HOHER BESUCH#
Kaiserin Elisabeth, die sich wie jedes Jahr auch 1885 in Ischl aufhielt, unternahm von dort zahlreiche Ausflüge nach Aussee, bestieg die Hohe Schrott, oder den Loser, wanderte zum Grundlsee und Toplitzsee. Doch in diesem Jahr besuchte sie ein Gebiet das sie noch nicht kannte: Radmer.
Im kaiserlichen Jagdschloss zu Radmer in der Steiermark werden gegenwärtig Vorbereitungen für den Empfang und achttägigen Aufenthalt der Kaiserin, welche zum ersten mal dieses wildromantische, echten Hochgebirgs-Charakter tragende Tal besuchen wird, getroffen.
Das auf einer leichten Anhöhe liegende Schlösschen bietet einen wunderbaren Ausblick auf die mächtigen Berge des Stubentales, während als Hintergrund die imposante Spitze des Lugauer in die Lüfte strebt. Das einfach, aber mit künstlerischem Geschmack eingerichtete Jagd-Asyl des kaiserlichen Jagdherrn wird nun für die Kaiserin, und die Erzherzogin Marie Valerie hergerichtet. Speziell für die Kaiserin wird ein Studier-, ein Schlafzimmer und ein Salon vorbereitet, sowie der hübsche Speisesaal mit der großen Altane wesentliche Änderungen erfährt. In einem kleinen Gemach bemerkt man unter Glassturz die Reiterfigur des Kaisers aus Zirbenholz, kunstvoll geschnitzt, und gegenüber, gleichfalls ein Meisterstück, als Pendant das Abbild der Kaiserin, die im Fluge dahin zu galoppieren scheint. Ihr zur Seite ist der Lieblingshund der erlauchten Reiterin, ebenfalls aus Holz zierlich und Porträt getreu geschnitten. Eine Zeichnung von August Gerasch stellt den kaiserlichen Schützen auf der Auerhahnjagd, lauernd, dar. Im Schlafzimmer gibt es eine hübschen Stich nach Millaid. Auf einem anderen Stahlstich sieht man ein Mädchen Hunde füttern und nennt sich Charity. Tierstücke nach Landseer, Wilhelm Kaulbach Goethe auf dem Eis und Szene aus der Walpurgisnacht schmücken hier noch die Tapeten.
Von dem geräumigen Speisesaal, den zwei prächtige weiße Marmorkamine zieren, gelangt man auf die große Altane, von der es einen ungemein malerischen Ausblick über das Tal auf die gegenüber aufsteigende Wand des Hochkogels und nach rechts hin, zur hochliegenden zweitürmigen Kirche.
Auf einer kleinen Bücher Etagére im Speisesalon finden wir auch einige belletristische Werke, darunter Hackländer, die Lieblingswerke des Kaisers, Max Schlögel, einige Bände des Novellenschatz, alte Jahrgänge der Pariser Illustration und andere....
Von dem Vertreter einer Wiener Telegrafenbau-Anstalt werden rasch elektrische Signalleitungen in allen Wohnräumen installiert, ein Hoftapezierer ist mit seinen Gehilfen vollauf beschäftigt, die notwendigen Arbeiten herzustellen, und im Jägerhaus hat bereits der amtierende Telegrafenbeamte seinen Platz eingenommen, welcher den telegrafischen Korrespondenzdienst mit der Wiener Hofburg besorgt. Zu diesem Behufe wurde die Staats-Telegrafen-Leitung von der Eisenbahn-Station Radmer herein ins Tal einer Renovierung und Instandsetzung unterzogen und auch diese Fahrstraße, sowie alle in der Umgebung unseres Alpenortes liegenden Straßen sorgfältig verbessert. Die Kaiserin, welche auch einen Teil ihres Marstalles mitbringt, wird Ausflüge nach dem zwei Stunden entfernten Radmer an der Hasel, in die Talengen gegen Gstatterboden und selbst vielleicht nach Eisenerz unternehmen. Auch ist eine touristische Partie auf die 2205 Meter hohen Alm des Lugauer in Aussicht genommen, an welcher auch die Erzherzogin teilnehmen werde.
