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Ringtheaterkatastrophe 1881 - "Alles gerettet!"#

Von Ernst Lanz

Am 1881 Dezember 08 kamen knapp vor Vorstellungsbeginn - damals hätte J. Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" gebracht werden sollen - bei einer Brandkatastrophe, so wurde Tage später offiziell mitgeteilt, 386 Menschen ums Leben. Damaliger Direktor Jauner. 1882 April: Prozess in Wien erbrachte mangelnde Sicherheitseinrichtungen. Als politische Konsequenz musste Wiens Bürgermeister Julius Newald zurücktreten.
Das Theater wurde nicht mehr wiederaufgebaut. Kaiser Franz Joseph I. von Österreich-Ungarn stiftete aus seiner eigenen Privatschatulle den Bau eines Sühnhauses. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde an dieser Stelle die Wiener Polizeidirektion errichtet.

Bildteil

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Ringtheater am Schottenring No. 7, vor 1881 - Erbaut vom österreichischen Architekten des Historismus, Emil von Förster, 1872-74 - Der Zuschauerraum, Parkett und Logen fasste 1.700 Menschen. Das Gebäude war an und für sich prachtvoll gestaltet, im Neo-Renaissancestil. Allerdings unübersichtliche Gänge und Türen die sich nur nach innen öffnen ließen ... Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
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Emil von Förster, Architekt. Lithographie von Adolf Dauthage, 1883 - Foto: Peter Geymayer / Wikimedia Commons - Gemeinfrei
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Schottenring Blickrichtung von Votivkirche/Universität Richtung Franz-Josefs-Kai - Links die Vorhalle des Theaters zu sehen (- Rechts oben die Börse), um 1875 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
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Im Zuschauerraum. Explosion, die sich durch die Draht-Courtine mit voller Wucht bricht. Xylographie, 1882 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
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Vor dem brennenden Theaterbauwerk. Xylographie, 1882 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
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In einem der Gänge - Flucht unmöglich. Xylographie, 1882 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
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In einer Loge - Verzweiflung - Foto: loki11, Wikimedia Commons - Gemeinfrei
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Die Katastrophe. Frau stürzt zum Sprungtuch hinab. Zeitgenössische Darstellung - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfre
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Die Ruine des Ringtheaters, der Innenraum, nach dem 8. Dezember 1881 fotografiert - Offiziell starben 386 Menschen, jedoch ein literarisch tätiger Zeitgenosse vermutete mehr, wohl 1.000 Todesopfer - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei
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Franz Jauner, 1870 - seit 01. Juni 1881 Direktor des Ringtheaters - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei

In der Wiener Tagespost - eine Beilage zu der Wiener Zeitung vom 9. Dezember 1881, Nr. 280, Seite 1-2 wurde folgendes u. a. geschrieben (nur Auszüge, die die bedrückende Stimmung veranschaulichen):
"Se. Majestät der Kaiser haben im Allerhöchsteigenen so wie im Namen ihrer Majestät der Kaiserin zur Unterstützung der Hinterbliebenen der beim Ringtheater=Brande Verunglückten und für die bedrängten Theater=Bediensteten zehntausend Gulden aus der Allerhöchsten Privatcasse zu bewilligen geruht ... Ganz Wien trauert über die erschütternde Katastrophe, der so viele blühende Menschenleben zum Opfer gefallen, und wohin im Reiche die Nachricht über den schweren Unglücksfall bereits gedrungen, überall ruft sie Entsetzen und aufrichtiges Mitgefühl hervor. Noch kennt man zur Stunde die Zahl der Menschen nicht genau, die in den Flammen, im Rauche, im unbeschreiblichen Gedränge und unter den Trümmern des niedergebrannten Theaters ihren Tod gefunden haben, was jedoch darüber bereits bekannt ist, genügt, um das Herz jedes Menschenfreundes mit tiefstem Schmerz zu erfüllen ..."
Der Eindruck den die "furchtbare Katastrophe in allen Kreisen der Gesellschaft hervorgerufen" hinterließ auch im Abgeordnetenhaus ihre Spuren. An die altgewohnte Tagesordnung war nicht mehr zu denken.
"Ein furchtbares Elementarereignis hat in der Nacht auf heute die Bevölkerung Wiens in Schrecken und Trauer versetzt: der monumentale Musentempel auf dem Schottenringe, das schöne Ringtheater, ist ein Raub der Flammen geworden und hat unter seinen Trümmern hunderte von Menschenleben begraben. Die Erregung, welche die erschütternde Katastrophe in allen Kreisen hervorgerufen hat ist eine unbeschreibliche ...
An den Fenstern im ersten und zweiten Stockwerke, auf dem Balcon, welcher an der Ecke des Schottenringes und der Hetzgasse angebracht ist, erschienen hilferufende Gestalten. Auf der Straße liefen jammernde Personen hin und her, deren Angehörige in das Ringtheater gegangen waren ...
Die unglücklichen Opfer des Brandes wurden in das Gebäude der Polizei=Direction am Schottenring übertragen. Sie boten einen schauerlichen Anblick. Da hielten sich u. a. die Leichen zweier Geschwister wie im Schlafe umschlungen, an anderen war Entsetzen und Schmerz noch in den Gesichtszügen ausgeprägt. Die Leichen mehrten sich mit jeder Viertelstunde und ebenso das Grauen ...
[Seite 2:] Herzzerreißend war der Jammer der Ueberbleibenden, die Angehörige im Theater wußten und noch nicht wieder gefunden hatten. Mit entsetzlichen Klagen irrten sie zwischen den gräßlich entstellten Leichen umher. Eine Frau suchte ihren Mann, eine Mutter die Tochter, ein Vater das Kind ..."


