Verschraubte Hitze#
(Roman Hold und seine Subkultur-Nische)#
Von Martin Krusche#
Der Mann ist Handwerker. Ich vermute, mit einem etwas anderen biographischen Verlauf hätte er Konstrukteur werden können. Vielleicht ahnte er schon als Kind, daß er besser an die Drehbank in einen Schuppen als an den Prüfstand in einer Entwicklungsabteilung paßt. Und mit Sicherheit fand er von jeher die Conventions seiner Szene anziehender als Fachkongresse der Automobilbranche.
Roman Hold baut oder modifiziert Autos wie Motorräder. Das ergibt Unikate. Er macht das je nach persönlichem Bedarf und nach Kundenwunsch. Das heißt, er muß sich in einem breiten Fächer von Berufsfeldern zurechtfinden. Spenglerei, Schweißtechniken, Werkstoffe, Fahrdynamik, Motorenbau, Lack und Leder, aber auch Stilkunde und Kulturgeschichte. Die Rede ist von Hot Rods, Custom Cars, Bobbers und Choppers…
Es geht um Leistungssteigerung und originelle Optik. Es geht um Glas, Stahl, Chrom, Carbon und andere Materialien. Wo muß geschweißt, wo aber geschraubt werden? Wie werden die Gummikeder in den Lampentopf gefieselt, damit der Scheinwerfer bei Regen auch dicht ist? Dann aber die Königsdisziplin: was braucht der zuständige Ingenieur in der behördlichen Prüfstelle an technischen Ergebnissen, um dem Fahrzeug eine Einzelgenehmigung zu verschreiben, ohne die es keine Straßenzulassung gibt? (Und bei welchem Standort in Österreich braucht man das gar nicht erst zu versuchen?)
Die Nockerlwelle#
Roman Hold sagt: „Einen Motor baust du um die Nockenwelle herum.“ Ja wie? Warum ist die Nockerlwelle so wichtig? So fragt der Laie, der nicht wissen muß, wovon hier die Rede ist, Hauptsache der Murl rennt. Die Nockenwelle ist ein zentrales Steuerelement. Sie prägt die Charakteristik eines Motors.Diese Komponente regelt, wann die Ein- und Auslaßventile eines Motors geöffnet und geschlossen werden. Das muß höchst präzise bestimmt werden, weil Strömung und Verbrennungsvorgang in einem Motor sehr komplexe Prozesse sind, von denen Leistung und Drehmoment abhängen. (Wen wundert, daß es längst auch die Nockenwellenverstellung gibt, um je nach Fahrsituation variable Steuerzeiten zur Verfügung zu haben?)
Wie war das? Drehmoment? (Ich mag das englische Wort Torque, weil es mir so französisch vorkommt.) Einfach erklärt: Im Alltag können Sie es zum Beispiel an den Mopeds hören. Wenn so ein Winzling seine Kraft aus 50 ccm abholen muß, kann es sein, daß mit moderater Lautstärke angefahren wird, ohne das Triebwerkerl abzuwürgen = genug Drehmoment.
Wenn der Motor aber in sehr hoher Drehzahl ihre Trommelfelle löchert, dann gehört die Gas-Hand entweder einem Dummkopf oder das Mopperl hat nicht genug Drehmoment, um fett von untern herauszukommen, bietet dann aber in anderen Fahr-Situationen Vorteile.
So oder so#
Es kommt eben darauf an, was man haben möchte. Beides geht nicht mit einer Einstellung. Wie etwa ein Hund nicht zugleich ein guter Schäfer und ein guter Jäger sein kann. So ist es auch mit einem V8-Triebwerk, an dem die Nockenwelle für eine bestimmte Charakteristik in der Leistungsentfaltung sorgt. Dabei gilt aber die Faustregel: Hubraum kann durch nichts ersetzt werden.Möchten Sie heute einen umweltbewußten Menschen zu einer heftigen Reaktion verleiten, dann erzählen Sie mit möglichst ernster Miene, daß Big Block-Motoren von Chevrolet ein Spektrum zwischen 5,7 Liter Hubraum (348 Cubic inch) und 10,4 Liter Hubraum 632 (Cubic inch) abdecken. (Das ergibt auf jeden Fall sehr viel mehr PS, als Durchschnittstypen ohne Assistenzsystem bewältigen können.)
Falls Sie der Umweltbewußte sind und sich dann für so eine Zumutung revanchieren möchten, sagen Sie dem Big Block-Experten am besten, daß Sie diesen neuen, voll elektrischen Ford Mustang super finden und daß so ein SUV viel bequemer ist als die ganzen Muscle Cars mit kurzem Heck und langer Nase. Sie werden eine fröhliche Stunde erleben.