Das einstöckige Jagdschloss wurde in den Jahren 1872 bis 1873 von Hofbaumeister Anton Ritter von Ölzelt errichtet. Dazu gehört noch ein 20.000 Hektar großer Waldbesitz.
ANKUNFT
Radmer 9. September 1885: Nachdem wir gestern den ganzen Tag über ein echtes Gebirg Regenwetter hatten, die Regenwolken bis tief ins Tal herab hingen und die Bäche wie toll von den Bergen herabsausten, gestaltete sich die Witterung seit heute Morgens glücklicherweise günstiger. Für 12 Uhr 20 war die Ankunft des Hofzuges, der die Kaiserin und Erzherzogin Marie Valerie von Ischl bringen sollte, in der Station Radmer, in welcher ein Wartesalon improvisiert war, angesagt. Schon in den späten Vormittagsstunden hatten sich außerhalb der kleinen Bahnstation nahe an hundert Personen von Hieflau und Eisenerz zumeist Sommergäste, eingefunden, welche die Monarchin begrüßen wollten.
Pünktlich zur festgesetzten Zeit fuhr der aus sieben Waggons und dem Hof Salonwagen der Kaiserin als letztem Waggon bestehende Zug in die Station Radmer ein. Von den leisen weg, führten breite Teppiche bis auf die Hieflau-Eisenerzer Straße, welche hinter dem Stationsgebäude vorüberzieht. Als Erster stand Hofrat Klaudy an der Waggon Treppe, welcher kurzen Rapport über die Fahrt erstattete. Nachdem die hohe Frau, deren vortreffliches Aussehen alle erfreute, einige freundliche Worte an den genannten Leiter der Hofzüge gerichtet hatte, schritt dieselbe, an ihrer Seite Erzherzogin Marie Valerie, langsam über den Station Platz und dem aus Wien eingetroffenen Hofwagen, einem Landauer, zu.
Nach allen Seiten hin mit gewinnender Liebenswürdigkeit grüßend, bestieg die Kaiserin welche einen lichtgrauen, knapp anliegenden Reisepaletot und ein kleines Hütchen trug, das Gefährt, welches ein Privatkutscher aus Eisenerz lenkte, der bei den Hofjagden im Radmer Gebiete auch stets den Monarchen fährt. Zur Linken der hohen Frau nahm die Erzherzogin Platz, welche, wie die Kaiserin, ein wenig gebräunt, aber sonst ausgezeichnet aussieht. Im Gefolge der Kaiserin befinden sich nur die Hofdame Gräfin Kornis, Leibarzt Dr. Widerhofer, die Zither Lehrerin der Erzherzogin.Dem kaiserlichen Wagen folgten acht Mietwagen, die teils aus Eisenerz, teils aus Hieflau beigestellt wurden. Da telegrafisch ein Wunsch der Kaiserin eingelangt war, es möge keinerlei offizieller Empfang stattfinden, so erschien der anwesende k. k. Bezirkshauptmann aus Leoben nur in Salon Kleidung. Unter dem nicht allzu zahlreichen Gepäck bemerkte man auch zwei schwarze Leder.Etuis welche die Kindl Zither der hohen Frau und Marie Valerie enthielten.
Bald nach der Ankunft besuchte Ihre Majestät allein den Kirchenbühel und ließ sich die alte Pfarr- und Wallfahrtskirche, welche Kaiser Ferdinand der Katholische zur Zeit der Religionswirren erbauen ließ, aufschließen. Die hohe Dame besichtigte die hübschen gut erhaltenen Fresken der reich ornamentierten Stukkaturdecke und spendete denselben wie dem interessanten Bau selbst wiederholt Beifall.
Einen jungen Studenten aus Graz, der gegenwärtig im Pfarrhof seine Ferien verbringt, wurde die Ehre zuteil der Kaiserin welche der kühlen Kirchenluft wegen sich mit ihrer Jacke zu bekleiden wünschte, hierbei behilflich sein zu dürfen.
,Am Parktor wurde ein Wächter Haus aufgestellt, doch hat die Kaiserin jede andere Bewachung abgelehnt und ausdrücklich für diesen Dienst einen Burschen aus der Ortschaft gewünscht, der bereits seinen Vertrauensposten einnimmt.
