Vom Steirerwagerl zum Puch G#
(Fahren, fahren, fahren in steirischer Prägung)Von Martin Krusche
Inhaltsverzeichnis
- Vom Steirerwagerl zum Puch G
- Einleitung: Von den Anfängen
- Tempo und Konfrontationen
- Die Motorisierung produziert Opfer
- Mischkonzern mit breiter Produktpalette
- Das versunkene Eiland
- Automobil kontra Fuhrwerk
- Es muß einfacher zu bedienen werden
- Gab es eine „Erste Stunde“?
- Kutschier-Phaëtons und Steirerwagerl
- Der erste Klassiker: De Dion
- Mehr Zylinder!
- Nachkriegszeit
- Fußnoten
Einleitung: Von den Anfängen#
Ich hatte mir vorgenommen, einen kleinen Essay über die steirischen Momente und Werke unserer Technlogiegeschichte zu schreiben. Dieses Thema sprengt jeden hier angenommenen Rahmen. Also dachte ich, eine Konzentration auf die Mobilitätsgeschichte wäre hilfreich. Doch das macht es nicht besser, das Thema ist viel zu groß. Daher möchte ich mich auf die Geschichte des Automobils konzentrieren, wie sie in die Steiermark gründlich eingeschrieben ist. Das bietet ohnehin reichlich Anlässe, da und dort in andere Teilthemen zu verzweigen, um das Thema nachvollziehbar zu skizzieren. Ich bin so frei, diese Erzählung nicht entlang dem Zeitpfeil zu entfalten, sondern Schleifen zu ziehen und so manches interessante Detail einzukreisen.
Im Jahr 1978 veröffentlichte der französische Philosoph Paul Virilio ein wesentliches Werk zur Dromologie, einer Lehre vom Verhältnis der Gesellschaft zur Geschwindigkeit. Manchmal schein mir, mit dem Titel des Buches sei eigentlich schon alles gesagt: „Fahren, fahren, fahren ...“.Paul Virilio fragte in seinem Essay: „Wo sind wir, wenn wir reisen? Wo liegt dies ‚Land der Geschwindigkeit’, das nie genau mit dem zusammenfällt, das wir durchqueren?[1] Er wies darauf hin, welche umfassende Rolle jede Revolution des Transportwesens spielt. Virilio erwähnte „Das Verschwinden der Einzelheiten der Welt im Flimmern der Geschwindigkeit.“ Genau dieses Motiv finden wir implizit schon in der abendländischen Mythologie, als Phaeton den Sonnenwagen seines Vaters Helios besteigt.
Die späten 1970er Jahre, da Virilios Essay über das Fahren erschien, sind eine besondere Ära in der Geschichte des Automobils, denn die junge Massenmotorisierung hatte damals Bedingungen und Bestand, wie sie davor nie dagewesen waren, danach kaum wiederkehren werden. In dieser Geschichte kommt den steirischen Ereignissen markante Eigenart zu, die ich hier skizzieren möchte.
Was war das Neue? Zwischen dem Ende der 1950er und dem Ende der 1970er hatte sich in Österreich erstmals eine Volksmotorisierung vollzogen, die zu einer Massenmobilität führte, welche auf dem individuellen Privatbesitz von Kraftfahrzeugen beruht.
Wer, wie ich, 1956 geboren wurde, wird sich erinnern, daß es plötzlich ganz normal war, bei einer vierköpfigen Familie vier bis fünf Kraftfahrzeuge zu finden. Das meinte wenigstens zwei Autos und zwei Mopeds, vielleicht auch noch ein Puch-Roller zusätzlich, um bei gutem Wetter allfällige Kurzstrecken preiswerter zu befahren. Derlei umfassende Familienmotorisierung war Ausdruck einer sozialen Revolution.
Viele unserer Großeltern hatten nie ein Kraftfahrzeug besessen. Für sie galt schon ein Fahrrad als Wertgegenstand, zu dessen Anschaffung die ganze Familie Geld zusammengelegt hatte. Das Thema „Volkswagen“ reicht zwar tief in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück, aber es war bis zum Zweiten Weltkrieg nicht gelungen, Massenproduktion und Massenkonsum auf eine Art zueinander zu führen, daß Automobile für breitere Bevölkerungskreise in der Anschaffung erschwinglich wurden. Auch ihr Erhalt konnte selbst Menschen mit gutem Einkommen letztlich überfordern.
Spätestens Ende hatten der 1960er Jahre hatte sehr viele Haushalte ein eigenes Fernsehgerät. Virilio deutete diese Apparate („kathodische Vitrinen“) in seinem Essay „Rasender Stillstand[2] als „statisches Vehikel“, das wir in „häuslicher Bewegungslosigkeit“ nutzen, um uns ein „bewohnbares Koma“ zu gönnen; im Kontrast zum „bewohnbaren Verkehr“.
Einige Zeit davor veröffentlichte Roland Barthes seine Essay-Sammlung „Mythen des Alltags“, die auch jenen gern zitierten Text über die „Deesse“ von Citroen enthält, in dem er provokant meinte: „Ich glaube, daß das Automobil heute die ziemlich genaue Entsprechung der großen gotischen Kathedralen ist. Soll heißen: eine große epochale Schöpfung, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern entworfen wurde und von deren Bild, wenn nicht von deren Gebrauch ein ganzes Volk zehrt.[3]
Die Steiermark war ursprünglich eine eher rückständige Region, was sich ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts in markanten Schritten geändert hat. Dabei berühren sich Weltgeschichte und Regionalgeschichte. Die Menschheit lebt seit rund 200 Jahren in einer permanenten technische Revolution, deren Tempo in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so zugelegt hat, daß wir längst erhebliche Probleme haben, sozial, kulturell und politisch darauf angemessen zu reagieren.
Am Beginn dieser Progression steht die Optimierung der Dampfmaschine, wodurch die Industrielle Revolution eingeleitet wurde. Das geschah in England, wohin Erzherzog Johann von Österreich in den Jahren 1815/1816 mehrmals reiste. Dort empfing ihn James Watt persönlich, zeigt ihm seinen Betrieb und die neuen Maschinen. Johann führte darüber penible Aufzeichnungen, mit allerhand Zeichnungen versehen. Er war gewillt, die Steiermark aus ihrer Rückständigkeit herauszuführen und setzte dafür jene erheblichen Mittel ein, über die er als Bruder des Kaisers verfügte.
Um sich heute eine Vorstellung von seinen Ressourcen zu machen, muß man zum Beispiel bloß vor das imposante Schloß Stainz hintreten, welches nur eines von seinen zahlreichen Besitztümern war, bei weitem nicht das bedeutendste. Allerdings findet man im Haus Österreich nicht gar so viele Aristokraten, die ihre erheblichen Mittel und persönlichen Talente vergleichbar einsetzten, wobei Johann vor allem auch stark auf die Kompetenzen inspirierter Menschen aus allen Bevölkerungsschichten setzte. Man könnte sagen: Talente aus dem gemeinen Volk. Das waren außergewöhnliche Zusammenhänge, auf denen vermutlich ein wesentlicher Teil steirischer Entwicklungen in der Technik ursprünglich beruhen, wovon der Fahrzeugbau nur ein Teil ist, der uns hier beschäftigt.
Johann hatte schon 1811 eine Sammlung und Lehranstalt gegründet, in der er Know how zusammentrug und zur Vermittlung anbot: das Grazer Joanneum. Im Jahr 1864 wurde dieses Joanneum zur k.k. Technischen Hochschule, woraus die Technische Universität Graz hervorging. Heute gehören zu all dem auch die Fachhochschule FH Joanneum und das Forschungsinstitut Joanneum Research. Das sind nur ein paar Gründe, dank derer Fahrzeugentwicklung und Fahrzeugbau bis heute in der Steiermark zuhause sind, worunter manches Weltrang erlangen konnte.
Niemand mußte den Menschen erst beibringen, was an einer schnellen Fuhre reizvoll sei. Vermutlich haben schon unsere ältesten Vorfahren Tiere bewundert, die einem schlicht davonrannten und womöglich nicht einmal von Pfeilen eingeholt werden konnten.
Vor Jahrtausenden schloß der Mensch einen „Kentaurischen Pakt“, machte sich Pferde gefügig, die zu den dominanten Tempomaschinen unserer Geschichte wurden. Dieser Pakt endete erst im Zweiten Weltkrieg, nachdem uns Pferde vor allem noch im Sport- und Freizeitbereich unterkommen, erneut wieder vereinzelt bei der Waldarbeiten, fürs Holzrücken, und mancherorts bei einer militärischen Tragtier-Einheit.
Tempo und Konfrontationen#
Stets werden wir auf Menschen stoßen, denen die Raser verhaßt sind. Wie gerne betonen manche, ein Auto sei bloß dazu da, jemanden von A nach B zu bringen. Europas Kulturgeschichte erzählt uns etwas ganz anderes. Warum ist Ikarus unser Held, während kaum jemand über seinen Vater Daedalus spricht? Der besonnene Techniker bewegt uns weit weniger als der bedenkenlose Himmelsstürmer, den dabei ein schneller Tod ereilt.
Wir könnten Hephaistos, den mythischen Schmied, würdigen, der den Sonnenwagen des Helios gebaut hat. Aber erst als des Sonnengottes Sohn Phaeton mit diesem Wagen und seinen mächtigen Rössern einen groben Unfall baut, weil er die Fuhre nicht beherrschte, wurde die Sache interessant.
Der Titan Prometheus hatte die Kühnheit, den Göttern das Feuer zu stehlen und es in unsere einst verdunkelte Welt zu bringen. Nicht die erste Tat, mit der er Zeus verärgerte. Er wurde dafür grausam bestraft. Doch in seinen Handlungen ist ein Erbe begründet, das die Grenzüberschreitung als Standard kennt, das über die Jahrtausende auch zu einer Haltung führte, die man als „Die Ehre des Handwerks“ beschreiben könnte.
Doch vor all dem steht unsere offenbar unausrottbare Leidenschaft für Tempo, zu der wir uns eben schon in der Antike nicht bloß auf die Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers verlassen wollten.
Im Marktflecken Anger befindet sich ein massiver Kapellenbildstock, der heute die Handschrift von Maler Toni Fötsch trägt. Über dem Torbogen zeigt ein Bild durchgehende Pferde mit einer Langholzfuhre. Davor ein liegender Mensch, der vermutlich gerade seine Gesundheit oder gar sein Leben einbüßt.
Vor der umfassenden Mechanisierung unserer Landwirtschaft waren Pferde quasi die Oberklasse der Zugtiere. Den „Hafermotor“ konnten sich bloß wirtschaftlich recht erfolgreiche Leute leisten. In der Mittelklasse wurde die enorme Zugkraft der Stiere genutzt, deren Wesen man entschärfte, für den Menschen ungefährlicher machte, indem man sie zu Ochsen kastrierte.
