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Die Kaiserstadt Wien zwischen 1880 und 1890. Von Newald bis Lueger
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Von Ernst Zentner

Das ist heute nicht vorstellbar, dass Wien eigentlich früher nur aus der Inneren Stadt und den vielen Vororten bestand. Die Residenzen des seit Ende 1848 amtierenden Kaiser Franz Josephs von Österreich-Ungarn existierten als Hofburg in der Stadtfestung und im Westen unweit des Wienflusses als Schloss Schönbrunn. Das damalige Wien mit seinen Vorstädten war von einem ländlichen Charakter bis zu den Weinbergen gekennzeichnet. Auf der anderen Donauseite fast eben bis ins Marchfeld hinein. Die ungestüme Donau und der in sie mündende Wienfluss und etliche Bäche prägten ebenfalls Alt-Wien.
Das ruhmlose Ende der Revolution im Biedermeier war auch für Wien eine Zäsur. Dazu kam, dass das Land unter der Enns (Niederösterreich) seine politische Verwaltung - mit Sitz in Wien - bis vor den Stadtmauern Wiens betrieben hatte. 1850 kam eine sogenannte "Provisorische Gemeindeordung" zustande. Sie sah eine Vereinigung der Stadt mit den über 30 Vorstadtgemeinden vor: 55,5 Quadratkilometer groß und nahezu 430.000 Einwohnerinnen und Einwohner.
Nur standen noch die Basteien der Festungsmetropole im Weg. Ein Konzept zur Verbauung der der Fortifikationsgründe und dem Glacis scheiterte trotz Ausschreibung mittels internationalen Wettbewerb. Eine Wiener Kompromisslösung ward gefunden: Ein Komitee entwarf eine vier Kilometer lange und 57 Meter breite Prachtstraße – eine Ringstraße mit repräsentative Bauten (öffentlich und privat). Der Kaiser sanktionierte den Plan 1859. Sechs Jahre später konnte diese Ringstraße eröffnet werden. 1869 konnte die Hofoper (Staatsoper) ihrer Bestimmung übergeben werden. Die Eröffnungsvorstellung fand am 25. Mai 1869 statt.

Wiener Hofoper, Lithographie, um 1870
Wiener Hofoper, Lithographie, um 1870 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Es war das Zeitalter des Historismus. Andererseits begann die heute als klassische Moderne innerhalb dieser doch vermoderten Stimmung: In der Endphase des francisco-josephinischen Denkens begann eine kulturgeschichtliche Entwicklung, die als Jugendstil bekannt wurde.
Lange schon hatte der Kaiser "seiner" Künstlergemeinschaft einen Baugrund für ihr Künstlerhaus überlassen. Den Schlussstein legte der Kaiser am 1. September 1868. Nun der Stil der damaligen Künstler war eine konservative Auffassung - es entsprach der Denkart des Kaisers - und es würde nicht lange dauern bis die frühe Moderne ihre Anfänge entwickeln würde.
Am 27. April 1879 fand in Wien die Silberhochzeit Kaiser Franz Josephs und Kaiserin Elisabeth statt.

Entwurf für den Makart-Festzug, Landwirte, 1879
Entwurf für den Makart-Festzug, Landwirte, 1879; Wien Museum - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei. Hier widerspiegelt sich der einstige schwülstige überladene Stil aus der Vergangenheit

Der Dekorationskünstler und Porträtist Hans Makart arrangierte einen Festzug auf der Ringstraße. Zweitausend Menschen nahmen teil: Viele damalige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens traten kostümiert auf.

Hans Makart, Maler und Dekorationskünstler
Hans Makart, Maler und Dekorationskünstler, Lithgraphie - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Angepasst an das im neuen Gewand versteckte Altertümliche wirkte ein Maler und Dekorationskünstler, Hans Makart. Obwohl seine Werke noch irgendwie im Barockstil verwurzelt sind schuf er bleibendes und starb 1884 nicht sehr alt.

Atelier des Malers Hans Makart, Wien, um 1875
Atelier des Malers Hans Makart, Wien, um 1875 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Anton Romako, Maler
Anton Romako, Maler. Hier in einer exzentrischen Pose - Foto: Anton Romako, Wikimedia Commons - Vermutlich Gemeinfrei

Ein wenig angepasster Maler war Anton Romako (1832-1889), dessen Stil den Zeitgenossen etwas mühevoll erschienen war. Auch Ansätze zum Expressionismus fanden sich in Romakos Werk.