Nach dem Diner wurde noch unter Führung des Oberjäger Mühlbacher ein Ausflug auf die Lichtmoosalpe die einen schönen Ausblick auf den Talkessel und den Lugauer gewährt, unternommen.
Die Elisabethruhe und der Elisabethsteig erinnern noch an den hohen Besuch auf der Lichtmoosalpe.
AUSFLÜGE
Am 11. September unternahmen die Kaiserin mit ihrer Tochter ohne jede Begleitung per Wagen einen Ausflug nach Eisenerz und besichtigten dort den altehrwürdigen Schichtturm ein ungemein interessantes Bauwerk, und die 1581 von Martin Hilger aus Freiburg gegossene und von Erzherzog Karl II., „denen von Eisenerz aus Gnaden“ geschenkte Glocke, welche die Bergknappen zur Schicht ruft. Außerdem wurde auch die interessante, an Stelle der von Kaiser Rudolf I., erbauten und von Kaiser Maximilian I., neu hergestellte St. Oswalds Kirche, der große Hochofen und der Erzberg in dem die Knappenschaft zahlreich „Glück auf!“ auf die hohen Besucherinnen ausbrachte, besucht. Die Rückfahrt wurde durch die wild schöne Ramsau, durch das Krumpental, über den Radmer Hals und Hinter Radmer angetreten.
Der verlässliche Meteorologe unserer Gegend, der Tamischbachturm bei Hieflau, hatte für den folgenden Tag intensive Gebirgsregen angesetzt und so konnte die Partie über das großartige Gstatterboden hinein nach Johnsbach, wohl die prächtigste Felsenszenerie des ganzen Oberlandes, erst am Sonntag ausgeführt werden.
Nachdem sie der Sonntagsmesse in der Pfarrkirche St. Anton von Padua beigewohnt haben, brach man nach Johnsbach auf, und zwar in der Weise, dass die Strecke nach Hieflau und durch das Gesäuse, dessen großartige Wildromantik Ihrer Majestät sehr ansprach, bis zum gräflich Festetics Jagdhaus in Johnsbach im Wagen, von da ab aber die weitere Tour über die Neuburg Alpe, zu Fuß zurückgelegt wurde. Das Mittag Mahl wurde auf einer Alpe eingenommen.
Ihre Majestät die Kaiserin wie die Erzherzogin waren auch von diesen Ausflug hoch befriedigt und geruhten zu mehreren Malen Ihren Gefühlen beim Anblick der herrlichen Gebirgswelt beredten Ausdruck zu verleihen.
Am 14. September verbreitetet sich zu früher Morgenstunde in Eisenerz das Gerücht, Ihre Majestät die Kaiserin werde die Frauenmauerhöhle besichtigen. Diese, eine der interessantesten Höhlenbildungen in den nördlichen Kalkalpen, ist ein natürlicher Tunnel in dem 1769.6 Meter hohen, nordwestlich von Eisenerz liegenden Karl Kogel dessen steile Felsenwände den Namen Frauenmauer führen.
FRAUENMAUERHÖHLE
Das Gerücht von dem beabsichtigten Besuche der Frauenmauer Höhle fand bald seine Bestätigung, denn um 9 Uhr Vormittags fuhren Ihre Majestät die Kaiserin und ihre Tochter Marie Valerie begleitet von Frau Kornis, den Hofrat Dr. von Widerhofer und Hofjagddiener Pittarsch durch Eisenerz und weiter auf der durch die Ortschaft Trofeng sich ziehenden Vordernberger Straße und durch das pittoreske Gsölltal an Kohlenmeilern und stillen Holzknecht Hütten vorbei zu der am Fuße des Neuwaldeck liegenden Gsöllalpen Hütte.
Die Fahrt durch das Gsölltal keineswegs eine beschwerliche bietet den Naturfreunden einen willkommenen Genuss, wie einen solchen überhaupt ein stilles, von steilen Felsbergen umschlossenes Alpental mit seinen grünenden Wiesen unf harzig duftenden Nadelwälder zu bieten vermag. Das Tal selbst erweitert sich hier zu einem Halbkreis, hinter der Hütte zur Linken erhebt sich kühn die Frauenmauer..
