"Ecce Homo!" - Die Passion Christi als Gegenstand der bildenden Kunst#
Von Ernst Zentner"Sehet, da ist ein Mensch!" Dieser Spruch spielt nur die Pontius-Pilatus-Szene aus der "Passion Christi" an (lat. "passio" = "Leidenszeit"). "Leiden"; In der Sakralkunst wird sie in Bildwerken mit "Einzug in Jerusalem" und "Letztes Abendmahl" eingeleitet. "Gebet auf dem Ölberg" stellt den eigentlichen Beginn der Passion dar, die dann mit "Kreuzestod" endet; darauffolgend "Auferstehung" — Osterfest — und "Himmelfahrt".
Der vermutlich erste umfangreiche Passionszyklus (erstmals mit dem Kreuzigungsthema) ist in den Reliefs der Holztür von Santa Sabina in Rom zu bewundern (um 432). Seit dem 6. Jahrhundert sind Passionsfolgen in Mosaikbildern dargestellt (Sant'Apollinare Nuovo, vor 526; Ravenna) wie auch in Buchmalereien "Purpurevangeliar, byzantinisch; Diözesanmuseum Rossano, Italien).
Christus verkörpert in der Tradition der Spätantike - stets den Sieger. In der Ostkirche gehört die "Auferstehung" untrennbar zur Passion. Und seit dem 8./9. Jahrhundert wird die Kreuzigung als zentrales Motiv betont größer abgebildet. Weitere bemerkenswerte Passionszyklen entdecken wir auf dem Hauptaltar im Aachener Münster, als Goldtreibarbeit im Stil der ottonischen Kunst (um 1020). Noch in der österreichischen Romanik brachten geistliche Buchmaler einen Höhepunkt in Gestalt der Federzeichnungen im Antiphonar von St. Peter zu Salzburg hervor (um 1160; Wien, Österreichische Nationalbibliothek). Nicht zu vergessen die im gleichen Zeitraum bewältigte Szenenfolge in den prachtvollen Glasmalereien der Kathedrale von Chartes. Sie gelten als virtuose Leistungen der französischen Gotik. Dann noch seit dem 12. Jahrhundert Passionsskulpturen in spätromanischen Kreuzgängen (zum Beispiel in Sakralbauten in Moissac und Arles, beide Südfrankreich) und gegen Ende des 13. Jahrhunderts auch in der Portalausschmückung im Gotikstil an Kathedralen ("Straßburger Münster", nach 1280; Frankreich).
Vom Mittelalter an wurden komplette Passionszyklen angefertigt. Der Italiener Giotto di Bondone läßt in seiner Freskenfolge in der Arenakapelle (Capella degli Scrovegni all/Arena) in Padua mittels geradezu anmutiger, ja beinahe moderner Auffassung Christi Leiden und Todesüberwindung nachvollziehen (zwischen 1305/06 und 1313). Noch in dieser Epoche kamen richtige Bilderserien für Altäre zustande. Duccio di Buoninsegna legte für die Passionswiedergaben im Dom zu Sieha sogar eine Abfolge der nahezu 25 Einzelszenen fest — die übrigens für spätere Zyklen verbindlich blieb (Rückseite der ehemaligen Altartafel "Maestät" 1308—11; Siena, Museo dell' Opera del Duomo).
Martin Schongauer erarbeitete die Kupferstiche "Große Kreuztragung", "Große Kreuzigung" und "Passion Christi" (zwischen 1470 und 1485; Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett).
Albrecht Dürer verwendete sie als Muster für seine danach geschaffenen unerreichten - weltberühmten - Druckgraphikblätter: Die Holzschnitte "Größe Passion" und "Kleine Passion" sowie "Kleine Kupferstichpassion" (1496/97-1512; Wien, Graphische Sammlung Albertina). Natürlich erhielten sie Idealcharakter und einige Einzelszenen mutierten zu bedeutenden Andachtsbildern.
Interessante Werke verdanken wir den Meistern der "Donauschule". Sie formten einen gequälten Sohn Gottes, der real wie metaphysisch alles Unheil der Welt auf sich nimmt. Oft als erschütterndes Bildprogramm für aufwendig konstruierte Flügelaltäre. Großartige, aufwühlende Darstellungen schufen etwa Jörg Preu d. Ä. (1502; Stift Melk Sammlungen) oder Albrecht Altdorfer (Tafeln des einstigen "Passionsaltares", vollendet 1518; Stift St. Florian).
Um 1506 verfertigte Hans Holbein d. Ä. die sogenannte "Graue Passion", in welcher der Künstler auf eine üppige Farbigkeit verzichtete und in zwölf Bildern Jesus vor graugetönten Szenerien ins Licht rückte (Donaueschingen, Fürstenberg Gemäldesammlung).
Die Franziskaner führten die "Kreuzwegstationen" ein.
Schließlich entstanden die populären "Kalvarienberge" - besonders in der Bretagne: "Calvaire". So auch Andachtstypen wie "Schmerzensmann", "Pieta", "Christi Beweinung" und "Heiliges Grab".
Seit der Renaissance hatte Jesus als Mensch "schön" und "makellos" zu sein. Im Barock dominierten Einzelbilder, aus denen unbewusst die geistige Tiefe der Passion zu eruieren war. Hierzu nur einige Beispiele: Italiens genialster Manierist, Jacopo Tintoretto realisierte um 1565 in Venedig unter anderem eine detailreiche "Kreuzigung" mit den monumentalen Ausmaßen 5,36 x 12,24 Meter (Scuola Grande di San Rocco)! In ähnlicher Weise, jedoch bescheidener konzipierte Peter Paul Rubens für Altäre in der Kathedrale in Antwerpen "Kreuzaufrichtung" und "Kreuzabnahme" (1610-12). Bald darauf verwirklichte der für seine Hell-Dunkel-Spezialität anerkannte Rembrandt van Rijn "Kreuzabnahme" und "Auferstehung" (1633/35—39; München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen).
Bis in die Gegenwart wurden Passionszyklen immer seltener.
Europäische Expressionisten - Georges Rouault, Emil Nolde und Otto Dix versuchten das Thema mit einem aktuellen Zeitbezug einzubinden. Herumkonstruiert um einen demütigen Christus, der zum Spiegelbild unseres Menschseins wird.
Angesichts zweier vergangener Weltkriege - und den unerträglichen Grausamkeiten in der Gegenwart - erhält die "Passion Christi" zugleich "Passion Menschheit"(!) einen Hauch gewaltiger Zeitlosigkeit.
[1] Kreuzigungsdarstellungen waren in der frühesten nachchristlichen Zeit völlig unerwünscht, weil diese Hinrichtungsart war für den Delinquenten die schändlichste überhaupt. Eine - peinliche - Darstellung zeigt einen Gekreuzigten mit Pferdekopf (!). Davor einen Mann, der Gott anbetet.
Dieser vorliegende Text entspricht einem in der "Neuen Wochenschau" vom 23. März 1994 / Nr. 12 auf den Seiten 26 und 63 veröffentlichten Artikel: "Ecce Homo!" - Die Passion Christi als Gegenstand der bildenden Kunst - Von Ernst Zentner. Jedoch aktualisiert und mit weiterem Bildmaterial versehen.
Quellen
- http://ancientrome.ru/art/artworken/img.htm?id=7580: "Christus vor Pilatus - Ecce Homo - Händewaschung", mittleres Detail (an der Ecke) des "Traditio-legis"-Sarkophags, römisch, um 370. Reverenda Fabbrica di San Pietro, Vatikan, Rom.
Thema "Kalvarienberg" in Österreich
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