Tegetthoff in der Seeschlacht bei Lissa I, Anton Romako
Tegetthoff in der Seeschlacht bei Lissa I, Anton Romako, zwischen 1878 and 1880; Belvedere, Wien - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Berühmt seine "Seeschlacht bei Lissa mit einem wagemutigen Tegetthoff".
Jedoch dem alten Stadtkern widerfuhr erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, vor allem im Bereich zwischen der Kärntner Straße und dem Lobkowitzplatz (?). Dort stand das alte Bürgerspitalzinshaus, das gänzlich abgetragen wurde. In den Jahren 1882 und 1883 wurden dort etliche Neubauten hochgezogen. Davon wäre der Philippshof zu erwähnen, der im II. Weltkrieg zerstört und nicht mehr wieder aufgebaut wurde (Albertinaplatz 1).
1883 wurde das neue Parlamentsgebäude (Architekt: Theophil von Hansen) fertiggestellt (damals Franzensring). Am 4. Dezember 1883 fand die erste Reichsratsitzung dort statt. Der Stil entsprach der griechischen Antike. Bislang wurden die Sitzungen in einem hölzernen Gebäude an der Währinger Straße durchgeführt (1861). Das Gebäude war gut bekannt als "Schmerlingstheater" (Anton Ritter von Schmerling, erster konstitutioneller Ministerpräsident).
Ein Jahr danach wurde nächst dem Schottentor das neue Universitätsgebäude (Architekt: Heinrich von Ferstel) eröffnet (10. Oktober 1884). Die alte Universität konnte den steigenden Anforderungen des Studienbetriebes nicht mehr Rechnung tragen und wurde der Akademie der Wissenschaften überlassen.
Wien war seit den 1840er und 1850er Jahren längst wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Drei Kopfbahnhöfe wurden errichtet Westbahnhof (1858), Franz Josephsbahnhof (1870) und Nordwestbahnhof (1872; Personenverkehr 1959 stillgelegt).
In Wien und den Vorstädten dominierte die Pferdetramway. 1883 wurde die Dampftramway eingeführt. (Erst 1897 wurde die jahrzehntelange Umstellung auf Elektrifizierung begonnen.) Am 21. und 22. April 1889 kam es wegen der schlechten Arbeitsbedingungen für die Tramwaykutscher zu einem Streik in Wien. Nach Illustrationen alter Zeitungen zufolge hatten die streikenden Protagonisten sogar ihre Fahrzeuge zu Barrikaden aufgeschichtet.
Die Donau war ein ungestümer wilder Fluss, der oftmals über die Ufer stieg und generell Zerstörung hinterließ. 1870 bis 1875 wurde die Donauregulierung abgeschlossen. Dabei entstand der Donaukanal. Neues Bauland war entstanden.
Noch 1883 gab es ein Hochwasser.
Noch 1870 bis 1873 wurde die I. Wiener Hochquellenwasserleitung, die sich aus Quellen im Rax- und Schneeberggebiet speist, errichtet.
Nach 1872 zerstörte die Reblaus die gesamten Weingärten im Umland Wiens und ganz Österreichs. Erst aus Amerika eingeführte resistente Rebsorten konnten die Gefahr bannen. Wissenschaftler, sogar ein Reichsratabgeordneter und Weinhauerfamilien leisteten große Arbeiten im Kampf gegen Reblaus und Mehltau. 1890 gründete Leopold Steiner Weinbauvereine, bekannt als Kasinos, deren Aufgabe es war weitere Forschung in der Erhaltung von Weinstöcken zu betreiben.
In diesen Jahren war Wien auch die Stadt der Musik. Aber das begann etwas früher: Im April 1874 wurde im Theater an der Wien erstmals die Operette "Die Fledermaus" von Johann Strauß Sohn gegeben.
Aber Wien war längst Welthauptstadt der Musik überhaupt gewesen. Ein Richard Wagner lebte (Ende 1875) mit seiner Familie zwei Monate im Hotel (Palais Philipp von Württemberg; heute: Imperial), um seine Opern "Tannhäuser" und "Lohengrin" in der Hofoper mit inniger Freude zu sehen.

