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Das globalisierte Altertum #

Skelette von Chinesen auf einem Friedhof der römischen Antike bezeugen einen grenzenlosen Personenverkehr im Altertum. #


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 4. Oktober 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Edwin Baumgartner


Römisches Seidenkleid
Die körperbetonende chinesische Seide, die Frauen gerne trugen, war römischen Sittenwächtern ein Dorn im Auge (r.).
Fotos: wikipedia
Zeichnung eines Chinesen
Die Chinesen meinten, die Römer würden ihnen ähneln (l.). Die Römer importierten aus Asien unter anderem auch Zucker.
Fotos: wikipedia

Hier tauschen ein Mann mit heller Hautfarbe und einer mit dunkler die neuesten Gerüchte aus, dort eilt ein Großgewachsener mit blondem Haar zur öffentlichen Latrine, da bietet einer mit unverkennbar orientalischen Gesichtszügen Gewürze feil. Zwischen den Menschen, wie sie uns auf dem Naschmarkt begegnen und denen im Römischen Reich der Antike dürfte ein kleinerer Unterschied gewesen sein, als wir uns ihn gemeinhin heute vorstellen. Die Einstellung zu Menschen anderer Ethnie scheint allerdings im antiken Rom lockerer gewesen sein als in unserer europäischen Gegenwart. Wegen seiner Herkunft allein dürfte damals nämlich niemand auf Ablehnung gestoßen sein – und wegen seiner Religion schon gar nicht: Das garantierte das Glauben und Glauben lassen des Polytheismus. Nur wer darauf pochte, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, bekam Schwierigkeiten.

Chinesen im Römischen Reich #

Jüngst fanden Archäologen auf einem römischen Friedhof des zweiten bis vierten nachchristlichen Jahrhunderts in London zwei Skelette, die belegen, in welchem Ausmaß die Antike globalisiert war: Körperbau und Schädelform der beiden Skelette lassen darauf schließen, dass die Menschen aus Ostasien stammten. Besuchten Untertanen des Kaisers von China die Untertanen des römischen Augustus?

Dass es in der Antike Handel zwischen Rom und China gab, ist bekannt. Die Seidenstraße ermöglichte, dass Chinesen aus römischen Gläsern tranken und Römerinnen sich in die Seide der „Serer“ kleideten. Serer – das ist die lateinische Bezeichnung für die Chinesen. Auch die römischen Münzen, die vor ein paar Tagen in Japan gefunden wurden, sind wohl über die Seidenstraße erst nach China gelangt.

Überhaupt – diese Seide . . . „O tempora, o mores“, dürften die sittenstrengen römischen Tugendwächter über die Lust der Römerin an dem chinesischen Gespinst gedacht haben: „Die Serer sind berühmt für die wollartige Substanz, die sie aus ihren Wäldern gewinnen. Vielfältig ist die aufgewendete Arbeit und weit entfernt in der Welt ist die Region, auf die man sich stützt, damit römische Mädchen in aller Öffentlichkeit mit durchsichtiger Kleidung protzen können“, schreibt Plinius der Ältere. Man sieht ihn geradezu die Nase rümpfen. Dass er nicht genau Bescheid weiß um die Gewinnung der Seide – geschenkt. Der römische Senat geht in Edikten gegen Seidenkleider vor – erfolglos. Seneca, Bannerträger der stoischen Philosophie, ritzt, empört über die körperbetonende Seide, in die Wachstafel: „Scharen von Frauen bemühen sich, dass ein Ehemann die gleiche Kenntnis vom Körper seiner Gemahlin hat wie irgendein Fremder.“

Auch Senecas Satiriker-Zeitgenosse Petronius, der, wie der Philosoph, erst von Nero geschätzt wurde und dann den Wirren nach der Pisonischen Verschwörung mittels Suizid entfloh, missbilligte die römische Lust an der Seide: „Sollen Ehefrauen einen Hauch von Kleid tragen, ein Gewand nach billiger Art der Huren?“, empört er sich im „Satyricon“. Da war er noch Neros „Schiedsrichter des feinen Geschmacks“. Dass aber Poppea ihrem Kaiser nicht im Seidennegligée gegenübergetreten wäre – es erscheint unglaubhaft.