Aus jener Ära stammt die Ansicht: „Alles, was schneller ist als ein Ochs, ist ein Glump“. Ochsenfuhrwerke waren ganz alltäglich das Maß der Dinge in Sachen Geschwindigkeit. Die „Tempomaschine Pferd“ markierte soziale Trennlinien. Das kam auch noch zur Wirkung, als längst Eisenbahnen fuhren oder dann Autobusse aufkamen.
Kleiner Einschub: 1907 wurde die erste Postauto-Linie Österreichs zwischen Neumarkt und Predazzo in Südtirol eröffnet. Bald darauf gab es die ersten vier Exemplare des ET13. Das Kürzel steht für Einheitstyp 1913. Das Prinzip der Zulieferer ist bei Automobilen so alt wie die Serienproduktion. Dieser Autobus wurde nach vorgegebenen Spezifikationen aus Komponenten gebaut, die von verschiedenen Automobilproduzenten kamen, darunter auch die Grazer Puchwerke AG. Die ersten ET13 befuhren ab 1913 eine neue Linie zwischen Reutte und Sonthofen (Tirol-Bayern)[4].
Ochsengespanne standen zu den Autobussen und Lokomotiven in hartem Kontrast, repräsentierten ein völlig anderes Konzept von Zeit und Geschwindigkeit. Wer es aber ganz bescheiden hatte, denn die Steiermark war lange eine eher arme Region, mußte seine Kuh einspannen. Eine betagte Frau erzählte mir, sie habe als junges Mädchen eine Kuh zu reiten versucht, weil es für sie keinerlei Aussicht gab, auf ein Pferd zu kommen. Übrigens ein erfolgloser Versuch. Die Kuh zeigte sich bockig und rührte sich mit der Reiterin nicht vom Fleck. Meist wurde aber das Gegenteil zum Problem, daß Zug- oder Reittiere erschrecken und einem durchgehen.
Es ist staunenswerte Ratgeberliteratur erhalten, die einen für solche Problemlagen rüsten wollte. Dabei ist manchmal allein schon der Titel ein reizvolles Geschichtchen. Zum Beispiel: Wilhelm Espenhain, Der Tausendkünstler, oder neue auserlesene Sammlung von erprobten haus- und landwirtschaftlichen Vortheilen und Verbesserungen. Ein nothwendiges Handbuch für Alle, welche ihr Einkommen und ihren Wohlstand vermehren wollen, Erster Band; Ludwig’s Verlag in Graz, 1848.
Espenhain empfiehlt nach den Tips „Fliegen in Menge zu fangen“ und „Fliegen im Zimmer zu vertilgen“ ganz speziell, um „Pferde augenblicklich zu zähmen“, folgendes verblüffende Verfahren: „Legt man einem unbändigen Pferde oder auch andern ungezähmten Thiere einen kleinen runden Kieselstein in das Ohr, hält dieses mit der Hand fest zu und streichelt das Thier, so wird es zum Beschlagen und allem willig seyn, und auch geduldiger werden, wenn man das Experiment mit beiden Ohren vornimmt.“
Es wird wohl mit den Zugpferden ebenso gewesen sein, wie später mit PS-starken Sportwagen. Ein solides Fahrtraining war für Leib und Leben der Leute an Bord gewiß vielversprechender, als Steine in den Ohren der Tiere. Die Gefährlichkeit von Maschinen sollte sich nicht nur im Automobilismus, sondern auch in der umfassenden Mechanisierung der Landwirtschaft zeigen.
Die Motorisierung produziert Opfer#
Erst ab 1947 begann man in Österreich, Zugtiere weitläufig durch Kompakttraktoren zu ersetzen, worunter der „Fünfzehner Steyr“ bis heute der populärste ist. Dieser 15 PS starke Steyr 180 war das zweite Modell aus St. Valentin und kann bis heute sogar noch im Einsatz gesehen werden, wo seine derzeit gering anmutende Zugkraft für eine Arbeit ausreicht.
Im Raum Stainz markiert ein Wegkreuz jene Stelle, an der ein Bauer sein Leben verlor. Er war, so die Überlieferung, eben erst vom Fuhrwerk auf einen Traktor umgestiegen, hatte das motorisierte Gespann nicht unter Kontrolle halten können. Traktorunfälle gehören bis heute zu den ständig wiederkehrenden Ereignissen in der Landwirtschaft, wobei auch immer wieder Kleinkinder als Opfer aufscheinen. Verkehrstote aller Arten beunruhigen uns kaum noch.
Wir haben längst eine so ausladende Adaptionsphase hinter uns, um an die Gefährlichkeit von Kraftfahrzeugen ausreichend gewöhnt zu sein, daß ein ferner Terroranschlag in seinem seltenen Vorkommen diese Gesellschaft offenbar weit mehr beunruhigt als die alljährlich enorme Zahl der Verkehrstoten. Das Bundesministerium für Inneres nannte für 2016: „427 Verkehrstote im abgelaufenen Jahr. Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 10,9 Prozent.“[5]
Ein „3-Jahres-Vergleich 2015 bis 2017 im Zeitraum 1. Jänner bis 25. Juni“ belegt für die Steiermark 2015 noch 31 Tote, 2016 nur mehr 28, 2017 dann 24 Verkehrstote.[6] Im Jahr 2014 verkündete Die Presse: "Österreich: Erstmals weniger als 500 Verkehrstote" und führte näher aus: "Mit 453 Toten wurde im Vorjahr die niedrigste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1950 erreicht. Noch 1999 gab es über 1000 Tote jährlich."[7] Damals gehörte die Steiermark zum oberen Drittel, kam mit 71 (81) Opfern nach Niederösterreich 112 (145), und Oberösterreich 99 (93).
Der Beitrag nennt 1972 als Österreichs bisher schwärzestes Jahr in der Unfallstatistik mit 2.948 Toten. Es war die Zeit einer „Zweiten Welle der Volksmotorisierung“. Erstmals waren gegen Ende der 1950er Jahre zunehmend Automobile auf dem Markt, die sich bald auch jene Arbeiter leisten konnten, von denen sie gebaut wurden. Dabei spielt der 1957 in Graz präsentierte Steyr-Puch 500 eine emblematische Rolle.
In den frühen 1970er Jahren stand eine unüberschaubar große Flotte von teils recht preiswerten Gebrauchtwagen auf den Kiesplätzen und in den Garagen des Landes, in Gärten, vor Häusern, bei Händlern und bei Privatpersonen. Die Presse nannte das Kernproblem, wie es offenbar seit Beginn des Automobilismus unverändert regiert: „Hauptunfallursachen dieser tödlichen Verkehrsunfälle waren nicht angepasste Fahrgeschwindigkeit (30,6 Prozent), Vorrangverletzung (17,7 Prozent), Unachtsamkeit/Ablenkung (12,2 Prozent), Überholen (9,4 Prozent)…“ Passiert man einen Kreisverkehr zwischen Studenzen und St. Margarethen, kann man auf einem privaten Mahnmal folgenden Vers lesen:
O MENSCH, GIB ACHT, WIE BALD, DASS GOTT EIN ENDE MACHT.
GESUND FUHR ICH MIT DEM AUTO FORT, TOT FAND MAN MICH
AN DIESEM ORT.
MEIN STERBEBETT WAR HIER BEREIT, WO GOTT MICH RIEF
ZUR EWIGKEIT.
So wird an Hans Kloiber erinnert, den hier am 28.9.1981 mutmaßlich mehr sein Fahrverhalten als Gottes Ruf aus dem Leben riß. In Hofstätten, knapp vor einem Autobahnzubringer, führt von der Straße eine steile Böschung zu einem Wiesengrund hinunter. Dort steht ein Kreuz in der Art von dekorativem Schmiedeeisen. Das Schild verweist ebenfalls auf die 1980er Jahre und besagt: „Hier verunglückte Walter Raser“. (Man kann sich ein „Nomen est Omen“ einfach nicht verkneifen.)
Die Raserei der „Autler“ war den meisten anderen Verkehrsteilnehmern von Anfang an ein Ärgernis und führte so häufig zu Kontroversen, daß die Behörde 1905 begann, Nummern auszugeben mit denen Autos und Motorräder gekennzeichnet und registriert werden mußten. Damals waren etwa 35 Km/h schon eine höllische Spitzengeschwindigkeit.
Die daraus abgeleiteten Verzeichnisse geben uns heute einen Eindruck, wer welches Fahrzeug besaß und daß so mancher Besitz bald wieder aufgegeben wurde. Die finanzielle Belastung in der Anschaffung und im Erhalt von Kraftfahrzeugen war bis zum Zweiten Weltkrieg eine erhebliche Bürde, die bloß von einer Minorität geschultert werden konnte.
Die wenigsten Automobile standen in Privatbesitz, das Gros blieben Firmen- und Behördenfahrzeuge, bis Anfang der Zweiten Republik die Volksmotorisierung in Gang kam, nachdem die Mechanisierung der Landwirtschaft vorangekommen war und Flotten von heimischen Lastkraftwagen sich zwischen den ausländischen Produkten bewährt hatten.
All das war ab den 1950er Jahren von einem technisch gut eingeführten, aber legistisch völlig neuen Kraftfahrzeugtyp umknattert, dem Moped. Diese Nachfolge der mit Hilfsmotoren aufgerüsteten Fahrrädern durften ohne Führerschein eingesetzt werden und waren mit bescheidenen Erhaltungskosten verbunden, solange man unter dem Limit von 50 ccm Hubraum und 40 Km/h Höchstgeschwindigkeit blieb.
Mischkonzern mit breiter Produktpalette#
Über den ersten großen Verkaufserfolg aus Graz, die Puch MS 50, waren sich Tester schnell einig. „Das Puch-Moped mit seinem erstaunlichen Fahrkomfort ist eher als Kleinmotorrad denn als Fahrrad mit Hilfsmotor anzusprechen.[8] Vor dieser Ära hatte man allerhand kleine Motore an allen denkbaren Stellen von Fahrrädern montiert, um das Strampeln zu vermeiden. Diese Bestrebungen reichen freilich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück.
Es ging aber nicht nur um die Einsparung von Körperkraft, sondern auch um die Verkehrsdichte. Ein gesamteuropäisches Problem. Donald Ahrens notierte in der deutschen Die Zeit im Jahr 1954: „Wie der Verkehr in unseren Städten und auf unseren Landstraßen in einigen Jahren aussehen soll, das ist eine Frage, die uns alle beunruhigt – doch niemand hat eine rechte Vorstellung davon. Zwar werden wir noch nicht so schnell amerikanische Verhältnisse erreichen, wo auf drei Einwohner ein Auto kommt, vielmehr sieht es so aus, daß das Massenverkehrsmittel der Straße das Moped, das Motorfahrrad, sein wird[9].“
Wer in jenen Tagen schon Motorrad fuhr, schielte natürlich auf ein eigenes Auto. Der Motorrad-Boom als Ausdruck eines Freizeitvergnügens setzte erst Jahrzehnte später ein. Auf all diesen Feldern, vom Lastwagen, Bus, Traktor, Motorrads und Moped bis zum PKW hatte die Steyr-Daimler-Puch AG, von der auch Schußwaffen, Panzer, Bootsmotore, Schneemobile, ja sogar Ölöfen produziert wurden, höchste Bedeutung.
