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Cafetier Johann Grimm.
Cafetier Johann Grimm.

Wohin es führt#

(Ein Moment mit Johann Grimm)#

von Martin Krusche

Wir hatten einige Dinge zu bereden und dazu eine Flasche Wein zu leeren. Cafetier Johann Grimm verfügt in Gleisdorf über Legenden-Status, da seine Bars Zufluchtsorte ersten Ranges gewesen sind, die von mehreren Generationen geschätzt wurden. (Vor rund 20 Jahren hatte meine „Verschwörung der Poeten“ in einem seiner Lokale begonnen.)

Nun also auf der Höhe der Zeit: Ich hatte am Tag davor mit dem Büchsenmacher Franz Lukas über die Ehre des Handwerks gesprochen. Dabei kamen wir naturgemäß auf das Feilen von Stahlstücken, auf jene harten Grundübung für Lehrlinge in verschiedenen Berufen. Ein Sägeblatt, eine Feile, Stahl. Keine Maschine. Das mußte etwa zu einem Würfel mit sauberen Kanten führen, dessen Winkel genaue 90 Grad haben.

Grimm sagte: „Hab ich in der Berufsschule auch gemacht.“ Seine Ausbildung zum Schwachstromelektriker. Die Grundlage für interessante Jobs. Aufbau und Service von Kegelbahnen. Wartung von Musikautomaten. Zu den Juke Boxes kamen Flipper und Spielautomaten. Ein Arbeitsfeld des Elektromechanischen, also Elektrotechnik und Feinmechanik.

Das hießt auch ständig unterwegs zu sein. Grimm: „Man kann sagen, ich war 50 Jahre lang jeden Tag in einem Café.“ Erst als Service-Techniker. Das Milieu, die Stimmungen, die Kontraste und Begegnungen sagten ihm sehr zu. Also wurde er dann selbst zum Betreiber solcher Lokale.

Wißbegier#

Einer der Impulse dazu war das Gleisdorfer Café Columbia, „Die Co“. Grimm erzählt, dort habe man damals von 7:00 Uhr morgens bis 2:00 Uhr früh geöffnet gehabt. „Da haben alle, die durchgekommen sind, vorbeigeschaut, auf eine Gulaschsuppe und ein Bier.“ Und Ansässige, die heute ihren 70. oder gar 80. Geburtstag schon hinter sich haben, setzten sich als junge Leute gerne dazu. „Die ganzen Gespräche, was da alles erzählt worden ist.“

„Die Co“ liegt nahe dem alten Postamt, der einst ersten Poststation in unserer Gegend. Wichtige Markierungen an der historischen Ungarnstraße, die Graz mit Ofen verband, jenem Stadtteil, der später – gemeinsam mit Pest – zu Budapest wurde. In dieser Poststation, deren sorgsam restaurierte Stallungen noch bestehen, wurden die Pferde gewechselt. Die Zusammenhänge: Labestationen für Reisende, Gaststätten, später Cafés. Verkehrslinien, Kommunikationslinien.

Handwerker Franz Lukas.
Handwerker Franz Lukas.
Stahlwürfel, ohne Maschine von Hand gefertigt.
Stahlwürfel, ohne Maschine von Hand gefertigt.

Wie kurios, daß ich in diesem kleinen Zeitfenster mit zwei Männern sprach, die etwas gemeinsam haben. Eine Wißbegier, die Franz Lukas in folgendem Zusammenhang kennt: „Ich bin sehr geduldig, aber auch sehr ungeduldig.“ Was das meint? Lukas ist kein Bastler, sondern ein Handwerker mit der Leidenschaft für benötigte Problemlösungen.

