Intermezzo#
Von Martin Krusche#
Beim heutigen Wissensstand, bei aller gängigen Weltgewandtheit und dem, was die Fülle der Güter im einzelnen Privatbesitz ausmacht, werden manche Werkzeuge gerne für simpel gehalten. Ist ja ganz klar, daß man sowas kennt, sowas hat, sowas zu benützen weiß.
Kultur bietet uns die Annehmlichkeit, das Vorwissen anderer Menschen nutzen zu können. Niemand muß alleine schlau sein. Es ist so vieles einfach da, vertraut, verfügbar. Mir macht ab und zu das Rückwärtsdenken Spaß. Ich bin manchmal ganz fasziniert von der Vorstellung: Wie war wohl die Situation, als es jemand zum ersten Mal angefertigt und benutzt hat?
Ich hab einige Gegenstände aus meiner Küchenlade genommen, um zu veranschaulichen, was ich meine. Jedes der Beispiel zeigt uns eine raffinierte Lösung, die irgendwann keineswegs selbstverständlich war. Jedes der kleinen Werkzeuge repräsentiert physikalische Gesetze und deren smarte Nutzung. Sie denken, es war einfach, das zu erfinden? Das war es sicher nicht!
Vielleicht wurde anfangs die Natur beobachtet, um aus dieser Beobachtung ein nützliches Prinzip abzuleiten. (Man nennt das heute Bionik.) Vielleicht wurde experimentiert. Vielleicht waren schon Anwendungen in einem anderen Genre vorhanden und es sprang eine Anregung über. Klinge, Hebel, Schraube, darauf komme ich gleich zurück.
Das Tüfteln und Experimentieren#
Wie erwähnt, manches ist uns so vertraut, daß wir es eventuell für eine einfach Lösung halten. Gute Ideen brauchen aber manchmal Jahrzehnte oder Jahrhunderte, führen gelegentlich auf Umwege, die uns im Rückblick lächerlich erscheinen mögen.Ein prominentes Beispiel ist die Tretkurbel am Fahrrad. Sie war anfangs nicht im Rahmen gelagert, sondern direkt an der Achse des Vorderrades angebracht. Es heißt, die Idee dazu sei von den Schleifsteinen abgeleitet worden. (Durch eine Kurbel und ein Pedal können Schleifsteine eine nützliche Drehzahl erreichen.)
Erst war da also erst ein Laufrad, auf dem man saß und mit den Füßen am Boden mitrannte, so den Vortrieb schuf. (Kleine Kinder machen das heute noch so auf niederen Laufrädern.) Das Tretkurbelrad wurde dann ein physikalisch smarter Fortschritt, um die Ausbeute an Körperkraft besser zu nutzen. Wie erwähnt: eine Tretkurbel am Vorderrad. Es folgten auf dem Weg über das Hochrad (Highwheeler) zahlreiche Versuche, um diverse Hebel praktisch zu nutzen, um besser voranzukommen. (Darunter waren sehr skurrile Vehikel.)
Mit dem Niederrad (Savety) wurde Ende des 19. Jahrhunderts dann eine sehr leistungsfähige Konstruktion geschaffen, deren im Rahmen gelagerte Tretkurbel es zuläßt, die menschliche Muskelkraft entweder über eine Kardanwelle oder eine Kette auf das Hinterrad zu übertragen. Dabei können verschiedenen Übersetzungen genutzt werden, was bedeutet, das Hebelgesetz kam zur Anwendung.
Vielleicht kann man sich unter „Kraft mal Kraftarm ist gleich Last mal Lastarm“ noch nicht viel vorstellen. Aber das Motiv „Vorne große Scheibe, hinten kleines Ritzel“ sollte beim Fahrrad nachvollziehbar sein. Es bedeutet: bei genug Kraft in den Beinen ziemlich schnell unterwegs. Hebelkraft! (Das drehende Zahnrad ist ein Ensemble rotierender Hebel.) Siehe zu diesem Teil der Geschichte: „Rasende Reisende“ (Ein schneller Fuß im Fluß der Dinge)!
Haushaltskram#
Das Messer, der Nußknacker, die Knoblauchpresse und der Korkenzieher dürften in einer Mehrzahl heimischer Haushalte vorhanden sein. (Der Deckelöffner ebenso.) Beim Messer wird die verfügbare Kraft auf eine möglichst geringe Fläche (Schneide) übertragen. Beim Nußknacker wird die Wirkung an den breiteren Backen durch Hebelkraft erhöht.So auch bei der Knoblauchpresse mit dem Gitter, was bewirken soll, daß sich im Pressen verschiedene Stoffe des Knoblauchs mischen. Am Korkenzieher ist raffiniert, daß eine horizontale Drehbewegung des Hebels zu einer vertikalen Aufwärtsbewegung des Objektes führt.
Davon ausgehend mag man sich vorstellen, wie die Komplexität von Maschinen sprunghaft hochfährt, wenn man mehrere solcher Prinzipen bündeln muß, um eine bestimmte Wirkung zu erreichen. Von da, von konkreten Maschinen, deren Form ihre Funktion offenbart, zu den Selbstlernenden Systemen der Gegenwart, der Vierten Industriellen Revolution, brauchte es bloß knappe hundert Jahre. (Siehe dazu auch: „Abstrakte Maschinen“!)
Dieses Innovationstempo ist schlicht atemberaubend, nimmt den Gesellschaften vielfach die Adaptionsphasen, die Menschen brauchen, um sich mit Neuerungen vertraut zu machen. Da haben wir sozial und kulturell noch einige größere Aufgaben vor uns, weil ich nicht annehme, das Entwicklungstempo der Technik werde sich runterbremsen lassen.