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Der Schottenring #

Einst ein Hotspot jüdischen Lebens #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Kulturzeitschrift: DAVID Nr. 112/2017

Von

Ursula Prokop


Die Wiener Börse am Schottenring
Die Wiener Börse am Schottenring.
Foto: U. Prokop, mit freundlicher Genehmigung.

Der Schottenring ist heute eine ruhige, fast verschlafene Gegend, die kaum erahnen lässt, wie lebendig es gegen Ende des 19. Jahrhunderts hier zugegangen ist. Nach der Emanzipation der Juden, die mit dem Wirtschaftsboom der Gründerzeitjahre zusammenfiel und zu einem Aufblühen der jüdischen Gemeinde in Wien führte, gehört auch der Schottenring zu den Orten, wo sich jüdisches Leben konzentrierte. Insbesondere die Errichtung der Börse und des anliegenden Textilviertels, das überwiegend von jüdischen Geschäftsleuten geprägt wurde, liess ihn zu einem bevorzugten Wohnort grossbürgerlicher Schichten werden. Hier waren fast alle Bauherren Juden, zumeist Unternehmer in der Textilbranche oder an der Börse tätig. Dieser Umstand führte dazu, dass der Schottenring oft zum Angriffsziel in den antisemitischen Zeitungen wurde. Auch Karl Kraus konnte es sich nicht versagen, in Anspielung auf die Ringparabel in Lessings Nathan der Weise zu spötteln: „Der Schottenring ist der berühmteste unter den drei Ringen.“ [1]

Zentraler Bezugspunkt des Viertels war zweifellos das imposante Gebäude der Börse, das von Theophil Hansen zu Beginn der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts errichtet wurde. Der in Klinker und Haustein errichtete Bau mit einer vorgelegten monumentalen Loggia, der im klassischen Stil von einer Quadriga gekrönt wurde, demonstrierte die Pracht der Ringstrassenarchitektur und bot den entsprechenden repräsentativen Rahmen für die hier tätigen Börsianer. Im Zuge der regen Börsentätigkeit etablierte sich in der unmittelbaren Umgebung auch eine Reihe von kleineren Banken und Wechselstuben, die die Gegend mit ihrer Betriebsamkeit erfüllten. Nach dem Ende der Donaumonarchie verlor die Börse jedoch schnell an Bedeutung. Ein Brand vernichtete 1956 die prächtige Innenausstattung, und nachdem schliesslich die Institution der Wiener Börse ausgezogen war, dient heute der Bau verschiedensten Zwecken.

Das Ringtheater #

Auch das zweite öffentliche Gebäude am Schottenring, das sogenannte Ringtheater, war in tragischer Weise mit dem Geschick der jüdischen Gemeinde verbunden. Schräg gegenüber der Börse am Schottenring 7 situiert, diente der praktisch zeitgleich errichtete Bau der leichten Muse. Im Gegensatz zur Hofoper spielte man hier unterhaltsame Theaterstücke und Operetten, so dass das Theater auch als Komische Oper bezeichnet wurde. Aufgrund seiner Lage erklärt es sich, dass ein nicht unerheblicher Teil des Publikums jüdisch war. Insbesondere auch aus der nahe gelegenen Leopoldstadt rekrutierte sich eine nicht geringe Zahl der Zuschauer. Als dann am 8. Dezember 1881 anlässlich einer Aufführung von Jacques Offenbachs Hofmanns Erzählungen im Zuschauerraum ein Brand ausbrach und eine grosse Zahl, insbesondere Besucher der oberen Ränge, aufgrund völlig ungenügender Sicherheitseinrichtungen und unzulänglicher Rettungsversuche zu Tode kam, waren nicht wenige jüdische Opfer darunter, zumeist junge Leute, die hier Unterhaltung gesucht hatten. Die genaue Anzahl der Toten ist bis heute nicht bekannt, die Angaben schwanken zwischen 380 und 1.000 Personen.[2] Der Umstand, dass man noch Tage danach in den glühenden Trümmern Leichenreste fand, die nicht mehr identifizierbar waren, führte zu einer letztlich versöhnlichen Episode, indem auf dem Zentralfriedhof am 13. Dezember eine gemeinsame Begräbnisfeier der Religionsgemeinschaften stattfand, an der sowohl ein katholischer Pfarrer als auch ein evangelischer Pastor sowie der Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann teilnahmen.[3] Anstelle des abgerissenen Theaters wurde kurz darauf das so genannte Sühnhaus errichtet,[4] das ungeachtet seines Namens und seiner an eine Kirche gemahnenden neugotischen Formensprache ein normales Miethaus war, dessen Mieterlös den Angehörigen der Opfer des Ringtheater- Brandes zugutekommen sollte. Für einige Jahre hatte hier auch der junge Sigmund Freud gewohnt, bevor er in seine legendäre Wohnung in die nahe gelegene Berggasse übersiedelte. Auch dieser Bau stand unter keinem guten Stern und wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.

Mietpalais #

Der Ringtheaterbrand
Der Ringtheaterbrand.
Quelle: Neue illustrierte Zeitung, 18.12.1881.

