Volk. Kultur. Pop.#
(Teil 1: Wie Salz beim Essen)#
von Martin Krusche
Unzählige Begegnungen und Gespräche mit alten Arbeitern und Ingenieuren, Menschen, die heute mehrheitlich zwischen 70 und 90 Jahre alt sind, haben mich dazu bewogen, über etwas wie „Die Ehre des Handwerks“ nachzudenken.
Daraus erwuchs bald mein Interesse an einer „Volkskultur in der technischen Welt“. Die sah ich von der Wissenschaft gründlich behandelt (Bausinger & Co.), konnte sie aber als Thema weder im Feuilleton, noch in den regionalen Kulturreferaten finden.
Bei den primären Akteurinnen und Akteuren dieses Genres, zum Beispiel in der heimischen Sammler- und Schrauber-Szene, war das übrigens kein ausdrückliches Thema. Dieses Milieu inspirierter und engagierter Leute braucht und wünscht keine Zurufe von der Metaebene her, will auch von niemandem außerhalb der eigenen Reihen verwaltet werden.
Aber ich habe oft genug erlebt, daß man freundliche aufgenommen wird, wenn man sich diesen Themen mir Respekt nähert. Dabei hilft es außerdem, den Ethos exponierter Persönlichkeiten dieser Szene zu beachten: Man kann, was man sagt und man sagt nur, was man kann. (Aufschneiderei befördert vorwitzige Leute ziemlich flott an den Rand des Geschehens.)
Natürlich hat jedes Milieu seinen Jargon. Dessen Beherrschung wird man besser nicht vortäuschen, sondern sich vorzugsweise aneignen. Das kommt mit der Zeit.
Zeit und Begegnungen bleiben wesentlich. Dabei zeigt sich dann sehr eindringlich, was hier an einer Volkskultur möglich ist, die bisher nicht von der Unterhaltungsindustrie funktionalisiert und bewirtschaftet wurde.
Es ist eines der Felder, auf denen ich mich bewege, um besser zu verstehen, wie diese Genres heute zusammenhängen: Volkskultur, Unterhaltungsindustrie, Popkultur und Gegenwartskunst. Da bestehen viele Schnittpunkte. Es wird teilweise aus den gleichen Quellen geschöpft.
Wie ist das alles zu verstehen? Was könnte ein gemeinsamer Nenner sein? Was darf man sich eventuell unter einem „durchschnittlichen Reflexionsvermögen“ vorstellen? Wenn sich jemand auf den „Gesunden Menschenverstand“ beruft, sagt das dann wirklich mehr als „Ich halte mich für vernünftig“? Ach, die Vernunft! Der Gemeinsinn. Common Sense.
Da wären übrigens noch „der einfach Mann auf der Straße“, auch "der kleine Mann", beide mutmaßlich Cousins von „Otto Normalverbraucher“, also die nette Verwandtschaft von „Hinz und Kunz“, wahlweise „Krethi und Plethi“.
Immerhin könnte in solchen Zusammenhängen manchenorts noch ein „Lieschen Müller“ gefunden werden, sonst kämen in diesen geselligen Kreisen womöglich gar keine Frauen vor. Naja, nicht zu vergessen: "das Milchmädchen", dem wir hilfreiche Rechnungen verdanken.
Solches Personal wird immer dann verläßlich in Gang gesetzt, wenn jemand sich von geäußerte Ansichten überfordert fühlt. Dieses Gefühl der Überforderung läßt sich mildern, indem zum Beispiel „Abgehobenheit“ von „Eliten“ behauptet wird, indem man „diesen elitären Jargon“ ächtet. Solche Abwehrreaktionen gelten Denkmustern und Ausdrucksformen, die sich auf jeden Fall nicht dem „durchschnittlichen Reflexionsvermögen“ hingeben.
Interessanterweise kommt in solchen Momenten kaum jemand auf die Idee offenzulegen: Mich hat das alles noch nie besonders interessiert, darum weiß ich nichts darüber. Nein, bei Volk, Kultur etc. reden gewöhnlich alle mit, vor allem dann, wenn ihnen geäußerte Ansichten anderer Leute zuwider laufen. Volk. Kultur. Kunst. Etwa: „Ich versteh ja nichts von Kunst, aber…“ (Probieren Sie doch einmal bei Ihrem Mechaniker: „Ich versteh ja nichts von Autos, aber…“!)
