BLINDENWESEN IN ÖSTERREICH#
1906: Wie sieht es mit der Ausgestaltung der Blindenanstalten in Österreich aus. In Österreich gibt es 21 verschiedene Blindenanstalten, und zwar: 9 Unterrichtsanstalten, 1 Blindenabteilung, 1 Asyl für schulpflichtige Kinder, 9 Beschäftigungs-, Versorgungsanstalten und eine Blindenwerkstätte. Von diesen Anstalten ist 1 Staatsanstalt Wien, 2 sind Landesanstalten bei Wien. Alle anderen sind Privatanstalten und gehen der Verlängerung, der Verstaatlichung entgegen. Die meisten Anstalten hat das Kronland Niederösterreich 9. Böhmen, 2 Steiermark, 2 Mähren und Schlesien, 2 Kärnten, 1 Galizien 1.
In den Kronländern Salzburg, Tirol und Krain bestehen bereits Fürsorgevereine für Blinde, welche die Errichtung von Blindenanstalten und Blindenheime anstreben und sie auch voraussichtlich in kurzem erreichen werden. Bloß Dalmatien und die Bukowina stehen isoliert da. Nachdem aber die Bukowina durchaus nicht mit dem Kulturstab Dalmatien gemessen sein will und in vielen Dingen mit den Kulturbestrebungen des Westens der Monarchie liebäugelt, so wäre es auch hier an der Zeit den Anfang zu machen. Privatwohltätigkeit hat überall das Segenswerk begonnen und auch weiter ausgestaltet. Besonders reiche Unterstützungen haben die Sparkassen der meisten dieser Länder für diesen Zweck geleistet; ferner sind aus Testierungen, Vereinen und Stiftungen reiche Mittel dazu gekommen.
Die erste Blindenanstalt in Österreich und überhaupt in deutschen Landen – Frankreich war auch darin vorausgeeilt – wurde 1804 vom Armenbezirksdirektor Johann Wilhelm Klein in Wien gegründet. Im Jahr1808 wurde diese Anstalt, die mit 9 Kindern begonnen hatte, vom Staat als Privatschule anerkannt und subventioniert, 1816 wurde sie von Sr. Majestät dem Kaiser Franz I., zur Staatsanstalt erhoben, den staatlichen Behörden unter geordnet und aus Staatsmitteln erhalten. Später wurde ein eigener Hausfond gegründet. Dieser Anstalt wurde bald ein Versorgungsheim, eine Werkstätte, eine eigene Druckerei für Blinde und eine bis auf den heutigen Tag größte Blindenbibliothek eingegliedert. Die Bibliothek zählt 8000 Bände. Die später gegründete Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für Blinde verdankt ebenfalls ihre Entstehung dem Blindenvater Klein. In dieser Anstalt wird auch der Musik eine hervorragende Stelle eingeräumt; ferner den manuellen Erzeugnissen wie Bürsten, Korbwaren, Rohrsessel und Strohgeflechte.
Im Jahr 1874 wurde ebenfalls in Wien von Dr. Ludwig Frankl das Israel. Blindeninstitut gegründet, welchem später Baron Königswarter ein eingerichtetes Gebäude samt Garten widmete. In dieser Anstalt wird sowohl der Volkschulunterricht, als auch gewerbliche Arbeiten gepflegt. Das Blindenhaus an der städtischen Volksschule wurde im Jahr 1884 gegründet. Durch den Verein der Kinder und Jugendfreunde wurde das Asyl für vorschulpflichtige Kinder eröffnet. Hier werden den Kindern die Wohltat der Fröbl Spiele zuteil und verschiedene kleine Arbeiten in Pappe und Modellieren verfertigt. Außerdem gibt es in Wien und Umgebung Blindenheime, Versorgungsanstalten für Erwachsene männlichen und weiblichen Geschlechtes, hervorgegangen aus Munifizenzen der Privatwohltätigkeit.
Im Jahr 1808 folgte man in Prag dem edlen Beispiel des Blindenvaters Klein und errichtete eine Erziehungs- und Heilanstalt für Blinde und augenkranke Kinder.1832 wurde eine Versorgungs- und Beschäftigungsanstalt für Blinde errichtet. Das „Tarneiser Josefinum“, Asyl für erwerbs- und bildungsunfähige Blinde in Prag, wurde anlässlich des 40 jährigen Regierungsjubiläums Sr. Majestät Franz Joseph I., von der Böhmischen Sparkasse gegründet. In Graz wirkt die bestbekannte Odilien-Blindenanstalt seit 1881, die Versorgungsanstalt für erwachsene Blinde seit dem Jahr 1891 in segensreicher Tätigkeit. Linz hat seit 1824 ein Blindeninstitut, seit 1883 eine Anstalt für weibliche und seit 1893 für männliche Blinde. Ebenso in Brünn seit 1896 das mähr,-schles. Blindeninstitut, das durch Unterstützungen von Menschenfreunden gegründet wurde und durch weitere Stiftungen ausgestaltet, das Öffentlichkeitsrecht erworben hat.
Ferner weisen Blindenanstalten, die heute den modernsten Anforderungen in jeder Hinsicht entsprechen, folgende Städte in Österreich auf: Lemberg seit 1854, Purkersdorf bei Wien seit 1873, Klagenfurt seit 1898 und Melk seit 1901. In den übrigen größeren Städten ist man an der Arbeit, Blindenanstalten und Blindenheime ins Leben zu rufen. Königin Elisabeth von Rumänien, die edle warmfühlende Fürstin, ist Schutz und Hort den Blinden ihres Landes. Außer den Schulen und Anstalten für Blinde, die sie gründete, schrieb sie Bücher für Blinde, ließ ihre reizenden Erzählungen und Märchen auf eigene Kosten in der Blindenschrift drucken. Aber dies genügt der edlen Menschenfreundin nicht, sie geht eben daran, eine Stadt für die 20.000 Binden ihres Reiches anzulegen, um ihnen das Familienleben wieder zu geben, sie den Sehenden gleich zu stellen. Vatra Luminosa, der leuchtende Herd, wird diese Heimstätte der Menschenliebe heißen.
Begründet und gestützt durch die wenn auch in gedrängter Kürze, so doch viel beweisenden Ausführungen, richten wir unseren Appell an alle warmherzigen Menschen, insbesondere an die leitenden Vorstände der Sparkassen, Banken, größeren Industrieunternehmungen und überhaupt an alle Menschenfreunde, diesem Humansten aller Werke ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Zunächst ein Vor- und Fürsorgeverein für Blinde und dann helfe Gott weiter.
_QUELLE:Freie Lehrer Zeitung,8. Dezember 1906, S 2, Bildmaterial, ANNO Österreichische Nationalbibliothek
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