Neben diesen beiden öffentlichen Gebäuden befand sich am Schottenring natürlich auch eine Reihe von noblen Mietpalais, die sich vermögende Geschäftsleute errichten liessen, von denen die meisten in der Textilbranche oder an der Börse tätig waren - sehr oft auch in beiden Bereichen. Wenn auch sozial vielleicht etwas unter den berühmten Familien der Todesco und Ephrussi stehend, waren auch sie sehr oft nobilitiert und machten sich als Philanthropen und Kunstfreunde verdient. Im Palais Leon-Wernburg am Schottenring 17, das um 1870 von dem Ringstrassenarchitekten Heinrich Ferstel erbaut worden war, residierte Gustav Leon, Ritter von Wernburg, (1839-1898), Begründer des Textilgrosshandelshauses Jacques Leon und Söhne und späterhin Eigentümer des auf Brückenbau spezialisierten Unternehmens Philipp Waagner - ein Betrieb, der bis heute als Firma Waagner und Bíro existiert. Darüber hinaus engagierte sich Gustav Leon auch in der Hotelbranche, die insbesondere in Hinblick auf die Weltausstellung von 1873 einen Boom erlebte. Als Hauptaktionär der Aktiengesellschaften des Hotel Sacher und des Hotel Metropole, die damals neu erbaut wurden, war er Miteigner der bedeutendsten Hotels in Wien.[5] Durch die Erhebung in den erblichen Ritterstand 1876 und seiner Tätigkeit als Reichsratsabgeordneter von 1885-1888 gelang ihm auch der gesellschaftliche Aufstieg.[6]

Schräg gegenüber am Schottenring 18 liess Gustav Ritter von Schlesinger um 1870 ein nobles Mietpalais errichten, das von dem jungen Wilhelm Fraenkel geplant wurde, einem der ersten in Wien tätigen jüdischen Architekten überhaupt. In seiner aufwendigen Dekoration stand der Bau der daneben liegenden Börse an Repräsentation kaum nach. Ritter von Schlesinger (1833-1906) war an der Lemberg- Czernowitz- Bahn und an einer Bank beteiligt. Er selbst wohnte allerdings nicht am Schottenring, sondern in seinem kleinen, aber feinen Palais im 3. Bezirk im sogenannten „Botschafterviertel“ in der Reisnerstrasse.[7]

Zwei weitere Mietpalais hatten typischerweise Unternehmer aus der Textilbranche als Bauherren und wurden von dem jungen Wilhelm Stiassny geplant, der wie Fraenkel der ersten Generation von jüdischen Architekten angehörte. Das Palais Schwarzmann am Schottenring 35 liess sich David Schwarzmann (1835-1903), einer der grössten Textilexporteure der Donaumonarchie, um 1880 errichten. Auch dieses Gebäude zeichnete sich durch einen äusserst repräsentativen Charakter aus, neben der aufwendigen Fassade in Klinker und Haustein, war auch die Beletage prächtigst ausgestattet. Im Vestibül befinden sich bis heute die Porträtbüsten von David Schwarzmann und Wilhelm Stiassny. Der Bauherr lebte bis zu seinem Tod in diesem Palais und engagierte sich insbesondere in karitativer Hinsicht, in dem er die Schwarzmann`sche Stiftung ins Leben rief, die arme Wiener Familien, ungeachtet ihrer Konfession, unterstützte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat unter anderen hier auch Max Berger gewohnt, ein Überlebender der Shoa und Sammler von Judaica, die, von der Gemeinde angekauft, den Grundstein des jetzigen Jüdischen Museums Wien bilden.[8]

Das zweite, nur einen Häuserblock weiter gelegene Palais am Schottenring 25 wurde fast zur gleichen Zeit ebenfalls von Wilhelm Stiassny errichtet und von Karl Goldschmidt (1832-1902) in Auftrag gegeben. Goldschmidt, der aus einer gut situierten Familie aus Deutschkreutz stammte, einer der Sieben Heiligen Gemeinden, die unter dem Schutz des Fürsten Esterhazy standen, war Miteigner der Garnhandelsfirma Goldschmidt und Landsinger, die er mit seinem Schwager Samuel Landsinger führte.[9] Beide waren sie mit Töchtern aus der äusserst vermögenden Familie Engel verheiratet, so dass sie - wie damals oft üblich - nicht nur beruflich, sondern auch familiär verbunden waren. Neben der prächtigst ausgestalteten Beletage des Palais im „altdeutschen Stil“ ist insbesondere die Fassade ein Kuriosum. Die vier Atlanten des monumentalen Portikus sind keines- falls Figuren aus der griechischen oder römischen Mythologie, sondern biblische Propheten. Insbesondere die Figur links aussen stellt - in Anlehnung an die berühmte Statue von Michelangelo - eindeutig Moses dar, sodass anzunehmen ist, dass es sich bei den anderen drei, auch wenn sie nicht genau zu identifizieren sind, gleichfalls um Propheten handelt. Dieses betont jüdische Bildprogramm an einer Ringstrassenfassade ist kulturhistorisch einmalig und zweifellos als Ausdruck eines erstarkten jüdischen Selbstbewusstseins zu werten. Nicht zufällig war Karl Goldschmidt ein grosser Kunstfreund und Sammler, der - als er kinderlos verstarb - sowohl dem Kunsthistorischen Museum als auch dem damals neu gegründeten Jüdischen Museum Wien wertvolle Kunstwerke vermachte. Darüber hinaus rief er die Karl und Rosa Goldschmidt-Stiftung ins Leben, die, von der Kultusgemeinde verwaltet, arme jüdische Familien unterstützen sollte. Auch das Palais brachte er in die Stiftung ein, das, nach wechselvollen „Arisierungen“ in der NS- Zeit, jetzt wieder im Besitz der Kultusgemeinde ist.[10]

