Die Venus von Willendorf#
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus der Zeitschrift morgen 2/08
Vor 25.000 Jahren war die Wachau ein karges Tal. Mammuts streiften in großer Zahl durch das bäum- und buscharme Grasland beiderseits der Donau, begegneten dann und wann großen Rentierherden und auch Gruppen von Menschen, die in dieser Epoche - der jüngeren Altsteinzeit - ebenfalls viel unterwegs waren, immer wieder aber auch für längere Zeit sesshaft. Zumal winters, denn im Sommer quälten in Flussnähe die Gelsen. Die Begegnung Mammut-Mensch endete für das Tier meist tödlich.
Aber es wurde nicht nur gejagt. Irgendwann in dieser Zeit dürfte jemand - vielleicht in der Wachau, vielleicht auch nicht - ein Stück Kalkstein (einen Oolith) in die Hand genommen und daraus mit Sticheln aus Feuerstein eine Frauenfigur geschnitzt haben. 25.000 Jahre später, genau am 9. August 1908, wurde diese Frauenfigur, nur elf Zentimeter hoch, in Willendorf gefunden, als man vor der herannahenden Trasse der Donauuferbahn das Gelände systematisch nach Relikten aus der Urgeschichte durchgrub. Man sieht der kleinen Steinfigur nicht an, welch unschätzbaren Wert sie hat, und erst wenn er um ihr Alter weiß, erschließt sich dem Betrachter die köstliche Aura des Originals. Die macht ja schon bei Harnischen aus dem Mittelalter schauern - wie erst, wenn man versucht, den Zeitraum zu ermessen, der zwischen uns und der Venus liegt.
Dieses exklusive Gefühl mag sich auch Walpurga Antl-Weiser hin und wieder leisten. Als Leiterin der Alt- und Jungsteinzeitlichen Sammlungen im Naturhistorischen Museum Wien ist sie für die Venus von Willendorf sozusagen zuständig. Die Prähistorikerin hat diese ihre Zuständigkeit nun auf fruchtbare Weise konzentriert und ein Buch über die Venus geschrieben: „Die Frau von W. - Die Venus von Willendorf, ihre Zeit und die Geschichte(n) um ihre Auffindung". Das Buch ist darauf angelegt, eine Art populärwissenschaftiches Standardwerk zum Thema zu werden. Denn bei aller weltweiten Präsenz der Venus von Internet-Einträgen über Venus-Seifen bis hin zur Tatsache, dass sie eines der meistabgebildeten Objekte aus der Urgeschichte ist - ein Werk, in dem die Venus von Willendorf im großen Zusammenhang und mit den skurrilen Details aus den Jahren nach ihrer Auffindung dargestellt ist, existiert nicht wirklich. Überhaupt, seit das bisherige Standardbuch von Wilhelm Angeli praktisch vergriffen ist. „Die Darstellungslücken und die damit verbundene Legendenbildung waren für mich eine wichtige Motivation, dieses Buch zu schreiben", sagt Antl-Weiser. Legendenbildung nämlich deshalb, weil die Publizierung der Venus in den ersten Jahrzehnten eher stockend verlief:
Die drei offiziellen Hauptprotagonisten an der Fundstelle, Josef Szombathy, damals Leiter der anthropologisch-prähistorischen Sammlung des k. k. Naturhistorischen Hofmuseums, sowie die beiden Prähistoriker Josef Bayer und Hugo Obermaier gerieten einander schon bald nach der Auffindung in die Haare. Dabei spielte Gelehrteneitelkeit die maßgebliche Rolle. Der Streit verhinderte eine flüssige Herausgabe aller Details zu Fundort und Figur, manche Dinge wie ein genauer Lageplan wurden überhaupt nicht veröffentlicht und insgesamt ergab sich lange ein unstimmiges Bild mit allerlei offenen Türen für Interpreten und Verschwörungstheoretiker. Die sind jetzt geschlossen worden. Walpurga Anti-Weiser beschäftigt sich seit dem Jahr 2000 mit der Venus von Willendorf, nicht in erster Linie, aber doch intensiv. Da begannen die Recherchen für das Buch. Und es begann eine Art Beziehung, wie sie immer wieder entstehen kann, wenn ein Forscher mit einem besonderen Objekt zu tun hat. „Wenn man denkt, dass die Figur vor so langer Zeit hergestellt wurde, dann ist das schon ein gewaltiger Glücksfall, dass wir das heute betrachten dürfen", sagt sie. „Ich hab' schon auch Ehrfurcht, die Venus, wie sie da klein in ihrer Vitrine steht, ist immerhin ein Erbe der gesamten Menschheit."
