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„Der Sinn und Zweck ist Selbstveredelung“ #

Vor 300 Jahren wurde die moderne Freimaurerei gegründet. Was treibt Menschen heute in diese diskrete Bruderschaft? Ein Gespräch über „Deckung“, Macht, Rituale, Religion und Frauenlosigkeit. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 6. Juli 2017).

Das Gespräch führte

Doris Helmberger


Freimaurer-Symbol
Freimaurer-Symbol
Foto: Shutterstock

Am 24. Juni 1717 fanden sich in London vier Logen zur ersten Großloge von England zusammen – und begründeten damit die moderne Freimaurerbewegung. Eine aktuelle Ausstellung will anlässlich dieses Jubiläums das „wahre Geheimnis“ dieser „diskreten Gesellschaft“ ergründen. Rund sechs Millionen Mitglieder soll es heute weltweit geben, hierzulande sind es nach Angaben der Großloge von Österreich rund 3500 aktive Mitglieder in 74 Logen, davon 50 in Wien. Doch was bringt jemanden überhaupt dazu, Freimaurer zu werden? Warum sind Geheimhaltung und Rituale so zentral? Und welches Verhältnis haben die Brüder zu Religion und Kirche? Ein Aktiver, der jede Woche im Tempel in der Wiener Rauhensteingasse an sich arbeitet, erzählt.

Die Furche: Sie haben gebeten, anonym bleiben zu dürfen. Anders als in England oder Frankreich outen sich in Österreich sehr wenige Brüder, nur der Großmeister, aktuell Georg Semler, steht in der Öffentlichkeit. Wozu diese Geheimhaltung oder „Deckung“?

Jeder kann sich selbst outen, und ich selbst hätte auch kein Problem damit, weil ich im Kreativbereich tätig bin, aber über meine Bekanntschaften könnte der Verdacht auch auf meine Freunde fallen. Und es ist leider so, dass einige Brüder berufliche Schwierigkeiten bekommen könnten, wenn sie etwa als Arzt bei einem kirchlichen Trägerverein arbeiten oder in irgendeinem anderen Zusammenhang aufscheinen, wo Freimaurer unbeliebt sind. Es gibt eben bei uns immer noch starke Ressentiments – vor allem seitens der katholischen Kirche.

Die Furche: Zur Kirche kommen wir noch. Aber diese Ressentiments könnten ja umgekehrt auchvon dieser Geheimhaltung rühren. Dazu kommt die Skepsis gegenüber Männerbünden, in denen es wohl auch um Protektion geht …

Natürlich beinhaltet die Gemeinschaft auch, dass der eine dem anderen hilft. Aber die sogenannte „Geschäftsmauerei“ ist verpönt, wobei es wie in jedem Verein auch schwarze Schafe gibt.

Die Furche: Wie groß ist generell heute die Macht der Freimaurer? '

Die Freimaurer sind weit davon entfernt, wie der Cartellverband oder die Burschenschafter große Netzwerke zu betreiben. Es ist eher umgekehrt, dass einflussreiche Leute hierherkommen und sich eine Kommunikation herauskristallisiert, die halt über die Freimaurer passiert.

Die Furche: Wenn es aus Ihrer Sicht nicht um Einfluss geht: Warum wird man dann Mitglied?

Der Sinn und Zweck des Ganzen ist die „Selbstveredelung“, bildhaft und in der Sprache der Maurer gesprochen geht es um die Verwandlung von einem rauen in einen glatten Stein. Das klingt ungeheuer kitschig, aber ich glaube schon, dass man sich verändert und ein wacherer und bewussterer Zeitgenosse wird, wenn man über viele Jahre regelmäßig mit Menschen außerhalb der eigenen beruflichen Blase zusammenkommt und sich in grenzenlosem freiem Denken übt. Daraus kann man natürlich großen persönlichen Nutzen ziehen, aber es geschäftlich zu verwerten, ist wie gesagt verpönt. Deshalb sieht man bei der Aufnahme eines Bewerbers auch genau hin, welchen Charakter er hat.