Der Grazer Standort dieses Mischkonzerns wird bis heute Puchwerk genannt, ist so übrigens nach wie vor auch auf der Autobahn ausgeschildert, obwohl der Betrieb längst von Magna Steyr übernommen wurde. Vom aktuellen Betrieb her nennt man die Fabrik übrigens Magna Steyr-Werk in Graz-Thondorf. In der Bevölkerung ist das nicht angekommen und Magna beließ es dabei.
Damit ist heute hauptsächlich das in den 1940ern als Rüstungsbetrieb links der Mur gebaute Werk Thondorf gemeint, welches die Puchianer Zweier-Werk nennen. Auf dem rechten Murufer findet man das Einser-Werk, das Stammwerk von Altmeister Johann Puch. Der Puch-Steg aus den 1940er Jahre erinnert noch heute daran, daß nicht nur die einheimischen Arbeiter einen kurzen Weg zwischen den Werken haben sollten. In der Nazi-Zeit bestanden dort auch Arbeitslager mit Gefangenen, die Sklavenarbeit verrichten mußten.
Aus dem Einser-Werk stammt jenes Grazer Automobil, welches vom Boss mit energischem Einsatz in die öffentliche Wahrnehmung gewuchtet wurde. Und zwar per konsequenter Werbetätigkeit, die sich Johann Puch schon in den Zeiten der vorangegangenen Fahrradproduktion angewöhnt hatte.
Heute würde man sagen, er war ein Meister der Public Relations. Er buchte für den 1. April 1900 das Titelblatt der Allgemeinen Automobil Zeitung. Darauf stellte er „Die erste PUCH Voiturette“ vor. Voiturette ist das französische Wort für Wägelchen. Das zartgliedrige Vehikel „befuhr in Anwesenheit zahlreicher Zeugen den Grazer Schlossberg“ und bewältigte dabei 22% Steigung. Daraus folgerte Puch: „Die erste Ausfahrt ein Bombenerfolg!“
Das Fahrzeug gilt als verschollen. Die Allgemeine Automobil Zeitung berichtete im August des gleichen Jahres, es sei ein Trientiner Automobilist namens Guido Monchen gewesen, der erst die erwähnte Schloßberg-Fahrt unternommen habe, um dann „Eine der schwierigsten und steilsten Fahrtstraßen der an Bergen so reichen Steiermark“ in Angriff zu nehmen, nämlich jene beim Schöckl „in der Nähe von Radegund“[10].
Monchen gebühre nun „Die Priorität, diese halsbrecherische Straße befahren zu haben“. Um ein Mißverständnis zu vermeiden, das betrifft noch nicht die reale Erstbefahrung des Berges, selbst wenn es hier so scheinen mag. Die wurde später allerdings auch mit einem Puch-Wagen absolviert.
Der Artikel behauptet zwar, Monchen habe mit der Puch Voiturette den Gipfel des Schöckl erklommen, aber erstens fehlen dazu weitere Belege, zweitens ist die 1900er Voiturette nicht so robust gebaut und ausreichend motorisiert gewesen, um diese Aufgabe zu schaffen.
Die einzige mir bekannte historische Abbildung jenes Vehikels, wie sie heute im Johann Puch Museum Graz zu finden ist, zeigt außerdem einen Zweisitzer, in seiner Dimension durchaus ähnlich dem Albl Phönix, einer Grazer Voiturette aus dem Jahr 1902. Es ist also kein „viersitziges Gefährt“, wie im Bericht behauptet wird.
In Texten jener Zeit werden Voiturettes als feingliedrig und mit zwei, maximal drei Sitzplätzen beschrieben. Ein vergleichsweise junges Dokument ist die „Telefonskih kartic - Slovenija 607“, eine Telefonwertkarte, gestaltet von Matjaž Učakar. Diese Karte wurde anläßlich „100 let avtomobilizma v Sloveniji“ („100 Jahre Autofahren in Slowenien“) im November 2004 von der Telekom Slovenije ausgegeben.
Darauf sieht man jene zweisitzige Voiturette, die da allerdings mit 1901 datiert ist. Der Hinweis „Prvi prototip našega rojaka, tovarnarja in podjetnika, Janeza Pucha“ vermischt übrigens unsere Schreibweise des Namens mit der slowenischen, denn Johann Puch wird im Südslawischen als Janez Puh notiert. Der Satz besagt in der Übersetzung etwa: „Der erste Prototyp unseres Landsmannes, des Industriellen und Unternehmers Johann Puch“.
Techniker Karl Haar, der an der HTBLA Weiz lehrt, Sohn eine Puchianers und mit Leidenschaft dem Restaurieren von Klassikern gewidmet, ist der Überzeugung, daß es in der damaligen Berichterstattung zu einer Verwechslung gekommen sei. Er forschte mit seinen Schülerinnen und Schülern nach dem Verbleib der 1900er Voiturette, um sie mit den jungen Leuten nachzubauen.
Haar im Jahr 2012: „Ob es die Voiturette noch gibt, ist nicht klar. Wahrscheinlich wurde eine Ewigkeit lang nach dem falschen Mann gesucht. Der Käufer dürfte nicht Guido Monchen, sondern Guido Moncher sein. Guido Moncher ist ein berühmter italienischer Flugzeugpionier und stammt aus Trient. Also Ort und Zeit passen.[11]“ Das Unikat wurde bis heute nicht gefunden. Es bleibt also nur Spekulation.
Das versunkene Eiland#
In Analogie zum Kunsthandel mag man sich vorstellen, ein Sammler habe dieses erste Automobil von Johann Puch gefunden, erworben und weggesperrt, um sich am Besitz allein zu erfreuen. Das ist übrigens auch ein tauglicher Modus, um sich gegen die Begehrlichkeiten anderer Sammler abzuschirmen.
Ich habe Personen kennengelernt, die sich in Hallen an verschwiegenen Orten ein ganzes Stück Welt aus den 1920er oder 1930er Jahren mit originalen Artefakten nachgebaut haben. Da sieht man dann zum Beispiel ein Ersatzteil-Geschäft mit Portal, Fenstern, Einrichtung und Waren, die ebenfalls aus dem realen Leben jener Zeit stammen. Nebenan eine komplett ausgestattete Trafik, eventuell die erste Tankstelle Österreichs, diese oder jene Garage, in der atemberaubende Raritäten geparkt stehen, Lastwagen und Personenkraftwagen, dazwischen Motorräder, da und dort ein altes Fahrrad, alles unter Dach, wie in einer Shopping Mall, und den Blicken der Öffentlichkeit entzogen.
Wir erfahren nur selten von so einem „versunkenen Eiland“ voller Schätze. Manchmal kann das aber hohe Wellen schlagen. Im Jahr 2015 ging ein deutscher Fall durch die Presse. Da war ein Sammler in der Stadt Kiel aufgeflogen, da es nicht erlaubt ist, Kriegswaffen und Kampfgerät zu besitze, was durch ein Kriegswaffenkontrollgesetz geregelt. (Gehen Sie ruhig davon aus, daß es solche Keller, Hallen und Schuppen auch in Österreich gibt.) Die spektakulärsten Stücke der Kollektion, welche die Behörde abholen ließ, waren ein Wehrmachts-Panzer (Panther) und die legendäre Acht-Acht, ein Flugabwehrgeschütz aus dem Zweiten Weltkrieg[12]. Darin liegt eine thematische Querverbindung zur Steiermark.
Die Maschinenfabrik Andritz geht auf den Ungarn Josef Körösi zurück, der es vom Kommis (Handelsgehilfen) zum Industriellen brachte. Sein Sohn Viktor rang in den 1930er Jahren unter anderem mit den enormen Investitionskosten, die Umstellungen auf moderne Serienfabrikation verlangten. Mit dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde der Hausherr solchen Fragen erst einmal enthoben, denn derartige Betriebe wurden der Rüstungsindustrie der Nazi einverleibt.
In einer Monographie[13] heißt es, es wäre „zunächst, gleichfalls wie 1914, die Erzeugung von Munition, deren Fertigung sofort in größerem Umfang aufgenommen“. Dazu seien „später auch 8,8 cm Flak-Sprenggranaten“ gekommen und sogar die Fertigung von Flakrohren. Die dazu nötigen Maschinen kamen von der Wittenauer Maschinenfabrik. Dazu auch nötige Facharbeiter und Vorarbeiter. „Die Geschoßpresserei wurde um eine Anzahl von Drehautomaten und um eine moderne elektrische Presse bereichert.“
Aber in der Technik sind Gerätschaften schnell veraltet. Als die Nazi ihr Reich versenkt hatten und Österreich Reparationsleistungen zu erbringen hatte, wurden unter anderem allerhand Industrieanlagen demontiert und fortgeschafft. Puchianer erzählten mir, das sei im Werk begrüßt worden, denn „so sind wir den alten Krempel losgeworden und haben was Neues gekriegt“.
Aber zurück zu den frühen Jahren des Automobilismus. Der oben erwähnte Albl Phönix stammt aus der Fabrik des einstmals sehr erfolgreichen Fahrradproduzenten Benedict Albl. Er war kurze Zeit Dienstherr von Johann Puch gewesen, bekämpfte diesen später mutmaßlich als Konkurrent und unterlag Puch im weiteren Ringen um eine gute Marktposition.
Das Albl-Wägelchen war lange Zeit verschollen. Sein Chassis wurde schließlich von Sepp Schnalzer, einem versierten Handwerker, auf einem Bauernhof entdeckt. Der Mann konnte die Reste erwerben, brauchte dann aber noch einige Jahre, um den passenden Motor zu finden[14].
Zum Glück war der Hersteller De Dion-Bouton um die damalige Jahrhundertwende extrem erfolgreich. Seine Motoren wurden europaweit in Automobilen und Motorrädern verbaut. So konnte das älteste uns bekannte heimische Auto, sicher auch das älteste Kraftfahrzeug mit permanenter Straßenzulassung, nach alten Illustrationen neu aufgebaut und mit einem adäquaten Triebwerk wieder straßentauglich vorgeführt werden.
Dazu gehört übrigens im Heck des Wagens auch die damals übliche Bergstütze. Das ist eine flexibel angebrachte Kralle, sie sich in den Untergrund verhakt, wenn das Fahrzeug nach hinten wegrollt. Schnalzer hat mir von den Mühen von Bergfahrten erzählt, wobei er bergauf manchmal neben dem Auto hergehen mußte, weil der Motor die Belastung sonst nicht geschafft hätte. Bergab bleibt man wegen der unzureichenden Bremsanlage stets gefährdet. Dieses Automobil wäre daher nicht geeignet, einen Karrenweg auf den Schöckl zu befahren und dem Gipfel auch nur nahe zu kommen.
Automobil kontra Fuhrwerk#
Die erste gut dokumentierte Schöckl-Befahrung samt Gipfelsieg gelang einem renommierten Auto-Konstrukteur mit einem bulligen Vehikel, das wesentlich mehr PS hatte, als die frühen Voiturettes. Der Fahrer mußte zur Bewältigung der Strecke schweren Ketten um die Räder wickeln, damit die Motorkraft auch am losen Boden ankam. Diese Geschichte beginnt aber eigentlich mit einem Vorfall, der in Graz zum Landesgericht führte. Es ging, wie das Grazer Tagblatt Mitte Mai 1909 [15] berichtete, dabei um einen „Autowildling“.