Als Ihre Majestät und die Erzherzogin um 10 Uhr bei der Hütte anlangten standen davor schon die zur Führung der erlauchten Touristen bestimmten Personen: der Oberjäger Mühlbacher, die Jäger Mayer und Feichtinger und der mit der Frauenmauer Höhle bestens vertraute Bergarbeiter Landbrucker. Auch ein weibliches Wesen kam aus der Hütte und begrüßte schüchtern die Kaiserin.
Aus den Wagen gestiegen blickten die beiden Frauen mit Wohlgefallen auf die schöne Alpengegend, deren großartige Natur, mit der feierlichen Sabbat Stille harmonisierend, ihren tiefen Eindruck auf die empfänglichen Gemüter der beiden fürstlichen Frauen zu machen nicht verfehlt.Hierauf begaben sich Ihre Majestät und die Erzherzogin in die Schwaighütte, besichtigten alle Räume derselben und ließen sich dann in der links vom Eingang gelegenen Stube auf den hölzernen Stühlen nieder und schöpften aus den hölzernen Rainen süße und saure Milch, welche ihnen vortrefflich mundete.
Sodann wurde zum Aufstieg gerüstet. Die Führer erfassten die Fackeln und Laternen, deren man in der Höhle benötigte. In drei Viertelstunden wurde der Weg von der Alpenhütte zum Eingang in die Höhle zurückgelegt, und bot der Aufstieg in Serpentinen zwischen den Felsblöcken, Krummholz und anderem Gestrüppe keinerlei besondere Schwierigkeiten, nur die stellenweise ein wenig beschädigten Staffeln der auf der letzten Strecke des Aufstieges notwendig gewordenen mit Geländer versehenen primitiven Holztreppen mahnten zu einiger Vorsicht.
Am Eingang der Höhle, der hier ein starker Luftzug entströmt, wurde Halt gemacht. Die erlauchten Damen hüllten sich in schützende Tücher und nahmen dann eine Erfrischung, bestehend aus Obst, Wein und Backwerk zu sich, wobei Selbe mit Entzücken die zu den Füßen ausgebreitete liebliche Alpenlandschaft betrachteten. Währenddessen trafen die Führer notwendige Vorkehrungen. Die Frauenmauerhöhe war nicht jedermanns Sache. Und von diesem Standpunkte aus muss der Besuch der beiden hohen Damen als eine besondere Leistung, als ein Ereignis betrachtet werden, das bestimmt Aufsehen erregen wird.
Die erste und wichtigste Sehenswürdigkeit in der Frauenmauer Höhle ist der Eissaal mit seinen spindelförmigen, von der Decke bis zum Boden herab reichende Eissäulen, seinen reichen, im Fluss erstarrten, aus allen Spalten und Höhlungen sich hervor drängenden Kaskaden, ist im Hochsommer um so interessanter.
Die übrigen hervorragenden Teile der Höhle sind die sogenannte Kirche, die Kanzel, die Klamm und dann noch die Kreuzhalle, wohl der großartigste und überraschendste Teil der ganzen Höhle .
Wann die Frauenmauer Höhle entdeckt worden war, darüber fehlen sichere Angaben. Doch muss sie Anfang des 17. Jahrhunderts sein, denn es gibt in der Höhe eine Jahreszahl 1605 N. B. Weitere Jahreszahlen 1823 und 1824 lassen vermuten, dass es sich um die Wiederauffindung und nähere Erforschung des Schichtmeister Rudolph Hirsch beziehen. Da es in der Höhle sehr kühl war, drängte Dr. Widerhofer auf eine rasche Durchwanderung da er sich um die Gesundheit Ihrer Majestät sorgte. So wurde sie in drei Viertelstunden durchwandert.
Am Ausgang derselben erwartete die erlauchten Damen der prächtige Ausblick auf das ebene Tragösser Tal und auf die imposanten Gebirge des ausgedehnten Hochschwab Gebietes. Nachdem sie die herrliche Aussicht genossen hatten wurde der Abstieg übers Neuwaldeck ausgeführt und kamen wieder zur Schwaig Hütte wohlbehalten an um das Mittag Mahl einzunehmen Die Führer wurden reich beschenkt entlassen.
Die Kaiserin äußerte sich noch mehrmals über die schöne Gegend und Erlebnis der Frauenmauerhöhle.
