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Kaiser Karls "Putschbesuch" #

Vor 100 Jahren scheiterte der letzte österreichische Kaiser an einem geplanten Triumphzug nach Budapest.#


Von der Wiener Zeitung (16. Oktober 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Wolfgang Machreich


Kaiser Karl I. von Österreich-Ungarn in Felduniform eines Feldmarschalls
Kaiser Karl I. von Österreich-Ungarn in Felduniform eines Feldmarschalls.
Foto: Wenzl Weis (1858–1929). Aus: Wikicommons, unter PD

Am Anfang war der Acker. Jahrtausendelang entschieden Sieg oder Niederlage auf Schlachtfeldern über Wohl und Wehe von Herrscherdynastien, über Aufstieg und Fall adeliger Häuser, über das Bleiben an der Macht oder den Abschied vom politischen Parkett. Habsburgs letzter Acker liegt neben der Ortseinfahrt von Dénesfa. Das nicht einmal 400 Einwohner zählende Straßendorf 40 Kilometer östlich der burgenländischen Grenze bei Lutzmannsburg im ungarischen Komitat Györ-Moson-Sopron rückte im Oktober vor 100 Jahren einen Wimpernschlag der Zeitgeschichte lang ins Zentrum europäischer Machtpolitik.

Wäre die auf diesem Feld begonnene Rückkehr des quasi-abgedankten österreichischen Kaisers Karl I. von Erfolg gekrönt und mit dem Erhalt der Königskrone für Karl IV. von Ungarn belohnt worden, hätte der Acker bei Dénesfa wohl Aufnahme in Stefan Zweigs "Sternstunden der Menschheit" gefunden, so wie Waterloo oder der "versiegelte Zug" mit Lenin als Passagier. Denn "solche dramatisch geballten, solche schicksalsträchtigen Stunden, in denen eine zeitüberdauernde Entscheidung auf ein einziges Datum, eine einzige Stunde und oft nur eine Minute zusammengedrängt ist, sind selten im Leben eines Einzelnen und selten im Laufe der Geschichte".

Doch nach der Landung der Junkers F 13 bei Dénesfa und im Gegensatz zum Namen des Flugzeugs "CH-59 Ad Astra" (zu den Sternen) leuchtete Habsburgs Stern in dieser nordwestlichsten Ecke Ungarns nach knapp 650 Jahren am Himmel der Macht und 800 Kilometer Luftlinie vom Ursprungsort Habsburg entfernt nur noch kurz auf, um dann endgültig unterzugehen.

Parforceritt#

Es war 16:30 Uhr am 20. Oktober 1921, als die Maschine aufsetzte. Der deutsche Pilot schrieb in seinem Bericht, sie landeten "mit der untergehenden Sonne" ein zweites Mal, nachdem sie kurz zuvor auf einem falschen Acker südlich des Neusiedlersees niedergegangen waren. Aus dem Flugzeug stiegen drei Begleiter sowie Karl und seine Frau Zita, die, mit dem achten Kind schwanger, es sich nicht nehmen ließ, bei der als Triumphzug geplanten Rückkehr auf den Thron dabei zu sein.

Der in der Nähe von Zürich gestartete vierstündige Flug verlief turbulent. "Oftmalige Motorpannen" aufgrund falscher Betankung des Flugzeugs machten die Tour zum Parforceritt. "Trotz der Wichtigkeit der in allerkürzester Frist zu erwartenden Ereignisse und Entscheidungen galt nach der Landung ein Hauptinteresse noch dem Flugzeug", wunderte sich der Pilot. Doch die Freude über die heile Ankunft muss riesig gewesen sein, denn "alle, sonders Königin Zita und König Karl, sprachen sich voll Bewunderung über die Leistungen dieses modernen Flugzeuges und die kaum für möglich gehaltene Durchführung des Fluges aus".

Die Károly-Kapelle erinnert an die geschichtsträchtige Landung von Kaiser Karl I.
Die Károly-Kapelle erinnert an die geschichtsträchtige Landung von Kaiser Karl I.
Foto: © Machreich

Heute erinnert an die geschichtsträchtige Landung die in Schönbrunner Gelb gehaltene Károly-Kapelle. Frische Trikolore-Stoffbänder in Ungarns Landesfarben am Tor und Einladungen auf Internetseiten monarchistischer Verbindungen zu Gedenkmessen machen den damals erst- und einmalig genützten Flugplatz nach wie vor zum Sehnsuchtsort für Kaiser- und Königstreue.