Martin Lindenberger war im September 1908 mit seinem „Steirerwagen“ unterwegs gewesen, um seine Schwiegermutter vom Bahnhof in Werndorf abzuholen. Das läßt uns auf einen gut situierten Herren schließen, da er mit einem Pferd fuhr, welches einem Steirerwagerl vorgespannt war, also einem Fahrzeug, das nicht für die Arbeit gebaut war, sondern nur fürs Ausfahren der Herrschaft. Der Mann machte beim Gasthaus Stelz in Wildon Pause, um sich mit einem Bier zu erfrischen, blieb aber auf dem Kutschbock sitzen, weil er sein Pferd als scheu kannte und daher nicht aus der Hand geben wollte.
„Er hatte sein Bier noch nicht ausgetrunken, als er ein Automobil nahen hörte.“ Lindenberger ging schnell, um seine Zeche zu bezahlen, auf daß er sein Gespann von dieser Straße wegbringen konnte. Das Automobil, „von dem die Zeugen behaupten, daß es rasend wie ein Schnellzug einhergesaust sei“, hatte einen prominenten Piloten, den „Ingenieur und Leiter der Firma Puch, Karl Slevogt aus Oberfranken“. Einer der Zeitungsberichte handelt davon, daß Slevogt das Steirerwagerl mit seinem Auto touchiert habe und Lindenberger „bewußtlos und schwer verletzt liegen blieb“. Deshalb sollte sich der Lenker des Automobils wegen „Gefährdung der Sicherheit des Lebens“ vor Gericht verantworten.
Slevogt leugnete, „an dem Wagen des Bauern angefahren zu sein“, kolportierte das Blatt Arbeiterwille am 17.4.1909 [16]. Zwei Sachverständige, „selbst passionierte Schnellfahrer“, sorgten im Prozeß für eine entsprechende Verteidigungsrede zugunsten Slevogts. „Das Beweisverfahren dauerte zwei volle Tage“, nach etwa einstündiger Beratung wurde Slevogt für schuldig befunden und verurteilt. Der verletzte Bauer erhielt 3.000 Kronen Schmerzensgeld und 300 Kronen Kurkosten zugesprochen.
Am 22.8.1909 berichtete die Allgemeine Automobil-Zeitung ausführlich über die Rekordfahrt Slevogts in der Landscha-Allee, bei der er mit seinem Puch-Rekordwagen rund 130 Km/h schaffte. Nach dieser Rekordfahrt sorgte Slevogt für Euphorie bei den steirischen Honoratioren von Sport und Tourismus. Er ging jenen automobilen Gipfelsieg an, der schon vor Jahren einem anderen nachgesagt wurde.
Man freute sich, „daß zum erstenmale ein Kraftwagen vor dem ‚Stubenberghause’ auf dem Schöckel nach siegreicher Bergfahrt anhält“. (Grazer Tagblatt) „Eine Schöckelpartie per Automobil, das war jedenfalls ein Novum“, berichtete Sport & Salon über jenen 15. August 1909.
Die „mörderische Fahrt“ auf Hohlwegen und Felsgeröll verlangte ein Umwickeln der Antriebsräder mit Ketten. Erst dünne Gliederketten, „dann aber mußten schwere Fuhrketten angelegt werden“. Es hieß: „Trotz Steigung, elendem Weg und regendurchweichter Bahn wurde die Schöckelpartie per Auto doch in zirka 29 Minuten erledigt.“
In jenen Jahren erwartete das gut situierte Publikum stärkere, robustere Automobile als die Erstlingswerke der Produzenten, und bekam sie auch. Berg- und Rekordfahrten, Rennen aller Art und Fernfahrten sollten nicht bloß für Reklame sorgen, sie waren quasi Teil einer riesigen Versuchsanstalt zur kollektiven Entwicklung des Automobils. Man kaufte mitunter erfolgreiche Produkte der Konkurrenz, studierte die Details, übernahm, was vielversprechend schien. Oder man warb bewährte Kräfte von anderen Betrieben ab.
Der Semmering, die Ries bei Graz, der Schöckl bei St. Radegund, lauter feine Gelegenheiten, sein Fahrzeug zu erproben. Alpenfahrten hielt man für besonders aussagekräftig. Folglich boten verschiedne Produzenten, so auch die Puchwerke, einen Alpenwagen an.
Die Einwände gegen solche Extratouren sind bis in die Gegenwart bekannt und seit über hundert Jahren etwa gleichlautend. Sie begleiten das Automobil, seit es solche Vehikel gibt. Volkskundlerin Hilde Harrer macht das mit einem Zitat aus dem Jahr 1908, das Heinrich Pudor zugeschrieben wird, anschaulich: „Damit ein Einzelner ein meist recht fragwürdiges und ein gesundheitsschädliches Vergnügen geniesst, werden Hunderte durch widerlichen Geruch, hässliches Getöse, erstickenden Staub belästigt, ganz zu schweigen von den vielerlei Gefahren, die das Automobil mit sich bringt.“
Jeder naturnahe Wandervogel würde mir einen Zettel mit diesem Zitat heute auf die Brust heften wollen, falls ich mich mit einem Pinzgauer oder einem Puch G am Schöckl versuchen würde, was allgemein verboten ist. Ich hatte dennoch dazu Gelegenheit, weil schon die Steyr-Daimler-Puch AG hier Fahrzeuge erproben durfte, dieses Privileg an Magna Steyr überging, und weil mir alte Puchianer mit ihren Kontakten zu so einer Erprobung verhalfen.
Ich kam gar nicht aus dem Staunen heraus, was an Ingenieurskunst in solchen Fahrzeugen steckt, denn ich bin kein routinierter Offroader, was bedeutet, diese Autos können mehr als ich. Unglaublich, wie sich ein dreiachsiger Pinzgauer (6x6) im schweren Gelände auch von einem ungeübten Fahrer bewegen läßt, welche Böschungswinkel damit überwunden werden können, egal, ob rauf oder runter, egal, ob nach vorne oder im Retourgang.
Es läßt sich nicht leugnen, was einen Motor und Räder hat, verlockt zur Raserei. Die Berichte aus dem gesamten 20. Jahrhundert erlauben daran keinen Zweifel. Am 12. Mai 1907 wurde an der Mautstelle St. Leonhard das erste „Bergrennen auf die Ries“ gestartet. Am 11. August 1909 absolvierte Slevogt in seinem zweisitzigen Puch-Wagen die schon erwähnte Rekordfahrt in der Landscha-Allee, auf der Triester Reichsstraße, südlich von Leibnitz.
Die „Pariser Konvention“ vom 11. Oktober 1909 gilt als erstes Abkommen Europas über den internationalen Verkehr mit Kraftfahrzeugen. Eine Ministerialverordnung vom 28. April 1910 nennt das A als internationales Unterscheidungszeichen für Österreich. 1910 wurde übrigens das renommierte Semmering-Rennen „auf Grund von Anrainerbeschwerden nicht nur die Rennstrecke betreffend, sondern auch wegen des die Verkehrssicherheit gefährdenden ‚zügellosen’ Automobilverkehrs auf der Reichsstraße durch die von Wien anreisenden Rennbesucher, behördlich verboten“ (Harrer). Die erste Schöckl-Befahrung markiert also eine Zeit ungeheuren Aufbruchs, in dem sich das Antlitz der Welt gegen alle Widerstände grundlegend verändern sollte.
Es muß einfacher zu bedienen werden#
Die Zeit zwischen 1900 und 1910 war eine Ära heftiger Konfrontationen im Ringen um Dominanz auf den verfügbaren Verkehrsflächen. Fußgänger, Radfahrer, Fuhrwerke und im urbanen Raum die Straßenbahnen waren den Autlern zunehmend im Weg.
Hilde Harrer spricht für die erste Zeit des Automobilismus von „reparaturanfälligen, leistungsschwachen Voiturettes[17]“. Im April 1906 wurde in der Allgemeinen Automobil eine zweizylindrige Puch Voiturette vorgestellt. Der Artikel beginnt mit einem sehr aufschlußreichen Zitat: „Die alte Kodak-Devise ‚Drücken Sie den Knopf, das andere machen wir’ hat vielfach die Erfinderköpfe im Automobilismus angeregt.“ Es war damit klargestellt, die Bedienung eines Autos mußte einfacher werden.
Der Slogan „You press the button – we do the rest“ begleitete die Kodak Nr. 1 von 1888 und deren Filmentwicklungsdienst, mit dem das Fotografieren von der Notwendigkeit des Expertenwissens befreit wurde. Die Analogie ist naheliegend, denn frühe Autler mußten praktisch halbe Mechaniker sein.
Im August 1907 annonciert Johann Puch in der Allgemeinen Automobil Zeitung den Sieg und den zweiten Platz mit einer Puch Voiturette mit 1,5 Liter Zylinderinhalt beim Semmeringrennen. Der Altmeister wußte aus seinem vorherigen Engagement im Radrennsport, daß Sporterfolge bei der Kundschaft Pluspunkte bringen. Bis heute sind Siege im Rennsport wichtige Verkaufsargumente, obwohl unsere Autos mit Rennwagen wenig gemeinsam haben.
Jahrzehnte später sollte dieser Zusammenhang in den USA mit dem Slogan „Race on Sunday, sell on Monday“ ausgedrückt werden. Er kursiert bis heute im Geschäftsleben. Manches der Muscle Cars, stark motorisierte Sportwagen für das breite Publikum, wurden mit dem Kürzel R/T für Road and Track, also Straße und Rennbahn, versehen.
Das Prinzip scheint in der Automobilwelt universell zu sein, was sich schon damals auffallend bestätigte. Wir sind eben mehrheitlich Ikarier, eine lebhafte, in das Tempo vernarrte Gefolgschaft des Ikarus.
Komfortgewinn und Leistungssteigerung wurden zwischen 1907 und 1910 wichtige Verkaufsargumente. Mitte Jänner 1907 witzelt man in der Allgemeinen Automobil Zeitung über die Entwicklung „Vom Sechszylinder bis zum Vierzigzylinder“. Richtig! 40 Zylinder. Eine ironische Reaktion auf Berichte über den „Pariser Salon“. Dazu hieß es: „Der Sechszylinder ist die Marke des Jahres 1907.“
Der Vierundzwanzigzylinder bekommt in dieser Satire ein fünftes Rad verpaßt, welches den Notsitz für den Fahrer trägt, weil er im Auto vor lauter Motor keinen Platz mehr hat. Beim Doppeldeck-Vierzigzylinder ist das Aggregat in zwei Stockwerken übereinander angeordnet. Damals kannte man noch nicht die erheblichen Probleme, Kurbelwellen für Reihenachtzylinder zu schmieden und im Motorblock stabil zu lagern.
