Essbesteck#
In der mittelalterlichen Tischkultur gab es drei Kulturkreise: den "hölzernen" der Bauern, den "keramischen" der Bürger und den "metallisch-gläsernen" des Adels. Der Großteil der Bevölkerung lebte auf dem Land, zählte also zur "hölzernen" Gruppe. Man spottete damals, der Bauer esse mit den Fingern oder mit dem Holzlöffel. Noch bis ins 20. Jahrhundert bestand das traditionelle Essen auf dem Land aus saurer Suppe (Stosuppe). Die Familie aß sie aus einer gemeinsamen, großen Schüssel. Jeder hatte seinen Löffel, den er nach Gebrauch reinigte und - meist in einer Schlaufe unter der Tischplatte - aufbewahrte.Mit der Entstehung der Städte bildete sich der Bürgerstand heraus. Er pflegte feinere (Tisch-) Sitten, die man aus Benimmbüchern lernen konnte. Fleisch wurde im Ganzen zur Tafel gebracht, vom Fürschneider tranchiert und die Stücke den Gästen gereicht. Jeder hatte sein eigenes Messer, manche eine Gabel.
Die "metallisch-gläserne" adelige Tischkultur war von den internationalen Fürstenhöfen inspiriert, die einander an Luxus zu übertreffen suchten. Genaue Beschreibungen von Hoffesten lassen auf Gerätschaften, Speisen und Essgewohnheiten schließen. An der langen Tafel gab es einen Ehrenplatz, in der Mitte einer Längsseite oder am Ende. Die Höhe der Sitzgelegenheiten bei Festbanketten richtete sich nach dem Rang, die Herrschaften saßen auf hohen Stühlen, die Gäste auf Schemeln.
Löffel waren schon in prähistorischer Zeit in Verwendung. Sie wurden bis in die Neuzeit hinein aus Holz geschnitzt und erst im Barock, wie Messer und Gabel, aus Metall angefertigt. Messer und Löffel waren Teile der Grundausstattung jedes Menschen, die nicht gepfändet werden durfte. Der jüngste Teil des Essbestecks ist in unseren Regionen die Gabel. Sie war zwar (mit zwei Zinken) in Mesopotamien schon im zweiten vorchristlichen Jahrtausend bekannt, ebenso in der römischen Antike und in Byzanz. In katholischen Ländern blieb der Gebrauch der "Teufelshörner" aber lange Zeit umstritten, man hat sie höchstens für Obst und Desserts verwendet. Auch der Reformator Martin Luther sprach sich dagegen aus. Das Essen als Gottesgabe sollte mit den Fingern genossen werden, meinte er. Erst im 17. Jahrhundert setzten sich Gabeln, nun flacher und mit mehreren Zinken, in den europäischen Oberschichten durch.
Die serienmäßige Herstellung dreiteiliger Essbestecke begann im 19. Jahrhundert. Für die österreichische Wirtschafts- und Kulturgeschichte ist die Metallwarenfabrik in Berndorf von besonderem Interesse. Sie stellte ab 1843 Essbesteck her und führte 1852 die galvanische Versilberung ein. Der dafür eingesetzte Grammesche Dynamo machte die Berndorfer Fabrik zum ersten Kraftwerk weltweit (1873) - vor Edison in New York (1882). Anfangs auf Edelstahlbestecke spezialisiert, ging man bald dazu über, Bestecke aus neuen, robusten Materialien anzufertigen. Alpacca, eine harte und gut zu glättende Kupfer-Nickel-Zink-Legierung, und die Entwicklung der Löffelwalze ermöglichten erstmals die Massenproduktion. Bestecke aus Alpacca-Silber waren leichter als solche aus echtem Silber und außerdem ein Drittel billiger. Berndorfer Alpacca-Besteck war wegen seiner Qualität international geschätzt. Hauptabnehmer der Produkte waren Hotellerie, Gastgewerbe, Eisenbahn- und Schifffahrtslinien. Der Absatz stieg so stark, dass man eine eigene Abteilung für Tafelgeräte einrichtete und Designer, u. a. Künstler der Wiener Werkstätte, engagierte. In mehreren europäischen Hauptstädten bestanden Niederlassungen. Seit 1890 ist der Bär Markenzeichen, seit 1897 zählte die Firma zu den k.u.k. Hoflieferanten. Die Produktionsstätte ist untrennbar mit dem Namen Arthur Krupp (1856-1938) verbunden, der ab 1890 alleiniger Eigentümer war. Ihm verdankt Berndorf sein Aussehen mit den Werksiedlungen samt Konsumanstalt, Restaurationen, Kirchen, Theater und Schulen. Die Unterrichtsräume wurden mit Elementen verschiedener Stile gestaltet, um den ästhetischen Sinn der Kinder zu fördern. Die Berndorf-Gruppe wurde 1843 gegründet. 1988 rettete der jetzige Hauptaktionär Norbert Zimmermann das Unternehmen vor dem Konkurs und baute es zu einem internationalen Technologiekonzern aus. 2023 umfasst dieser 60 Unternehmen der Metallverarbeitung, etliche sind Weltmarktführer. Berndorf ist in 20 Ländern mit 2456 Mitarbeitern vertreten. Seit 2020 ist Franz Viehböck, der einzige Österreicher im Weltraum (1991) Vorstandsvorsitzender der Berndorf AG. Das Unternehmen hatte 2022 einen Umsatz von 602 Mio. €.
Quellen:
Ausstellungskatalog Um die Wurst. Wien Museum. Wien 2005. S. 38
Ingrid Haslinger: Kunde: Kaiser. Wien 1995. S. 46 f.
Berndorf
Berndorfer Metallwaren
Rezension Berndorf Silber
"Kurier", 2.9.2023
Bild:
Versilbertes Essbesteck, Berndorf, 20. Jahrhundert. Foto: Helga Maria Wolf, 2009
Siehe auch: