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DR. EDMUND BERNATZIK#

Advokat
Dr. Edmund Bernatzik

Es ist jene Zeit, kurz nach dem Ersten Weltkrieg 1919, die an nichts so reich war wie an Verlusten. Mit Edmund Bernatzik ereilte ein neuerlicher Verlust. War er doch der Stolz und die Zierde der Wiener juristischen Fakultät, ein Lehrer und Führer der Jugend von seltener Eigenart und starker Persönlichkeit, ein Gelehrter von internationalem Ruf, ist nicht mehr.

Schon in jungen Jahren lenkte er mit seinem genialen Erstlingswerk über „Rechtsprechung und materielle Rechtskraft“ die Aufmerksamkeit auf sich. Zu dieser Zeit hatte er den Richterposten in einer kleinen niederösterreichischen Provinzstadt inne, doch der Erfolg dieser Schrift brachte in kürzester Zeit an die Baseler und schließlich an die Wiener Universität, der er als ordentlicher Professor des Staats- und Verwaltungsrechtes seit dem Jahr angehörte. Hier entfaltete er seine Lehrtätigkeit mit der er einen großen Erfolg verzeichnete. Seine geistreichen Vorlesungen gehörten zu den bestbesuchtesten Kollegien der juristischen Fakultät. Nur wenigen Lehrern gelang es, aber Bernatzik konnte durch seinen glänzenden Vortrag die Aufmerksamkeit der Studenten ständig fesseln. Aber nicht nur im großen Kolleg, auch im kleinen, der wissenschaftlichen Arbeit im engsten Sinn bestimmten Seminar war es Edmund Bernatzik gegeben, Besonderes zu wirken. Seine impulsive Art, die kritische Kraft seines Geistes, vor allem das Problematische der Staatsrechtswissenschaft anzog, hatte etwas ungemein Anregendes. Und so ist eine Reihe von jüngeren Gelehrten und praktischen Juristen unmittelbar aus seiner Schule hervorgegangen. Solange der Krieg noch nicht störend in den wissenschaftlichen Betrieb der Universität eingriff, gehörte Bernatziks Seminar zu dem Besten, was unsere Fakultät zu bieten vermochte. Es war ein Sammelpunkt, an dem hervorragende Praktiker mit jüngeren Theoretikern des In- und Auslandes in regsten Gedankenaustausch standen.

Von den zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten, die der Verstorbene nach seinem bereits erwähnten Buch veröffentlicht hat, sind fast alle von nachhaltigem Einfluss auf die Literatur gewesen; so insbesondere seine in ihrem kritischen Teil geradezu klassische Abhandlung über die juristische Persönlichkeit der Behörden, seine berühmten, unter dem Titel „Republik und Monarchie“ erschienenen Untersuchungen über die Staatsformen, seine vielzitierten, glänzend geschriebenen Essays über Anarchismus und Proportionalwahlrecht, in Schmollers Jahrbüchern, seine für die Theorie des Nationalitätenrechtes grundlegende Rektoratsrede „Über nationale Matriken“. Vor allem aber verdient sein bedeutendes, unter der bescheidenen Bezeichnung einer Ausgabe der österreichischen Verfassungsgesetz in großen Auflagen verbreitetes Werk, das in Wahrheit eine kritische Darstellung der Geschichte und des Systems der österreichischen Verfassung ist, dankbarste Anerkennung. Es hat den Studenten als Lehrbuch, es hat Praktikern und Theoretikern als Nachschlagewerk unschätzbare Dienste geleistet. An der Eigenart der österreichischen Verfassung, , an dem Problematischen und Fragmentarischen ihrer Struktur ist sein scharfer Geist so recht zur Geltung gekommen, hat sich seine lebendige und lebenspendende Kritik immer wieder entzündet.

Über seine Tätigkeit als Lehrer und Schriftsteller darf nicht die umfassende Wirksamkeit vergessen werden, die er als Richter am Reichsgericht und nachmals am Verfassungsgerichtshof als Mitglied der ehemaligen Verwaltungsreformkommission und als Gutachter in zahlreichen, zum Teil gar nicht publizierten Druckschriften entfaltet hat.

Ein Leben reich an Arbeit! Und doch würde man sich von dem Reichtum des Lebens nur ein unzulängliches Bild machen. Wollte man nur Rechtswissenschaft und Rechtspraxis darin suchen. Nicht der kleinste Teil dieses Lebens war wahrhaft erfüllt von edelster Kunst. Wer Edmund Bernatzik Wesen ganz erfassen will, muss die tiefe Liebe dieses Mannes zur Musik gekannt haben. Und nur wer diese der Öffentlichkeit zugekehrte Seite seines Charakters kennt und alles, was an Kräften seines Gemütes damit zusammenhängt, kann dieser seltenen Persönlichkeit gerecht werden. Man hat ihn oft einen zu scharfen Kritiker genannt und manchem Studenten war er wegen seines sarkastischen Witzes ein gefürchteter Prüfer. Und doch war dieser vom Geist getragene und überlegene Spötter tief innerlich ein gütiger und wohlwollender Mensch, frei von persönlicher Eitelkeit, innerlich und äußerlich ein wahrhaft freier und aufrechter Mann.