Ein kurzer Ausritt: Die „Straight Eight“ gab es in Serienautos erst ab den 1920er Jahren. Sie haben sich aber nicht gehalten, weil die V8-Anordnung sich als vorteilhafter erwies. Wegbereiter war seinerzeit Isotta-Fraschini, gefolgt von Duesenberg. Das macht deutlich: Luxus-Oberklasse.
Aus dem Bericht über den „Pariser Salon“ erfahren wir ferner, daß die Benziner sich nun durchgesetzt haben, die anderen Triebwerks-Varianten aber waren noch nicht vom Markt verschwunden. Die ausgestellten Wagen und Chassis ergaben folgendes Bild: Benzin 776 Einheiten, Elektrizität 41 Fahrzeuge, Dampf nur mehr 10, gemischter Betrieb von Benzin und Elektrizität genau 1.
Unter den insgesamt 828 Kraftfahrzeugen standen in Paris nur mehr 49 zweisitzige Voiturettes und eine Motorette als der kleinste Wagentyp. An anderer Stelle wurde 1907 erneut als das „Jahr des Sechszylinders“ betont. So zeichnete sich in der Kraftfahrzeugwelt ein Kategoriensprung ab, der bis ins 1910er Jahr vollzogen war, womit die kleinen Voiturettes hinfällig wurden, um übrigens heute als „Moped-Autos“ wieder auf unseren Straßen zu verkehren.
Für die Steiermark bedeutet das: Im März 1907 sah man in der Allgemeinen Automobil Zeitung einen 12/14 HP Vierzylinder von Puch. Das Motoren-Layout hatte sich auch 1910 noch nicht geändert. Allerdings lieferte der Vierzylinder jetzt zum Beispiel für die Prinz Heinrich-Type, ein Rennwagen, satte 40/45 HP. Damit ist ein Rennwagen gemeint. „Dieser Puch-Motor wird an die 60 HP leisten“, war man zuversichtlich. Das Blatt verkündete: „Die Fortschritte der Puchschen Fabrik dokumentieren sich auch in der stets steigenden Kraft des Motors.“
Der erfolgreiche Rennfahrer Ferdinand Lanner durfte in einem Puch-Wagen einem Fünfliter-Triebwerk die Sporen geben. Es hieß für die Werbung in diesem Jahr ganz prinzipiell: „Der Sportwagen herrscht vor. Alle Welt wünscht heute den Sportwagen.“ Nebenan wurde freilich auch die „Puch-Droschke“ gebaut, ein vergleichsweise gemächliches Nutzfahrzeug.
Johann Puch hatte meines Wissens nie einen Wagen mit Sechszylinder-Motor im Sortiment. Doch die einschlägige Literatur ist in diesen Dingen nicht immer zuverlässig. So wird beispielsweise die Puch Voiturette von 1906 an vielen Stellen als mit einem V2-Triebwerk ausgerüstet notiert. Sieht man aber jenem Fahrzeug im Besitz von Magna-Steyr unter die Haube, findet man einen Reihenzweizylinder.
Ich habe daher bei Ferdinand M. Lanner, dem Enkel des erwähnten Rennfahrers, nachgefragt. Lanner: „Ich habe noch nie etwas über 6-Zylinder von Puch gelesen. 1909 wurden die Rennwagen gebaut, alles 4-Zylinder in allen Klassen. 1910 und 1911 wurden dieselben Fahrzeuge verbessert, weiter verwendet. Keine Kapazität für Neubau. Produktion für Kunden hatte die oberste Priorität. Daher wurde nach der Saison 1911 auch Puchs Teilnahme am Rennsport beendet. Trotz der Erfolge der Vorjahres. Der Thurn und Taxis-Cup (für die Summe der Erfolge 1909-1911 ausgeschrieben) ging daher, trotz Puch-Führung, Ende 1910 an Laurin & Klement (Hieronimus), da diese 1911 mit komplett neuen Fahrzeugen antraten[18].“
Gab es eine „Erste Stunde“?#
Hat der österreichische Automobilismus einen beschreibbaren Beginn als Ereignis im Straßenverkehr? Wie und wo hat all das begonnen? Wir wissen einiges über einen Donnerstag in der Reichshauptstadt Wien. Am 1. September 1892 erhielt Siegfried Graf Wimpfen eine Lieferung, die zu ordern er im Jahr davor mit Hans Graf Wilczek jun. beschlossen hatte[19]. Der Aristokrat mußte die Katze im Sack kaufen, da der französische Hersteller Serpollet den Dampfwagen nicht bloß zur Probe hatte schicken wollen.
Jenes Fahrzeug war noch mit Koks zu beheizen. Später kamen dafür Petroleumbrenner zum Einsatz. Die rund 1.800 Kilo Fahrzeuggewicht ruhten auf eisenbeschlagenen Holzrädern. Es sollen Hunderte Menschen zugesehen haben, als die erste Ausfahrt entlang Felberstraße, Apollogasse, Mariahilfer- und Neubaugürtel stattfand.
Aus dem Neuen Wiener Abendblatt konnte man erfahren, daß die Motorkraft des Dampfwagens gereicht habe, um sich mit zwei Personen auf ebener Straße in einer Stunde 18 Kilometer weit zu bewegen. Allerdings nur auf glattem Straßenbelag. „Ist die Straße beschottert- dann geht’s eben nicht“, denn da sei die Reibung für die verfügbare Motorkraft zu groß. Immerhin habe man auch kleine Steigungen bewältigt, zum Beispiel die „Rampe zum Parlamente“ befahren können[20].
Das geriet sehr symbolträchtig. Dieses Parlamentsgebäude wurde in den Jahren 1874-1883 nach Plänen von Theophil Hansen erbaut. Seinen höchsten Punkt markiert bei 33 Meter die Flügelspitze der Siegesgöttin Nike in ihrer Quadriga[21]. Mit so einem Fahrzeug aus der Werkstatt des Hephaistos war Phaeton zum ersten Verkehrstoten unserer Kulturgeschichte geworden.
Dem Haus vorgelagert der Brunnen mit der riesigen Pallas Athene, ebenfalls von Hansen entworfen und da als Allegorie der Austria gedacht. Athene ist die Göttin der Weisheit, der Strategie, des Kampfes und der Kunst, was als Themenpaket vorzüglich zur Geschichte des Automobilismus paßt.
Hatten anfangs dampfgetriebene Autos dominiert, folgten bald Vehikel mit Benzinmotoren. Der zweite Marcus-Wagen, welcher heute im Technischen Museum Wien aufbewahrt wird[22], blieb ein Unikat als das älteste fahrbereite Original-Kraftfahrzeug unserer Geschichte. Dagegen realisierte Carl Benz mit seinen Kreationen Kleinserien, die sich auf dem frühen Automobilmarkt bewährten.
Es ist zwar gut verständlich, daß sich der Konzern nun seit fast hundert Jahren bemüht, den dreirädrigen Patent-Motorwagen in der Geschichtsschreibung als „Erstes modernes Automobil“ zu etablieren, aber der Augenschein zeigt doch, daß hier ein Fahrzeug in seinem Layout aus der Fahrradwelt kommt, wo Tricycles gängig waren. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts rang die Branche um brauchbare Begriffe und Kategorien. Damals stand dieser Motorwagen von Benz konzeptionell zwischen Motorrad und Voiturette, während der zweite Marcus-Wagen schon als Vorbote massiverer Autos dasteht, auf eine eigenständige Konstruktion gestützt.
Daimlers motorisierte Kutsche hatte dagegen keine Zukunft, dieses Konzept war schnell vom Tisch. Aber Benz reüssierte mit seinen zarten Konstruktionen. So ist dann zumindest in der Berichterstattung über historische Momente auch die Steiermark berührt. Der Gebrauchtwagenhandel begann übrigens schon damals. Hynke Ruzicska, ein „Pferdeliebhaber aus Nordböhmen“, mochte die geforderten fünf- bis sechstausend Mark für einen Benz-Wagen nicht ausgeben. So erwarb er einen „alten Benz-Wagen“ von einem Herren in Sachsen.
Bei seinen Fahrten entschied Herr Ruzicska, als es einmal bergab ging, den Motor abzuschalten. Er meinte, dabei auf mindestens 25 Kilometer die Stunde zu kommen, was damals einer Höllenfahrt gleichkam. Ich erinnere mich, daß ich in meinen Teenagertagen dringend davor gewarnt wurde, auf solche Art Benzin sparen zu wollen, nämlich mit stillstehendem Motor bergab zu fahren. Die Bremsleistung des Motors ist ebenso unverzichtbar, wie das richtige Beschleunigen zum Beispiel die Straßenlage in Kurven stabilisieren kann.
Den Herrn Ruzicska hatte offenbar niemand vor solchen Flausen gewarnt. Das folgende Bremsversagen ließ ihn samt Benz in einem tiefen Graben landen: „Der Zustand meines Wagens benahm mir gründlich die Freude an dem Sporte.“ [23] Wir ahnen, dass es dabei aber nicht blieb. Es folgten weitere Autokäufe, die ihn zu Ausflügen „nach Salzburg, in die Steiermark oder nach Kärnten“ bewegten. Sein „Pech im Stürzen“ bleib ihm freilich treu.
Die vermutlich bezauberndste Geschichte um den dreirädrigen, 1,5 PS starken Patentwagen von Benz ereignete sich etwas weiter von Graz entfernt, in Bregenz. Dieses Ereignis macht deutlich, worauf es in jenen Pioniertagen vor allem ankommen mochte: Zuverlässigkeit. Die „Droschke mit Benzinbetrieb“, sollte 1893 „im Privatbesitze des Herrn v. Zardetti“ ankommen, wurde per Bahn nach Konstanz geliefert. Der Marinemaler Eugen von Zardetti erwartete, von einem mitreisenden Mechaniker, in die Bedienung des Fahrzeuges eingewiesen zu werden. [24]
Gemeinsam absolvierten sie die Fahrt nach Bregenz und der neue Besitzer „verfolgte mit Interesse die Handhabung des Automobils“, das die Fabrikationsnummer 24 trug, angeblich das letzte Modell in dreirädriger Ausführung. Zardetti wollte sich für diese Einschulung mit einem angemessenen Trinkgeld erkenntlich zeigen. Der Mechaniker lehnte höflich ab. Es stellte sich heraus, daß hier Carl Benz persönlich vor Ort war. Er erklärte, die Reise getan zu haben, um sich von der Funktionstüchtigkeit seiner Konstruktion zu überzeugen.
Das Customizing war übrigens damals auch schon üblich. Das ist die nachträglich individuelle Anpassung eines Kraftfahrzeuges nach den Wünschen des Besitzers. Zardetti orderte bei Theodor Anwander in Bregenz 1898 einen Umbau seines Wagens auf zwei Vorderräder und eine Leistungssteigerung des Motors auf fünf PS[25].
