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Uneingelöste Verheißung von Europas Freiheit#

Vor 200 Jahren markiert die Völkerschlacht bei Leipzig den Höhepunkt der Befreiungskriege gegen Napoleon: zum aktuellen Gedenken an die Schrecken des Krieges und die Neugestaltung Europas.#


Von der FURCHE (Donnerstag, 10. Oktober 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Wolfgang Häusler


Völkerschlachtdenkmal in Leipzig
100 Jahre Denkmal. Das 1913 eingeweihte Völkerschlachtdenkmal in Leipzig erinnert an die Niederlage Napoleons gegen Österreich, Preußen, Russland und Schweden. Seine Silhouette spiegelt sich im vorgelagerten „See der Tränen um die gefallenen Soldaten“.
Foto: © Westend-PR/Methode 21

Angesichts des Einmarsches von Soldaten aus fast allen europäischen Nationen in die Ebene um Leipzig sprach der preußische Generalquartiermeister Oberst von Müffling am 16. Oktober 1813 in Erinnerung an die „Völkerwanderung“ von einer bevorstehenden „Völkerschlacht“. In seinem Armeebericht unterstrich er diese Zeitenwende: „So hat die viertägige Völkerschlacht von Leipzig das Schicksal der Welt entschieden.“ Und General Yorck, dessen Initiative 1812 Preußen aus dem napoleonischen System gelöst hatte, bekräftigte in seiner Abschiedsrede von 1814: Mit der „Völkerschlacht“ sei „Deutschlands Freiheit errungen worden“.

Vorher noch, im Juli 1813, da Österreich noch zögerte, sich dem preußisch-russischen Bündnis anzuschließen, hatte Max von Schenkendorf an den „Deutschen Kaiser“ Franz appelliert, „deiner Völker Ketten zu lösen“: „Komm zu rächen, komm zu retten!“ – „Die kaiserlichen Ahnen / Rufen dich zur Völkerschlacht.“ Es bleibt nachzudenken, ob nicht auch an den biblischen Bann (cherem) gedacht wurde, den Israel als „Volk Gottes“ an feindlichen Städten und Völkern vollstreckte – tragisch enthüllt sich hier der Ursprung der im 20. und 21. Jahrhundert begangenen Genozid-Verbrechen. Von „Völkermord“ sprach erstmals August von Platen als Gegner des Zarismus (1831). Auch die ältere Bedeutung von „Volk“ als kriegerische Gefolgschaft klingt nach. Goethes Wort vom spießbürgerlichen „Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, / Wenn hinten, weit, in der Türkei, / Die Völker aufeinanderschlagen“, wurde und wird schreckliche Realität.

Chronologie der Kämpfe #

Nicht nur Napoleon hatte Schwierigkeiten mit seinen Kriegsvölkern. Der Rheinbund zerbrach mit dem Ausscheiden der bayrischen Armee wenige Tage vor Leipzig; noch während der Völkerschlacht wechselten Württemberger und Teile der Sachsen die Front. Der König von Sachsen wurde von den Siegern gefangen genommen; er kehrte erst 1815 nach Dresden zurück. Auch die Korps der Alliierten waren heterogen: In der Böhmischen Hauptarmee hatte Fürst Schwarzenberg Österreicher, Russen und Preußen zu führen. Die Schlesische Armee unter General Blücher umfasste Preußen und Russen. Noch bunter war die Zusammensetzung des Nordheeres unter dem zögerlichen Kommando des schwedischen Kronprinzen, vordem Revolutionsgeneral Jean Baptiste Bernadotte aus der Gascogne, dann Marschall des Empire, vermählt mit Napoleons (beinahe) Verlobter Desirée Clary, dadurch Schwager von Joseph Bonaparte – und als Karl XIV. (1818–1844) nachmals Gründer des bis heute regierenden schwedischen Königshauses. Im russischen Lager waren die Baschkiren mit Pfeil und Bogen bewaffnet.

Die Zahl der Truppen belief sich im Kriegsjahr 1813 auf 485.000 Mann Alliierte gegen 440.000 Franzosen und Rheinbundtruppen. Über eine halbe Million Kombattanten war in das Ringen um Leipzig einbezogen. Es war die größte Schlacht der bisherigen Kriegsgeschichte – sie sollte erst im Ersten Weltkrieg überboten werden. Jeder fünfte Mann ging durch Tod oder Verwundung verloren.

Der Völkerschlacht ging das Reitergefecht von Liebertwolkwitz am 14. Oktober voran; am 16.10. versuchten die Verbündeten, den Ring um Leipzig in Einzelgefechten zu schließen, was im Norden, Osten und Süden gelang. Nach Kampfpause am 17.10. mit vergeblichen Verhandlungen entbrannte der Entscheidungskampf am 18.10. bei Probstheida. Napoleon kommandierte von der kleinen Anhöhe der Quandtschen Tabaksmühle – der dort 1857 gesetzte Napoleonstein hält mit der Darstellung des abgelegten Degens und Hutes die Niederlage fest. Trotz der Erstürmung der Stadt am 19.10. war der Kaiser der Franzosen noch nicht endgültig geschlagen.