Tramway-Waggon von aufgebrachten Streikenden aus den Schienen gehoben
Tramwaystreik in Wien Hernals, 21./22. April 1889. Abbildungen eines unbekannten Künstlers aus "Das interessante Blatt" No. 18, May 2, 1889 - Foto/Scan: Robert Schediwy - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Kahlenbergbahn bzw. Zahnradbahn, Station Grinzing
Kahlenbergbahn bzw. Zahnradbahn, Station Grinzing. Im Hintergrund der Kahlenberg. Rechts vorne ein Weingarten, 1875 - Repro nach einem Foto von Michael Frankenstein (1843–1918), Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Von 1. Mai 1873 bis zum 2. November 1873 gab es in Wien die Weltausstellung. Anlass genug an den Hängen des Kahlenberges eine Zahnradbahn anzulegen. Aus diesem Grund wurde am Kahlenberg die Zahnradbahn angelegt. Ihre Route begann in Nußdorf, führte über das Krapfenwaldl auf dem Kahlenberg.
Am 9. Mai 1873 gab es in Wien einen Börsenkrach ("Schwarzer Freitag"). Die Wirtschaftshistoriker bezeichnen das auch als Gründerkrach; Österreich-Ungarn war davon mehr betroffen als Deutschland; es gipfelte in die Gründerkrise, die bis in die 1890er Jahre angehalten hatte.
Am 13. Oktober 1888 wurde das "Alte Burgtheater" (Hofburgtheater, Michaelerplatz) geschlossen und einen Tag später als "Neues Burgtheater" am damaligen Franzensring wiedereröffnet. Am Schottenring Nr. 7 befand sich seit 1874 das "Ringtheater" (ursprünglich als "Komische Oper" gegründet).
Am Rande der Ringstraße eröffnete ein neues Theater: das Deutsche Volkstheater, das am 14. September 1889 mit Ludwig Anzengrubers "Ein Fleck auf der Ehr" seine Vorstellungen begann. Auf den Spielplänen der Wiener Bühnen dominierten eher französische Autoren. Das Privattheater wurde von Ferdinand Fellner und Hermann Helmer entworfen. Sie bauten in der gesamten Monarchie und auch im Zarenreich.

Ringtheater, Schottenring 7, vor 1881
Ringtheater, Schottenring 7, vor 1881 - Foto: Oscar Kramer (1835-1892), Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Am 8. Dezember 1881 brach vor Beginn der Vorstellung "Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach im Ringtheater ein katastrophaler Brand aus, der 376 Menschen das Leben kostete. Nach Angaben des damaligen österreichischen Schriftsteller und Enzyklopädisten Ludwig Eisenberg sollen es sogar etwa 1.000 Menschen gewesen sein. Direktor Jauner wurde gerichtlich verurteilt und der damalige Bürgermeister Julius Newald trat - obwohl unschuldig - zurück (1882). Es gab damals kein Theatergesetz. Jauner wurde nach wenigen Tagen mittels kaiserlicher Gnade die dreijährige Haftstrafe erlassen.

Bürgermeister Julius Newald
Bürgermeister Julius Newald, 1879 - Foto: August Schubert (?-?), Wikimedia Commons - Vermutlich gemeinfrei

Sühnhaus, errichtet von Friedrich Schmidt, nach 1885, Schottenring 7
Sühnhaus, errichtet von Friedrich Schmidt, nach 1885, Schottenring 7 - im II. Weltkrieg zerstört; heute steht dort die Bundespolizeidirektion - Foto: Michael Frankenstein (1843-1918)

Kaiser Franz Joseph finanzierte aus seiner Privatschatulle an dieser Stelle den Bau eines "Sühnhauses" (im neogotischen Stil errichtet von Friedrich Schmidt), das wiederum 1945 zerstört wurde. Heute steht dort das Gebäude der Bundespolizeidirektion.
Weil das Alte Burgtheater für das stetig steigende Besucheraufkommen zu klein war, entschieden der ehemalige Burgtheater-Direktor Heinrich Laube und Max Friedländer 1870 ein bürgerliches Theater zu gründen: Auf der Seilerstätte 9 wurde 1872 das Wiener Stadttheater eröffnet.

Das Stadttheater auf der Seilerstätte 7. Nach Innenumbauten als Etablissement Ronacher wiedereröffnet
Das Stadttheater auf der Seilerstätte 9 in der Wiener Innenstadt. Später wurde es als Varietétheater - Etablissement Ronacher - innen umgebaut wiedereröffnet; 1872 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Als erste Vorstellung wurde Schillers "Demetrius" gegeben. Als wichtige Mitglieder des Ensembles galten Theodor Lobe, Adolf Glitz, Katharina Frank, Katharina Schratt sowie Nina Weiss und August Bassermann. Am 16. Mai 1884 brach im dritten Stock des Gebäudes ein Brand aus, dem das gesamte Theater zum Opfer fiel. Ein Wiederaufbau wurde untersagt. Zwei Jahre später wurde die Ruine durch Anton Ronacher unter Beibehaltung der Fassaden in ein Varietétheater umgebaut (1887/1888). Die Architekten Ferdinand Fellner dem Jüngeren und Hermann Helmer schufen die Entwürfe und verstanden eine Verbindung von Theatersaal, Ballsaal und Restaurant zu erzielen. Später nutzte der ORF das Etablissement Ronacher für seine TV-Produktionen und seit 1988 ist es eine Musicalbühne.

Paradeplatz auf dem Josefstädter Glacis, Wien
Paradeplatz auf dem Josefstädter Glacis. Im Hintergrund das Militärgeographische Institut, dahinter die Piaristenkirche und links hinten die Altlerchenfelder Pfarrkirche. Eine Militärparade zu Ehren des 30. Geburtstages des Kaisers Franz Joseph am 18. August 1860 - heute steht das Wiener Rathaus - Foto: ?, K. K. Hof- und Staatsdruckerei, Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Cajetan Felder, Bürgermeister von Wien
Dr. Cajetan von Felder, Bürgermeister von Wien; Lithographie von Adolf Dauthage - Foto: Peter Geymayer, Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Nun die Frage des Standortes des Neuen Rathauses: Bürgermeister Cajetan Felder setzte den Paradeplatz durch. Zehn Jahre Bauzeit. Die Kosten entsprachen einem Jahresbudget. Der aus Württemberg stammende Architekt Friedrich von Schmidt, Dombaumeister zu St. Stephan nahm als Vorbild die gotischen Rathäuser - Ausdruck des Bürgertums. An der Schlusssteinlegung nahm Kaiser Franz Joseph - an seiner Seite der König von Spanien, Alfons XII. - im Festsaal des Rathauses vor. Es war außerdem der 200. Jahrestag der Befreiung Wiens von den Osmanen. Bürgermeister Uhl (bekannt als "Papa Uhl") gab dem Kaiser die Bauurkunde, damit dieser sie unterzeichne. Allerdings die erste Gemeinderatssitzung fand erst am 23. Juni 1885 statt.

Wiener Rathaus, um 1900
Wiener Rathaus, Postkarte, um 1900 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei. Erinnert eher an ein Schloss. Friedrich von Schmidt hatte es entworfen und hochgezogen

Auch die sportlichen Aktivitäten in diesem Jahrzehnt sind einer Erwähnung wert: 1887 wurde der erste Schwimmklub gegründet, 1889 des Eislaufverbandes, 1891 die Verbände für Rudern und Gewichtheben. 1894 wurde der erste Fußballverein - First Vienna Football Club - gegründet. Drei Jahre später folgte noch der "Erste Wiener jüdische Turnverein".
In den 1860er Jahren dachten die Stadtväter daran, den Bereich Kärntner Straße, Stock-im-Eisen-Platz neu zu gestalten, um dem alten Baujuwel Stephansdom die gebührende Sicht bieten zu können. Durch Abbruch einiger vorstehender Bauwerke und die zurückhaltende Errichtung neuer Bauten konnte die Sicht auf dem Stephansdom ermöglicht werden. Beim Stock-im-Eisen-Platz wurde 1891 das Equitable-Palais errichtet. 1895 wurde das Lazanskyhaus, das noch immer die Sicht auf dem Dom versperrte abgetragen und durch einen weniger störenden Bau ersetzt. Diese "Domfreiheit" wird den Wienern 270.000 Gulden kosten.
1871 begann man mit der Restaurierung des Nordturmes am Stephansdom. Der Baumeister Friedrich von Schmidt verfertigte anlässlich der Weltausstellung 1873 eine Zeichnung, auf der Dom sich mit zwei Türmen präsentierte. 1883 schuf Edmund Hellmer anlässlich der 200. Wiederkehr der Befreiung Wiens von den Osmanen ein entsprechendes Erinnerungsdenkmal, das erst 1894 in der Halle des Südturmes enthüllt wurde.
1871 bis 1891 wurden die beiden Hofmuseen (Kunsthistorisches Museum und Naturhistorisches Museum) errichtet. Als Architekten fungierten Gottfried Semper und Carl von Hasenauer.