Benz stellte seine Produktion auf vierrädrige Automobile um, bot ab 1893 das Modell Benz Patent-Motorwagen Victoria in mehreren Karosserievarianten an. Der Geschäftsmann Carl Oplatek bestellte, wurde Autobesitzer, überließ das Fahren aber einem Profi: „Als Chauffeur hatte ich mir einen Equipagenkutscher abgerichtet, der sich bald als guter und vorsichtiger Fahrer erwies.“
Oplatek beschrieb das Fahrzeug so: „Die Benz Victoria war dem damals benützten ‚Steirerwagerl’ nachgebildet, zweisitzig, Halbverdeck, hohe Hinterräder, zwischen den Hinterrädern der Kasten, der, aufgeklappt, als Kurtschersitz diente, bei der Benz-Victoria aber den Motor barg. Es fehlte ihr nur eine Wagenstange, um einen Kutschierwagen vorzustellen.[26]“
Der Lärm der Victoria sei so stark gewesen, daß man die Fuhre schon aus einem halben Kilometer Entfernung kommen hörte. Pferde scheuten häufig bei solchen Begegnungen, was sich nur vermeiden ließ, indem man nicht bloß stehenblieb, sondern auch den Motor abstellte. Das neuerliche Anwerfen war eine körperliche Strapaze, die viele Herrschaften lieber ihrem Chauffeur überließen, während sich aber bald die „Selbstfahrer“, auch „Herrenfahrer“ genannt, durchsetzten.
Es sei für alle Fälle erwähnt, daß sich Frauen natürlich keineswegs weniger für diese Möglichkeiten eigneten, sondern vor allem durch die Ressentiments der Männer und Konventionen der Zeit davon abgehalten wurden, sich auf Fahrräder, Motorräder oder hinter das Steuer von Autos zu schwingen. Wo immer es ihnen gelang, solche Barrieren zu überwinden, fuhren sie was das Zeug hielt. Manche sogar als ausgesprochene Avantgarde, wie etwa Clärenore Stinnes, die 1927 bis 1929 eine Weltreise per Automobil absolvierte. Ein Abenteuer, das einen damals ohne weiters das Leben kosten konnte, weil man zum Beispiel im Winterfrost oder in einem heißen Wüstengebiet steckenblieb: „Die Füße waren rohes Fleisch, an ihnen hingen die Strümpfe als blutdurchtränkte Lappe. Wir waren ungefähr 50 Kilometer weit gelaufen.[27]“
Kutschier-Phaëtons und Steirerwagerl#
Das von Herrn Oplatek erwähnte Steirerwagerl angeht ist ein Kutschentyp, dessen Verbreitung keineswegs bloß auf der Steiermark beschränkt war. Ganz im Gegenteil. Es findet sich eine zu jener Zeit passende Beschreibung dieser Kutschenart bei Carl Gustav Wrangel.
Sein Buch „Das Luxus-Fuhrwerk“[28] erschien 1898 in Stuttgart. Darin heißt es einleitend: „Wie leicht und praktisch die Kutschier-Phaëtons und Dog-Carts aber auch sein mögen, auf holperigen Waldwegen und im Gebirge wird sich der Sporting-Gentleman doch gerne eines niedrigeren, weniger eleganten Fuhrwerkes bedienen.“
Daher mochte Wrangel „den Leser zuvor mit einem Gefährte bekannt (zu) machen, das aus einem waldreichen Gebirgslande stammend, allen an einen Strapazierwagen zu stellenden Ansprüchen in geradezu idealer Weise entspricht.“
Über den Steirerwagen schrieb er: „Grosse Leichtigkeit, vortreffliche Federn, geräumiger Sitzplatz, bequemes Aus- und Einsteigen, Platz für Gepäck, Wild, Futter u. s. w., ausserordentliche Wendbarkeit, sicherer Gang, eine nette, gefällige Form — das alles stempelt das Steirerwägelchen zu einem Gebirgsfuhrwerk, wie man es sich besser gar nicht wünschen kann.“
Behalten Sie diese Skizze im Auge, um sie später auf einige herausragende Fahrzeuge aus Grazer Produktion anzulegen, den Steyr-Puch Haflinger, der Pinzgauer und den Puch G. Sie werden überrascht sein, wie weit sich diese alte Beschreibung auch für die jungen Fahrzeuge eignet, was uns zeigt, wie durchgängig manche Anforderungen sind.
Wo ich grade bei derlei historischen Beschreibungen bin, beim „Rubrizieren“, die Automobilwelt hat eine ganze Reihe von Komponenten, Kriterien und Kategorien aus der Kutschenwelt übernommen. Berline, Break, Cabriolet, Coupé, Dos a Dos, Landaulet, Phaeton, Tonneau, Vis a vis sind nur einige Beispiele, wie man etwa die Bezeichnungen für Karosserieformen weiter verwendet hat. Aber gerade in den ersten Jahren des Automobilismus bestand viel Verunsicherung, was denn nun was sei. In der Formengeschichte des Automobildesigns geht es bis heute so bunt und uneinheitlich zu. In den ersten Jahren des Automobilismus war Automobildesign kein großes Thema. Das änderte sich aber rasch.
In der Ablösung von Kutschenkategorien wurden für das Kraftfahrwesen andere Kriterien fällig. Hilde Harrrer beschreibt in ihrer Dissertation [29], dass rund um 1902 ein Rückgang motorisierter Dreiräder im Motorsport eine Teilung der Motorradklasse nahelegte. So erfahren wir, daß im Reglement, wie es der Automobile-Club de France und der Ö.A.C. (Österreichischer Automobil Club) für die gemeinsam organisierten Fernfahrt Paris-Wien festlegten, folgende fünf Klassen vorgegeben wurden:
▪ Motorzweiräder bis 50 Kg
▪ Motocycles (Dreiräder) bis 250 Kg
▪ Voiturettes bis 400 kg
▪ Leichte Wagen bis 650 Kg
▪ Wagen bis zu 1.000 Kg
Technischen Innovationen brachten die Vertrauten Begriffe durcheinander. Eine Quelle aus der Zeit macht deutlich, wie das gekommen sein mochte. Wolfgang Vogel publizierte 1902 in Berlin eine „Schule des Automobil-Fahrers“[30], in der wir ein Beispiel für die Erörterungen jener Tage finden. Er schlägt zur Einteilung der Kraftfahrzeuge drei Gruppen vor.
▪ Motorräder
▪ Voiturettes (das sind kleine leichte Wagen)
▪ Motorwagen
Vogel meint, ein „Dreirad mit Benzinmotor gehört selbstverständlich zur ersten der oben angeführten Gruppen.“ Dieses Fahrzeug-Layout ist uns heute nicht mehr so vertraut. Vielleicht sehen Sie manchmal noch eine Neufassung des Morgan Threewheelers mit dem V2-Motor auf der Nase, vielleicht kommt Ihnen manchmal ein alter Reliant Robin entgegen. Aber das ist eigentlich alles Geschichte.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren unter den Fahrrädern die Tricycles wie französische Cripper oder britische Rudge sehr gefragt. Im Kontrast zur erheblichen Sturz- und Verletzungsgefahr bei Hochrädern, wobei es auch Tote gab, boten sie den weniger trainierten Menschen beim Fahren Stabilität und Sicherheit. Es war übrigens diese Gefährlichkeit der Highwheelers, weshalb die Niederräder, wie wir sie heute noch fahren, dann Sicherheitsrad (Safety) genannt wurden.
In der Fahrradwelt sind Dreiräder ja inzwischen wieder Teil unseres Straßenbildes. Teilweise aus den alten Gründen, weil jemand sich auf einem Zweirad nicht sicher fühlt, teilweise, weil das Interesse an Lastenrädern in den letzten Jahren wieder merklich zugenommen hat. Aber zurück zu den Threewheelers des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Es lag nahe, solche Vehikel zu motorisieren. Dabei war eine Konstruktion von De Dion-Bouton bahnbrechend. Viele frühe Motorräder sind erkennbar von diesem Fahrzeugtyp hergeleitet. Das De Dion-Motordreirad von 1897 galt bis zur Jahrhundertwende als das erfolgreichste Motorfahrzeug in Europa, wurde von unzähligen Produzenten nachgebaut. Auch das erste Motorrad aus der Fabrik von Altmeister Puch sah diesem französischen Meilenstein recht ähnlich.
Der erste Klassiker: De Dion#
Eine österreichische Sonderbriefmarke aus dem Jahr 1974 erinnert daran. Auf dem Motordreirad sitzt ein Herr mit Hut. Die Graphik ist unverkennbar nach einer historischen Photographie entstanden, deren Quelle in der Automobilgeschichte [31] von Lenz et al nicht näher benannt ist. Aber im Hintergrund der Abbildung sieht man ein Leesdorfer Automobil Baujahr 1899. Das Briefmarkenmotiv bezieht sich daher augenscheinlich auf ein Motordreirad, das in Baden bei Wien gefahren wurde.
Vogel nennt in seinem Fahrschulbuch ein ungewöhnliches Detail, daß nämlich solche Dreiräder durch einen sogenannten Vorspannwagen zu einem vierrädrigen Gefährt ausgebaut werden konnten. Das war aber gewöhnlich keine fixe Verbindung. Die Dreiräder konnten bei Bedarf auch leicht wieder rückgebaut werden.
Vogel führt das im Kapitel 7 unter „Anhänge- und Vorspannwagen“ aus. Die Begründung: „Da nun Damen im allgemeinen bei uns nicht Motorrad zu fahren pflegen, mußten die Fabrikanten in anderer Weise Rat schaffen, und sie thaten das durch Konstruktion von Anhänge- und Vorspannwagen.“
Freilich pflegten die Damen sofort Motorrad zu fahren, wo man sie ließ. Es dauerte aber allein bis nach dem Ersten Weltkrieg, daß Frauen in der Öffentlichkeit beim Tragen von Hosen nicht mehr riskieren mußten, von empörten Menschen deshalb angepöbelt oder sogar attackiert zu werden.
Der erwähnte Vorspannwagen (Avanttrain) konnte aus einem Tricycle ein Quattrocycle machen. Vogel: „Wie rubrizieren wir diese Fahrzeuge?“, wenn nun diese Verbindung fix bleibt? Die Voiturettes charakterisierte Vogel als „vier-, selten dreirädrig“. Er betonte, die Fahrzeuge seien „verhältnismäßig leicht (ca. 6 Centner) und zeichnen sich durch Zierlichkeit aus. Ein Kutschbock ist selten vorhanden. Der Wagen ist gewöhnlich für 2 bis 3 Personen berechnet. Die Maschine besitzt ca. 3-5 Pferdestärken.“
Damit wären nun die erste Autokonstruktion von Puch und sein erstes Motorrad entsprechend eingeordnet. Gängige Literatur nennt die Puch Voiturette von 1906 als erste Kreation nach dem 1900er Winzling. Dieses Fahrzeug ist heute im Besitz von Magna Steyr und steht in dessen Werk in Graz-Thondorf. Es war bisher die einzige Puch-Voiturette, die ich real gesehen hab; umwoben von Gerüchten, in Lateinamerika gäbe es eine weitere.
