Grüner Daumen und grünes Herz#
Österreichs "Wissenschafter des Jahres 2012" ist der Botaniker und Ökologe Georg Grabherr#
Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 8. Jänner 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Heiner Boberski
Bahnbrechende Forschungen auf dem Gebiet der Hochgebirgsvegetation.#
Wien. Und es ändert sich doch - das Klima nämlich - kann man, frei nach Galileo Galilei, zu jenen sagen, die den Klimawandel noch immer nicht wahrhaben wollen. Nicht nur Meteorologen und Klimatologen konnten die klimatischen Veränderungen genau dokumentieren. Einer der Vertreter anderer damit befasster Disziplinen ist der auf die Vegetation des Hochgebirges spezialisierte Botaniker Georg Grabherr, Österreichs "Wissenschafter des Jahres 2012".
Der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten wählt seit 1994 alljährlich einen hervorragenden Gelehrten, der imstande ist, sein Wissen und Anliegen einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, zum "Wissenschafter des Jahres". Für 2012 erhielt diesen Titel und die dazugehörige Trophäe am Montag ein Botaniker, der seine Tätigkeit humorvoll als "Blümchenzählen" bezeichnet, damit aber in den letzten Jahrzehnten mit seinem Team einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Klimaveränderungen geleistet hat. Georg Grabherr ist stellvertretender Direktor des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und ehemaliger Vorstand des Departments für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie der Universität Wien. Sein Team publiziert immer wieder in den Spitzenmagazinen der Forschung "Science" und "Nature".
"Gloria" (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments) heißt die von Grabherr gestartete renommierte Klimastudie, die sich zu einem globalen Netzwerk der Hochgebirgsforschung entwickelt hat. Von Veränderungen der Alpenflora sei bereits in einer 2013 genau 100 Jahre alten Publikation die Rede, berichtete Grabherr bei der Entgegennahme der Trophäe. Später habe es ähnliche Hinweise gegeben. Er habe diese Ideen aufgegriffen und 1989 bei einer Alpenexkursion mit seinen Mitarbeitern Michael Gottfried und Harald Pauli mit der systematischen Forschung begonnen. Zentrum der Forschungen in Österreich wurde der 3497 Meter hohe Schrankogel in den Stubaier Alpen.
Grabherr, am 30. April 1946 in Bregenz geboren, hat einen handfesten Zugang zur Wissenschaft und zur Wahl seines Forschungsobjektes: "Nehmen wir das, was wir haben - und das sind die Alpen." Und da Wissenschaft vom Vergleich lebe, lag es nahe, auch die Entwicklung in anderen Hochgebirgen der Erde zu verfolgen, etwa im Himalaya oder in den Anden. Dabei stellte sich die Frage, wie das billig, in kurzen Forschungsperioden (nämlich nur im Sommer) und auf solidem wissenschaftlichen Niveau zu organisieren ist. Auf diesen drei Säulen ruht das erfolgreich entwickelte Modell. "Wir haben heute über 100 Gruppen in der ganzen Welt", sagt Grabherr, es gibt eine angepasste, standardisierte Methodologie, die alle verfolgen.
Die Forscher hätten bei diesem Projekt viel gelernt, sagt Grabherr, man sei zunächst sehr blauäugig an die Sache herangegangen, habe aber nun wichtige Erkenntnisse gewonnen. "Pflanzen sind keine Tiere, sie können nicht den Standort wechseln", betont Grabherr, "sie machen Klone und wachsen auseinander." Im Hochgebirge gibt es 5000 Jahre alte Klone von Pflanzen, vor allem von den dominanten Arten wie den Sauergräsern. Pflanzen haben die Fähigkeit, Schäden auszugleichen und zu reparieren.
Leidensweg wegen knapper werdender Forschungsmittel#
Dass sich die Vegetation angesichts der im Durchschnitt steigenden Temperaturen verändert, kann Grabherr aufgrund seines "Blümchenzählens" eindeutig bestätigen. Es wandern Arten in höhere und kältere Regionen, manche breiten sich mehr als bisher aus, andere verschwinden. "Es ist ein Spiel zwischen Zunehmen und Abnehmen", sagt Grabherr, dabei können aber auch Arten aussterben, die mitunter gemachte Aussage "Die Biodiversität nimmt zu" beinhaltet für den passionierten Naturschützer eine gefährliche Verharmlosung. Grabherr ist es zu verdanken, dass das äußerst rar gewordene Bodensee-Vergissmeinnicht heute wieder in größerer Zahl wachsen kann.
Angesichts der knapper werdenden Forschungsmittel sieht Grabherr die letzten beiden Jahre als "Via dolorosa", als Leidensweg, für seine Forschungsarbeit an. Er sieht in der Auszeichnung nicht nur eine Anerkennung seiner Person, sondern seines Teams und seiner Disziplin und sprach seiner Familie und seinem Umfeld ein "Dankeschön" aus.
Sehr positiv reagierte Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle auf die Wahl Georg Grabherrs, den er als "engagierten Ökologen" kennengelernt hat: "Er lebt für die Ökologie und ,seine Pflanzen` - das vermittelt er auch im besten Sinne. Er hat nicht nur einen grünen Daumen, er hat vor allem auch ein grünes Herz."