"An den Gestank gewöhnt man sich schnell"#
Auf einen "Dreher" mit der Wiener Müllabfuhr. Von halb sechs Uhr morgens bis Dienstschluss.#
Von der Wiener Zeitung (2. Mai 2018) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Margot Landl
Wien. Halb sechs Uhr morgens auf der Kärntner Straße. In ein paar Stunden wird sich die Fußgängerzone mit Touristen füllen, doch um diese Zeit ist noch kein Mensch unterwegs. Andreas Kurz ist dagegen schon seit mehr als einer Stunde auf den Beinen. Um vier Uhr zwanzig läutet von Montag bis Freitag der Wecker, damit der sportliche 46-Jährige noch genug Zeit hat, um mit dem Rad von seiner Wohnung nahe den Steinhofgründen bis in die Unterkunft der MA48 in der Johannesgasse zu fahren. Dort bleibt ihm eine halbe Stunde, um "das Orangene" anzuziehen und noch einen Kaffee zu trinken. "Früher, als ich noch jung war, war ich immer erst auf den letzten Drücker in der Unterkunft. Aber heute stehe ich lieber stressfrei auf und gehe dafür schon zwischen acht und neun ins Bett."
Stiege rauf, Stiege runter#
Um sechs Uhr beginnt die Schicht von Andreas Kurz und seinen Kollegen. Die Müllaufleger für den Restmüll des ersten und teilweise auch sechsten Bezirks sind in einem sogenannten Fünf-Mann-Zug unterwegs, in dem die Rollen klar verteilt sind. Zwei Männer sind die Vorträger, das bedeutet, sie holen die Mülltonnen aus den Häusern auf die Straße. Dann kommt das Müllauto mit dem Kipper, der für die reibungslose Entleerung der Tonnen zuständig ist. Am Ende haben die zwei Leerträger die Aufgabe, die leeren Gefäße, wie die Mülltonnen im Fachjargon genannt werden, wieder in die Häuser zu bringen.
Täglich werden die Rollen gewechselt, heute ist Andreas Kurz Kipper. Die erste halbe Stunde helfen alle zusammen, möglichst viele Mülltonnen auf die Straße zu bringen, bevor das Müllauto eintrifft. Denn das ist in den engen Altbauten gar nicht so einfach. Ein paar Stufen hinauf, dann eine Wendeltreppe hinunter, einmal rechts, zwei mal links und irgendwann steht man im Müllhof - ein typisches Szenario.
Andreas Kurz und seine Kollegen kennen "ihre" Häuser mittlerweile auswendig, wissen genau, wo es vielleicht einen Lift oder einen Hintereingang gibt. Doch meistens führt kein Weg daran vorbei, die Gefäße über die Stiegen zu schleppen. Immer zwei Tonnen auf einmal tragen die Männer in der Dämmerung ins Freie, in Summe also 50 bis 80 Kilogramm, wenn die Tonnen gut gefüllt sind. Für die großen Container, die bis zu 200 Kilogramm schwer sein können, braucht es zwei Träger.
"Am Anfang hatte ich von oben bis unten blaue Flecken, da waren die ja auch noch aus Eisen. Es dauert schon ein bisschen, bis man die richtige Technik heraußen hat", erzählt Kurz. Vor 23 Jahren hat der gelernte Automechaniker bei der Müllabfuhr angeheuert: "Ich wollte etwas im Freien machen, am besten mit Bewegung. Regentage gehen vorbei, dann ist man halt einmal nass. Wer damit ein Problem hat, für den ist es der falsche Beruf".
Der Müllaufleger hat auch in anderen Bezirken gearbeitet, doch hier im ersten gefällt es ihm am besten - wegen der schönen Altbauten und freundlichen Leute, wie er sagt. Und auch dem Restmüll will er treu bleiben: "Altpapier ist für mich kein echter Müll. Und die Biotonne stinkt definitiv mehr als der Restmüll. An den gewöhnt man sich ziemlich schnell."
550.000 Tonnen Restmüll#
444.000 Abfallbehälter gibt es in Wien, etwa die Hälfte davon ist für Restmüll. Die anderen verteilen sich auf Altpapier, Altmetall, Plastikflaschen, Altglas und Biomüll. Altstoffe, die allesamt recycelt werden. Lediglich der Restmüll wird verbrannt, wofür in Wien die drei Müllverbrennungsanlagen Spittelau, Flötzersteig und seit 2008 auch Pfaffenau zur Verfügung stehen. 250.000 Tonnen Restmüll können allein dort pro Jahr verbrannt werden. Vor der Verbrennung wird der Restmüll von Metallen befreit, was nach der Verbrennung davon übrig bleibt, kommt schließlich, von Schadstoffen befreit, auf die Mülldeponie. Alle Müllverbrennungsanlagen sind an das Fernwärmenetz angeschlossen, so wird der gesamte Restmüll thermisch verwertet.
"Es ist einzigartig, dass wirklich die gesamte Entsorgungskette, also Sammlung von Restmüll, thermische Verwertung und Deponierung der Verbrennungsrückstände, in einer Stadt selbst passiert", erklärt Ulrike Volk, die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der MA48. "EU-Vorgaben besagen, dass nichts mehr unbehandelt deponiert werden darf. Restmüll kommt direkt in eine der Wiener Müllverbrennungsanlagen, wodurch auch kurze Transportwege garantiert werden."
550.000 Tonnen Restmüll sind das momentan im Jahr. Aber wächst mit der Wiener Bevölkerung nicht auch das Müllaufkommen? Ulrike Volk verneint: "Das Restmüllaufkommen pro Kopf sinkt sogar. Denn die Leute trennen seit der Einführung der getrennten Sammlung in den 1970er Jahren immer konsequenter." Die getrennte Sammlung würde etwa 350.000 Tonnen Restmüll Jahr einsparen: "Wäre das nicht so, würden wir eine vierte Müllverbrennungsanlage brauchen."
Zwei "Dreher" pro Tag#
Während Andreas Kurz und seine Kollegen immer noch Gefäße aus den Häusern holen, trifft nun auch das Müllauto auf der Kärntner Straße ein. Zusätzlich zu den etwa 700 Müllauflegern sind um die 250 Lenker bei der MA48 beschäftigt - unter ihnen auch ein paar Frauen. Nicht zuletzt aufgrund eines Gehalts von etwa 2000 Euro monatlich ist die Nachfrage hoch, wie Oberaufseher Rene Preinreich erzählt: "Wir bieten Sicherheit - Müll wird es schließlich immer geben. Doch viele unterschätzen, wie anstrengend die Tätigkeit ist."
Nach vier Stunden ist das Müllauto voll und ein "Dreher" abgeschlossen. 15 bis 16 Tonnen kommen bis dorthin im Durchschnitt zusammen, nach Feiertagen oder Wochenenden meistens ein paar mehr, obwohl bei Bedarf auch am Samstag entleert wird. Während das Fahrzeug zur nächsten Müllverbrennungsanlage fährt, haben die Müllaufleger Pause. Dann beginnt der zweite Durchgang, bis um 14 Uhr Dienstschluss ist - ein Aspekt, den der Familienvater Andreas Kurz an seiner Arbeit ebenfalls sehr schätzt. Mittlerweile regt sich Leben auf der Kärntner Straße, Lkw beliefern Restaurants und Cafés, einige Menschen sind mit ihren Hunden unterwegs oder gehen bereits in die Arbeit. Bis zehn Uhr muss die Arbeit hier in der Fußgängerzone jedenfalls getan sein - denn dann öffnen die Geschäfte.