Im Juni 2017 erreichte mich elektrisierende Post aus der Schweiz. „Diesmal habe ich eine andere Frage: Wir restaurieren dzt. eine originale Puch Voiturette aus dem Jahr 1904 (Chassis Nr. 61), und sind uns in der Zusammensetzung der damals verwendeten Öl-Lacke nicht klar: Eine Analyse der vorhandenen originalen Lackreste hat die 1904 verkaufte Farbe ‚Taubengrau’ ergeben.“ [33]
Ich hab schon angedeutet, daß Sammler so rarer Stücke Diskretion schätzen und nicht gerne vorgeführt werden. Daher weiß ich im Moment noch nicht viel über dieses Fahrzeug, das die gedachte steirische „Hall of Fame“ von Handwerk und Industrie symbolisch bereichern wird. Aber ein Insider der Szene ließ mich wissen: „Er dürfte sich das Konvolut von Teilen von Ladislav K. in Prag gekauft haben. Der Motor stammt von Istvan K. in Ungarn. Der hintere Deckel und Kleinteile stammen von Pavel B. in CZ.“
Das möge Ihnen zur Illustration des Milieus dienen. Dieses Feld kennt allerhand „Jäger des verlorenen Schatzes“ und bedarf nicht nur der Ausdauer, des Spürsinns und einiger Unerschrockenheit. Wo Teile so selten geworden sind, gehen die Preise enorm hoch. Da bekommt man es naturgemäß auch mit Fälschungen zu tun.
Es gibt tausend Dinge zu beachten. Man hat immer Gelegenheit, jemandem auf den Leim zu gehen, es ist auch reichlich strategisches Geschick nötig, um ein Stück, dem man endlich auf die Spur gekommen ist, tatsächlich kaufen zu können. Wie mir ein Weizer Sammler erzählte, die großen Komponenten seien nicht das Problem, bei den Kleinteilen könne der Weg Jahre dauern; und sei es bloß, daß man authentische Schrauben auftreiben muß, bei denen Köpfe und Gewinde zu Ära und Fahrzeug passen.
Oder mehrere sachkundige Leute ringen Monate um Monate miteinander, damit eine Lichtmaschine, zu der es keine Dokumentation gibt, richtig gewickelt ist und den passenden Zündfunken im genau richtigen Moment abgibt. So was kann, falls man Pech hat, auch ein, zwei Jahre dauern.
Das Restaurieren und der Erhalt so früher Kraftfahrzeuge ist mit einem enormen Aufwand verbunden. Die steirische Ruhmeshalle der Technik können wir uns, wie angedeutet, leider nur denken, die existiert nicht. Auch das Joanneum verfügt über keine derartige Kollektion, obwohl sein Beginn teilweise genau darin lag: Schausammlungen zu bieten.
Zwischen 1907 und 1910 hatte die Entwicklung Sprünge gemacht. Im 1910er Handbuch des Verbandes österreichischer Autoindustrieller zeigt sich eine ähnliche Klassifizierung am Beispiel eines der europäischen Giganten in dieser Branche: „Die Firma Laurin &Klement kennt auf dem Gebiete des Automobilismus keine Grenzen. Mit dem Motorrad hat sie begonnen, mit der Voiturette und dem Vierzylinder fortgesetzt und schließlich auch die Fabrikation von Schwergewichten aufgenommen.“ [34].
Mehr Zylinder!#
Ich raffe nun die Geschichte etwas, damit wir zügig in der Gegenwart ankommen. Ab dem Jahr 1910 kommt weltweit ganz massiv in Gang, was wir als moderne Automobilproduktion verstehen. Das hat mit der Zweiten Industriellen Revolution zu tun, mit einer Automatisierungswelle, die durch Technologiesprünge radikale Möglichkeiten schafft, durch die Maschinen hochwertige Komponenten in hohen Stückzahlen anfertigen. Industrielle Massenfertigung änderte das Antlitz der Welt. In den kommenden Jahrzehnten bauten einige österreichische Unternehmen Automobile von Weltrang. (Aus heutiger Sicht: Dorthin, in alle Welt, verschwanden leider auch viele davon.)
Um einige Konstrukteure zu nennen, die Geschichte schrieben und Grundlagen entwickelten: Karl Jenschke, Hans Ledwinka, Ferdinand Porsche, Karl Rabe oder Karl Slevogt sorgten in den Häusern Austro-Daimler, Puch und Steyr für Spitzenprodukte. Aber auch in kleineren Betrieben wie Perl oder Grofri wurden ein paar Kapitel heimischer Automobilgeschichte geschrieben. Sie sind weitgehend in Vergessenheit geraten. Übrige durchliefen unterschiedliche Wandlungen, gingen teils in anderen Marken auf. Austro-Fiat, Gräf und Stift, auch Laurin & Klement kann man gar nicht genug hervorheben.
Manche Produzenten hatten einen interessanten Auftakt, um dann in derlei Kräftespielen sehr schnell auf der Strecke zu bleiben. Es waren ja von Anfang meist horrende Investitionen nötig, um für die Massenproduktion nächste Entwicklungsschritte zu schaffen, was viele Hersteller schon zeitig an Banken kettete.
Er Grazer Beispiel für das Aufflackern und Enden so einer Geschichte ist der D. & U.-Wagen, wie er von der Firma Ditmar & Urban in der Schönaugasse mit bloß zwei Einheiten gebaut wurde. Das Fahrzeug befindet sich heute in der Obhut des Verein zur Förderung der historischen Fahrzeuge der Österreichischen Automobilfabriken. Seine Restaurierung wurde Ende 2017 fertiggestellt. Ein Zeugnis für unternehmerischen Wagemut, der allein freilich nicht reichte, um sich in diesem Geschäft halten zu können.[35]
Aber selbst größere Betriebe, wie das renommierte Unternehmen des Benedict Albl, konnten mit der Entwicklung nicht Schritt halten. Aus jener Grazer Firma (Einst auch eine Weile Arbeitgeber von Johann Puch) ist – neben etlichen von Sammlern hoch geschätzten Fahrrädern – gerade noch ein einziges Automobil erhalten. Der Albl Phönix von 1902, eine kleine Voiturette mit De Dion-Motor.
Bei den großen Drei von Österreich boomte dagegen zwischenzeitlich die Oberliga. Leider ist aus dem Grazer Puchwerk kaum etwas an Vorkriegsautomobilen übriggeblieben. Da bekommt man manches nur zusehen, wenn man privat hinter verschlossene Türen eingeladen wird. Puch hielt an Vierzylinder-Motoren fest. Bei Austro-Daimler und Steyr wurden in imposanten Luxusartikeln Reihensechszylinder verbaut. Da steht man gelegentlich vor atemberaubenden Fahrzeugen, die erahnen lassen, wie äußerst wohlhabend „Autler“ damals sein mußten. Die technische Entwicklung galoppierte durch die Jahrzehnte. Heute kann man launige Situationen erleben, wo Fachleute zum Beispiel Sechszylindermotoren von Ledwinka und Porsche nebeneinanderstellen, um anhand der Details zu bewerten, wer effizienter konstruiert hat.
Schließlich entstand in diesem Mischkonzern auch noch ein besonderer Brocken für militärisch Zwecke. Der luftgekühlte Achtzylinder aus Steyr war ein gut genütztes Aggregat im Zweiten Weltkrieg. Seine kurioseste Verwendung fand dieser Motor im Raupenschlepper Ost. Aber davor sind vor allem zwei Konstruktionen von Karl Jenschke erwähnenswert. Die Branche mühte sich, ein preiswertes Automobil zu schaffen, das für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich wäre. Das gelang weder mit Italiens kompaktem Fiat Balilla, noch mit Jenschkes Steyr 100, der zum ersten serienmäßigen Stromlinien-Auto Österreichs wurde; so sah es die Werbebranche.
Mit einem späteren Wurf kam Jenschke dem ursprünglichen Anliegen viel näher. Der Steyr 50, genannt „Steyr Baby“, wurde ein handliches, robustes Auto, das überdies wie ein richtiger Streamliner aussah, also ein windschlüpfriges Design hatte. Das Baby kam auf den Markt, bevor Porsche und Komenda den Vorläufer des VW Typ 1 („Käfer“) realisiert hatten, den „KdF-Wagen“. (KdF steht für die nationalsozialistische Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“, von der die Vertriebsaufgaben für das Automobil übernommen werden sollten.)
Der kleine Steyr mit dem großen Stahlschiebedach mußte den Plänen der Nazi weichen. Die hatten bloß für Nutzfahrzeuge Verwendung, auf dem PKW-Sektor wurden erkennbar deutsche Produkte forciert. Aus Steyr kam dann zum Beispiel jener markante Eineinhalbtonner, der ein formaler Vorbote jener Steyr LKW wurde, die in meinen Kindertagen noch überall im Alltagseinsatz standen. Der Steyr 1500 mit dem schon erwähnten luftgekühlten V8-Motor war zur damaligen Zeit mit seinen 85 PS ein ziemlicher Kraftlackel und sein Aussehen ist für Nachkriegskinder keine Überraschung.
Im Zeitraum zwischen 1914 und 1950 hat sich Österreich als Staat mehrfach grundlegend verändert. Die zwei Weltkriege sind zwar Schubkräfte der Automobilentwicklung gewesen, aber jedes Kriegsende war mit einem großen Ausmaß an Zerstörung, Traumata, auch Schuld beladen. Es wurden jeweils Strukturen zerbrochen, Märkte zerstört. Es fehlten Rohstoffe und Devisen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten weite Teile einer wirtschaftlich erfolgreichen Mittelschicht über Kriegsanleihen ihre Vermögen eingebüßt und fielen daher als zahlungskräftige Kundschaft der Autoindustrie. Der „Anschluß“ hatte einen seiner wichtigsten Gründe in den Ressourcen Österreichs, nach denen die Nazi griffen; natürlich kaum zum Vorteil des Landes.
Nachkriegszeit#
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben nicht bloß die üblichen Probleme eines Aggressors in der Niederlage zu bewältigen. Es fehlte in vielen Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft überdies genau jene Intelligenz, die von den Nazi mit ihrer Anmaßung als „Herrenmenschen“ und mit ihrem verlogenen Rassenkonzept entweder getötet oder vertrieben worden war.
So gab es bis weit in die 1950er Jahre hinein keine Möglichkeit, dort wieder anzuschließen, wo heimischen Handwerks- und Ingenieurskunst in den großen Festen der Menschenverachtung steckengeblieben waren, statt ihre Kompetenzen zum Wohl Europas umzusetzen. Am prominentesten unter ihnen Ferdinand Porsche, der sich gegenüber Adolf Hitler als völlig distanzlos erwiesen hatte, um mit ausreichenden Mitteln an seinen Ideen arbeiten zu können. So wurde in der Zweiten Republik vorerst eine Kooperation mit Fiat umgesetzt, denn aus Turin kamen Automobile, die vom kleinen Fünfhunderter über den Sechshunderter und Achtfünfziger in Klassen sanft nach oben abgestuft waren, sich also für eine neue Marktsituation eigneten. In Steyr wurde assembliert, manche der Autos bekamen österreichische Komponenten verpaßt.