Während der letzten Jahre ließ sich an vielen Ecken des Landes ein wachsendes Bedürfnis nach „Volksnähe“ feststellen; jedenfalls nach dem, was dafür gehalten wird. Dabei sind mir zwei Metiers besonders aufgefallen: die Politik und die Wirtschaft. Letztere ganz besonders mit der Textilbranche, mit einem markanten Zug zu „Trachtenmoden“ und zu „Heimat-Themen“.
Ich hab in meiner Textleiste „Kultur kurios“ im März 2015 die markantesten Slogans der Kampagnen zur damaligen Gemeinderatswahl in der Kleinregion Gleisdorf zusammengefaßt. Ich hab sie alphabetisch geordnet und dabei die Parteien kenntlich gemacht. Das Lokale, das „Wir“, das „Unsere“, all das wollte „Mit Herz und Verstand“ angepackt werden. Werte, Regeln, Qualitäten…
- Das „Neue Gleisdorf“ wird noch lebenswerter (ÖVP)
- Die junge Generation ist am Zug (Neos)
- Eure Chance auf Revanche (FPÖ)
- Für Gleisdorf (SPÖ)
- Für mehr Lebensqualität in den Gemeinden (Grüne)
- Gemeinsam für Gleisdorf (FPÖ)
- Gemeinsam sind wir Gleisdorf (SPÖ)
- Gemeinsam Stark! (ÖVP)
- Grüne Herzen für Gleisdorf (Grüne)
- Jetzt geht’s um unser Gleisdorf (FPÖ)
- Jetzt geht’s um unsere Gemeinde (FPÖ)
- Mehr hochwertige Arbeitsplätze! (ÖVP)
- Mit Herz und Verstand (SPÖ)
- Packen wir’s an (Grüne)
- Revanche ist kein Wahlprogramm (ÖVP)
- Rückenwind für unsere regionalen Betriebe (Neos)
- Stadt & Land Hand in Hand (SPÖ)
- Steirerland in Steirerhand (FPÖ)
- Unser Land, unsere Werte, unsere Regeln (FPÖ)
- Unser Team für Gleisdorf (FPÖ)
- Wir fördern Bildung, keine Parteibücher (Grüne)
- Wir gestalten das „Neue Gleisdorf“ (ÖVP)
- Wir unternehmen was (Neos)
- Wir verbessern Ihre Lebensqualität (ÖVP)
Nun also März 2017. In diesen zwei Jahren hat das lautstarke Verlangen nach allem, was dem Volk zugute komme, enorm an Breite und Tiefe gewonnen. Wohlgemerkt, das Verlangen, nicht das (kulturelle) Angebot. Noch immer sind es hauptsächlich Politik und Wirtschaft, die das ausdrücklich fordern, empfehlen und avisieren. Dazwischen wirkt die Verwaltung, liefern allerhand Marketingbüros und diverse Managements passendes Dekor, sei es privatwirtschaftlich, sei es öffentlich aufgestellt.
Bei den regionalen Kulturreferaten und in diversen Programm-Teilen von Zeitungen, von Journalen, wurde ich dagegen kaum fündig. Da ist das Thema Volkskultur genau die Ausnahme, die man mit der Lupe suchen muß; wie auch avancierte Gegenwartskunst. Woran liegt das?
Ich darf etwas salopp zusammenfassen: Annähernd nichts wird so sehr von obern herab empfohlen und gepriesen wie die Volkskultur; womit auch immer „Das Volk“ eigentlich beschäftigt sein mag. Und die sollte eigentlich, halbwegs definitionsgemäß, von unten definiert nicht, nicht top down. So erweist sich an vielen Stellen die Berufung auf Volkstümliches als selbstreferenzielle Position und verdeckten Intentionen.
Victor Klemperer hat 1947 in seinem Buch „LTI“ (Lingua Tertii Imperii) die Sprache des Dritten Reiches grundlegend kritisiert. Da heißt es an einer Stelle: „Volk“ wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwendet wie Salz beim Essen, an alles gibt man eine Prise Volk: Volksfest, Volksgenosse, Volksgemeinschaft, volksnah, volksfremd, volksentstammt…
- Zu Chris Scheuer siehe auch: "Kühner Strich"!
- Zu Volkskultur siehe auch: "Volkskultur 4.0"!
(Wird fortgesetzt!)