Der Nahe und der Ferne Osten als historische Sehnsuchtsarchitektur in Deutschland#
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Die Bilder wurden vom Verfasser in den Jahren 1985, 1988 und 2000 aufgenommen und sind Teil des Archives „Bilderflut Jontes“.
Alles was in der Ferne und jenseits der eigenen Erlebniswelt liegt, weckt die Neugierde des Menschen. Es liegt „außerhalb“ und ist nach dem griechischen Begriff dafür „exotisch“. Diese entlegenen Länder bringen Sachen hervor, die seit jeher Begehrlichkeiten weckten. Waren es schon in der Antike Gewürze und die Seide, die den Westen erreichten, so kamen dann chinesisches und japanisches Porzellan und schließlich die drei Heißgetränke Tee, Kaffee und Schokolade dazu. Asien, Afrika und Amerika waren die Herkunftsländer und der Luxus dieser Genussmittel vermählte sich gleichsam mit dem entsprechenden Geschirr aus der Keramik, die man selber noch herzustellen in der Lage war.
In den Schlössern der Potentaten wuchsen die Sammlungen von Porzellan und Porzellankabinette waren keine Seltenheit. Das originellste, was Deutschland auf diesem Gebiete hervorbrachte, ist das sogenannte Chinesische Teehaus im Potsdamer Schlosspark von Sanssouci , Schloss Sanssouci Potsdam dem Lieblingsschlösschen des Preußenkönigs Friedrich I. des Großen. Der elegante Bau, der allerdings in unseren Augen auf den ersten Blick nichts an chinesischer Architektur offenbart, ist sinnfälliger Ausdruck dessen, was man in der Kunstgeschichte als Chinoiserie nennt und mit seinen asymmetrischen Dekorformen im Rokoko den Übergang vom überladenen Spätbarock zum kühlen Klassizismus des ausgehenden 18. Jahrhunderts bildet.
1754 begann der Architekt Johann Gottfried Büring nach Vorbildern aus Lothringen mit dem säulengestützten Rundbau, unter dessen vorkragendem, nicht asiatisch schwingendem Dach sich sechs Personengruppen aus Sandstein sich an die Säulen schmiegen, Tee trinken, mit einander plaudern, flirten und dabei auch exotisches Obst essen. Die Bildhauer Johann Peter Benckert und Joachim Matthias Heymüller schufen diese Meisterwerke entspannter Geselligkeit.
Alles strahlt von Gold. Und diese Vergoldung macht insgesamt immerhin an die 2 kg des Edelmetalls aus. Und sie muss alle 30 bis 40 Jahre erneuert werden. Dazwischen sieht man Musikanten beiderlei Geschlechts, die unter Anleitung eines Kapellmeisters auf skurrilen, damals aus der Phantasie heraus für „chinesisch“ gehaltenen Instrumenten eine seltsame Tafelmusik abgeben. Ohne musikalische Begleitung gab es im Barock in diesen Kreisen kaum eine Festivität ohne Musik. Und man muss dazu sagen, dass nichts, aber wirklich gar nichts in dieser architektonischen Inszenierung als chinesisch erkannt werden könnte. Es war eben ein China der Phantasie! Und der Preußenkönig hatte in diesem Bau seine Sammlung asiatischer Porzellane aufstellen lassen, die er von Zeit zu Zeit aufsuchte, um sich an ihr zu ergötzen.
Wie es in der Barockmusik meist üblich war, spielen auch unsere „Chinesen“ im Stehen. Man erkannt Streich-, Zupf- und Blasinstrumente. Auch Schlagzeug ist dabei. Man hatte keine Ahnung von chinesischer Musik und deren Instrumentarium. Was solls auch? Man hielt es eben dafür.
Als unter Prinz Eugen die expansive Kraft des Osmanischen Reiches gebrochen war und man nicht mehr fürchten musste, von türkischen Armeen unmittelbar angegriffen zu werden, weil diese bis weit hinter Belgrad zurückgeworfen worden waren, erkannte man plötzlich den exotischen Reiz des Orients. Dies äußerte sich auf verschiedenen kulturellen Ebenen und nicht nur das Genussmittel Kaffee lockte in verstärktem Maße. In der Musik machte sich eine Mode „alla turca“ breit. Die Pfeifer und Trommler des Militärs wichen der „türkischen“ Blechmusik, den Tschinellen, Pauken und dem Schellenbaum, die bei der Türkenbelagerung 1683 den Wienern noch einen Schauer über den Rücken gejagt hatten. Und einer der Höhepunkte wurde musikalisch und literarisch der „edle Türke“ wie ihn Mozart in seiner „Entführung aus dem Serail“ gekennzeichnet hatte.
