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Wozu Bücher schreiben?#

(Eine Notiz anläßlich Monika Lafers Buchpräsentation)#

Von Martin Krusche#

Schlampige Kolportage über diverse Buchmessen erweckt eventuell den Eindruck, von dieser Branche würden Massengüter in die Welt gekarrt und mit einem Aufgebot von möglichst markanten Wow-Effekten vermarktet. Ich lasse hier jegliche Konsumkritik beiseite, da mich ein spezielles Segment beschäftigt und weil mir an einem kulturpolitischen Statement liegt.

Das Verfassen von Büchern ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, eine anstrengende Arbeit. Ich verzichte im Moment auch auf Fragen nach angemessenem Leistungsaustausch, was etwa bedeuten kann, daß man für solche Arbeit adäquat bezahlt wird. Unser geistiges Leben hat Anteile, die nicht auf Marktfähigkeit gebürstet werden können.

Ich möchte Ihnen an einem konkreten Beispiel regionaler Wissens- und Kulturarbeit einige Eindrücke anbieten, die vielleicht nachvollziehbar machen, weshalb dieses Genre nicht vernachlässigt werden sollte.

Es gibt gute Gründe, solche Anstrengungen als einen relevanten Beitrag zu verstehen, der hilft, die Zukunftsfähigkeit eines Gemeinwesens zu stärken. Nein, das läßt sich nicht in wenigen Sätzen abhandeln. So ein Diskursbeitrag ist kein „Pitch“, mit dem jemand eine Ware oder Dienstleistung verkaufen möchte. Es ist ein einzelner Moment in einer wichtigen kulturpolitischen Diskussion. Doch diese Debatte müssen wir erst noch führen.

Zur Sache!#

Ich lege Ihnen hier eine kleine Geschichte vor, deren Anlaß die Buchpräsentation von Monika Lafers Arbeit über die Maler Arthur Kurz und Augustin Kurtz-Gallenstein ist. Diese Publikation schließt an eine Monographie über Camillo Kurtz an. Es geht dabei gesamt um zwei wesentliche Aspekte. Einerseits konsequente Wissens- und Kulturarbeit. Andrerseits das Einlösen der Option, daß Provinz nicht „provinziell“ bedeuten muß.

Als Österreich Anfang der 1990er Jahre in das TCP/IP eingebunden wurde, das weltweite „Internet-Protokoll“, war schon eine Weile vom „Informationszeitalter“ die Rede, auch vom Verlassen der „Gutenberggalaxis“. Als Kulturoptimist habe ich angenommen, das Absenken von Zugangsschwellen im Informationsbereich und die Relativierung von traditionellen Türhütern würden unserer Gesellschaft einen kulturellen Quantensprung verpassen. Es ist nicht ganz so gekommen.

Bücher, Bücher, Bücher#

Mir scheint, wir leben in einer Zeit, da sollten man begründen können, weshalb wissenschaftliche Bücher geschrieben werden müssen. Deshalb hole ich etwas weiter aus. Bücher umgeben uns wie andere Massengüter auch. Ich nehme zur Kenntnis, daß sie sogar als Dekorationsgegenstände genutzt werden. Bücher sind für mich ein schönes Thema. (Ich mag sogar die Buchattrappen in Möbelhäusern.) Es gibt aber in meinem Umfeld sehr wenig an realistischen Vorstellungen, wovon die Arbeit des Bücherscheibens handelt und warum sie unverzichtbar ist.

Ich betone das völlig unaufgeregt. Man muß sowas nicht wissen. Aber wer sich dazu äußern will, sollte inhaltlich gerüstet sein, sollte Gründe nennen können. Speziell Geschichtsbücher sind für mich kein Dekor bildungsbürgerlicher Geselligkeit. Sie sind Arbeitsergebnisse der Bemühungen, uns in den Kontrast zu Barbaren zu setzen.

Eine soziologische Faustregel besagt, das Individuum sei der primäre Sitz der Realität. Sollte sich darüber hinaus ein taugliches „Wir“ bilden lassen, bei dem nicht das Faustrecht regiert, sind wir auf gemeinsame Interessen angewiesen. Über die können wir uns zum Beispiel verständigen, indem wir Narrative bilden, denen viele Menschen zustimmen, in denen sie sich gemeint fühlen. Ahnen Sie nun, was zum Beispiel mit dem Zweck von Wissens- und Kulturarbeit gemeint sein könnte? Aber wer ist dazu befugt? Und wie qualifiziert man sich dafür?