Um 1900 war man in der Frauenfrage um einen bedeutenden Schritt vorwärts gekommen. Der bekannte Staatsgelehrte Prof. Dr. Edmund Bernatzik hatte sich für die Zulassung der Frauen zum Rechtsstudium ausgesprochen und an die Unterrichtsverwaltung ein Gesuch gerichtet.

Gleichzeitig erscheint eine Broschüre, deren Erfolg gewiss ist, und Anlass zu Diskussionen über die Gleichberechtigung von Mann und Frau und über den Emanzipationskrieg geben wird.

Die Broschüre wird den Wortlaut eines Gutachtens enthalten, welches im Auftrag der genannten Fakultät Prof. Bernatzik erstattet hat. Das Gutachten spricht sich mit aller Entschiedenheit für die Zulassung der Frauen nicht nur zu den ordentlichen juristischen Studien, sondern auch für deren Zulassung zu den Staatsprüfungen und Rigorosen aus. Das Gutachten entwickelt treffliche Gesichtspunkte. Bernatzik ist der Meinung. Dass eine Summe von Amtsstellen für Frauen sehr geeignet wären, wie bei der Post, beim Staatsdienst, oder in der Gemeinde.

Der Grund warum er sich so sehr für die Frauen einsetzte, weil eine seiner Töchter, eine bekannte Frauenrechtlerin und die zweite betätigt sich auf dem kunstgewerblichem Gebiet.

Das Unterrichtsministerium ist bereits im Besitz eins Auftrages des Professorenkollegiums der medizinischen Fakultät der Wiener Universität, welche gleichfalls die Zulassung von Frauen zum Studium der Medizin wünscht.

Der Kaiser hat in Würdigung hervorragender Verdienste zm die Errichtung der Heilanstalt in Alland der Kaufmannswitwe Johanna Holly in Wien den Elisabethorden zweiter Klasse und der Fabrikantensgattin Emma Suppancic in Wien das goldene Verdienstkreuz verliehen.

Der Unter-Vorsteherin des Hernalser Offizierstöchter-Erziehungsinstitutes, Fräulein Dr. med. Georgine von Roth wurde die kaiserliche Bewilligung zur Ausübung hilfsärztlicher Verrichtungen erteilt. Dr. Roth ist die zweite Ärztin in Wien, die erste ist bekanntlich die Baronesse Dr. med. Gabriele von Possanner.

Der Kaiser hat gestattet, dass der Leiterin der Fachschule für Kunststickerei in Wien, Therese Mirani, anlässlich ihres Austrittes aus dem Staatsdienst für ihre vieljährige, sehr ersprießliche Dienstleistung die allerhöchste Anerkennung bekannt gegeben werde, und war auch als Modeschriftstellerin tätig.

Auch die Wiener Zeitung widmet dem Verstorbenen einen würdigen Nachruf. „... im 65. Lebensjahr an einem Herzschlag in seiner Wohnung im 19. Wiener Bezirk Döbling, in der Springsiedelgasse 28, verschieden. Er wurde am 28. September 1854 geboren, stammte aus einer angesehenen niederösterreichischen Advokatenfamilie. Im Verein mit seinem Bruder, dem vor mehreren Jahren verstorbenen Maler Willi Bernatzik, erfreute er sich einer sorgfältigen, harmonischen Ausbildung. Der junge Jurist machte nach Erlangung des Doktorats einige Lehrjahre in der richterlichen Laufbahn durch, dann war er ins Theresianum berufen, 1885 habilitiere sich Bernatzik an der Wiener Universität, doch bald übersiedelte er nach Innsbruck, wo er den ehrenden Ruf als o. Professor nach Basel erhielt. Inzwischen hatte Edmund Bernatzik im Jahr 1886 die Tochter Josefine des hessischen Arztes Dr. Tourelle geheiratet und wurden glücklich Eltern von drei Söhnen und zwei Töchter.

Von der Schweizer Hochschule holte ihn dann Österreich nach Graz zurück, dort erfolgte nach kurzer Zeit die Ernennung für Wien, In wenigen Jahren hatte der Gelehrte sich einen bedeutenden Namen in der Rechtswissenschaft zu erringen gewusst. Allseitig wurde das umfassende Wissen, das die gesamte Disziplin und die ihr verwandten Gebiete sicher beherrschte, anerkannt, in den Studien über „Rechtsprechung und materielle Rechtskraft“ u. .a. kam eine scharf ausgeprägte kritische Energie zum Ausdruck und eine früh erlangte Meisterschaft in der Interpretation der Gesetzestexte. Wiederholt erregte seine streng sachliche, scharfsinnige Beurteilung staatsrechtlicher Fragen des Tages in weiten Kreisen Aufsehen,

Bernatzik war ein Musikenthusiast und pilgerte einst mit seinem Bruder zu Fuß nach Beyreuth zu den Wagner Aufführungen und liebte bis zum Schluss die Kammermusik.

QUELLEN: Wiener Salonblatt 5. April 1919, S 5, Der Neue Tag, 1. April 1919, S 4, Allg. Österr. Gerichtszeitung 15. Juli 1899 , S 7, Wiener Bilder 6. April 1919, S 4, Bild, Wiener Zeitung, 31. März 1919, S 5, Frauen Werk 1900 H 5, S 2, ANNO Österreichische Nationalbibliothek

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