Das Palais Goldschmidt, Schottenring 25
Das Palais Goldschmidt, Schottenring 25.
Foto: U. Prokop, mit freundlicher Genehmigung.

Während alle diese Bauten in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts erbaut wurden, haben noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg sogar die Rothschilds auf dem Schottenring ihre Spuren hinterlassen. Als Hauptaktionäre der von Anselm Rothschild 1855 gegründete Creditanstalt - damals die grösste Bank der Monarchie überhaupt - liessen sie an der Ecke Schottengasse/ Schottenring 2 um 1910 ein monumentales neues Bankgebäude von den Architekten Gotthilf und Neumann errichten. Der Bau, nach den Kriterien der damaligen Moderne - heute würden wir sagen Jugendstil -, errichtet, zeichnete sich im Gegensatz zu den üppigen Gründerzeitbauten durch noble Zurückhaltung aus. Dekor wurde nur sehr sparsam, aber effektvoll eingesetzt, wie bei den kupfergetriebenen Türumrahmungen mit der Auflistung der Standorte der Bank in der gesamten Monarchie.[11] Der elegante Kassensaal ist bis heute weitgehend unverändert erhalten geblieben. Chef des Hauses Rothschild war damals Louis Nathaniel (1882-1955), der die Bank durch viele Fährnisse der Zwischenkriegszeit leiten musste. Nach der Machtergreifung der Nazis am 11. März 1938 wurde er bereits einen Tag später, als er das Land verlassen wollte, verhaftet und in das berüchtigte Hotel Metropole verbracht, wo sich damals die Leitstelle der Gestapo befand.[12] Nach über einjähriger Inhaftierung wurde ihm sein gesamtes in Österreich verbliebenes Vermögen abgepresst, insbesondere gingen die Aktien der Creditanstalt an die Deutsche Bank über. Als Louis Nathaniel im Sommer 1939 das Land endlich verlassen konnte, endete damit die Geschichte der Rothschilds in Österreich. Am Schottenring war es bereits zuvor nach der Machtergreifung der Nazis still geworden.

Fußnoten#

[1] Karl Kraus, in: Die Fackel, 10.1899, H.19, S.26; - In Lessings „Ringparabel“ werden die drei monotheistischen Religionen (Judentum Christentum und Islam) mit drei gleich aussehenden Ringen verglichen.
[2] 380 Tote war die offiziell angegebene Zahl, allerdings gab es zahlreiche Vermisste, so dass die Anzahl der tatsächlichen Opfer bis heute nicht geklärt ist.
[3] Wiener Zeitung, 15. 12. 1881, S. 8
[4] Auch dieses Gebäude wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört, jetzt befindet sich ein Neubau aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts dort.
[5] Das Hotel Sacher gehört bis heute zu den führenden Betrieben in Wien, das Hotel Metropole erlangte nach seiner „Arisierung“ als Gestapo-Leitstelle traurige Berühmtheit – gegen Kriegsende wurde es zerstört.
[6] Gustav Leon, der in zweiter Ehe mit Bertha von Lützow, die Tochter des renommierten Kunsthistorikers verheiratet war, konvertierte anlässlich seiner Eheschliessung zum Katholizismus.
[7] Das Gebäude, das gleichfalls von Architekt Wilhelm Fraenkel errichtet wurde, dient heute als finnische Botschaft.
[8] G. Kohlbauer Fritz, Epilog, in: Ringstrasse, ein jüdischer Boulevard (Kat.), Wien 2015, S. 319
[9] freundliche Auskunft Mag. Wolf Eckstein, siehe auch W. Hanak, Papier ist doch weiss (Kat.), Wien 1998
[10] Siehe dazu, E. Shapira, Moses und Herkules, in: Ringstrasse, ein jüdischer Boulevard, zit. Anm. 8, S.161ff
[11] Nach einer wechselvollen Geschichte der Bank ist heute das Gebäude im Besitz der Bank Austria.
[12] Siehe dazu F. Heimann-Jelinek, Die „Ariserung“ der Rothschildschen Vermögen in Wien und ihre Restituierung nach 1945, in: Die Rothschilds (Kat.), Frankfurt a. Main 1995, S. 355ff
DAVID Nr. 112/2017


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