Die deutschen Technischen Hochschulen in Österreich:#
Prag, Wien, Graz, Brünn#
Werner Kuich#
Ich versuche, Ihnen ein Kapitel der deutschen Hochschulgeschichte nahezubringen, das wir alle nicht mehr persönlich erlebt haben. Meine Generation hat noch Zeitzeugen aus Prag und Brünn gekannt, die uns darüber erzählt haben.
Im Kaisertum Österreich und in der Monarchie Österreich – Ungarn gab es im wesentlichen die Technischen Hochschulen in Prag, Wien, Graz, Brünn, Lemberg, Krakau, Triest und Pest. Davon sind die ersten vier deutsche Hochschulen. Denn sie wurden in Städten mit deutscher Mehrheitsbevölkerung gegründet und in ihnen wurde in deutscher Sprache gelehrt. Doch ging der deutsche Charakter der innerböhmischen Städte, beginnend etwa im Jahre 1848 und stärker seit 1860, zunehmend verloren. Die deutschen Oberschichten wurden zur Minderheit. So waren im Jahr 1848 in Prag zwei Drittel der Bürger Deutsche. Dieser Anteil sank bis 1857 auf knapp 50%. Bis zum Beginn der 1860er Jahre hatte Prag, bis zum Ende der Monarchie Brünn einen deutschen Bürgermeister.
Österreich hat früher als die meisten europäischen Staaten Institute für den technischen Unterricht errichtet; nur Frankreich war bereits 1795 mit seiner Ecole polytechnique beispielhaft vorangegangen. In Prag wurde von den böhmischen Landständen 1806 das Polytechnicum gegründet, in Wien 1815 das k.k. polytechnische Institut, in Graz 1811 von Erzherzog Johann das Museum für Naturgeschichte, Physik, Chemie, Ökonomie und Technologie, besser als Joanneum bekannt, und in Brünn 1850 die k.k. technische Lehranstalt. Die Institute in Wien und Brünn waren also nationale, die in Prag und Graz regionale Einrichtungen. Das wirkte sich natürlich in den Budgets der Institute aus: Wien war immer wesentlich besser dotiert als Prag und Graz. Dazu kamen als spezielle Lehranstalten die 1840 von Erzherzog Johann in Vordernberg gegründete und 1849 nach Leoben übersiedelte Steiermärkisch – Ständische Montanlehranstalt in Leoben und die montanistische Lehranstalt in Pribram seit 1849.
Das Institut in Graz wurde zwar früher als in Wien gegründet. Fragen wir aber nach der ältesten Technischen Hochschule mit Lehr – und Lernfreiheit im heutigen Österreich, dann ist unzweifelhaft auf die Wiener Hochschule zu verweisen. In dem 1810 ausgearbeiteten Organisationsplan des nachmaligen Direktors Joseph Prechtl war bereits die Lehr – und Lernfreiheit verankert. Und bald wurden die Professoren des Wiener k.k. polytechnischen Instituts jenen der philosophischen Fakultät der Wiener Universität gleichgestellt; und deren Studenten erhielten dieselben Rechte wie die der Universitäten. In Graz hat der Unterricht, der bis dahin Vorträge über Physik, Chemie, Astronomie, Mineralogie, Botanik, später auch Zoologie umfaßte, erst 1825 mit der Errichtung einer Lehrkanzel für Mechanik und Maschinenlehre eine technische Ausprägung erhalten.
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erlangten nur die 1795 gegründete Ecole polytechnique in Paris, das k.k. polytechnische Institut in Wien und die im Jahr 1825 gegründete königlich polytechnische Schule in Karlsruhe weltweite Bedeutung. Während also Österreich hinsichtlich der Gründung und Gestaltung von polytechnischen Instituten Vorbildliches geleistet hat, führte die politische Entwicklung alsbald zu einem Stillstand, der für Wien am besten durch die lähmenden innenpolitischen Verhältnisse, durch eine nicht ganz geklärte und wohl überschätzte Hochverratsaffäre anfangs der 1850er Jahre und durch eine zeitweilige Uneinigkeit im Lehrkörper erklärt wird. Alle diese Umstände trübten den Glanz der damals weltberühmten Wiener Anstalt. Die vorübergehende Beschränkung der Rechte der Professorenschaft, verbunden mit der Einsetzung hoher Offiziere als Direktoren, haben darüber hinaus das auf Grund der bisherigen wissenschaftlichen Leistungen berechtigte Selbstbewußtsein geschmälert. Dadurch ging die Führungsrolle an die königlich polytechnische Schule in Karlsruhe und das 1855 gegründete Eidgenössische Polytechnikum in Zürich über. In diesen beiden Anstalten war die Reorganisation in eine durchgreifende Fachschulgliederung bereits durchgeführt worden. Mit dem Organisationsstatut für das k.k. polytechnische Institut in Wien vom Jahre 1865 wurde das nachgeholt und fünf Fachschulen etabliert: für Hochbau, Straßen – und Wasserbau, Maschinenbau und Chemie; weiters wurden Geodäsie, Berg – und Hüttenwesen und Handel und Staatswirtschaft in einer Allgemeinen Abteilung zusammengefaßt. Außerdem stellte die Funktion eines jährlich aus dem Kreis der ordentlichen Professoren zu wählenden Rektors eine teilweise Angleichung an die Universitäten dar. Erwähnenswert ist, dass das Grazer Joanneum als erste technische Lehranstalt im Jahr 1864 die Bezeichnung „Technische Hochschule“ erlangen konnte.
Um 1870 wurde durch die Umwandlung der Institute in Prag und Graz in staatliche Hochschulen eine wesentliche Vereinheitlichung der Technischen Hochschulen in Österreich erreicht und wenig später begann der Kampf der Technischen Hochschulen um die Erreichung der Gleichstellung mit den Universitäten. Im Studienjahr 1878/79 erfolgte die Einführung der 1. und 2. Staatsprüfung nach Art der juridischen Staatsprüfungen im Verordnungswege und damit eine weitere formale Gleichstellung mit den Universitäten. Offen blieb jedoch die Forderung nach einem charakteristischen Titel für die Absolventen der Technischen Hochschulen, denn mit den Staatsprüfungen waren keine besonderen Rechte verbunden. Weiters kämpften die Technischen Hochschulen seit 1880 um die Zuerkennung des Promotionsrechts. Aber erst als Kaiser Wilhelm II. den reichsdeutschen Technischen Hochschulen das Promotionsrecht zuerkannte, folgte auch Österreich diesem Beispiel am 13. April 1901 mit der Erlassung einer Rigorosenordnung für die Technischen Hochschulen. Die Zubilligung des Titels „Rector Magnificus“ und die Zuerkennung der Rektorskette im Jahre 1903 waren ein weiterer Schritt, die lang ersehnte Gleichstellung mit den Universitäten nach außen zu dokumentieren. Als dann noch im Jahre 1917 durch eine kaiserliche Verordnung der Titel „Ingenieur“ gesetzlich geschützt wurde, ist nach einem Jahrhundert verantwortungsvoller, harter und zielbewußter Arbeit die Gleichstellung der Technischen Hochschulen mit den meist um viele Jahrhunderte älteren Universitäten erreicht worden. In unserer Zeit erleben wir ähnliche Bestrebungen der Fachhochschulen um eine Gleichstellung mit den Technischen Universitäten.
Ich bin schon zu Beginn meiner Ausführungen auf den Niedergang des Deutschtums vor allem in den innerböhmischen Städten eingegangen. Das hatte natürlich auch Auswirkungen auf die deutschen technischen Institute in Böhmen und in Mähren. Im Jahre 1863 erhielt das polytechnische Institut in Prag ein neues Organisationsstatut. Von großer Bedeutung war die Bestimmung, wonach für „neue Hauptgegenstände …, um dem Bedürfniß beider im Lande wohnenden Nationalitäten Rechnung zu tragen“ je zwei ordentliche Professoren bestellt werden mußten, „ … um den Gegenstand in jeder der beiden Landessprachen zu lehren.“ Damit war das Prager Institut, an dem seit 1806 in deutscher Sprache gelesen worden war, sprachlich utraquistisch geworden. Doch dies war keine dauerhafte Lösung, denn bereits 1869 erfolgte die völlige Teilung in eine deutsche und eine böhmische Anstalt, später als k.k. Deutsche Technische Hochschule und k.k. Böhmische Technische Hochschule Prag bezeichnet. Eine ähnliche Teilung erfolgte 1882 für die 1345 gegründete Prager Universität. Schließlich wurde im Jahre 1899 auch in Brünn die Hochschule in eine k.k. Deutsche Technische Hochschule und eine k.k. Böhmische Technische Hochschule Brünn geteilt.
Die Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen wurden immer größer. Ein Höhepunkt waren die Badeni – Unruhen. Ich zitiere aus der Libertengeschichte, Band II: „Am 6. April 1897 erfuhr die Öffentlichkeit von den Erlässen des Ministerpräsidenten Badeni. Diese stellten den Gebrauch des Deutschen und des Tschechischen im Verkehr mit den Behörden in Böhmen auf eine Stufe. Außerdem mußten alle Beamten in Böhmen bis 1903 den Nachweis erbringen, beide Sprachen zu beherrschen.“
Da viele gebildete Tschechen Deutsch sprachen, aber nur eine Minderheit der gebildeten Deutschen Tschechisch, wären diese Verordnungen zu einem Arbeitsbeschaffungsprogramm für die tschechischen Referendare geworden. Es gab viel mehr tschechische Referendare als deutsche und die Deutschen hatten eine berechtigte Angst, daß dies zur Tschechisierung ihrer Städte führen würde.