Monika Lafers aktuelle Publikationen
Monika Lafers aktuelle Publikationen

Gelehrte und Gebildete#

Eben erst, also etwa im Mittelalter, waren Gelehrte eine überschaubare Minorität, in gediegener Abhängigkeit von ihrer Herrschaft, auch von mancher Priesterschaft, über Standesregeln sortiert und zurechtgestellt. Das änderte sich nur sehr langsam. Noch Immanuel Kant mußte seinem Prinzen sehr artig danken, daß dieser ihm das Publizieren von Schriften mit Wohlwollen quittierte. Was für ein umfassendes Kräftespiel, bis Gebildete dazukamen, bis schließlich Allgemeinbildung eine Möglichkeit wurde, die allen Menschen offenstehen sollte; als ein Aspekt der Einladung, eine komplette Bevölkerung möge am öffentlichen, politischen und kulturellen Leben teilnehmen. (Ein Thema, das die Kulturpolitik auf ihren Listen wohl wieder weiter raufrücken sollte.)

Ich überspringe einige Jahrhunderte. Den meisten meiner Mitmenschen wird überhaupt nicht bewußt, wie radikal der Umstand ist, daß zum Beispiel ein Keuschlerkind neben seiner Alltagsbewältigung Kompetenzen erwirbt, die erstens zu Sachbüchern führen und zweitens einen Platz in der akademischen Welt markieren.

Wissen Sie zufällig, wann in Österreich erstmals eine Frau eine Universität besuchen durfte? Ich zitiere: „Erst ab dem späten 19. Jahrhundert konnte ein den Männern gleichberechtigtes Frauenstudium durchgesetzt werden. Seit 1878 durften Frauen Universitätsvorlesungen als Hospitantinnen besuchen, 1896 wurde ihnen die Nostrifikation von im Ausland erworbenen Doktordiplomen (Wiederholung sämtlicher Rigorosen) gewährt, ab 1897 standen ihnen die philosophischen, ab 1900 die medizinischen Fakultäten offen. Erst 1919 erhielten sie Zutritt zu fast allen Fakultäten und Hochschulen. In Österreich fand die erste Promotion einer Frau 1897 (G. Possaner Freiin von Ehrenthal, Dr. med. univ., Wien), die erste Habilitation einer Frau 1907 (Dr. phil. E. Richter, Romanistik, Wien) statt.“ (Quelle: Frauenstudium)

Weibliche Intelligenz#

Man hat in diesem Land und in seinen Vorläufer-Formationen also recht lange auf weibliche Intelligenz verzichtet. Naja, eigentlich war es eher umgekehrt, man hat weibliche Intelligenz nach Kräften an die Kette gelegt. Ich halte mich hier gar nicht erst mit der Bewertung dieses Faktums und mit der gegenwärtigen Situation auf. Es genügt im Augenblick völlig, kurz zusammenzufassen: Das Keuschlerkind Monika Lafer hat einen bemerkenswerten Lebensweg gestaltet. Lafer lebt ihre Familiensituation, ist als Künstlerin aktiv und forscht als Kunsthistorikerin. Punkt! (Wir haben uns als Gesellschaft noch längst nicht daran gewöhnt, daß sowas vorkommt.)

Lafers Arbeit hat einige Schwerpunkte und Schnittstellen bearbeitet, die den Raum Gleisdorf betreffen. Das bedeutet, sie lieferte tiefergehende Beiträge zum geistigen Klima der Region. In einer Zeit, da diverse Regional- und sonstige Managements agieren, als wären sie sinn- wie identitätsstiftende Institutionen von längerfristiger Relevanz, muß das gelegentlich betont werden. Ich nenne meine Gründe!

Preiswerte Bücher aus dem Rotationsdruck auf Zeitungspapier
Preiswerte Bücher aus dem Rotationsdruck auf Zeitungspapier

Ohne Geschichtsschreibung wüßten wir nicht, wer wir sind. Wir wären in unserer Alltagsbewältigung zuhause. Mehr ginge sich kaum aus. Sie sind anderer Meinung? Hm. Was haben wohl meine oder Ihre Großeltern zu wesentlichen Themen gedacht? Nicht einmal von meinen Eltern ist mir dazu viel erinnerlich. Wie geht es Ihnen mit Ihren Eltern? Wissen Sie Details? Essenzielles? Sind sie gut im Bilde?