Nach eigener Aussage litt Schwarzenberg „an dem traurigsten Übel, drei Souveräns auf den Schultern tragen zu müssen“. Da kämpfte nun Papa François, nur ein Jahr älter als Napoleon, gegen den Europa beherrschenden Sohn der Revolution – Schwiegersohn und Vater des Königs von Rom, der eben laufen lernte. Die russische Truppenmasse konnte den schwankenden Charakter ihres Zaren Alexander I. nicht kompensieren. Der gefangene französische General Vandamme sagte Alexander unwidersprochen ins Gesicht, dass dieser seine „Hände mit dem Blut des Vaters befleckt“ habe, in Anspielung auf die Mitwisserschaft bei der Beseitigung des Vaters Paul I.

Völkerschlacht
Foto: © Anne Schulz/Westend-PR

Friedrich Engels bezeichnete Friedrich Wilhelm III. von Preußen als „einen der größten Holzköpfe, die je einen Thron geziert“; das Verhältnis des in abgehackten Infinitiven sprechenden Königs zu den politischen und militärischen Reformern wie zur Volksbewegung war und blieb trotz „Eisernem Kreuz“ und Appellen an Volk und Kriegsheer gestört. Angesichts dieses Führungsproblems war es eigentlich Schwarzenbergs Stabschef Radetzky, der die Schlacht zum Sieg der Verbündeten lenkte. Kein Denkmal erinnert in Leipzig an ihn, doch ist seine schwarzlederne Kartenmappe im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum ein authentisches Dokument seines militärischen Genies.

„Tempel für Tod und Freiheit“ #

Der Einzug der Monarchen zur Siegesparade in Leipzig war von den Schrecken des Krieges überschattet: „Bei dem Vorbringen dieser Geschütze stellten sich dem Auge schauderhafte, das menschliche Gefühl wahrhaft empörende Szenen dar. In den Straßen lagen noch viele Blessierte, die nicht fortgeschafft waren, von welchen schon beim Einzuge von den Pferden mehrere zertreten, völlig zerstampft waren, und was nun noch lag und Leben hatte, wurde von den Geschützen ohne Erbarmen überfahren und gerädert.“ Professor Reil aus Berlin, Direktor der preußischen Lazarette, berichtete über die fehlende ärztliche Versorgung: „Auf dem offenen Hofe der Bürgerschule fand ich einen Berg, der aus Kehricht und Leichen meiner Landsleute bestand, die nackend lagen und von Hunden und Ratten angefressen wurden. So entheiligt man die Überreste der Helden, die dem Vaterlande gefallen sind!“

Der 1847 auf dem Monarchenhügel von Meusdorf gesetzte Obelisk bedenkmalt eine Fiktion: Hier habe Schwarzenberg den drei Monarchen die Siegesmeldung überbracht, wie dies auch Johann Peter Kraffts Monumentalgemälde (ehemals im Invalidenhaus, heute Heeresgeschichtliches Museum) behauptet. Die Szene, bereichert durch Händehalten und Niederknien zum Gebet, hat niemals stattgefunden. Ebenso wenig wurde die Verheißung von „Europas Freiheit“, die das nahe Schwarzenberg-Denkmal (1838) mit dem Schlachtbefehl von 1813 zitiert, eingelöst: Längst hatte die Reaktion gesiegt.

Das Doppeljubiläum 2013 konzentriert sich auf das Leipziger Völkerschlachtdenkmal von 1913. Am Vorabend des Weltkriegs wurde wilhelminisch-militaristischer Pomp aufgeprotzt. Dieser „kolossale Tempel für Tod und Freiheit in Europa“ ist Mittelpunkt des heutigen Gedenkens an die „Helden nach Maß“ von 1813, so der treffende Titel einer aktuellen Leipziger Ausstellung. 300.000 Tonnen Granitporphyr und Beton wurden für das 91 Meter hohe, furchteinflößende Monument verbaut. Architekt war der Berliner Bruno Schmitz, Bildhauer der „Toten- und Freiheitswächter“ der Deutschböhme Franz Metzner – eine pathetische Synthese von nationalistischem Symbolismus und Moderne. Metzners Vorgänger Christian Behrens entwarf den Erzengel Michael, der die Krypta bewacht, mit der Devise „Gott mit uns“. Kar(e)l Schwarzenberg wird nun im Oktober die Schirmherrschaft über die Biwaks der erwarteten 5500 „Reenactors“ aus weiten Teilen Europas übernehmen, welche die Geschichte der Völkerschlacht neu inszenieren.

Befreiung oder erdrückende Last der Geschichte? Auch Wien hat, wie wenig bekannt, sein Völkerschlachtdenkmal – das am 18. Oktober 1824 eingeweihte Äußere Burgtor, das zu Heldenplatz und Hofburg führt, trägt als „Heldendenkmal“ für die Toten beider Weltkriege die doppelte Bürde widerspruchsvoller Erinnerung…

DIE FURCHE, Donnerstag, 10. Oktober 2013

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