Allerdings schöpfte die Steyr-Daimler-Puch AG aus ihrer Geschichte mehr als genug an Kompetenzen, um Österreich schließlich eine völlig veränderte Situation seiner individuellen Mobilität zu verschaffen. Das kam einer sozialen Revolution gleich. Die bewährten Fahrräder wurden erst mit kleinen Hilfsmotoren ausgestattet. Schließlich sorgte die Gesetzeslage für passende Rahmenbedingungen, damit sich ein neuer Kraftfahrzeugtyp durchsetzen konnte: das Moped. Motorräder und Roller von Puch dominierten den Markt, während Steyr Traktoren und Lastkraftwagen tragende Rollen in unserer Wirtschaft fanden.
So begann schließlich im September 1957 die nächste Ära der Motorisierung mit der Präsentation des Steyr-Puch 500, Mod. Fiat. Der Verweis auf Fiat kam durch den überwiegenden Teil italienischer Karosseriebleche des „Puch-Schammerls“ zustande, da man das Häusel aus Gründen der Kostenersparnis vom italienischen Geschäftspartner übernommen hatte. Allerdings erwies sich die Grazer Adaption des Kleinwagens als vorteilhaft, denn das Pucherl war von Anfang an ein vollwertiger Viersitzer und der Zweizylinder Boxer im Heck erwies sich als ein Meisterwerk an Belastbarkeit mit enormen Leistungsreserven. Dazu kamen die für ein alpines Land sehr wertvollen Naben mit den hochwertigen Bremstrommeln, deren Effizienz jener langjährigen Erfahrung im Motorradbau zugeschrieben wurde, die Puch geltend machen durfte.
Dem folgte eine weitere Glanzleistung des Konstrukteurs Erich Ledwinka, der dabei die von seinem Vater, dem Automobilbau-Pionier Hans Ledwinka, ersonnen Prinzipien anwandte. Zentralrohrrahmen, Pendelachsen, luftgekühlter Heckmotor… Das ergab die Allradplattform AP 700, den Steyr-Puch „Haflinger“. Es wird sich bis heute kein vergleichbares Auto finden lassen, daß mit einem so geringen Aufwand an Material einen derart leistungsfähigen Offroader auf so kleinem Radstand ergibt.
Damit sind nun die Pfade geebnet, über die phänomenalen „Pinzgauer“ auf den „H2“ zu verweisen, so das Kürzel für den „Haflinger zwo“, der in Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz entstand und in der Serie zur G-Klasse beziehungsweise zum Puch G wurde. Dieser Allrad-Klassiker wird nicht bloß seit 1979 produziert, er läßt uns darüber staunen, daß ein schmuckloses, kantiges Nutzfahrzeug für Militärs schließlich auch als Privat-PKW höchst erfolgreich reüssieren konnte. Mehr noch, einige Sondervarianten wurden zu extrem teuren Luxusgütern, unter denen vor allem die von AMG und Brabus hochgezüchteten 6x6-Versionen hervorstechen.
Zwischen Pinzgauer und G-Wagen finden wir übrigens noch eine spezielle Grazer Allrad-Leistung, den VW-Transporter, wahlweise Bus, in der Syncro-Ausführung. Das ist eine besondere Herausforderung gewesen, weil nötige Änderungen an der Bodengruppe eines Autos gewöhnlich so gravierend ausfallen, daß meist eine Neukonstruktion billiger kommt. Der T2 T3 ist der VW Typ 2, Transportergeneration 3, welcher in Graz „allradisiert“ wurde. Diese Lastesel sind heute hoch geschätzte und entsprechend gesuchte Youngtimer mit vorzüglicher Alltagstauglichkeit.
In diesem Zusammenhang führt bei unserer Betrachtung auch kein Weg an der 4WD-Version des Fiat Panda vorbei. Zu seiner Zeit wegen der spröden Designlinie und kargen Ausstattung eher als Kiste verachtet, heute durchaus gepriesen. Eine gut beherrschbare Technik und einfach gehaltene Flächen, um bei der Bestückung der Pressen einen ökonomischen Umgang mit den Blechen sicherzustellen, das erwies sich als ziemlich smart. Die 4x4-Version aus Graz hob den Panda in seiner Klasse hervor.
Doch kurz zurück zum G-Wagen. Ich kenne kaum jemanden, der die Prototypen gesehen hat. Dank der alten Meister, die damals daran gearbeitet haben, kann ich Ihnen hier Bilder der Originale zeigen. Von 1979 bis 2017 verlief nun diese Ära, in welcher der G gemäß der Erfahrungen aus der Praxis immer wieder für neue Ansprüche adaptiert wurde.
Im Juli 2017 rollte Magna Steyr in Graz das dreihunderttausendste Fahrzeug der legendären G-Klasse vom Band. Ein Mercedes-Benz G500 in der Farbe „designo mauritius blau metallic“ mit schwarzen Ledersitzen und kontrastierenden weißen Nähten, den die Company G500 Gventure300K nannte. Im Dezember 2017 war dann zu erfahren, daß noch je eine Version des G 350 und des G 500 auf den Markt kämen, um diese Epoche abzuschließen. Diese Sondereditionen wurden entsprechend markiert: Als besonderes Merkmal wurde das geprägte Wappen einer Testszene mit dem Satz ‚Schöckl proved since 1979’ auf der Mittelarmlehne verewigt. (Der Schöckl ist ein Grazer Hausberg, auf dem alle 4WD-Typen aus dem Puchwerk getestet wurden, der außerdem – wie oben erwähnt – im Jahr 1909 zum ersten mal überhaupt mit einem Auto befahren wurde; und zwar von Ingenieur Karl Slevogt am Steuer eines Puch-Wagens.)
Im Jänner 2018 startete die Kampagne „Stronger Than Time", mit der eine von Designer Gorden Wagener überarbeitete G-Klasse vorgestellt wurde. Wagener hatte „Die ganzen komischen Ecken, die der G hat,“ geglättet und auch sonst kräftig zugelangt, denn man müsse „das Haus richtig bauen. Das Auto ist zwölf Zentimeter breiter geworden, ist vom Auftritt deutlich gewachsen. Vorne ist er auch länger geworden wegen Crash.“
Bei Magna Steyr stand immer außer Zweifel, daß man nicht mit einer eigenen Automobilmarke auf den Markt gehen wird, sondern für andere Companies entwickelt und baut. Genau diese Ambition führte zu einigen interessanten Prototypen, zu Unikaten, die das Leistungsvermögen von Magna demonstrieren sollen: die „Magna Mila Familie“. Ansonsten reichen die Arbeiten im Puchwerk von Marken wie BMW und Peugeot bis zu Jaguar und Aston Martin. So ist also Graz immer noch eine Autostadt und hat darin Wurzeln bis zurück zu den Anfängen des Automobilismus.
Daß eine Marke mit dem Namen einer einzelnen Persönlichkeit verbunden ist und womöglich auch noch mit der Familie gleichen Namens, kommt kaum noch vor, was zum Beispiel Porsche eine Sonderstellung einräumt. Ettore Bugatti, Louis Chevrolet, André Citroën, Alejandro de Tomaso, Enzo Ferrari, Henry Ford, Ransom Eli Olds (Oldsmobile), Adam Opel etc… Das ist alles Geschichte. Doch obwohl Altmeister Johann Puch schon 1914 starb, ist die Marke heute noch, man könnte sagen, weltberühmt in Österreich.
Fußnoten#
[1] Virilio Paul, Fahren, fahren, fahren ..., Berlin 1978
[2] Virilio Paul, Rasender Stillstand, Frankfurt am Main 1998
[3] Roland Barthes, Mythen des Alltags , Berlin 2012
[4] http://www.postbus.at/de/Services/Unternehmen/; abgefragt am 11.07.2017
[5] http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Verkehr/jahresstatistik/start.aspx, abgefragt am 03.07.2017
[6] http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Verkehr/statistik/files/2017/Bundeslaender_3_Jahre_25_2017.pdf, abgefragt am 03.07.2017
[7] Doe Presse, http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/1512085/Oesterreich_Erstmals-weniger-als-500-Verkehrstote, abgefragt am 03.07.2017
[8] Arbeiter Zeitung, 4. März 1956
[9] Die Zeit, 19.08.1954
[10] Allgemeine Automobil Zeitung, 5. August 1900
[11] Persönliche Mitteilung
[12] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/heikendorf-bei-kiel-panzer-flak-und-waffen-aus-keller-geborgen-a-1041868.html, abgefragt am 06.07.2017
[13] Jelusich Mirko, Scheuer Grete, Die Maschinenbauer von Andritz, Graz 1952
[14] Persönliche Mitteilung
[15] Grazer Tagblatt, 14. Mai 1909
[16] Arbeiterwille, 17.April.1909
[17] ] Harrer Hilde, Automobilismus in der Steiermark um 1900, Dissertation, Graz 2006
[18] Persönliche Mitteilung
[19] Lenz Hans Peter, Pfundner Martin, Seper Hans, Österreichische Automobilgeschichte, Purkersdorf 2013
[20] Ursula Bürbaumer in Grössing Helmuth (Hg.), Autos-Fahrer-Konstrukteure (Automobilismus im Aufbruch), Wien 2000
[21] https://www.parlament.gv.at/GEBF/ARGE/Baugeschichte/DatenUndFakten/index.shtml, abgefragt am 04.07.2017
[22] https://www.technischesmuseum.at/objekt/marcus-wagen-1888-1889, abgefragt am 04.07.2017
[23] Ursula Bürbaumer in Grössing Helmuth (Hg.), Autos-Fahrer-Konstrukteure (Automobilismus im Aufbruch), Wien 2000
[24] Ursula Bürbaumer in Grössing Helmuth (Hg.), Autos-Fahrer-Konstrukteure (Automobilismus im Aufbruch), Wien 2000
[25] Lenz Hans Peter, Pfundner Martin, Seper Hans, Österreichische Automobilgeschichte, Purkersdorf 2013
[26] Lenz Hans Peter, Pfundner Martin, Seper Hans, Österreichische Automobilgeschichte, Purkersdorf 2013
[27] Stinnes Clärenore, Im Auto durch zwei Welten, Wien 2007/1996 [28] Wrangel, Carl Gustav: Das Luxus-Fuhrwerk. Stuttgart, 1898
[29] Harrer Hilde, Automobilismus in der Steiermark um 1900, Dissertation, Graz 2006
[30] Vogel Wolfgang, Schule des Automobil-Fahrers, Berlin 1902
[31] Lenz Hans Peter, Pfundner Martin, Seper Hans, Österreichische Automobilgeschichte, Purkersdorf 2013
[32] Persönliche Mitteilung
[33] Verband österreichischer Autoindustrieller, Die österreichische Automobil-Industrie und deren Hilfsquellen, Handbuch, Wien 1910
[35] "Der D & U Wagen - Die Geschichte eines grazer Auztomobils und dessen Restaurierung", Verfasser Heinz Mesicek, Franz Legenstein, Stefan Reitgruber, 2. Auflage, Eigenverlag, Kontakt: Franz Legenstein, 8020 Graz, Bozner Str. 8, Tel.: 0650/94-50-917