Auf dem von zwei Steinsäulen getragenen Portal des Rundbaus im Stil eines griechischen Tempels steht in lateinischer Sprache ein Vers aus dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums: "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." Habsburg-Nostalgiker ziehen damit eine Parallele zwischen dem Restaurationsversuch von Karl und dem Erlösungswerk Jesu. Für kritischere Geister pendelt der mit diesem Bibelzitat suggerierte Vergleich eher zwischen nonchalanter Geschichtsvergessenheit und geschmackloser Blasphemie.

Für David Schriffl beschreibt das Zitat aber durchaus das Selbstverständnis, mit dem Karl und Zita nach Ungarn flogen: "Er war von einem wahnsinnigen Sendungsbewusstsein getrieben, und sie war immer an seiner Seite. Wurde Karl wankelmütig, was durchaus vorkam, dann hat Zita ihn stets sehr in seinem Rollenverständnis ohne Wenn und Aber bestärkt", sagt der Historiker und Experte für die Restaurationsversuche und die Exilzeit des Kaiserpaares im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Für Karl gab es keine Alternative, für ihn konnte das Thema nie abgeschlossen sein, er war bis zu seinem Tod überzeugt, der von der Vorsehung erwählte Herrscher von Gottes Gnaden zu sein", beschreibt Schriffl den Kaiser und König ohne Thron: "Als ihm die Briten das Angebot machten, gegen eine hohe Apanage auf seine Ansprüche zu verzichten, antwortete er, dass seine Krone nicht zu verkaufen sei."

Die erste Zeit nach der Landung bestätigten Karl und Zitas Idee, sie würden im Triumphzug gen Budapest ziehen. In Sopron ernannte Karl eine neue Regierung und verteilte Ministerämter an seine Gefolgschaft. Verteidigungsminister wurde Baron Anton von Lehár, der Bruder des Komponisten Franz Lehár.

"Landausflug"#

Nach dem Zerfall von Österreich-Ungarn blieb der k.u.k. Offizier in Ungarn, wo er mit loyalen Truppenverbänden für die Wiederherstellung der Monarchie kämpfte. In diesen Oktobertagen war Lehár einer der maßgeblichen Protagonisten und hatte laut Historiker Schriffl "eine realistischere Einschätzung", welche Hindernisse auf dem Weg zum Thron auch eventuell nur mit Waffengewalt zu überwinden sein würden. Doch noch war man im königstreuen Westungarn, es herrschte teilweise Konfusion, aber keine Konfrontation. Soldaten wurden auf "Karl von Habsburg, Apostolischen König von Ungarn und König von Böhmen" vereidigt, man requirierte Züge, und mit Verspätung setzte sich der Tross in Bewegung. Historiker beschreiben Karls Weg nach Budapest eher als "gemütlichen Landausflug" als ein zielstrebiges Vorrücken zur Machtergreifung.

An jeder Ortschaft wurde angehalten, Soldaten, Beamte und Amtsträger wurden auf den König vereidigt, außerdem wird von Gottesdiensten und Paraden berichtet. Aber auch Sabotageakte an den Gleisanlagen verzögerten die Reise. Dieser Widerstand bestätigt Schriffls Beschreibung der politischen Gemengelage in Ungarn: Neben den Karl-Anhängern gab es auch "freie Königswähler", die zwar für die Monarchie, aber gegen einen Habsburger auf dem Thron waren. Prinzipiell war der Zeitpunkt des Restaurationsversuchs nicht schlecht gewählt, meint Schriffl: Nach dem "roten Terror" der Räterepublik hatte die Gegenpendelbewegung in den "weißen Terror" umgeschlagen, "und ein König Karl konnte da durchaus als beruhigendes Element wahrgenommen werden".

Miklós Horthy war als Reichsverweser das langjährige Staatsoberhaupt des Königreiches Ungarn.
Miklós Horthy war als Reichsverweser das langjährige Staatsoberhaupt des Königreiches Ungarn.
Foto: © Bibliothèque nationale de France, département Estampes et photographie, N-2 (HORTHY, Miklos). Name. Aus: Wikicommons, unter PD

Im Unterschied zu Österreich war Ungarn staatsrechtlich nach wie vor bzw. wieder eine Monarchie, die in Abwesenheit des Königs von Reichsverweser Miklós Horthy regiert wurde. Der Admiral war Flügeladjutant von Kaiser Franz Joseph und letzter Befehlshaber der k.u.k. Kriegsmarine. Das ursprünglich von Loyalität und Freundschaft bestimmte Vertrauensverhältnis zwischen dem Verweser und seinem König hatte bei Karls erstem "Putschbesuch" in Budapest zu Ostern 1921 einen schweren Bruch erlitten.