Brigittakirche, entworfen von Friedrich Schmidt, erb. 1867-74
Brigittakirche, entworfen von Friedrich Schmidt im Stil der Kathedralen des 13. Jahrhunderts, 1867-74 erbaut, Südostseite. Damals "stand" sie noch innerhalb der Leopoldstadt (Wien II) - Foto: © Bwag, Wikimedia Commons - Gemeinfrei

In der Brigittenau (damals noch II. Bezirk Leopoldstadt) errichtete (1867 bis 1873) Friedrich von Schmidt eine neogotische St. Brigitta-Pfarrkirche teilweise nach Vorbild einer Kirche im schwedischen Upsala. Ihre Weihe fand 1874 statt. Damit wurde auch die künftige Eingemeindung nach Wien visualisiert. Das Gotteshaus war auch ein Hinweis, dass durch die Begradigung der Donau auch viel Bauland entstanden war und das bedeutete Platz für Wohnhäuser, Handwerksbetriebe und Fabriken.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte in Wien die Industrialisierung ein. Um 1870 lebten hierorts eine Million Menschen. Die noch dörflich geprägten "Alt-Wiener" Bauten jenseits des Rings wichen im Sinn des Stadtentwicklungsplanes durch vier- bis sechsgeschossige Wohn- und Geschäftshäuser. Umbrüche in der Gesellschaft fanden statt. Die Arbeiterklasse und Armut in weiten Teilen der Bevölkerung nahm zu und wurde zum Wegbereiter der Sozialdemokratie. 1889 fand die Gründung in einem Gasthaus in Hainfeld, Niederösterreich statt, und zwar als Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Aber wegen dem damaligen Wahlrecht hatte die Sozialisten noch keine Chance. Die große Unterschicht teilte sich Wohnungen mit "Bettgehern" auf; Zuwanderung, besonders Tschechen, verwandelte Wien in einem kulturellen Schmelztiegel. Die Stadt Wien versuchte mit sogenannten Armenräten der Armut beizukommen.

Georg Ritter von Schönerer (1842-
Georg Ritter von Schönerer (1842-1921), österreichischer Gutsherr und Politiker. Er lehnte den politischen Katholizismus ab, verfocht einen radikalen Antisemitismus und wurde zum Vorbild von Adolf Hitler. Um 1900 - Foto: Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Seit 1878 fungierte Georg Heinrich Ritter von Schönerer als deutsch-nationaler Politiker, zugleich Gegner des politischen Katholizismus und glühendster Antisemit im Reichsrat (?). Dazu lehnte er die habsburgisch-patriotische Gedankenwelt ab. Daneben war auch Abgeordneter zum niederösterreichischen Landtag. Hitler wird in ihm als eines seiner Vorbilder nennen. In den frühen 1890er Jahren vereinigten sich Kleinbürgerliche und Klerikale zu der Christlichsozialen Partei, die erstmals 1891 zu den Reichsratwahlen angetreten war.
Es war die Zeit eines emporstrebenden Politiker Karl Luegers, entstammte ärmlichen Verhältnissen und er kam von den Liberalen. Lueger war zuerst als Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei tätig galt als Anwalt der "kleinen Leute". Er orientierte sich am Vorbild des jüdischen Arztes und Bezirkspolitikers Ignaz Mandl, der in Luegers Wohnbezirk Landstraße als Abgott der "kleinen Leute" bekannt war. Seit den 1870er Jahren saß Lueger im Wiener Gemeinderat. 1885 und 1891 wurde er für den fünften Bezirk in den Reichsrat gewählt und seit 1890 saß er im Landtag von Niederösterreich. Die Frage der Existenzmöglichkeiten von Kleingewerbetreibende - angetrieben vom niederen Klerus führte Lueger zu einer antijüdischen Denkweise, 1887 bekannte er sich zum Antisemitismus. Bei den Gemeinderatswahlen 1888 schlossen sich Deutschnationale und Christlichsoziale zu den "Vereinigten Christen" zusammen. Dann 1893 gründete er die Christlichsoziale Partei (CS) als zeitgemäße Massenpartei des Wiener Kleinbürgertums. Seine Rhetorik umspannte vom Antikapitalismus bis zum Antisemitismus und fand ihren Widerhall bei den durch Industrialisierung und Einwanderung verstörten Kleinbürgern. Der Kaiser konnte ihn lange nicht akzeptieren. Von 1897 bis 1910 wirkte Bürgermeister Karl Lueger segensreich für Wien.

