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Die Entstehung einer Prächtigen #

Vor 150 Jahren wurde die Wiener Ringstraße feierlich eröffnet. Sie ist weit mehr als nur eine Aneinanderreihung historistischer Bauten. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 23. Juli 2015)

Von

Michael Kraßnitzer


Wiener Ringstraße. Neujahrskarte der k. k. Hof- und Staatsdruckerei mit dem Grundplan der Stadterweiterung von 1859
Wiener Ringstraße. Neujahrskarte der k. k. Hof- und Staatsdruckerei mit dem Grundplan der Stadterweiterung von 1859
Foto: © Wien Museum Foto: Andreas Groll

Immobilieninvestoren hatten nie den besten Ruf. Wo sie wirken, entstehe eine „Ästhetik der Verzinsung“: Ihr alleiniges Ziel sei es, „massenhaft vorhandene Millionen nutzbringend zu verbauen, Kapital in Mietshäuser zu verwandeln.“ Der betriebswirtschaftliche Schlüssel dabei laute: „Jede verbaute Cubikklafter soll x Gulden tragen, folglich darf das Haus y Gulden kosten.“ Wie die Währung Gulden und das veraltete Längenmaß Klafter erkennen lassen, stammen diese Äußerungen nicht von einem Zeitgenossen, vielmehr von dem ungarisch-österreichischen Schriftsteller und Journalisten Ludwig Hevesi (1843–1910). Und sie beziehen sich auf ein Großprojekt von anno dazumal: die Wiener Ringstraße, deren feierliche Eröffnung sich heuer zum 150. Mal jährt.

Heute zählt die Ringstraße zum Weltkulturerbe und ist ein Magnet für Millionen von Touristen aus aller Welt. Doch wie auch der Eiffelturm in Paris war diese Prachtstraße vielen Bewohnern des 19. und des 20. Jahrhunderts ein Dorn im Auge. „Pompöser Kitsch“, „monströse Zuckerbäckerei“: Worte wie jene des Herrenstein in Thomas Bernhards Theaterstück „Elisabeth II.“ gehörten bis in die 1960er-Jahre hinein zum guten Ton unter fortschrittlich Gesinnten, wenn sich das Gespräch um die Ringstraße drehte. Das änderte sich erst, als die Straße bereits über 100 Jahre alt war: Im Jahr 1970 verhinderten erstmals Proteste den Abriss eines Hauses am Schottenring, 1972 wurde die Ringstraße durch das Altstadterhaltungsgesetz unter Schutz gestellt.

Erster städtebaulicher Wettbewerb #

Im Jubiläumsjahr widmen sich große Ausstellungen der Ringstraße und ihrer Entstehung: Das Wien Museum rückt die Anfangsjahre vom Beginn der Stadterweiterung 1857 bis zur feierlichen Eröffnung 1865 in den Mittelpunkt („Der Ring – Pionierjahre einer Prachtstraße“); das Jüdische Museum Wien beleuchtet die Rolle jüdischer Bauherren und Mäzene, die bei der Entstehung der Prachtstraße eine herausragende Rolle spielten („Ringstraße – Ein jüdischer Boulevard“); im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek wird der Übergang Wiens von einer biedermeierlichen Idylle zu einer europäischen Metropole veranschaulicht („Wien wird Weltstadt. Die Ringstraße und ihre Zeit“); im Unteren Belvedere ist jene Malerei Thema, die Bestandteil der prächtigen Interieurs der Ringstraßenbauten war („Klimt und die Ringstraße“).

Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte Wien zu den größten und am schnellsten wachsenden Städten Europas, war aber durch eine mächtige, militärisch obsolet gewordene Befestigung eingezwängt und durch das Glacis – ein unbebautes Gelände, das angreifenden Heeren möglichst wenig Deckung geben soll – von den boomenden Vorstädten getrennt. Gegen den Widerstand der Militärs befahl der junge Kaiser Franz Joseph 1857 den Abbruch der Stadtmauern, um Innenstadt und Vorstädte miteinander zu verbinden. In der Folge wurde der erste internationale städtebauliche Wettbewerb der Geschichte veranstaltet. Dieser mündete in einen Masterplan, der den Bau einer breiten ringförmigen Prachtstraße vorsah. Die festgelegten Bauparzellen wurden an Investoren und Privatleute verkauft, der Erlös floss in den Stadterweiterungsfonds, aus dessen Mitteln Straßen, Infrastruktur und kaiserliche Bauten – Oper, Museen, Burgtheater, Hofburg – finanziert wurden. Der Kaiser, der über die Verwendung dieser Mittel entschied, gab auch einige Parzellen unentgeltlich ab, etwa für das Akademische Gymnasium oder den Musikverein, allerdings an vergleichsweise peripheren Standorten.