Die Furche: Wie sind Sie selbst zur Freimaurerei gekommen?

Ich bin von einem Freund angesprochen worden. Ich fand die Freimaurerei sehr interessant, wusste aber nur, dass Mozart und einige andere dabei waren. Mein Freund hat mir dann Literatur gegeben, dazu kam eine persönliche Krise – und dann habe ich mir gedacht: Hier bin ich gut aufgehoben.

Die Furche: Um das Aufnahmeritual ranken sich viele Mythen. Wie verläuft es tatsächlich?

Man braucht einen Bürgen und dann kommt es zu einem mehrstufigen Aufnahmeverfahren, bei dem man weltanschaulich auf Herz und Nieren geprüft wird. Und auch das Finanzielle muss gesichert sein.

Die Furche: Warum?

Weil es einen Mitgliedsbeitrag zu leisten gibt. Der ist monatlich zwar nicht sehr hoch, aber für die Aufnahme gibt es eine Summe zu entrichten, die nicht ohne ist. Und dann will man natürlich auch wissen, ob die Partnerin einverstanden ist. Man will ja keinen Unfrieden in der Familie säen. Stimmt es, dass die Freimaurerei de facto eine SPÖ-Veranstaltung ist? Nein, aber Werte wie Aufklärung, Säkularität, Solidarität und Liberalismus sind halt eher links verankert. Aber es gibt auch ÖVPler, die Freimaurer sind. Freiheitliche sind sicher nicht gewünscht.

Die Furche: Alte Stiche zeigen, wie neue Brüder mit verbundenen Augen in den Tempel geführt werden. Läuft das Aufnahmeritual noch immer so ab?

Im Wesentlichen ja. Indem man dieses Ritual aus dem frühen 18. Jahrhundert in die Gegenwart hinüberzuretten versucht, fühlt man sich verbunden mit den Brüdern von einst. Und man freut sich darüber, dass man ungefähr das Gleiche gesagt hat, was schon Goethe zu seiner Zeit hat sagen müssen.

Die Furche: Überhaupt spielen religiös konnotierte Rituale in der Freimaurerei eine zentrale Rolle …

Ich war als ehemaliger Ministrant anfangs sogar geschockt von diesen bombastischen Ritualen, die einem hier begegnen. Aber mit fortschreitendem Alter wird mir immer klarer, dass das Ritual hier einen Selbstzweck hat. Man darf es nicht missverstehen, dass es etwas ganz Bestimmtes bedeuten würde – etwa wie die Wandlung in der katholischen Kirche, sondern es dient eher der Einstimmung: Das ist vergleichbar damit, wenn ein gläubiger Mensch in eine Kirche geht und dort auch gewisse Rituale vollzieht. Man ist auch in einem geschützten Bereich: Deutlich wird das, wenn der Tempelhüter nachschauen geht, ob die Loge „gedeckt“ ist, also ob niemand lauscht und wir frei reden können. Das ist heute natürlich blankes Ritual, wobei ich die Frage des Frei-Reden-Könnens nicht unterschätzen würde. Man braucht nur an die Türkei zu denken. Aber auch im frühen 18. Jahrhundert in den Hinterzimmern der englischen Wirtshäuser hatte es schon seinen Sinn.

Die Furche: Aber worüber wird überhaupt geredet? Nach der Konstitution der „Großloge von England“, an der sich die meisten hiesigen Logen und auch Ihre ausrichten, darf über Politik und Religion ja nicht gesprochen werden …

Die Konstitution stammt aus einer Zeit der Religionskriege, und um keine konfessionellen Debatten anzuzetteln, sagt man bis heute: Lassen wir Parteipolitik und religiöse Zugehörigkeit außen vor. Aber über große gesellschaftliche Themen wie die Flüchtlingsdebatte muss natürlich diskutiert werden. Es gibt auch berufsspezifische Themen. Oder es kann etwas eher Esoterisch-Freimaurerisches sein, indem man etwa über ein Symbol weiter spekuliert und darüber in ein freies Philosophieren kommt.