In Schwetzingen, der den Gourmets bekannten „Spargelstadt“ in Baden-Württemberg, liegt um das pfalzgräfliche Schloss einer der schönsten barocken Gärten Europas. Die weitläufigen Anlagen bieten alles, was das Herz eines Fürsten ergötzen konnte.
Und dann eine Moschee, wie man sie sich eben im ausgehenden 18. Jahrhundert vorstellte, obwohl man den Orient, vor allem den türkischen, zumindest durch die zeitgenössische Druckgraphik besser gekannt haben müsste. Der Architekt Nicolas de Pigage hatte sie nach dem Vorbild eines solchen orientalischen Baues im Park von Kew bei London geschaffen. 1777 bis 1795 baute man in Schwetzingen an ihr und stattete sie im Inneren aus. Die Rote Moschee im südlichen Teil des Parks, des Türkischen Gartens ist einer der typischen Staffage- und Zierbauten. Sie hatte keinerlei liturgische Funktion. Immerhin ist immer wieder als Bekrönung der Kuppelspitzen der islamische Sichelmond zu sehen. Außer ihr gibt es im Schwetzinger Schlosspark auch einen antikisierenden Minerva-, einen Apollo- und einen Merkurtempel, Bauten, die wieder andere Gefühle bedienten.
Während der krankhafte Trieb zu bauen den bayerischen „Kini“ Ludwig II. sich hauptsächlich in wagnerschen Mittelalter und es dem Sonnenkönig Ludwig XIV. auch architektonisch gleichzutun, findet sich doch auch ein Beispiel, das sich dem Vorderen Orient zuwendet. Es ist dies der „Maurische Kiosk“ auf dem weitläufigen Gelände von Schloss Linderhof.
Nicht zuletzt seiner manischen Bauwut wegen wurde König Ludwig II. von Bayern unter Kuratel gestellt. Die Ausgaben dafür hatten das Staatsbudget allzu sehr geschwächt. Seine Bauten, die heute zu den größten Attraktionen und touristischen Einnahmequellen des Landes zählen, scheinen aus allen möglichen Epochen und Stilen zu stammen. Schloss Herrenchiemsee konkurriert mit Versailles, Neuschwanstein ist eine phantastisch überhöhte mittelalterliche Burg. Und mit Linderhof hat er ein barockes Schlösschen inmitten eines prächtigen Parkes mit Denkmälern seiner Leidenschaft für Richard Wagner umgeben: Die Venusgrotte für die Oper Lohengrin und die Hundinghütte für „Die Walküre“. Unweit davon ermöglicht aber der „Maurische Kiosk“ ein Verweilen im Banne des Orients.
Eigentlich ist der Bau aber älter als Linderhof, das erst 1878 vollendet war, denn dieses Beispiel historistischer Architektur wurde von dem Berliner Architekten Karl von Diebitsch für die Pariser Weltausstellung bereits 1867 geschaffen. Nach dem Ende derselben wurden der Kiosk für das böhmische Schloss Zbirow von dessen Besitzer erworben. 1876 endlich kaufte ihn der „Kini“, ließ ihn adaptieren und zum Teil neu einrichten und im Schlosspark Linderhof aufstellen. Der Kiosk ist schon ein typischer Ingenieursbau, der eine Eisenkonstruktion mit Holz und zum Teil neuartigen Baumaterialien vereint. Außen ist er mit ornamentierten Zinkgussplatten verkleidet. Im Inneren sind es farbige Gipsplatten, die von reicher Ornamentik überzogen sind.
Sehr exotisch wirkt dieser Pfau, der allerdings den bildnerischen Vorschriften des Islam widerspricht, lebendige Wesen wie Tiere, Menschen und Pflanzen künstlerisch darzustellen. Im Hinduismus ist der Pfau ein Sonnensymbol und das mythische Reittier des besonders in Südindien verehrten Shivasohnes Subhramanya/Karttikeya
Ein Pfauenrelief dieser Art, wie sie als Wanddekoration etwa im Palast des Maharanas von Udaipur in Indien zu finden ist, könnte als Vorbild für die Pfauendarstellung im Maurischen Kiosk in Linderhof gedient haben. Im Hinduismus gilt dieser Vogel (hindi mor) als Reittier des Shivasohnes Subhramanya und als Sonnernsymbol