Grillparzer-Denkmal, Volksgarten, Wien-Innere Stadt
Grillparzer-Denkmal im Wiener Volksgarten, 1889 - Foto: Georges Jansoone - Wikimedia Commons - Gemeinfrei

Es war auch die Zeit der Denkmäler. Generell wurden sie halb privat, halb öffentlich initiiert: Im November 1876 wurde unweit der Ringstraße ein Schillerdenkmal aufgestellt; 17 Jahre nach Franz Grillparzers Tod wurde im Wiener Volksgarten ein Denkmal für den österreichischen Schriftsteller enthüllt. Die überlebensgroße Sitzfigur wurde von Carl Kundmann (1838-1919) aus Marmor gemeißelt. Die Architekturteile wurden von Carl von Hasenauer (1833-1894) geschaffen.
Am 30. September 1888 wurde der Wiener Türkenschanzpark eröffnet. Ein privater Verein hatte dieses Erholungsgebiet initiiert. Die Anregung kam von den Architekten Ferstel und Hasenauer.

Bürgermeister Johann Nepomuk Prix, vor 1894
Bürgermeister Johann Nepomuk Prix, Josef Löwy (1834–1902), vor 1894 - Foto: Wikimedia Commons - gemeinfrei

Unter Bürgermeister Johann Nepomuk Prix wurde im Dezember 1889 der Linienwall (etwa heute der Gürtel) als Steuergrenze zu den 43 Vororten der Stadt am rechten Donauufer aufgehoben. Das war erst der Anfang zu deren Eingemeindung.
Kaiser Franz Joseph nahm zur Eingemeindungsfrage Stellung. Jedenfalls sicherte er die Beseitigung der "physischen Grenzen zu den Vororten" zu.
Am 19. Dezember 1890 kam endlich eine neue Gemeindeverfassung zustande und die eine große Stadterweiterung barg. Administrativ trat das erst am 1. Januar 1892 in Kraft (Inbetriebnahme der Magistratischen Bezirksämter). Die Kaiserstadt Wien besaß nun 19 Bezirke, die Fläche wuchs auf 400 Quadratkilometer und die Einwohnerzahl stieg auf 1,364 Millionen Menschen. Zur Erinnerung: Wien war die Hauptstadt eines Reiches, in dem an die 50 Millionen Menschen lebten. Um 1900 wohnten in der Kaiserstadt nahezu zwei Millionen Menschen.
Die Stadt Wien führte eine offizielle Stadtchronik, die jedes Jahr im "Communalkalender" dargelegt wurde. Sie beinhält unzählige Ereignisse, beginnend von Naturkatastrophen und endend bei Gewalttaten. Berichte aus Gesellschaft, Politik und Kultur ergänzten diese Jahresereignisse.
Der Ringtheaterbrand von 1881 war eines der Tragödien dieser Zeit - vergleichbar Kaprun 2000 - und seither wurden die feuerpolizeilichen Bestimmungen verschärft. Weiteres kam auf private Initiative die Gründung der "Wiener freiwillige Rettungsgesellschaft" (Graf Wilczek, Graf Lamezan-Salins und Jaromir-Mundy) zustande.
1884 wurde die Aufdeckung einer Mordserie an Dienstmädchen und Köchinnen zu einem aufsehenerregenden Ereignis. Zwei Brüder Hugo und Karl Schenk sowie Karl Schlossarek. Hugo Schenk war als Betrüger und Heiratsschwindler kein unbeschriebenes Blatt gewesen. Er hatte sich an diese Frauen - sie hatten ansonsten einen freudlosen Alltag - herangemacht, aus der Stadt gelockt und mithilfe seine Komplizen ermordet. Die Behörden konnten ihnen vier Morde nachweisen und zwei Raubmordversuche. Karl Schenk wurde zu lebenslanger Haft begnadigt, während Schenk und Schlossarek am 22. April 1884 im Landesgerichtsgebäude hingerichtet wurden.

Kaiser Franz Josef I., um 1885
Kaiser Franz Josef I. von Österreich-Ungarn, um 1885 - Foto: Carl Pietzner (1853-1927), Wikimedia Commons - gemeinfrei

Die Tragödie von Mayerling vom 30. Januar 1889 bewegt bis heute. Damals wurden die Umstände auf Geheiß des Kaisers geheim gehalten. Rudolfs Ableben dürfte persönliche Ursachen gehabt haben. Dem Kaiser Franz Joseph blieb auch nichts erspart.

Copyright Ernst Zentner 1988/2019 (Aktualisiert)

Quellen

Wird noch erweitert
Siehe auch
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