Zur Sache!#
Ich kenne aus meiner Lektüre verschiedener Quellen Momente, da kommt der Begriff „Hot Road“ vor. „Heiße Straße“. Rührend! Aber knapp vorbei ist auch daneben. Der Hot Rod ist begrifflich erst einmal das heiße Pleuel. Ein Pleuel ist jene Komponente, mit der ein Kolben auf der Kurbelwelle sitzt. Als Slang-Ausdruck steht der Begriff für modifizierte Automobile mit Hochleistungsmotoren. Das gleiche Fahrzeug ohne ein Aggregat im High Performance-Bereich wäre ein Custom Car. So ein Fahrzeug ohne Modifizierung (Customizing), aber mit mächtigem Kraftwerk, wäre eventuell ein Muscle Car.Dieses „eventuell“ ist wichtig, denn wie in die Kunstgeschichte, so ist auch in diesem Bereich der motorisierten Subkulturen sowohl jede Ära als auch jedes Stil-Segment nicht scharf gegen andere abgegrenzt. Das heißt, die Verständigung innerhalb der Communities klappt auch, wenn eigenwillige oder sogar fälschliche Zuschreibungen vorkommen. Beispiel: wer einen Cruiser aus japanischer Großserie „Die Chopper“ nennt, liegt zwar völlig falsch, fliegt deshalb nicht gleich aus der Party.
Unschärfen sind okay, die Experten sehen das entspannt. Erstens, weil sie es gerne gesellig haben, zweitens, weil ihnen klar ist: Unser Ding gehört nicht zur „Allgemeinbildung“. Es ist Subkultur. (Noch dazu in Zeiten von Klimaprotesten und Energieproblemen.)
Hingabe#
Ich denke, so läßt es sich greifbar machen: Hingabe und Kompetenz. Das geht ganz ohne Pose. Das lebt man und drückt es persönlich über die Codes aus, die einem zusagen, egal, was andere dazu meinen. Tattoos, Schmuck, Haarschnitt, Kleidung, wie man es mag. Hauptsache es ist keine leere Geste, sondern hat seine Schlüssigkeit. Die ergibt sich nicht aus Behauptungen; sondern aus der gewählten Lebensweise.Ich denke, so könnte ich in groben Zügen auch eine Community beschreiben, die sich auf originale Vorkriegsfahrzeuge spezialisiert hat. Selbst Tattoos kämen da vor, die würde man bloß nicht an den offenliegenden Hautstellen finden. Jede Interessensgemeinschaft hat ihre Zeichensysteme, ihre Rituale, ihre Codes. So klärt man, wer dazugehört und wer nicht. Hier ist derlei strenger geregelt, da ganz legere…
Außerdem ist das alles Volkskultur in der technischen Welt; und zwar im Sinne von Old School. Das bedeutet: Bottom up = von der Basis her. Wer von außen dazu stößt, gilt nicht schon deshalb als Experte, falls er viel weiß, sondern wenn er sich den Respekt der Community erworben hat. Und ist das der Fall, muß der Expertenstatus nicht mehr bewiesen oder betont werden, weil das nachrangig ist.
Die Koryphäen der klassischen Hot Rod- und Custom-Szene kommen ohne kunst- und sozialgeschichtliche Diskurse aus. Diese Leute brauchen keine Legitimierung „von oben“. Sie behalten die Definitionshoheit über ihre Subkultur selbst. Vor allem sie selbst klären wer sie sind, was das ist: die Fahrzeuge und die Lifestyle-Elemente, der Lebensstil, kurz, die Codes ihrer Subkulturen. Plural! Verschiedene Codes, verschiedene Geschmacksrichtungen.
Da ist eine Vielfalt von Schwerpunkten und Stilen zu entdecken. Ich schreibe hier ausdrücklich nicht über die junge Tuner-Szene, mit der ich nicht vertraut bin. Was ich an Roman Hold finde, hat seine stilistischen Wurzeln in den Anfängen der Massenproduktion von Automobilen.
Die „Tin Lizzy“ als „T-Bucket“ und der Ford Model A in allen Variationen, der „Highboy“ sowie alles Verwandte jener Ära. Das fand dann Jahrzehnt für Jahrzehnt seine besonderen Modelle vom Fließband, die später Stilikonen wurde. Vom 1941er Willys Coupé über den 1951er Mercury bis ich weiß nicht was.
Es ergaben sich beim Hot Rodding etliche Schnittpunkte mit der Muscle Car-Geschichte, die mit dem hoch verdichtenden Oldsmobile Rocket 88-Motor von 1949 beginnt: „However, by then, the Rocket had secured its place in history, as America’s very first muscle car.“ (Quelle) Das sah man damals dem Autodesign noch nicht an. Doch dieser Punkt änderte sich dann rasant.
Roman Hold ist da wie dort zu Hause, kann vom Rat Rod bis zum Lowrider die verschiedenen Stile durchspielen. (Was wir dagegen heute bei den Youngsters der Tunig-Szene sehen, setzt wo anders an, ist eine andere Erzählung.)
Das Video#
- Verschraubte Hitze (Kurzfilm zum Thema von Martin Krusche, 9:40 Minuten)
Kontext#
Sie finden in diesem Text eine Reihe von Begriffen und Fahrzeugarten erwähnt, die Ihnen eventuell nicht geläufig sind. Eine detailliertere Darstellung und entsprechende Erläuterungen finden Sie in den hier gelisteten Beiträgen.- Lackierte Kampfhunde (Jagdgeschwader in Bodennähe und ihre Dekors
- Donnergrollen als Vergnügen (Customizing und Hot Rodding)
- Born to Be Wild (In Stahl, Lack und Leder stolzieren)
- Wir Automobil-Paparazzi (Walking Conference zu Mobilität und Design)
- Fotos: Martin Krusche
- Funkenflug (Eine Erkundung)