Am 16. September fuhr man ab 10 Uhr nach Eisenerz um den Kammerhof der zum Jagdschloss umfunktioniert worden war zu besichtigen und zwar die Gemächer Seiner Majestät und Rudolf und anderen Gästen.
Man bewunderte die herrliche, mit kunstreichem Zirbenholzgetäfel und prächtigen, aus amerikanischem Wacholderholz geschnitzten Kredenzen geschmückte Speisesaal und das in ähnlicher Weise ausgestattete Billardzimmer, dessen eine Tür in gefärbten Gläsern den österreichischen Reichsadler und rund um denselben die Wappen der verschiedenen Provinzen der Monarchie, zu effektvoller Geltung bringend, zeigt, die in diesem letzten enthaltenen prächtigen Kreidezeichnungen Pausingers so wie die in den übrigen Gemächern befindlichen Gemälde wurden von den Besucherinnen mit Interesse betrachtet.
Der Kammerhof ist ein altes massives Gebäude, zwei Stockwerke hoch und mit einem turmartigen Vorsprung in der Mitte der straßenseitigen Front. Der Name scheint schon in den Urkunden des 16. Jahrhunderts auf , und wurde das Haus als der Sitz eines kaiserlichen Amtes bezeichnet. Auf dem Matth. Merian Längsbild des Marktes Eisenerz und des Erzberges vom Jahr 1620 erscheint der Kammerhof ziemlich derselben bekannten Gestalt. Im 17. und 18. Jahrhundert war der Kammerhof Sitz der k. k. Kammer- und Oberkammergrafen, sodann der Sitz der steirischen Eisenwerke Direktion; nach Verkauf der Innerberger Gewerkschaft an die gleichnamige Aktiengesellschaft im Jahr 1868 wurde nebst der Jagdgerechtigkeit auch die Benützung des Kammerhofes als Absteigequartier von Sr. Majestät vorbehalten, 1879 aber käuflich erworben, und wurden seither in und an demselben vielfache Restaurierungen vorgenommen wie auch eine angemessenere Ausstattung der Gemächer durchgeführt. Der Kammerhof war immer schon Absteigequartier von Österreichs Herrschern gewesen.
Anschließend lustwandelten die Herrschaften auf dem Torffelde im Schatten alter Kastanienbäume und unterwarfen die zufällig offene Schießstätte, die in ihrem Innern zahlreiche Scheiben, darunter solche aus dem 16. und 17. Jahrhundert.
Hierauf wurde die Partie über die hohe Pressen und von dieser abermals zum herrlichen Leopoldsteiner See fortgesetzt. Ihre Majestät und die Erzherzogin waren von dieser angenehmen, nur kurzen Strecke bergan und zumeist durch schattigen Waldes Grund führenden Tour hoch befriedigt und weideten sich mit sichtlicher Freude an dem Ausblick in die malerische Seeau und die prächtige Seelandschaft. Von der Terrasse nächst dem Seewirtshaus überblickten die hohen Frauen den in majestätischer Ruhe sich ausbreitenden Malachit farbigen Spiegel des Leopoldsteiner Sees, in dessen Fluten die Strahlen der Sonne ein wunderschönes Spiel trieben. Die Blicke schweiften über die steilen, fast senkrecht aus dem See emporsteigenden Felswände der Seemauernund bilden hoch oben auf einer allen Eisenerzern wohlbekannten und auch den hierher pilgernden Touristen mit Vorliebe gezeigten Stelle, der sogenannten Kaiserbuche, haften. Hier hatte der Kaiser bei Treibjagden seinen Standplatz.
Über zwei Stunden verblieben Ihre Majestät die Kaiserin und Marie Valerie auf der Terrasse, nahmen das im Seehaus bereitete Mittag Mahl ein und wandelten dann eine geraume Zeit neben dem See dahin. Dann verfügten sich die beiden Damen in das früher der Fürstin von und zu Liechtenstein gehörige Schweizerhäuschen, von dessen Altane aus man den schönsten Ausblick auf den Leopoldsteiner See und dessen erbaute prächtiger Umgebung genießt und begaben sich sodann in das nahe gelegene der Prinzessin Arnulph von Bayern gehörige, ursprünglich im Jahr 1666 von Kardinal Neidhart erbaute und zuletzt 1882 umgebaute und restaurierte Sommer Schlösschen Leopoldstein. Unter Führung des Verwalters durften die Herrschaften das Gebäude mit seinen Kunstwerken, die Kapelle besichtigen. Dann trat man die Rückfahrt nach Radmer an.
