie angedeutet, kaum Zeit, Mittel und gesicherte Räume, um sich solchen Leidenschaften zu widmen. Die verfügbare Kraft und die anderen Ressourcen reichten meist nur zum Überleben. Der Mangel war Dauergast, oft kam Not dazu.
Das änderte sich ab der Mitte des 20. Jahrhunderts grundlegend und hatte in meinen Kindertagen einige prominente Genres. Ansichtskarten, Briefmarken, Kronkorken, Mineralien, Münzen, Papierservietten, Pflanzen, Streichholzschachteln und Spielzeugautos waren sehr populäre Sammelgebiete; schließlich auch Klebebilder, die wir Pickerl nannten, die getauscht und mitunter in Pickerl-Alben gesammelt wurden. Markenbezogene Collectibles wie Pez-Spender, Linde-Figuren oder Bilder zu Bazooka-Kaugummis verschwanden aus der breiteren Wahrnehmung. Dafür kamen Telefonwertkarten, später die Pokemons, Yugi Oh-Karten, Diddl-Mäuse, ich weiß nicht, was sonst noch alles.
Ich bin an den Spielzeugautos hängengeblieben. Die verzweigten sich teilweise Richtung detailgetreue Automodelle, teilweise zu alten Sammelstücken mit salopper Linienführung oder zu grobschlächtigem Ramsch aus schlampiger Massenproduktion. Dazwischen ergaben Bausätze ein spezielles Genre, also Fahrzeuge, die man aus vielen Einzelteilen zusammensetzen muß, die eventuell auch kunstfertig zu lackieren sind. Nicht zu vergessen ein alter Vorläufer der Kunststoff-Bausätze, die Ausschneidebögen aus Papier und Karton. Das reicht von ganz simplen, leicht zu bauenden Modellen, bis zu äußert originalgetreuen Papier-Nachbauten, die als Miniaturen verblüffend lebensecht wirken.
All das ist bezüglich der Kraftfahrzeuge mit einer regen Sammler- und Schrauber-Szene verbunden, die Originale pflegen, wo sich markenspezifische Liebhabereien zeigen. Da wiederum verzweigen sich die Sammelgebiete auch auf benachbarte Bereiche. Felder, die mit Nippes und Tand ausgestattet sind, wahlweise mit Werbegeschenken oder Fanartikeln vergangener Tage, stellenweise sogar mit originalen Artefakten und Archivalien der versunken Firmen.
Zwischendurch plötzlich Nischen wie die mit den sogenannten Oldtimer-Häferln, welche man auf Märkten zuweilen dort findet, wo auch alte Zeitschriften und Magazine angeboten werden; von den Hobby-Heften über Motorrad und Auto Revue, bis hin zu Popular Mechanics; aber auch Heftchen-Serien aus den 1940er bis 1960er Jahren. Sie werden nun gewiß nicht überrascht sein zu erfahren, daß es in meiner Hütte von all dem etwas gibt, dies und das, wobei ich manchmal beim Räumen von Stücken überrascht bin, die ich längst vergessen hatte.
Dazu kommen etliche Leihgaben. Originale, Bücher, Hefte, fliegende Blätter, die mir alte Meister vertrauensvoll überließen, damit ich Themen aufarbeiten kann. So etwa Prospekte, Betriebsanleitungen, Korrespondenzen, Presse-Infos, die 50 Jahre alt und älter sind.
Doch die Durchsicht von Archivalien erhellt nur zum Teil, was an solchen Klassikern dran ist. Zum Glück können wir uns noch mit den Männern unterhalten, die dabei waren, als Fahrzeuge wie der Haflinger entwickelt und in Serie gebracht wurden.
Es ist auch spannend, jene zu treffen, die solche Vehikel restaurieren, fahren, instandsetzen, wenn der Verschleiß zugeschlagen hat. Wollte man aber die Fahrzeuge unterm Glassturz verwahren, würden die Standschäden sie ruinieren. Das muß daher alles gelebt werden.
Was also der Hafi ist, wie es zu diesem Fahrzeug kam, was dem folgte, will in einem Schwebezustand erkundet und erzählt werden, in dem sich all diese Aspekte auf einander beziehen, während die Klassiker gefahren und gewartet werden. Wir haben daher in der Anbahnung unseres Projektes eine Kommunikationssituation auszuhecken, die dem gerecht werden kann.
- Der Haflinger (Die Projekt-Übersicht)