DIE FURCHE: Womit wir bei der Gretchenfrage wären, nämlich der, wie es Freimaurer mit der Religion halten. Was ist mit der Pflicht, als Freimaurer an ein höheres Wesen glauben zu müssen, den „Großen Baumeister aller Welten“?

Szenenbild „Es lebe Sarastro“, kolorierter Kupferstich
Freimaurer-Oper Wolfgang Amadeus Mozart war begeisterter Freimaurer – und seine „Zauberflöte“ ist voll von einschlägiger Symbolik. Rechts: Szenenbild „Es lebe Sarastro“, kolorierter Kupferstich von Joseph Schaffer, um 1794.
Foto: © Österreichische Nationalbibliothek

Das hat sich im Lauf der Zeit stark gewandelt: In der Zeit Isaac Newtons konnte man sich ein naturwissenschaftliches Weltbild ohne einen ersten Beweger, einen Gott gar nicht vorstellen. Heute wird das sehr frei interpretiert: Wir haben viele Brüder, die Atheisten oder Agnostiker sind und für die auch dieser „Baumeister aller Welten“ nur ein Symbol ist für die Evolution, den Zufall oder das große Ganze; einige wenige verstehen darunter aber auch einen persönlichen Gott, der ein „intelligent design“ in die Welt gesetzt hat.

DIE FURCHE: Papst Clemens XII. hat 1738 einen nie widerrufenen Bann gegen die Freimaurerei ausgesprochen. Unter Kardinal König gab es zwar eine Annäherung, doch 1983 stellte die Glaubenskongregation klar, dass die Prinzipien der Freimaurerei „unvereinbar mit der Lehre der Kirche“ und betreffende Gläubige von der Kommunion ausgeschlossen seien. Haben Sie selbst Katholiken in ihrer Loge?

Ja, die müssen aber für sich entscheiden, wie ihr Glauben mit dem Freimaurertum und -denkertum zusammenpasst. Ich persönlich denke mir, die Kirche hat vollkommen Recht, das ist nicht unter einen Hut zu bringen: Man kann nicht auf der einen Seite Dogmatiker sein und auf der anderen Seite bemüht sein, grenzenloses freies Denken zuzulassen, das auch grenzenlose Kritikmöglichkeit gegenüber der Obrigkeit beinhaltet.

DIE FURCHE: Wobei auch Englands Großloge recht dogmatisch ist …

Das ist tatsächlich ein Knackpunkt. Von manchen wird die Konstitution auf Punkt und Beispiel durchexerziert, von anderen freier interpretiert. Aber in der Konstitution geht es eben nicht um Glaubenswahrheiten, sondern nur um ritualistische Pedanterie.

DIE FURCHE: Katholische Freimaurer könnten jedenfalls argumentieren, dass Humanismus und Toleranz keine Widersprüche zum Christentum darstellen …

Natürlich, über das wird auch intern diskutiert. Von Freimaurerseite wird ja auch betont, dass wir offen sind für alle Konfessionen – vorausgesetzt, dass es einen gemeinsamen Grundkonsens gibt, und das sind die Menschenrechte.

DIE FURCHE: Gleichzeitig schließen die meisten Logen Frauen nach wie vor aus. Wie geht das mit Freiheit und Toleranz zusammen?

In Österreich gibt es ja auch Frauenlogen oder gemischte Logen. Aber in unserem Verein legen wir Wert darauf, unter Männern zu sein. Das hat den schönen Grund, dass dieses gockelhafte Getue um Frauen und Erotik außen vor bleibt. Man ist einfach ein anderer, wenn Sexualität keine Rolle spielt.

DIE FURCHE, Donnerstag, 22. Juni 2017

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