Die Presse, No. 340, 10. Dezember 1881, 34. Jahrgang, Seite 1:
"Eine ungeheure Todtenklage hallt durch die Straßen Wiens. Statt der heiteren Freude haben mehr als ein halbes Tausend während des gestrigen Theaterbrandes den entsetzlichsten Tod gefunden. Erstickt, zertreten, von den verzweifelten Schicksalsgenossen in Stücke zerrissen, verbrannt und im Sturze zerschellt, liegen die Opfer des gestrigen Abends in der improvisirten Morgue des Krankenhauses oder unter den rauchenden Trümmern des unseligen Musentempels. Tausende von Angehörigen irrten dem Wahnsinne nahe von den Polizei-Bureaur zur Unglücksstätte und von da zum Leichenhofe und suchen die jammervoll entstellten Ueberreste ihrer Lieben, die in Frohsinn von ihnen gegangen. Die Phantasie erlahmt vor den tollen Orgien des Entsetzens und ein tiefes Weh weint mit den Unglücklichen, für die es heute menschlichen Trost nicht gibt. Abertausende denken schaudernd an den geringfügigen Zufall, der sie oder ihre Lieben gestern von den Theaterbesuche zurückgehalten, und überall, wo Menschen fühlen, ist jegliches andere Interesse verdrängt von theilnehmenden Schmerze, von Schrecken und von der qualvollen Frage, ob es denn unvermeidlich war, daß so viele, viele Menschenleben in dieser Katastrophe zugrunde gehen mußten …"

Nun die Gemeinde Wien erarbeitete ein Konzept, um künftige Katastrophen vorzubeugen. Nur Beispiele: Eiserner Vorhang. Türen, die nach Außen leicht zu öffnen waren, übersichtliche Fluchtwege, feuerfeste Dekorationen, ein uniformierter Sicherheitsbeamter, welcher im Notfall die richtigen Entscheidungen trifft, und und und ... Unterstützend waren dabei die umfangreichen Zeugenaussagen Überlebender während des Ringtheaterprozesses von 24. April bis 16. Mai 1882.
Der damalige Bürgermeister Julius Newald trat, obwohl eigentlich unschuldig, trotzdem zurück. Vermutlich aus moralischen Ursachen. Die Gemeinde Wien hatte längst angesichts der prekären Sicherheitsausstattungen der damaligen Theater begonnen an einem "Theaterregulativ" zu arbeiten. Aus innenpolitischen Querelen her kam es noch nicht zeitgerecht in Anwendung. Dazu eine bittere Anmerkung: Es muss eine Katastrophe passieren, bis endlich Maßnahmen gesetzt werden.
Angesichts dieser dramatischen Ereignisse wurde spontan die "Wiener Freiwillige Rettungsgesellschaft" gegründet.

Nun der einzige Theaterbrand war das im ausklingenden 19. Jahrhundert nicht: Fast zeitgleich wurde auf der Seilerstätte No. 9 das Wiener Stadttheater eröffnet (1872). Als Zweitbühne für das Burgtheater. Jedoch am 16. Mai 1884 brach im dritten Stockwerk ein Brand aus dem das gesamte Theater zum Opfer fiel. Ein Wiederaufbau wurde untersagt. Zu frisch war die Erinnerung an das Ringtheater … Zwei Jahre später wurde die Ruine in das Varietétheater "Ronacher" umgebaut (1887/1888).

Theaterbrände gab es schon immer. Zumeist durch Unachtsamkeit verursacht (Kerzen, Fackeln, später Gasleuchten, Blitzschlag). Im 17. Jahrhundert wurden in London zwei Theaterhäuser zerstört; in Kopenhagen während einer Vorstellung, nur wenige Tage nach der Eröffnung.
In der Epoche eines Mozart kamen während Vorstellungen eine Unzahl Kerzen zum Einsatz - für die Musiker, dass sie die Noten lesen und auch für die Zuschauer, besonders jene, die die Gesangtexte mitlesen konnten. Ein Theaterbesuch schien, so vermute ich, könnte damals unter Umständen lebensgefährlich sein ...
In Wien fiel am 3. November 1761 das Theater am Kärntnertor einen Brand zum Opfer. Dann folgten noch in Amsterdam, Paris, Birmingham weitere Zerstörungen. Im 19. Jahrhundert: Königsberg, wieder in London, Richmond (Virginia, USA), Berlin usw. Gerade in diesem Jahrhundert erfolgten europaweit die meisten Theaterbrände. Ihre Ursachen lagen im Bereich von Fahrlässigkeit bis zur Brandstiftung.
In Wien wurde das Theater am Franz-Josefs-Kai (heute wäre das an der Stelle des Morzinplatzes!) in der Nacht zum 10. Juni 1863 vernichtet. Seither war doch Wien in Sorge, wie solche Katastrophen zu verhindern seien.
Erst mit den Ringtheaterbrand setzte ein Umdenken in Sicherheitsfragen ein.
Allerdings Theaterkatastrophen blieben der Welt bis ins 21. Jahrhundert nicht erspart. Die Ursachen: Fahrlässigkeit, kriegerische Aktionen oder Terror.
(Obwohl der österreichische Widerstand um Schonung kulturell hochstehender Objekte gebeten hatte, wurde am 12.3.45 (!) die Wiener Staatsoper zerstört.)

Nachtrag
1963 produzierte der Österreichische Rundfunk (ORF) ein beeindruckendes TV-Drama "Alles gerettet", das Drehbuch wurde nach den Prozessakten gestaltet (Regie Erich Neuberg, Buch Carl Merz und Helmut Qualtinger).

Weitere Abbildungen

Quellen

Weiterführendes

Epoche - Wien

Liegt auch als NID Buch vor: Ringtheaterkatastrophe - "Alles gerettet!"

Ernst Lanz 1981/2021