Abstrakte Maschinen#
Von Martin Krusche#
Schaut man in den Motorraum eines alten Puch-Schammerls, ist Raum der passende Begriff dafür. Das Triebwerk hat genug Luft, daß etwa Schrauben oder Werkzeuge, die einem zufällig hineinfallen, auch unten wieder herauskommen. Heute lassen Sie besser nichts fallen, wenn Sie sich von oben über einen Motor beugen. Damals hatte man noch eine konkrete Maschine vor sich.
Das heißt, am Aussehen einzelner Elemente konnte man deren Funktion ablesen. Eine Verteiler-Kappe, eine Lichtmaschine, ein Vergaser, eine Wasserpumpe im Kontrast zur Benzinpumpe und so fort.
Heute machen Sie die Motorhaube auf und sehen gleich die nächste Motorhaube, die Oberseite eines verkapselten Aggregats. Der Motorraum ist vollgepackt, der Motor zur abstrakten Maschine geworden. Das könnte auch ein großer Industriestaubsauger sein oder ein autonomer Apparillo, der als geschlossenes System Schlüsselanhänger produziert.
Als ich jung war, genügten oft eine Stricknadel und ein Schweizer Offiziersmesser, um ein Auto zu reparieren. Heute beginnt alles mit der passenden Diagnose-Software und einem teuren Satz Spezialwerkzeug. Aber immerhin hängt die Karre seit ihrer ersten Ausfahrt untrennbar am zentralen Rechner des Autoherstellers und dessen Computer weiß über mögliche Probleme Ihres Autos besser Bescheid als Sie. (Er weiß auch, wo sie überall waren. Und wie lange.) Klar? Klar!
Ich kenne im Moment bei Autos mit Verbrennungsmotoren die aktuelle Quote im neuen Verhältnis zwischen Elektronik und Mechanik nicht. Da erleben wir seit Jahren ein Crescendo. Die EDV nimmt rasant zu. Und ich staune über das anhaltende Räsonieren gegen Elektrofahrzeuge, als wäre es eine Frage der Ehre, die Vollelektriker zu hassen.
Auch die Idee von autonom fahrenden Automobilen sorgt für leidenschaftliche Streitgespräche. Das Internet der Dinge ist weit gediehen, etliche unserer Gebrauchsgegenstände kommunizieren miteinander ohne uns zu fragen. Da werden wir noch kuriose Momente erleben.
(Film-) Kunst und Leben#
Etliche Spielfilme thematisieren schon, wie sich unsere weitreichende individuelle Vernetzung nutzen läßt, um Leute zu berauben, Existenzen zu vernichten etc.; um ein Beispiel zu nennen: „Hacked: Kein Leben ist sicher“ mit Pierce Brosnan. Aktuell beschert uns die Corona-Krise einige skurrile Konzeptideen von Menschen, die offenbar solche Privatmythologien brauchen, um die Komplexität der Welt und das Tempo der Entwicklungen zu ertragen. So wird kolportiert, die Corona-Impfstoffe seien gemacht, um uns ungefragt Chips zu implantieren, durch die wir gefügig werden sollen. (Als hätte der Kapitalismus mit seinen Werbeagenturen und dem enormen Einfluß auf das Konsumverhalten von Menschen sich nicht längst in solchem Sinn bewährt.)Hollywood beliefert uns mit allerhand Dystopien. Ein traditionelles Motiv handelt davon, daß die Maschinen die Herrschaft über die Menschen an sich reißen und uns zu ihren Sklaven machen, beziehungsweise in Farmen züchten, um uns als Energiequellen zu nutzen. Wozu sonst sollten sie uns brauchen?
