Zwei Jahrzehnte#
(Im Umbruch)#
von Martin KruscheDer Oktober 2021, im 19. Jahr meines auf 20 Jahre angelegten Projektes „The Long Distance Howl“, steht für den Übergang in die nächste Phase, die derzeit mit dem Begriff „Prisma“ überschrieben ist. Augenblicklich formiert sich ein offener Kreis, in dem drei Generationen einfallsreicher Leute präsent sind. Sie verkörpern das, was ich „primäre Kräfte“ nenne, die vorrangigen Akteurinnen und Akteure in der Kunstpraxis sowie in der Wissens- und Kulturarbeit.
Intrada#
In meiner Arbeit begleitet mich seit Jahrzehnten folgendes Bonmot: „Alles, was man gründen könnte, wurde schon gegründet“. Ich hab daraus beizeiten Schlüsse gezogen. Im Jahr 1998 erschien in Linz die Studie „Medium Internet und die freie Szene“ (Sabine Bauer), in der meine „Virtuelle Akademie Nitscha“ (v@n) als eines von vier Projekten beschrieben wurde.Damals war ich schon der Meinung, wir sollten vor allem in der Provinz (abseits des Landeszentrums) möglichst wenig Ressourcen für feste Strukturen aufwenden, vorhandene Infrastruktur nutzen und verfügbare Mittel maximal auf die Inhalte anwenden.
Rund ein Jahrzehnt später hatte sich aus einem meiner Projekte, dem überhaupt ersten LEADER Kulturprojekt der Steiermark, die Plattform Kunst Ost herauskristallisiert. Dazu habe ich dann zwei Grundlagen bestimmt.
Erstens: Der Zugang zu dieser Plattform wird nicht verfügt, sondern regelt sich per aktiver Anwesenheit und adäquatem Kommunikationsverhalten unter den schon Beteiligten. Man bestimmt also selbst, ob und wie man dabei ist. Zweitens: Für die operative Ebene haben wir „Location Crews“.
Den Begriff „Ortsgruppe“ wollte ich wegen historischer Zusammenhänge vermeiden. Diese Teilformationen sind in sich autonom und über eine Schlüsselperson mit der Projektleitung verbunden. Die Projektleitung redet nicht in die Agenda der Teilformationen rein, sondern beachtet bloß die Einhaltung getroffener Vereinbarungen. Dieser Modus hatte den Zweck, daß auch Leute partizipieren können, die mit mir als Person nicht einverstanden sind. So ist eine breitere Kooperationsebene möglich und jene, die sich nicht miteinander vertragen, können zueinander Abstand halten.
Dazu kam ein Prinzip, daß ich aus meiner früheren Arbeit im Bereich eigenständiger Regionalentwicklung mitgebracht hab: Aktion und Reflexion beieinanderhalten! Zur Praxisarbeit gehören Grundlagenkenntnisse und laufende Diskurse, um Kompetenzen auf der Höhe der Zeit zu sichern. Die Reflexion überprüft die Aktion.
Die Bar des Signore#
Wir sagten stets „Der Grimm-Hansi“. Ich nenne ihn aufgrund seiner Haltung und seiner Qualitäten gerne Signore. In seiner Gleisdorfer Bar entstand anno 2002 „Die Verschwörung der Poeten“. Das war keine staatsgefährdende Initiative. Im Gegenteil! Das Wort Poesie leitet sich von Poiesis her, einem Entstehenden, zu dem sich Menschen aufraffen.Grimm hatte bemerkt, daß ich über längere Zeit an mehreren Tagen die Woche stets am gleichen Tisch des sanft beleuchteten Lokals saß, lesend, schreibend. (Und vorzüglichen Wein genießend.) Eines Tages stand dort in meinem Rücken eine hochbeinige Leselampe, die Grimm einschaltete, nachdem ich mich gesetzt hatte. „Damit du was siehst“, sagte er, während der schmale Lichtkegel die übrige Situation in seiner Bar nicht veränderte. Da war mir klar: Was für eine ausgezeichnete Adresse!
Hier verdichtete sich das, was folgen sollte und wofür ich mit Musiker Oliver Mally zunehmend Konsens fand. Im April 2003 war dann mein Konzept fertig und die Zeit gekommen, mit unseren Vorstellungen stärker nach draußen zu gehen. Das haben wir in einem Saal im Gleisdorfer Forum Kloster gezeigt: „Die Kraft der Poesie“ (Ways of Blues). An meiner Seite waren auf der Bühne auch der vorzügliche Geiger Bernie Mallinger sowie Wolfgang Siegmund, einer der besten Lyriker meiner Generation.