Es muß etwas zu lösen sein, was gebraucht wird. Da tüftelt er mit großer Geduld, baut einen Prototyp, der sich praktisch bewährt. „Aber dann interessiert es mich nicht mehr.“ In einem größeren Betrieb hätte man wohl gesagt: „Der leitet unsere Entwicklungsabteilung, für die Produktion ist er nicht gemacht.“

Bei Grimm ist es ähnlich. Er tüftelt an Produkten, seit ich ihn kenne. Da gab es einst einen schlanken Aktenkoffer, in den seine Skizzen und Notizen gepackt waren. Heute sind das mehrere Ordner voller Entwürfe und Aufzeichnungen. Während wir im Gespräch waren, zeigte er mir den Prototypen eines Produktes und die Liste der Einrichtungen, die er informieren wird, wenn das Ding in Kleinserie gefertigt wurde, verfügbar ist. Wenn er dann einige verkauft hat, „bin ich zufrieden, ich arbeite eh schon an anderen Ideen.“

Lebenskunst#

Aber dazwischen zog Grimm noch ein spezieller Ordner hervor. Darauf die Wort „Ars moriendi“. Ich treffe nur noch selten Menschen, denen das ein Begriff ist. Die Kunst des Sterbens als Vollendung einer „Ars vivendi“, der Kunst des Lebens. Wovon reden wir? Vom Wunsch, ein Leben zu führen, das von Qualität und Vollendung handelt, auch von einem hohen Maß an Selbstbestimmung. Davon handelt Lebenskunst zum Beispiel. Da wir alle drei, von denen hier die Rede ist, das Jünglingsalter schon lange hinter uns haben, schließt das auch ein, was in der Theologie „Die letzten Dinge“ genannt wird.
Die Gleisdorfer Poststation…
Die Gleisdorfer Poststation…
…an der historishen Ungarnstraße.
…an der historishen Ungarnstraße.

In christlicher Tradition meint das „Die vier letzten Dinge“, also: Tod – Gericht – Himmel oder Hölle. Je nach persönlicher Auffassung und Weltsicht sind drei dieser Dinge entweder vor oder nach dem Tod eingerichtet. So oder so heißt das aber, der Wert unseres Lebens erschließt sich unter anderem über die Klarheit, daß es endlich ist. Daraus ergibt sich eine Verantwortung (für sich und andere), die eben nur vor dem Tod erfüllt oder versäumt werden kann. Im Sinn einer Ars moriendi wäre es dann ideal, einen Moment zu erreichen, wo sich das Gefühl einstellt: „Es darf enden“.

Darin gipfelten gewissermaßen diese Stunden mit Johann Grimm, als er mir seine Vitrine öffnete, auf daß ich mir einige seiner gesammelten Kuriositäten näher ansehen konnte. Grimm nahm ein glänzendes Gefäß heraus und fragte: „Weißt du, was das ist?“ Klar. Ein Cocktail-Shaker. „Und was kann man daraus machen?“ Eine Bombe? Eine Lampe? Ich lag völlig falsch. „Das wird meine Urne.“

Die Co in Gleisdorf.
Die Co in Gleisdorf.

Es schien mir ebenso überraschend wie schlüssig. „Damit würde ich Dich gerne fotografieren“, sagte ich. Er stimmte zu, holte aber noch einen feinen Homburg und einen passenden Schal aus dem Schrank. Ich dachte unausweichlich sofort an den Procul Harum-Song „Homburg“, der gewissermaßen den Gegenentwurf zu diesem Moment enthält: „Your trouser cuffs are dirty / And your shoes are laced up wrong / You'd better take off your Homburg / 'Cause your overcoat is too long“.

Das hat schon so seine Richtigkeit und konnte auf den Moment sowie auf uns beide umgelegt werden. Während Grimm, den ich vorzugsweise Signore nenne, immer nur tadellos gekleidet auf die Straße geht und dabei einen speziellen Stil pflegt, renne ich herum – um es mit Kurt Vonnegut zu sagen – wie ein ungemachtes Bett zu Füßen des Erzengel Gabriel.

Postskriptum#

Handwerker Franz Lukas hatte in unserem Gespräch angemerkt, es sei ja recht und schön, über die Ehre des Handwerks zu reden, aber ich sollte einmal einen Würfel feilen. Ich, der ich als Handwerker nichts tauge? Feilen? Wo mir noch jeder, mit dem ich je darüber ins Gespräch kam, erzählt hat, daß es unerfreulich ist?

Eine enorme Mühe, die sich Wochen und Monate hinzieht. Lieber nicht! Auf keinen Fall! Aber über diese Dinge mit einem erfahrenen Handwerker reden und dann kneifen? Nächste Woche beginne ich mit dem Feilen in der Werkstatt von Meister Lukas.


Weiterführend#