Staatsgeschäfte und Natur – Wohnkultur und Intimität#
König Friedrich II. von Preußen und sein Schloss Sanssouci in Potsdam#
von G. JontesDie Bilder wurden vom Autor in den Jahren 1987 und 2003 aufgenommen. Sie sind Teil des Archivs „Bilderflut Jontes“
Zu den widersprüchlichsten Herrschern seiner Zeit zählt der Preußenkönig Friedrich II., den die Nachwelt bis heute den Großen nennt. Diese Größe, vor allem in militärischer Hinsicht, führte auch dazu, dass man vom „alten Fritz“ spricht. Denn: Der König war mit seiner Armee so verwachsen, dass er seinen Gardegrenadieren erlaubte, ihn zu duzen und mit „Fritz“ anzureden. Und so wurde bis heute in fremden Armeen wie in Russland dieser Name zum Synonym für den Deutschen schlechthin.Die preußischen Könige hatten, um ihrer politischen und diplomatischen Repräsentation zu genügen, große Stadtschlosskomplexe errichtet, so in Berlin und Potsdam. Es war dem kommunistischem Spießer Walter Ulbricht vorbehalten, diese architektonisch hervorragenden barocken Bauten zu DDR-Zeiten abzureißen. Sowohl Erbauern als auch Zerstörern ging es dabei darum, ihre unumschränkte Macht zu zeigen.
Friedrich war 1712 in Berlin als Sohn des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelms II. zur Welt gekommen. Dieser Mann hatte seinem Spross als Thronfolger die härtesten Prüfungen auferlegt, die man sich nur vorstellen kann. Härte und politisch-militärische Durchsetzungskraft zeichneten deshalb diesen Herrscher aus, der ständig in Kriege verwickelt war und unter anderem in den Auseinandersetzungen mit „Kaiserin“ Maria Theresia dieser Schlesien, diese ihre Perle unter den habsburgischen Erblanden, raubte und dauerhaft seinem Reich einverleibte.
Seine anderen Seiten wiederum zeigen ihn als Intellektuellen und Künstler, der wacker komponierte, ein Meister auf der Flöte war, philosophierte und Voltaire an sich band. Und er war ein Bauherr und auch hier voller Einfälle und neuer Ideen.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts, also zur Zeit des Rokoko, verwirklichte Friedrich seine Vorstellungen von einem Wohnsitz, der vor allem der Erholung dienen und ihn von den Plagen des staatsmännischen Alltags befreien sollte. Und er nannte dieses Schlösschen Sanssouci Schloss Sanssouci Potsdam , denn im Französischen, das er mit Vorliebe gebrauchte, heißt sans souci „ohne Sorge“.
Er hatte davon sehr präzise Vorstellungen und beauftragte den Architekten Wenzeslaus von Knobelsdorff mit der Durchführung, wobei er sich immer wieder in dessen Arbeit in lästiger Weise einmischte. Aber 1745 bis 1747 gelang das Werk und der König sollte, wenn er nicht gerade im Felde stand, in der schönen Jahreszeit zwischen April und Oktober hier im Ostteil des großen Schlossparks wohnen. Der Bau entstand dabei auf einem Hügel, der vorher von Eichen bestanden war, die aber schon der Soldatenkönig hatte fällen lassen.
In Sanssouci hatten nur ausgewählte Gäste Zutritt. Alles, was Ärger bereiten könnte, wurde ausgeblendet und Friedrich genoss auch, dass seine ihm aus Staatsraison in jungen Jahren angetraute Gattin nicht nahe kam. Seine diesbezüglichen Neigungen waren so ausgeprägt, dass der König ohne Nachkommen blieb und die Thronfolge über eine andere Linie weitergehen musste.
Friedrichs Ideen gingen auch dahin, unterhalb des Schlosses Terrassen wie für einen Weinberg anzulegen und damit die Natur des Schlossparks noch näher an sich heranzuholen. Auf diese Weise entstanden sechs Terrassen mit insgesamt 168 Nischen, in denen Weinstöcke und seltene Obstgewächse die Sonne voll nutzen konnten. Aus klimatischen Gründen ist Weinbau in Sachsen bis heute üblich und bringt bekannte Kreszenzen hervor.
Es gab zwar auch fünf Gästezimmer, eines davon nur für Voltaire, aber die meisten seiner Gäste wohnten im Neuen Palais im Schlosspark. Seine geistigen Interessen spiegeln sich in der Bibliothek, die 2200 gleichartig in Leder gebundene Bände klassisch-antiker und französischer Literatur enthält. Für die deutsche Literatur zeigte er keinerlei Interesse. Im Konzertzimmer musizierte er fast täglich. Chef der Kapelle war der wackere Musikus, Komponist und Flötenlehrer des Königs Johann Joachim Quantz (1697-1773).
Wie sehr er an Sanssouci hing, beweist eine Stelle aus seinem Testament, in welchem es unter anderem heißt: „Ich habe als Philosoph gelebt und will als solcher begraben werden, ohne Gepränge, ohne feierlichen Pomp, ohne Prunk. Ich will weder obduziert noch einbalsamiert werden. Man bestatte mich in Sanssouci auf der Höhe der Terrassen in einer Gruft, die ich mir habe herrichten lassen. Sterbe ich in Kriegszeiten oder auf der Reise, soll man mich am ersten besten Ort beisetzen und im Winter nach Sanssouci an die bezeichnete Stätte bringen“.