Rom exportierte nach China das Glas, von dem schon die Rede war, Goldstickereien und goldfarbige Stoffe, Asbeststoffe, sowie Byssus, einen Stoff, der das römische Äquivalent zur Seide war und aus den Haaren der Steckmuschel gewonnen wurde.

Kennenlernen ist schwierig #

Was aber wussten die Länder voneinander? Handelsbeziehungen haben nichts mit Kenntnissen über ein Land zu tun. Oder, übertragen aufs Heute: Nicht jeder, der sich eine Süßkartoffel schmecken lässt, ist ein Kolumbien-Experte.

Bisher war bekannt, dass der römische Kaufmann Maesius Titianus um das Jahr 100 n. Chr. in die Stadt Tashkurgan im äußersten Westen Chinas gelangte.

Etwa zur gleichen Zeit, um 97 n. Chr., wollte der chinesische Feldherr Ban Chao dem Römischen Reich einen Besuch abstatten – offenbar einen friedlichen. Er plante, parthische Zwischenhändler auszuschalten und einen direkten Handel mit Rom anzuknüpfen. Bis Mesopotamien kam er. Dort rochen die Parther sein Vorhaben. Das Seidenstraßengeschäft aufgeben? – Niemals! So logen sie dem Chinesen ins Gesicht: Zwei Jahre mindestens würde er noch bis Rom brauchen. In Wahrheit wären es zwei Monate gewesen – eine Kleinigkeit in antiken Reisezeiten.

Immerhin notierte Ban, was er über Rom an Wissenswertem erfuhr: Das Reich habe 400 von Mauern umgebene Städte. Er beschreibt das römische Kaisertum, wie er es verstand: „Was den Herrscher betrifft, so ist er keine dauerhafte Institution, sondern der ehrenwerteste Mann wird erwählt.“ Über die Römer notiert er: „Die Menschen in diesem Land sind groß und haben regelmäßige Gesichtszüge. Sie ähneln den Chinesen, und darum wird das Land Da Qin (das große Qin; Qin war ein chinesisches Königreich, Anm.) genannt. Die Erde bringt viel Gold, Silber und seltene Steine hervor, dazu gehört ein Stein, der nachts leuchtet. Sie nähen mit Goldfäden gestickte Gewebe, um Wandteppiche und vielfarbigen Damast herzustellen, und sie fertigen einen goldfarbenen Stoff und einen Stoff, der im Feuer gewaschen wird.“ Mit dem im Feuer gewaschenen Stoff meinte Ban Chao Asbest.

Rund ein halbes Jahrhundert später kam es doch noch zu direkten Kontakten. Im Jahr 166 protokollieren chinesische Schreiber die Anwesenheit einer römischen Gesandtschaft und bemängeln, dass unter den mitgebrachten Geschenken keine Edelsteine sind. Später folgen weitere Gesandtschaften Roms. Die römischen Kartografen hatten China zu diesem Zeitpunkt bereits in ihren Arbeiten verzeichnet.

Unsicher ist, ob diese römischen Gesandtschaften wirklich solche waren, also hochoffiziell vom Kaiser entboten. Verzeichnet ist alles nämlich nur in chinesischen Quellen. Das macht stutzig. Sollten sich private Kaufleute als Gesandte Roms ausgegeben haben, um sich mehr Türen zu öffnen?

Ein Modell für die Gegenwart? #

Dass im Gegenzug Chinesen auf das Gebiet des Römischen Kaiserreichs gelangt sind, wie es nun die Skelette belegen: Das ist etwas Neues. Waren es Sklaven? Waren es Händler? Noch fehlt die Antwort. Nicht nur das: Von den 22 untersuchten Skeletten auf dem Friedhof waren, neben den beiden chinesischen, vier afrikanische und fünf aus dem Mittelmeerraum. Rebecca Redfern vom Centre for Human Bioarchaeology in London vermutet in der britischen „Daily Mail“, es könne sich um einen regelrechten Immigrantenfriedhof handeln. In der Antike reisten die Menschen ohne Grenzen, um Geschäfte zu machen. Wer sich Rom unterstellte, konnte römischer Bürger werden – und dabei seine Kultur und seinen Glauben behalten. Die Welt war globalisiert. Rom war eine multikulturelle Gesellschaft.

Modelle und Mythen für das moderne Europa – die Geschichte bietet sie an.

Wiener Zeitung, Dienstag, 4. Oktober 2016

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