Auch die Lückenhaftigkeit des Wissens macht einen Teil des Reizes aus, wir wissen weder, wo die Venus hergestellt wurde, noch, zu welchem Zweck. Wer immer die Venus als Fruchtbarkeitssymbol, als starke, selbstbewusste Frau oder als Ausdruck einer Körpermode sehen möchte, lehnt sich schon zu weit aus dem Fenster. „Ein Werkzeug", sagt Walpurga Anti-Weiser, „kann ich verhältnismäßig leicht in seiner Funktion interpretieren. Aber ein Kunstwerk wie dieses lässt sich nur mit dem Denken der Menschen damals erklären - und wir wissen nicht, was sie gedacht haben. Wir werden es nie wissen." Was wir wissen, ist das, was uns die Venus selbst erzählt, als historische Quelle. Sie ist die naturnahe Darstellung einer Frau, nicht einer konkreten wohl, aber der Künstler - oder die Künstlerin - dürfte entweder ein Modell oder ein bestimmtes Vorbild im Kopf gehabt haben: „Gewisse Speckfalten kann man nicht erfinden, da muss man eine stärkere Frau wirklich gesehen haben - und die Knie sind überhaupt genial umgesetzt", sagt Antl-Weiser. Die letzten wissenschaftlichen Arbeiten an der Venus führte sie selbst durch, es ging um die Analyse von Arbeitsspuren auf der Figur. Und Kollegen von Antl-Weiser nahmen Vergleiche am Rohmaterial vor, das vermutlich aus der Gegend um Brunn kommt. Bei solchen Arbeiten muss mit höchster Schonung vorgegangen werden, die Venus darf gerade mal mit Schutzhandschuhen angefasst und unter ein Mikroskop gehalten werden. Die Entnahme von Proben oder gar das Durchsägen (für Materialforschungen etwa) ist so tabu, dass man nicht einmal darüber reden mag.
Einer, der die Figur vor kurzer Zeit in der Hand halten konnte, ist der niederösterreichische Fotograf Lois Lammerhuber. Von ihm stammt das zweite aktuelle Buch über die Venus, ein Bildband mit Einführungen von Walpurga Antl-Weiser und Anton Kern, dem Direktor der Prähistorischen Abteilung am Naturhistorischen Museum, in dem sich die Venus, dies nebenbei, seit ihrer Entdeckung befindet. Lammerhubers Beziehung zur kleinen Frauenfigur hat sich im Zuge des Fotografierens radikal geändert. Zuvor war sie für ihn ein beeindruckendes Kunstwerk aus der Steinzeit gewesen. Jetzt spricht er von „der ins Ungeheure gewachsenen Ehrfurcht vor dieser Figur", lobt die allerhöchste Qualität der Ausführung, die Abstraktionsfähigkeit der Venus, nennt sie „unvergleichlich" und sieht in ihr nicht zuletzt die „Antlthese zum heutigen Schönheitsideal". Und natürlich auch das Alter, „die Pyramiden sind nichts dagegen, und die sind ja auch schon uralt". Lammerhuber hat über 50 verschiedene Sujets der Figur angefertigt, 41 davon befinden sich in seinem Buch. „Was ich wollte", sagt Lammerhuber, „war, die Venus sichtbar zu machen."
Das Original der Venus war in der Tat lange Zeit unsichtbar. Erst nach dem jüngsten Umbau 1998 erhielt sie eine Hochsicherheits-Tresorvitrine und ist damit nach 25.000 Jahren endgültig dem Dasein in der Finsternis entkommen.
DIE VENUS IM STECKBRIEF#
Alter: ca. 25.000 JahreGröße: 11 cm
Body-Mass-Index: über 50
Material: Oolith (ein Sedimentgestein, vermutlich aus dem Raum Brunn)
Ursprüngliche Farbe: Rot
Bestimmung: unbekannt, vermutlich Symbol
Hersteller: unbekannt
Auffindungsort: Willendorf bei Krems/Wachau
Auffindungsdatum: 7.8.1908
Finder: der Arbeiter Johann Veran
Wohnort: Wien, NHM
WALPURGA ANTL-WEISER:#
Die Frau von W.Die Venus von Willendorf, ihre Zeit und die Geschichte(n) um ihre Auffindung.
Verlag des Naturhistorischen Museums Wien 2008.
208 Seiten, 27,50 Euro
LOIS LAMMERHUBER:#
VenusEdition Lammerhuber, 2008
Limitierte Auflage: 3000 Exemplare, erhältlich ab 17.5. im Naturhistorischen Museum Wien, im
Niederösterreichischen Landesmuseum St. Pölten und im Venus-Museum Willendorf.
88 Seiten, 27,50 Euro
Quelle#
- morgen 2/08