Agnesbrünnl#
Auf dem Hermannskogel, an der Grenze zwischen Weidling (Klosterneuburg) und Wien, entspringt eine Quelle, die als Agnesbrünnl Eingang in Brauch und Sage fand. Im 19. Jahrhundert entstand ein ganzer Sagenkreis um "Karl und Agnes": Ein armes Köhler-Ehepaar hätte an der Quelle ein Findelkind entdeckt, dessen Mutter eine Fee war. Sie erzogen das Mädchen, Agnes, gemeinsam mit ihrem Sohn Karl. Als dieser herangewachsen war, versorgte ihn die Fee mit einer Rüstung und Waffen, mit denen er im Kampf gegen die Osmanen siegreich war. Bei der Heimkehr hatte sich die Köhlerhütte in einen Palast verwandelt, wo ihn Agnes als Braut erwartete. Inzwischen war Karl jedoch mit einer Wienerin verlobt. Da er es leugnete, öffnete sich die Erde und der Palast sank in den Abgrund. Der Ritter Karl soll in der Gegend als Spukgestalt sein Unwesen treiben.
Das Agnesbrünnl galt als Jungbrunnen und heilkräftig bei Augenkrankeiten. Im Biedermeier wurde es zu einem beliebten Ausflugsziel. Besonders das "Kometenjahr" 1811 verhalf ihm zu Popularität. Um den großen Zulauf zu beenden, ließ die Behörde das Agnesbrünnl 1817 zuschütten und den Baum, bei dem die Quelle entsprang, fällen. Dennoch kamen die Leute weiterhin. Zu bestimmten Zeiten, vor allem am Johannestag, Karfreitag und Dreikönigstag hofften sie, im Schlamm der Quelle oder auf Steinchen Nummern zu erkennen, die sie dann in der Lotterie setzten. Der Gewinn lag vor allem auf Seiten des Ober-Sieveringer Gemeindewirtes (später Gasthof "Zur Agnes"). Er ließ Bilder der Sage anfertigen und versprach den Gästen ein neues Lottospiel. "Ternobuchteln" mit eingebackenen Lottozahlen fanden reißenden Absatz. 1859 wurde von alten Frauen berichtet, "die mit Glücksnummern und sympathetischen Mitteln handelten und geheimnisvoll von den Sagen und Wirkungen des Agnesbrünnls sprachen".
2024 wurde aus dem desolaten Haus ein "sogenannter vorbildlicher historischer Neubau". Es entstanden 30 Wohnungen und drei Townhouses mit mehr als 3000 m² Wohnnutzfläche. Es wurden nur langlebige mineralische Baustoffe verwendet, die Fassade nach historischem Vorbild hergestellt. 24 Erdsonden versorgen das Haus mit Geothermie, die Photovoltaikpaneele sind unauffällig in die Dachlandschaft integriert. Großen Wert legten Bauträger (Ulreich GmbH) und die Architekten (Daneshgar, HMA, Gassner & Partner) auf Begrünung und Verzicht auf zusätzliche Bodenversiegelung. Der Dorfcharakter blieb erhalten. 'Zur schönen Agnes' steht exemplarisch für eine neue Haltung im Städtebau: nicht schneller, höher, billiger, sondern besser, länger, gemeinschaftlicher. Es beweist, dass Stadtbildschutz kein Widerspruch zu moderner Technik ist, dass historische Identität und Zukunftsfähigkeit gemeinsam funktionieren, lobt ein Fachblatt das Projekt.
Quellen:
Gustav Gugitz: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien. Wien 1952. S. 161 f.
Leopold Schmidt: Volkskunde von Niederösterreich. Horn 1972. Bd. 2/ S. 97
Helga Maria Wolf: Mythos Wasser. St. Pölten 2009. S. 90
Sagenkreis
"Inside Massiv", August 2025
Bilder:
"Der Jungbrunnen, das Lotteriebrünnl bei Sievering nächst Wien (Jägerwiese)". Holzstich nach G. Zafourek, 19. Jahrhundert. Bezirksmuseum Döbling
Fotos: P. Diem
Siehe auch:

Agnesbrünnl in: Verschwundene BräucheDas Buch der untergegangenen RitualeHelga Maria WolfBrandstätter VerlagWien2015