Das Langstreckengeheul#
Die Grundidee für „The Long Distance Howl“ basiert auf einem frühen Netzkunstprojekt, das ich anno 2000 im Dialog mit Autor Walter Grond realisiert habe und zu dem sich später auch Literaturwissenschafter Klaus Zeyringer gesellte. Gronds Roman „Old Danube House“ ist Aspekten des Untergangs Jugoslawiens gewidmet. Dazu hatte Grond recherchiert und das Vorgefundene auf eine artifizielle Ebene überführt, in seinen Roman gepackt.Meine Überlegung war, daß vor diesem Grond’schen Schreibakt reales Leben konkreter Menschen in Südosteuropa stand. Durch eine adäquate Internet-Nutzung könnten diese konkreten Menschen nach Publikation des Romans wieder ins Spiel kommen, respektive der künstlerische Akt (Roman) in das reale Leben zurück überführt werden.
Genau das ist mein Grundmuster für den „Howl“. Künstlerische Arbeit und reales Leben werden verzahnt, treten in vielfältige Wechselwirkungen. (Das reale Gleisdorf als „Basislager“ und Ausgangspunkt.) Dabei hielt ich den Ball in nder Deklaration flach. Ich ließ es nicht „beuyseln“.
Sie wissen schon, meist, wenn Leute von Kunst keine Ahnung haben, weil ihnen das Thema eigentlich egal ist, zitieren sie Beuys und mindestens sein Konzept der sozialen Plastik. Sowas nenne ich „Das Beuyseln“. Nun also eine ganz unaufgeregte Verzahnung von künstlerischen Akten, begleitenden Maßnahmen und dem alltäglichen Leben. Was zeigt sich da? Deshalb die 20 Jahre Projektlaufzeit. Um die Aussagekraft des Projektes zu vertiefen.
Transition#
Nun gehen diese 20 Jahre zu Ende. Es hat sich mehr bewegt, als ich für möglich gehalten hätte. Rahmenbedingungen, Lebenssituationen und Klima sind – wie mir scheint – grundlegend anders als in den ersten 2000er Jahren. Es geschahen Dinge, die ich nicht kommen sah, obwohl ich mich für wachsam hielt.Ich schließe den „Howl“ nun ab, bringe ein anderes Vorhaben in Bewegung, welches da anknüpft, aber den „Howl“ nicht weiterschreibt. Ich bin inzwischen 65 Jahre alt, was nahelegt, für weiter 20 Jahre keine zu festen Pläne zu machen. (Wie viele Sommer bekomme ich noch?)
Mein Projekt der Transition in diesen Prozessen heißt „Prisma“. Die Menschen, mit denen ich derzeit im Kern rechnen darf, sind lauter primäre Kräfte und repräsentieren drei verschiedene Generationen. Ein Aspekt dieser Transition ist die Präsenz der „Origami Ninja Association“. Die habe ich augenzwinkernd mit Musiker Oliver Mally formiert. (Unser Motto: Wenn Dich das Leben zusammenfaltet, entfalte Dich!)
Das heißt auch: die Verschwörung der Poeten, zwanzig Jahre danach, schon wieder Krusche & Mally. Nein, ich werde es nun nicht VDP 2.0 nennen. Wir finden derzeit miteinander heraus, was das Nächste sein will, dieser neue Abschnitt, und was er verlangt.
Ich habe unterwegs dieses Genre-Trio betont: Volkskultur, Pookultur und Gegenwartskunst. Ich habe nicht mehr vor, das in wesentlichen Teilen an „die“ oder an eine wie immer geartete „Szene“ zu adressieren, sondern arbeite mit Leuten, die mir zusagen.
Übrigens#
Ich bin 1975 entschlossen gewesen und dann 1977 losgezogen, um in der Kunst zu leben. Das heißt, ich bin demächst 50 Jahre Teil dieses steirischen Kulturbetriebs. Aus diesen konkreten Erfahrungen und der Reflexion etlicher Prozesse habe ich den Schluß gezigen, da´es „Die Szene“ nicht gibt und auch nie gab. Es ist so wie mit „Die Öffentlichkeit“. Ein Ensemble ganz unterschiedlich qualifizierter Teilformationen.Das macht uns aus. Wer „Die Szene“ behauptet, betreibt meiner Meinung nach Mythenbildung. Das klann man ruhig als soziokulturellen Akt deuten und billigen. Aber da ist keine kulturpolitsiche Faktenlage, die das deckt. Siehe dazu meine diesbezüglichen Notizen in der Feuilleton-Leiste
- Ein zusätzliches Albumblatt mit Fotos zum Thema
- Alle Fotos: Martin Krusche
- Prisma (Startseite)