Interferenzen#
(Das 2018er Kunstsymposion: ein Auftakt)#
von Martin Krusche
Mein Faible für prozeßhaftes Arbeiten legt nahe, keine Lösungen in Aussicht zu stellen, sondern nach guten Fragen zu suchen. Das entzündet sich manchmal an Bildern, an Metaphern, auch an poetischen Momenten. Ich arbeite derzeit an den Grundlagen für unser 2018er Kunstsymposion. Nun also im kommenden Jahr: „Interferenzen“. Das ist ein weit größeres Thema, als man auf Anhieb vermuten möchte. Es fiel mir nicht aus dem Blauen, sondern ergab sich aus den letzten Jahren der Befassung mit Aspekten von Koexistenz. Zu dieser Themenwahl und dem Bezugspunkt der Interferenz gehört überdies eine sehr konkrete Erinnerung.
Wenn man Anfang der 1980er Jahre die Treppe in den Keller zum Grazer „Feinkunstwerk & Tingeltangel“ hinunterschritt, gabelte sich schließlich der Weg. Links kam man in das Lokal, in dem die Kleinkunst zuhause war. Dort haben wir uns vor Publikum erprobt, dort wurden Sträuße ausgefochten, Feste gefeiert und Herzen gebrochen.
Rechts ging es ins Halbdunkel des „Druckwerk“, einer Initiative, die sich der „Schwarzkunst“ gewidmet hatte. So nannten wir das damals. Wer je an einer Offsetmaschine gestanden hat und durch Unachtsamkeit zuließ, daß von den Walzen ein Papierbogen ins Farbwerk gezerrt wurde, weiß von der Bürde, den Druckjob zu stoppen und das Werkel zum Reinigen zerlegen zu müssen.
Selbst allerkleinste Papierfitzelchen mußten verläßlich entfernt werden, um die Arbeit nicht zu verderben. Da blieb kein Unterarm, aber auch keine Seele sauber.
Um jedoch überhaupt erst dorthin zu gelangen, an die rasselnde Maschine mit ihren Stahlzylindern, Gummiwalzen, Greifern und Saugvorrichtungen, hatte man die Druckvorstufe abzuarbeiten.
Dafür stand man unter anderem in einer Dunkelkammer, um Fotos zu rastern und Druckfolien zu belichten. Dabei gab es einen Akt der Kulturschande, den man möglichst meiden mußte: Einen Karl produzieren. Das meint eigentlich Moiré-Effekte. Da es aber in Graz eine Karl Morre-Straße gibt, die eine phonetische Analogie anbietet, wurde der so unerwünschte Moiré-Effekte im Druckwerk von uns Karl genannt.
Das verlangt nach zwei Erläuterungen. Karl Morré war ein Schriftsteller und Politiker, der sich im 19. Jahrhundert sein Brot als Finanzbeamter verdiente. Der Moiré-Effekt ist eine störende optische Erscheinung, wenn man zum Beispiel ein gerastertes Foto als Vorlage hat und in der Repro erneut rastert, um eine halbwegs brauchbare Druckvorlage zu bekommen, wenn es also zu Interferenzen kommt.
Das bedeutet, damit eine Fotografie beim Drucken nicht schlammig absoff, sondern gut erkennbar blieb, wurde sie mit einem Punktraster belegt. Dazu legten wir eine transparente Folie mit dem Punktraster auf das Original, um eine geeignete Reproduktion zu erhalten. Das gleiche Verfahren ließ sich auch bei Fotokopien anwenden, um bessere Ergebnisse zu erzielen. So oder so konnte es bei gerasterten Vorlagen zu solchen Interferenzen kommen, die schillernde Muster hervorbrachten. Das war der Karl.
Sie ahnen schon, hier bietet sich eine mächtige Metapher an. In komplexen Prozessen kommt es leicht zu Überlagerungen, die jeweils als Störung erlebt, aber auch als Anregung empfunden werden können. Oft ist es vor allem ambivalent und der selbe Effekt wirkt in verschiedenen Lebenssituationen auf Arten, die höchst widersprüchlich bewertet werden.
Das ist in der Kunst höchst interessant. Da haben wir nun schon geraume Zeit Anregungen von Niki Passath bekommen, der seinen Maschinen baut, um herauszufinden, was sie im Betrieb dann alles von jenen Dingen tun, die Passath nicht intendiert und angelegt hat.
Es ist ein wenig verwirrend, wenn man nachschlägt, auf wie vielen Fachgebieten solche Arten von Überlagerungen eine Rolle spielen. Eine weitere Anregung, diesen Begriff zu unterstreichen, erhielt ich durch den Pädagogen Hans Eck. Er befaßt sich leidenschaftlich damit, Kindern technisches Verständnis zu vermitteln, aber auch das pädagogische Personal in dieser Aufgabe zu bestärken. Und er hat offenbar ein besonderes Faible für Mineralien, oder wie ich einfach sagen würde: für Steine.
Durch ihn wurde ich vor relativ kurzer Zeit zum ersten Mal auf Bismut aufmerksam. Das ist ein chemisches Element (Elementsymbol Bi, Ordnungszahl 83), von dem zum Beispiel Kristalle gebildet werden können, die sich in sogenannten Anlauffarben zeigen. Deren Schillern ergibt eine Oberfläche von verblüffendem Aussehen. Sie entsteht durch die Interferenz dünner, sich überlagernder Farbschichten.
Da ist also nun eine sehr weitläufig auslotbare Sachebene des Themas Interferenzen. Da sind individuelle Zugänge angelegt, da gibt es aber auch Dimensionen eigenartiger ästhetischer Qualitäten. Wir werden also gut zu tun haben, aus der laufenden Arbeit heraus die neue Themenstellung bis Jahresende zu präzisieren und ein entsprechendes Arbeitsvorhaben für 2018 festzulegen.
Das verweist natürlich auch auf die Zeitspanne 1918-2018, in der sich Europa mehr als einmal neu zu ordnen versuchte. Vom Ende des Großen Krieg zur Konferenz von Jalta (auf der Krim), und von da zur Formierung der EU mit all ihren aktuellen Krisen, aber auch mit der Gewißheit, daß heute kein Land sich als einzelner Nationalstaat den großen Problemen und Aufgaben der Zeit gewachsen zeigen kann.
Während wir das Weltgeschehen im Auge behalten, muß geklärt werden, was diese Kräftespiele für die regionale Ebene bedeuten und wie wir konkret handlungsfähig bleiben. Dabei möchte ich bei unseren Projekten weiterhin Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft in Wechselwirkung halten.
- Die Projekt-Website „Interferenzen“
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