Vom stillen Glanz der Antiquariate#
(Terra incognita und vertraute Terrains)#
von Martin KruscheIch brauche Bücher. Laufend. Sieht man von raren, teuren Stücken ab, deren Preise mich überfordern würden, muß ich sie haben. Sie müssen mir gehören. Geborgte Bücher haben eigentlich keinen Nutzen für mich. Auch deshalb, weil ich praktisch immer auf die Bücher zugreife, indem ich Markierungen und Notizen anbringe. Ich weiß nicht, wie jemand Bücher ohne diese Möglichkeit nutzen kann.
Ich bin in die Materialität von Büchern so sehr vernarrt, daß ich elektronische Varianten kaum berücksichtige. PDF-Dateien finde ich praktisch, doch ich hau die Inhalte über einen Schwarzweiß-Laser raus und lege die Blätter in Ordnern ab. So kann ich Markierungen und Notizen anbringen. (Wer war bloß der Vogel, von dem uns Anfang der 1980er das papierlose Büro angepriesen wurde?)
Kürzlich hat mir ein Freund davon erzählt, daß er E-Book-Reader lange Zeit unbeachtet ließ, aber jetzt davon überzeugt sei. Die Vorteile lägen auf der Hand. Ich werde darüber nicht streiten, denn man kann in der Sache ohnehin ganz seinen Leidenschaften folgen. Daraus eine Art Glaubenskrieg abzuleiten wäre lächerlich. (Mac versus DOSe zog sich wenigstens zwei Jahrzehnte hin; ohne Katharsis, ohne Gnosis.)
Eselsohren. Einst galten sie als Kulturschande und es wurde uns eingetrichtert, man müsse sie unbedingt vermeiden. Das ist wohl ein Relikt aus Zeiten, als Bücher sehr teuer waren. Mein Großvater Richard, der vom Grimming stammt, hat mir erzählt, Bücher seien seinerzeit per Postversand ins Haus gekommen. Die Preise wären so hoch gewesen, daß die Entscheidung manchmal lautete: ein Buch oder ein Paar Schuhe.
In meinen Kindertagen wurden Schulbücher noch auf organisierte Art weitergegeben, weshalb es naheliegend war, uns einen schonenden Umgang damit zu verordnen. Als Buchhandels-Lehrling erlebte ich Anfang der 1970er die Gratis-Schulbuchaktion, wofür wir Bücher Palettenweise abladen mußten. Das war vermutlich der Anlaß für einen landesweiten Paradigmenwechsel im Umgang mit Büchern.
Man ahnt, ich bin heute nicht bloß auf neue Bücher angewiesen. Im Gegenteil. Ich hab ein Faible für gebrauchte, verlebte Bücher. Das ist einer der Gründe, weshalb mir Antiquariate wichtig sind. Der andere Grund liegt darin, daß ich manches haben muß, was aus den Buchhandlungen schon lange verschwunden ist.
Zu meinem Glück gibt es Profis, die Bücher aufbewahren, zur Verfügung halten. Mir erscheinen diese Menschen als Teil einer freundlichen Verschwörung. Ich mache dabei übrigens hauptsächlich die Erfahrung, daß die Bücher gut verwahrt und gut behandelt, außerdem sorgfältig versandt werden. Durch Suchroutinen im Internet kann ich mich mühelos nach internationalen Beständen umsehen. Werde ich fündig, entfaltet sich eine Standard-Korrespondenz, die etwa so beginnt:
Guten Tag!
Sie bieten an:
Clovek-Izumitelj-Tovarnar-Vizionar. Puch, Johann und Janez Puh
Erscheinungsdatum: 1998, Preis: EUR 19,95.
Das hätte ich gerne. Wünschen sie Vorauskasse?
Martin Kusche
Manche erwarten die Bezahlung vorab, andere nicht. Die Päckchen sind unterschiedlich lange unterwegs. Es kommt natürlich vor, daß ein gewünschtes Buche längere Zeit nicht auf dem Markt auftaucht oder daß ich ein verfügbares Exemplar nicht entdecke. Das will mit Gelassenheit absolviert werden. All dieses Suchen, auch Warten, die Korrespondenz, der Zahlungsverkehr, die Postwege. Nein, ich wünsche daran nichts zu beschleunigen.
Es ist ein bewährter Umgang mit solchen Dingen, mit Lektüre, mit schönen Momenten, mit Wissenserwerb. Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Ich erinnere mich, daß ich in meiner Kindheit gerne mit dem Freund meines Vaters geplaudert hab. Onkel Edi, von dem es hieß, er sei Manager. Ich hatte keinerlei Vorstellung, was ein Manager ist und tut. Ich sah den Mann immer in Anzug, glatt rasiert, tadellose Frisur, und er erzählte mir einmal, daß er querlesen könne.
Mir kam das verrückt vor. Ich konnte mir nicht erklären, warum jemand das Vergnügen der Lektüre durch eine Technik des schnellen Lesens abkürzen wolle. Heute weiß ich natürlich, warum Leute wie er eine Karriere haben und ich nicht. Onkel Edi war Manager in einer Papierfabrik.
Das schuf auf jeden Fall einen schönen Schnittpunkt zwischen seinem Querlesen und meinem Langlesen. Papierfabriken und Paperbacks, also preiswerte Büchlein im Rotationsdruck, haben das Lesen so erschwinglich gemacht, daß ich schon meine Kindertage mit Büchern ausstaffieren konnte; ergänzt um die Leihgaben aus der Stadtbücherei, auf die ich als kleiner Bub noch angewiesen war.
Heute könnte man sagen, ich lebe in einem Antiquariat. Es gibt in meiner Wohnung von nichts anderem so viel wie Bücher und alte Magazine.
Meine Wohnung ist keine Bühne, um mich zu inszenieren und anderen damit etwas vorzuführen. Sie ist kein Guckkasten, in dem ich Tugenden arrangiere wie etwa Aufgeräumtheit, erlesener Geschmack oder Gestaltungskompetenzen. Sie ist einfach eine Extension innerer Rahmenbedingungen. Und Antiquariate sind die Filialen, rund um die halbe Welt verteilte Zweigstellen meiner inneren Rahmenbedingungen.
Ich kann nicht erwarten, daß das jemand versteht. Ich hab kein Bedürfnis, das jemandem plausibel zu machen. Es genügt mir völlig, Zugang zu diesen Terrains zu haben, stellenweise Terra incognita, um auf einer Reise zu sein, die kein Ende kennt.