„An allen deutschen Hochschulen in Österreich wurden Protestkundgebungen veranstaltet. In Prag beteiligten sich am Protest Professoren und Studenten, Liberale und Alldeutsche, Juden und Antisemiten. In Graz sangen Professoren und Studenten, hauptsächlich Mitglieder und Alte Herren der Burschenschaften, in der Innenstadt alldeutsche Lieder. In Wien, wo die geplante Veranstaltung verboten worden war, wurde diese trotzdem abgehalten. Sogar die Professoren traten aus ihrer gewohnten Zurückhaltung heraus, indem sie der Kundgebung des Professoren – Kollegiums der Prager Deutschen Universität zustimmten. In der Sitzung des Reichsrats vom 23. September 1897 beleidigte der Abgeordnete Wolf den Ministerpräsidenten Badeni, worauf dieser jenem seine Sekundanten schickte. Es kam am nächsten Tag zu einem Pistolenduell, bei dem Wolfs Kugel Badenis Vorderarm brach. Ganz Wien befand sich in einem Zustand, der den Ausbruch einer Revolution befürchten ließ. Allgemein ward diese Befürchtung am Vormittag des 28. Novembers 1897. Eine Menschenmenge, die größtenteils aus Studenten bestand, sang zu Ehren des gefangen gehaltenen Abgeordneten Wolf die Wacht am Rhein. Sie wurde von berittenen Wachleuten in rohester Weise mit Waffengewalt auseinander getrieben. Nun musste man auch höheren Orts erkennen, dass die Ordnung sich unter Fortdauer der herrschenden Zustände nicht aufrecht erhalten lasse, das Kabinett Badeni fiel an diesem 28. November und die Sprachverordnungen wurden außer Kraft gesetzt . Dass die Wiener Studentenschaft durch ihr mutiges Beispiel einen Hauptanteil an diesem Umsturz genommen hat, ist ihr von Freund und Feind zuerkannt worden. Dasselbe Ereignis war in Prag Ausgangspunkt neuer viel ernsterer Unruhen. Durch Absingen der Wacht am Rhein innerhalb des Carolinums feierten die Prager deutschen Studenten diesen Sieg der Deutschen. Die Prager Straßenkrawalle, die Überfälle auf Coleurstudenten, endlich das Farbenverbot sind bekanntgeworden.“ (Zitat Ende)
Die Nationalitätenkämpfe zogen sich bis zum Ende der Monarchie hin. Als dann die Tschechen 1919 die Macht im neuen Staat Tschechoslowakei übernahmen, begann die Benachteiligung und Unterdrückung der Deutschen. Auch die deutschen Hochschulen wurden gegenüber den tschechischen benachteiligt, nämlich in der Schaffung neuer Lehrkanzeln, der Berufung neuer Professoren und der Zuteilung finanzieller Mittel.
Am 15. März 1939 besetzte Hitler Böhmen und Mähren, machte daraus das Protektorat und verwandelte die Slowakei in einen selbstständigen Staat unter deutschem „Schutz“. Am 15. August 1939 wurde im Reichsgesetzblatt die Verordnung zur „Überführung der deutschen Hochschulen im Protektorat Böhmen – Mähren in die Verwaltung des Reiches“ veröffentlicht.
Am 11. November 1939 erlag ein tschechischer Student seinen bei einer studentischen Straßendemonstration erlittenen Verletzungen. Bei der Überführung der Leiche kam es erneut zu schweren Studentendemonstrationen, viele hundert Studenten wurden verhaftet und später zum Teil in Konzentrationslager gebracht. Hitler befahl die Erschießung von neun Rädelsführern und ordnete mit Wirkung vom 17. November 1939 die auf drei Jahre begrenzte Schließung aller tschechischen Hochschulen an, eine Frist, die später aber nicht eingehalten wurde. Betroffen nahmen die Prager Deutschen das Vorgehen der deutschen Behörden zur Kenntnis, das als unüberlegt und unverhältnismäßig angesehen wurde.
Mit dem Jahr 1945 endet die Geschichte der deutschen Hochschulen auf dem Gebiet des alten Österreich: In Böhmen und Mähren wurden die deutschen Hochschulen rückwirkend mit dem 17. November 1939, dem Tag der Schließung der tschechischen Hochschulen, unter teilweise grässlichen Begleiterscheinungen aufgelöst; und in Österreich wurden sie von offizieller Seite ab nun als deutschsprachige Hochschulen weitergeführt.
Literatur#
- Joseph Johann Boehm: Die Deutsche Technische Hochschule in Prag und ihre Vorstufen. Zweieinviertel Jahrhunderte akademische deutsche Ingenieursausbildung (1718 – 1945). Abhandlung der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste, 1991.
- Peter Glotz: Die Vertreibung – Böhmen als Lehrstück. Ullstein, 2003.
- Gerhard von Lobmeyer – Hertl, Hermann Thurner: Libertas – Geschichte einer Wiener Burschenschaft, Band II 1879 -1938, Selbstverlag.
- Rudolf Wurzer: Die Stellung der Technischen Hochschule Wien im Ablauf ihrer Geschichte. In: H. Sequenz (Herausgeber): 150 Jahre Technische Hochschule in Wien 1815 – 1965, Band 2, Geschichte und Ausstrahlungen. Springer, 1965.