Der Aufenthalt in Radmer war für 8 Tage anberaumt, doch den Damen gefiel es hier so gut, das Wetter gleichfalls wunderschön, darum konnte sie sich von dieser herrlichen Gegend nicht so rasch trennen und sie blieben länger.
BUCHSTEIN
Am 18. September in sehr früher Morgenstunde unternahm Ihre Majestät einen größeren Ausflug, und zwar auf den großen Buchstein mit einer Höhe von 2224 Meter. Die Kaiserin fuhr in Begleitung des Arztes und des Oberjägers Mühlbacher mittelst Wagen nach Hieflau und von dort mit der Bahn nach Weißenbach. Die Fahrt entlang der wild rauschenden Enns. Dann wieder mit dem Wagen über Spitzenberg und durch den Ort St. Gallen und weiter auf der nach Admont führenden Straße, längs des Buchau Bache aufwärts bis zur Stelle, von der aus der Aufstieg unternommen wurde. Leider lagerte über der Gegend noch dichter Nebel, so dass die Kaiserin von den schönen, mit den netten Häusern des Ortes und den Ruinen der gewaltigen, vom Admonter Abt Heinrich II., dem Landschreiber und später Landeshauptmann Kaiser Rudolfs I., in Steyer, erbauten Feste Gallenstein geschmückten und im Hintergrund von den kahlen Bergriesen Tamischbachturm, großer und kleiner Buchstein, Sparafeld, Reichenstein usw. überragten St. Galler Tal keinen besonders günstigen Anblick erlangen konnte.
Gegen 7 Uhr früh wurde mit der Ersteigung des großen Buchstein begonnen. Da die Kaiserin eine ausgezeichnete und ausdauernde Bergsteigerin ist, so wurde der Aufstieg bis zur Admonter Pyramide in wenigen Stunden ausgeführt. Eine prächtige Aussicht lohnte de Mühen dieser Bergpartie, und betrachtete die erlauchte Herrscherin lange mit stillem Entzücken das herrliche Panorama.
Gustav Jäger schreibt: „Der großen Majorität von Naturfreunden fehlt es an Zeit, Kraft und dem Verlangen überhaupt, unter meist sehr weit entfernten und unwegsamen Hochspitzen zu bezwingen, und ihre vielleicht nicht ungerechtfertigten Wünsche gipfeln sich vielmehr im Vollgenuss einer wahrhaft schönen Rundschau, nämlich der deutlichen Unterscheidung der Formen und Farben; solchen Naturfreunden nun empfehlen wir den großen Buchstein, dessen Besteigung mit wenig Anstrengung, geringen Zeitverbrauch und vollkommener Gefahrlosigkeit ausführbar ist und der durch seine günstige Stellung bei nicht unbedeutender Elevation über eine durch Schönheit und Großartigkeit gleich ausgezeichnete Fernsicht gebietet, die Sinn und Herz erfreut“.
Nur ungern wird sich die Kaiserin von diesem herrlichen Naturschauspiel getrennt haben, doch der Abstieg nahte. Nach einer kurzen Rast in der Fürstalm ging es weiter abwärts bis zur Buchauer Straße und auf dieser dann zu Wagen nach der Bahnstation. Am Abend um 8 Uhr war die Kaiserin wieder in Radmer.
Am 19. September traf Erzherzogin Gisela in Hieflau ein und wurde von der Kaiserin und Marie Valerie am Bahnhof abgeholt.
Für den 21. und 22. September wurden Partien auf den hohen Lugauer und Zeiritz Kampel in Aussicht genommen.
Am 24. September wurde Abschied von Radmer genommen und die Heimfahrt angetreten.
QUELLE: Wr. Geschichtsblätter 1903 Heft 5 S 2, Wiener Zeitung, 22. Februar 1903, S 3, Illustrierte Sport Zeitung 20. Jänner 1878, S 8, ANNO Österreichische Nationalbibliothek Foto und Bildmaterial: I.Ch. Graupp
Hinweis: Beiträge zu Radmer
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