Karl bestand darauf, die verliehene Macht wieder zurückzubekommen. Er hätte sich in einem "unglaublichen Dilemma zwischen Königstreue und Volkstreue" befunden, schreibt Horthy in seinen Memoiren. Horthy argumentierte, dass die Siegermächte des Ersten Weltkriegs keine Rückkehr des Habsburgers auf den Thron dulden würden. Der tschechoslowakische Ministerpräsident Edvard Beneš hatte erklärt, ein Habsburger auf dem ungarischen Thron würde für die Tschechoslowakei den "Kriegsfall" bedeuten.

David Schriffl beschreibt Horthy zunächst als "treuen Diener seines Herrn", der offiziell immer für die Rückkehr Karls eingetreten sei, den jeweiligen Zeitpunkt aber jedes Mal als unpassend ansah, da zu früh und zu heftigen Reaktionen des Auslands führend. Dass es beim Reichsverweser aber zu "einer graduellen Veränderung seiner Loyalität zu Karl" gekommen sei und Horthy Gefallen an seiner Position gefunden habe, steht für Schriffl ebenfalls fest. Dessen Recherchen zum Habsburger Herrschaftsfinale zeigten auch, dass Karls Versuch, auf den Thron zurückzukehren, "nicht ganz so absurd war, wie er heute erscheint". Karls Erfolg hing davon ab, ein fait accompli herzustellen, vollendete Tatsachen und ein Momentum zu schaffen, das große Teile aus Politik, Armee und Bevölkerung zu ihm überlaufen ließe. Wie hoch die vom Habsburger ausgehende Gefahr für das sich neuformierende Europa eingeschätzt wurde, zeigten auch die Maßnahmen zur Exilierung und Kasernierung Karls nach diesem "Königsputsch".

Kapitulation#

Eine Statue von Augusto Cid erinnert auf Madeira an Karl I.
Eine Statue von Augusto Cid erinnert auf Madeira an Karl I.
Foto: © H. Zell. Aus: Wikicommons, unter CC BY-SA 3.0

Als Karls Einheiten nach Erreichen eines Budapester Vororts in ein Gefecht mit Horthy-treuen Gruppen gerieten, bei dem 19 Menschen starben, fand der Triumphzug ein jähes Ende. Karl realisierte, dass er nicht ohne Blutvergießen bis hin zum Bürgerkrieg und der Invasion ausländischer Truppen an die Macht kommen werde. Am folgenden Tag, dem 24. Oktober um 8 Uhr Früh, gab der König seinen Thronbesteigungsversuch auf.

Karl Kraus, der vor dem Ersten Weltkrieg weder ein Gegner von Militär und Adel noch der Monarchie als Staatsform war, ließ am Restaurationsversuch Karls nichts Gutes: "Gewiss, ein Monarch kann auf Regierungsdauer ein Trottel sein, das widerstreitet nicht dem monarchischen Gedanken. Wenn er sich aber auch in der Zeit, da er kein Monarch mehr ist, wie ein Trottel benimmt, nämlich durch die Art, wie er wieder ein Monarch werden möchte, so sollte man doch meinen, dass auch die Anhänger des monarchischen Gedankens ihm die Eignung hierzu absprechen müssten."

Dem jungen Österreich habe Karl mit seinem Restaurationsversuch jedoch einen Gefallen getan, meint Historiker Schriffl. Die mit dem Königszug nach Budapest verlegten Truppen kamen in dieser Form nicht mehr nach Westungarn zurück. Die Eingliederung Burgenlands sei deswegen einfacher gefallen.

Nach kurzer Internierung in der Benediktinerabtei von Tihány am Plattensee wurden Karl und Zita außer Landes und einen Monat später von der britischen Marine auf der "HMS Cardiff" nach Madeira gebracht. Zurück blieb nur die damals brandneue Junkers F 13, die anders als das Königspaar das Land nicht mehr verlassen durfte und bis heute im Verkehrsmuseum von Budapest an Karls Landungsversuch auf Ungarns Thron erinnert.

Wolfgang Machreich, freier Autor und Journalist, zuletzt erschienen: "Apropos Hurensohn. Manierliches Reden über schlechte Manieren".

Wiener Zeitung, 16. Oktober 2021