Es sollte sehr lange dauern, bis dieser sein letzter Wunsch in Erfüllung ging. Denn sein Nachfolger König Friedrich Wilhelm II. ließ ihn in der Potsdamer Garnisonskirche neben seinem Vater beisetzen. Eine Odyssee der Gebeine begann schon während des Zweiten Weltkriegs, als man Friedrichs Sarg in Sicherheit brachte, ebenso nach dem Krieg, als ihn die Amerikaner in Beschlag genommen hatten. Erst nach der deutschen Einheit wurde das, was von Friedrich II. von Preußen sterblich war, am 17. August 1991 auf der Terrasse vor dem Schloss in größtmöglicher Schlichtheit beigesetzt.
Heute ist Schloss Sanssouci und sein Park mit dem kuriosen Teehaus und dem Neuen Palais die touristische Hauptattraktion von Potsdam. Da sich das DDR-Regime mit der „Neubewertung“ von Persönlichkeiten der deutschen Geschichte schwer tat, dauerte es einige Zeit, bis man eine solche auch beim Großen Fritz vornahm und z. B. sein kolossales Monument Unter den Linden wieder aufstellte. Üblicherweise werden solche Bewertungen durch Historiker durchgeführt. In der DDR war es hingegen der Dachdecker und Diktator Erich Honecker, der solches tat und seine Gnadensonne schließlich auch noch über Luther und Bismarck leuchten ließ. Aber zum Weltkulturerbe der UNESCO wurde Sanssouci erst nach der Wende 1990.
Ein Charakterzug Friedrichs war seine strenge Auffassung von Recht. Als die Planungen für Sanssouci begannen, stand nicht weit von der Hügelkuppe die Windmühle eines Bauern, der sie für die Erweiterung des Parks partout nicht hergeben wollte. Als man ihn sogar mit Drohungen fürstlicher Ungnade einschüchtern wollte und trotz des Tobens des Herrschers gab er nicht nach und berief sich auf das königliche Landgericht, das ihm schließlich seinen Besitz bestätigte. Die Mühle blieb und sie steht noch heute. Auch sie ist ein Denkmal für einen aufgeklärten Fürsten!
Der Park glänzt mit einer Fülle von antikisierenden Marmorskulpturen, die der Flora den menschlichen Gestaltungswillen und eine gelehrte Bilderwelt entgegensetzen, deren Symbolik dem König und seiner gebildeten Gästeschar genau bekannt war.
Ein Bauwerk, das Lebensgenuss und Neugierde nach fremden und exotischen Kulturen befriedigen sollte, war das „Teehaus“ in einem Winkel des weitläufigen Parks. Tee war gerade Modegetränk geworden, Meissen lieferte dazu das Porzellan und so erlustierte man sich an etwas, das man für „chinesisch“ hielt. Es war ja das Zeitalter der Chinoiserien.
Um das Schloss im Rahmen einer Führung besuchen zu können, bedarf es heute einer vorherigen Anmeldung und man muss Zeit und Geduld aufwenden, um des Erlebnisses teilhaftig zu werden. Heute werden Tag für Tag bis zu 2000 Besucher durch Sanssouci geschleust. Der Autor dieses Essays hatte aber das unverhoffte und unbezahlbare Glück, noch zu Zeiten der DDR in den Genuss zu kommen, allein und ungestört eine ganze Stunden lang das Schloss Raum für Raum in Stille und Andacht zu erleben. Und das kam so:
Es war der 26. Oktober 1987, fernab österreichischer Nationalfeiertag und in Potsdam ein herrlicher Sonnentag eines Goldenen Herbstes unter tiefblauem Himmel, wie er einem selten blüht. Im Park waren nur wenige Leute, das Schloss war verschlossen, man wagte es aber, anzuläuten. Und tatsächlich: Schlurfende Schritte näherten sich, ein Schlüssel drehte sich im Schloss und eine freundliche Dame öffnete und hieß uns eintreten. Wir waren nur zu zweit. Und sie erklärte uns folgendes: „Ich bin hier nur die Beschließerin und kenne mich über Geschichte und Kunst im Haus überhaupt nicht aus. Aber bitte kommen sie nur herein. Ich sperre jetzt wieder ab und ich würde sagen, Sie schauen sich in Ruhe selber alles an und kommen in einer Stunde wieder hierher. Ich lasse Sie dann wieder hinaus.“
Und es stellte sich heraus, dass die freundliche Dame eine Lehrerin gewesen war, die einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik gestellt hatte. Umgehend wurde sie deshalb ihres Postens enthoben, mithin politisch gemaßregelt und nach längerer Zeit gnadenhalber dann hier in Sanssouci eingesetzt. Zwei Jahre darauf, als das System stürzte, wird sie wie Millionen anderer große Genugtuung gefunden haben, als man die Peiniger verjagt hatte.
Und nun begann eine einzigartige Wanderung durch das Schloss. Sonnenlicht flutete in breiten Bahnen in die nach Süden gewandten Räume. Irgendwo hörte man und sah dann später zwei Restauratoren, die polnisch sprachen und an Vergoldungen werkten. Sonst herrschte absolute Stille und man ging durch Korridore, durchmaß Raum um Raum, stand im Musikzimmer vor einer kleinen Vitrine mit der Flöte Friedrichs, betrachtete den kunstvollen Notenständer und versuchte sich vor dem Sterbesessel in die Situation des alten Königs zu versetzen, der hier sans souci hinüberdämmerte.
Beglückt verließ man das Haus mit seiner freundlichen Hüterin, hatte dem Genius loci Bewunderung gezollt und musste dann wenige Jahre darauf erleben, wie tausende Alltagstouristen in dieser Welt zwischen Natur und Kultur herumtrampeln.