Ändert die Digitalisierung die Aufklärung?#
H. Maurer, August 2017Unter Aufklärung versteht man meist die geistigen und sozialen Reformbewegungen ab ca. 1700, die versuchten, durch rationales Denken auf der Basis des eigenen Verstandes gegen behindernde Strukturen vorzugehen, wie es mit Motto der Aufklärung "Sapere aude!", oder auf Deutsch: "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" heißt. Durch Wissen (und neue Erkenntnisse) wollte man Antworten auf Fragen finden und Zweifel, Vorurteile oder falsche Annahmen ausräumen, auch gegen den Widerstand von Tradition und Gewohnheitsrecht. Es wurde also die menschliche Vernunft zum Maßstab eines jeden Handelns erklärt, was philosophisch auch als Rationalismus von „Ratio“ für Vernunft gesehen werden kann.
Damit war man gegen übertriebene Religion, Mystik, das Feudalsystem, der oft untergeordneten Stellung der Frauen, usw. So sehr man auch heute unterstützen muss, dass unser Verstand unsere Handlungen leiten soll, kann man den Fortschrittsglauben, der auch oft in der traditionellen Aufklärung zu finden ist, kritisieren, wie das in der Romantik und im politischen Konservativismus geschah. Insgesamt ist aber auch heute die Aufklärung im erwähnten Sinn, aber ohne den unbedingten Glauben an den Fortschritt (darum ist oben „neue Erkenntnisse“ in Klammern) positiv zu sehen, ja kann man auch z.B. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom Dezember 1948 der Tradition der Aufklärung zuordnen.
Ich werde in einem Vortrag der Tagung Aufklärung heute im Rahmen von Austria-Forum live argumentieren, dass sich die prinzipiellen Ziele der Aufklärung durch die Digitalisierung nicht geändert haben, wohl aber (a) die Art, wie die Aufklärung erfolgt, als auch (b), eine neue Art von Gefahren, die man bekämpfen muss.
Zu (a) gehört die Tatsache, dass Wissen nicht mehr vorwiegend aus einigermaßen verlässlichen Buchquellen kommt, sondern heute sehr stark über die Medien (Zeitschriften, Radio, Fernsehen), Kommunikation über Smartphones und das Internet mit seinen über eine Milliarde Websites und zahlreichen „social networks“ erfolgt. Damit ist die Verbreitung von Wissen leichter und schneller geworden.
Gerade das führt aber zu (b), zu gravierenden Gefahren: Das Internet hat sich in letzter Zeit durch ein starkes Anwachsen von „fake news“ „ausgezeichnet“; „social networks“ führen z.B. sehr stark zur Wissensweitergabe nicht von erfahrenen zu weniger erfahrenen Menschen, sondern zum Austausch von Wissen in bestimmten Altersgruppen. Die Netzwerke und Kommunikationsmittel verleiten dazu, dass oft nicht das Wichtige, sondern das Sensationelle transportiert wird. Medien legen zunehmend weniger Wert auf Richtigkeit, als auf Aufmerksamkeit, der Glaube an gewisse Strömungen (von Esoterik zu neuen Diäten, von medizinischen Behandlungsmethoden bis zu unhaltbaren Ansichten über Verkehr oder Klimawandel) unterliegen einem Hype, sodass Menschen einer laufenden Gehirnwäsche unterzogen werden, wie ich an Hand einiger Beispiele zeigen werde. Dazu gehört die Dominanz einer potentiell gefährlichen „Schwarmintelligenz“, wie es Ferdinand von Schirach in seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2017 formulierte:
„Das Internet hat das Gefüge der Demokratie verändert“, erinnerte von Schirach (…). Nie zuvor hätten die Menschen so deutlich ihre Stimme erheben können; aus früheren Empfängern seien durch Soziale Medien nun auch Sender geworden. „Die Wähler sollen unmittelbar an den Entscheidungen beteiligt werden, die Bürger wüssten am besten, ‚was ihr Staat‘ braucht, (...) keine Mittler sollen mehr zwischen den Bürgern und der politischen Entscheidung stehen (...) und Volksentscheide in großem Umfang möglich werden“, skizzierte Von Schirach die von der „Schwarmintelligenz“ geprägte Gehirnwäsche.
Dass dies auch gefährlich sein kann, liegt auf der Hand.