Bau der Hofoper, 1865
Bau der Hofoper, 1865
© Wien Museum

In der ersten Bauphase entstanden an Monumentalbauten lediglich die Hofoper und das Gebäude der Gartenbaugesellschaft. Die größeren Akzente setzte in jener Zeit das liberale Großbürgertum, das prächtige Zinshäuser und die ersten bedeutenden Palais erbauen ließ. Ab dem Ende der 1860er- bis in die späten 1870er-Jahre erreichte die Bautätigkeit ihren Höhepunkt: das Börsenviertel, der Schillerplatz, Schotten- und Parkring wurden verbaut, das Österreichische Museum für Kunst und Industrie (das heutige MAK), Parlament, Rathaus, Universität und Burgtheater wurden hochgezogen. Mit etwas Verspätung folgten Kunst- und Naturhistorisches Museum. Ab 1895 wurden infolge der Einwölbung des Wienflusses Schwarzenbergplatz und Karlsplatz gestaltet sowie das Stubenringviertel mit Postsparkassengebäude, Handelskammergebäude und Kriegsministerium errichtet. Lediglich der gigantomanische Plan einer Erweiterung der Hofburg scheiterte: von dem geplanten Megabau wurde nur ein Flügel fertiggestellt – die Neue Hofburg.

Industrielle und Kaufleute #

Der entscheidende Motor für die rasante Entwicklung war die 1860 verlautbarte „Realbesitzfähigkeit der Israeliten“, die es Juden endgültig gestattete, Grundbesitz zu erwerben. Denn es waren zu einem sehr großen Teil jüdische Unternehmer und Bankiers, die in „Neu-Wien“ investierten und sich dort ihrem wirtschaftlichen Status entsprechende Wohnsitze errichten ließen. Damit traten zum ersten Mal Industrielle und vermögende Kaufleute in den Vordergrund und forderten – wie es in England oder Frankreich längst die Regel war – ihren Platz in der Gesellschaft. Die Namen dieser Unternehmer und ihrer Familien – Todesco, Schey, Königswarter, Ephrussi, Lieben-Auspitz, Epstein – sind noch heute mit den prachtvollen Palais verbunden, die sie hinterlassen haben.

Gemäß dem damals herrschenden Baustil wurde die Wiener Ringstraße zu einem Panoptikum des Historismus, also des architektonischen Rückgriffs auf vergangene Epochen. Zunächst etablierte Theophil Hansens wegweisender Heinrichhof gegenüber der Oper einen auf der italienischen Frührenaissance basierenden Wiener Stil, ab Mitte der 1870er-Jahre setzte sich immer mehr das Neobarock durch. Andere historistische Stile, wie etwa die von Friedrich Schmidt beim Wiener Rathaus realisierte Neugotik, blieben eine Randerscheinung. Lange Zeit wurde der Historismus als „Stilmaskerade“ oder „Zuckerbäckerarchitektur“ geschmäht, seit der Postmoderne jedoch ist der Eklektizismus des 19. Jahrhunderts rehabilitiert.

Großbürgerliche Salons #

Die Gebäude der Ringstraße lassen sich jedoch nicht auf ihr äußeres Erscheinungsbild reduzieren. Nicht nur wegen der prunkvollen Malereien der besten und teuersten Künstler der jeweiligen Zeit – von Hans Makart bis Gustav Klimt –, mit denen die Interieurs vieler Ringstraßenbauten ausgestattet sind: Ein wesentliches Element des Innenlebens der Ringstraßenbauten bildete vielmehr die Salonkultur. In der halbprivaten Atmosphäre der großbürgerlichen Salons von Frauen wie Sophie von Todesco oder Berta Zuckerkandl-Szeps trafen sich Geschäftsleute und Künstler, Bankiers und Schriftsteller, Politiker und Schauspieler. Dies war auch eine Folge einer gesellschaftlichen Entwicklung innerhalb des Bürgertums, in deren Zug Frauen – anders als noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – systematisch aus dem Erwerbsleben verdrängt und in die alleinige Rolle als Mutter und Hausfrau gepresst wurden.

Für viele Frauen hatte das Eingesperrtsein in den goldenen Käfigen der Ringstraße fatale Folgen: Psychische Störungen und psychosomatische Erkrankungen wurden regelrecht herangezüchtet – es war die Blütezeit der Modekrankheit Hysterie. Auf Basis der Leiden von Wiener Großbürgertöchtern entwickelte Sigmund Freuds schließlich seine Psychoanalyse. So gesehen ist Freuds psychologische Theorie ein Spiegel der Wiener Ringstraße des 19. Jahrhunderts und der dort herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Ringstraße ist also weit mehr als nur eine Aneinanderreihung historistischer Bauten.

DIE FURCHE, Donnerstag, 23. Juli 2015


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