Falls sich Maschinenintelligenz so entwickelt, daß die Apparate auf dieser Welt eine eigene Spezies unter anderen Arten ergeben, sind wir Menschen ja bestenfalls eine Konkurrenz im Rennen um Energieressourcen. Weshalb sollte sich eine smarte Maschine darüber hinaus mit uns befassen? (Zitat Ewald Ulrich: „Unterhalten wir uns mit Ameisen?“)
Ein interessante Version solcher Narrative bietet der Film „Automata“ (2014) von Gabe Ibáñez. Die Androiden werden von Menschen wie Vieh gehalten, gelegentlich auch mißhandelt. Sie bleiben aber gegenüber unserer Spezies ohne Aggression, sondern lösen sich aus dieser eigentümlichen Sklaverei heraus, wo wir Menschen die ganze Erde längst derart kontaminiert haben, daß unsere Lebensbedingungen auf Null zugehen. In dieser tödlichen Situation lassen uns Maschinen zum Sterben der Spezies Mensch zurück, die Welt fällt ihnen ohnehin zu.
Robocop geht in Pension#
Der von einem schwer verletzten Menschen hergeleitete „Robocop“ mit seiner Feuerkraft eines russischen Kampfhubschraubers ist schon ziemlich fad. Der auffallende Rollenwandel des von Arnold Schwarzenegger gegebenen Terminators im Laufe weiterer Filme erscheint mit interessant. (Er wird zu einem Verbündeten der Menschen.)Ganz anders der Film „Robot & Frank“ (2012) von Jake Schreier. Ein alternder Frank (Frank Langella) haßt diese Apparate, steht ihnen mit großen Ressentiments gegenüber. Der zur Demenz neigende Mann macht dann freilich mit dem Pflegeroboter VGC-60L bemerkenswerte Erfahrungen. Es kommt zu einer neuen Allianz, die sich auch emotional äußert.
Sehr unterhaltsam und ebenfalls auf Fragen der Mensch-Maschinen-Koexistenz ausgelegt: der Animationsfilm „Big Hero 6“, bei uns „Baymax“ (2014) unter der Regie von Don Hall und Chris Williams. Darin setzt sich eine günstige emotionale Lage durch.
Welche Fragen stellen sich vorrangig?#
Das ist mein Zugang zum Thema. Die Frage der Mensch-Maschinen-Koexistenz, seit Prometheus Ideen entwickelte, wie wir uns behelfen können, um den Göttern zu trotzen. Genau darin, in der Konfrontation mit übermenschlichen Kräftespielen, scheitern wir ja auch oft genug, wobei dann mitunter eine Kette schlechter Entscheidungen das Leben von Millionen von Menschen kostet.Ob sich in der Entwicklung der Mensch-Maschinen-Koexistenz eine Maschinenintelligenz herauskristallisiert, die uns als Art bedroht, halte ich für ungewiß. Gehen wir auf eine Konfrontation zu, die uns in einem Ausmaß gefährdet, welches schlimmer wäre als alles, was wir selbst unserer Spezies antun? Ich meine, um die Menschheit auszulöschen, brauchen wir keine feindseligen Maschinen, das schaffen wir ganz alleine.
Ich hab innerhalb meiner bisherigen Lebensspanne zusehen können, wie sich immer mehr abstrakte Maschinen durchsetzten, deren Form ihre Funktion nicht mehr ohne weiteres offenbart. Das Prinzip „Form follows function“ wird zunehmend zum Nischenereignis.
Was macht das mit unserer Wahrnehmung? Wie gelingt das Begreifen der Welt, wenn wir zum Beispiel Apparate nicht mehr be-greifen können? Eine mögliche Annahme legt Optimismus nahe. Da sich seit jeher alles stets verändert, werden wir uns auch mit diesen neuen Formen vertraut machen und unser Kognitions-Repertoire anpassen. Eine andere Annahmen - aus dem Lager der Kulturpessimisten - läßt uns große Nachteile erwarten.
Hatte nicht Sokrates vor über zweitausend Jahren Recht behalten, als er das Aufkommen der Schriftkultur kritisierte, uns Vergeßlichkeit und andere Schwächen voraussagte? Aber diese Fragen sind auch irgendwie müßig. Wann hätten sich Menschen je bremsen lassen, wenn ihnen Innovationen gelungen sind? Welcher Technologiesprung wäre je revidiert worden, weil er Menschen geschadet hat? Wir müssen also an diese Dynamik vielleicht mit ganz anderen Fragen herangehen, ohne daß ich im Moment sagen könnte, welche das wären.