Menschliche Kenntnis von welchen Dingen auch immer ist sehr flüchtig. Wissen rinnt uns durch die Finger wie feiner Sand. Dazu kommt, daß unsere Interessen unsere Erinnerungen einfärben. Intentionen können trügerische Effekte entfalten. Vielleicht war das alles vor wenigstens dreitausend Jahren ganz anders; in einer Zeit, da sich die Schriftkultur noch nicht allgemein durchgesetzt hatte. Aber heute? Fußnötchen: Unsere Geschichtsbücher weisen noch erhebliche Lücken auf, was der weibliche Anteil an diesen Prozessen war.

Bücher: vom Wertgegenstand zum Massenprodukt#

Literarität, also die Fähigkeit Texte zu lesen und zu verstehen, ist für uns ganz selbstverständlich. Wirklich? Ich erinnere mich, wie ich als Jugendlicher noch gleichaltrigen Analphabeten begegnet bin. Daß ich selbst als Büchernarr erkennbar wurde, galt dagegen als sonderlich. Aber! Um es mit Karl Mannheim zu sagen: „Ein Individuum kann mehr als sein eigenes Leben leben und mehr als seine eigenen Gedanken denken. Es kann sich über den Fatalismus und Fanatismus einsamer Existenzen erheben, ob es sich nun um Individuen. Berufe oder Nationen handelt.“ Dabei spielen Bücher eine fundamentale Rolle.
Demokratisierung der Literaturzugänge: die preiswerte Universal-Bibliothek
Demokratisierung der Literaturzugänge: die preiswerte Universal-Bibliothek

Um dem Breite zu verschaffen, war erst einmal die Erfindungen des Buchdrucks wesentlich. Damit konnte sich das Europa der Skriptorien verändern, das handschriftliche Kopieren von Büchern auf dem teuren Pergament fand ein Ende. Ich denke, es waren die beweglichen Lettern, dank derer das Abendland sich gegenüber den arabischen Kulturen einen so nachhaltigen Vorsprung verschaffen konnten, der womöglich bis heute wirksam ist. (Wären wir ohne Gegenreformation ausgekommen, hätte sich vielleicht manche Barbarei bei uns nicht etablieren können.)

Mein Großvater Richard, der vom Grimming herkam, erzählte mir, Bücher habe man in seiner Gegend einst per Versandhandel bezogen. Sie seien so teuer gewesen, zu dem Gegenwert hätte man auch ein paar Schuhe kaufen können.

In meinen Kindertagen spürte ich noch den Hauch der nächsten Revolution von Wissenstransfer. Reclam-Heftchen und Paperbacks zeigten Spuren davon. Sagt Ihnen das Kürzel RoRoRo etwas? So stand es auf Leinenstreifchen gedruckt, die den Rücken von Taschenbüchern abdeckten: Rowohlts Rotations-Romane. Rotationsdruck auf Zeitungspapier. Eine enorme Kostenersparnis. Bücher, für (fast) alle erschwinglich.

Anfechtungen#

Von Europas Wende zur Schriftkultur über die beweglichen Lettern Gutenbergs zu den Taschenbüchern... Vor knapp zweieinhalbtausend Jahren kam offenbar Unruhe ins Gefüge. Die alten Mnemotechniken sind dabei nicht völlig untergegangen. Das Erzählen, etwa in großen Versepen, ist teilweise überliefert. Wir können heute noch Beispiele einer oralen Kultur finden, in der auf solche Arten Wissen gesichert und weitergegeben wurde; vom Guslar des Balkans bis zu den afrikanischen Griots.

Das änderte sich in großen Teilen Europas zu Zeiten des Sokrates, der (laut Platon) dem Aufschreiben grundlegend mißtraute. Im „Phaidros“ heißt es etwa: „Denn dieses Schlimme hat doch die Schrift, Phaidros, und ist darin ganz eigentlich der Malerei ähnlich; denn auch diese stellt ihre Ausgeburten hin als lebend, wenn man sie aber etwas fragt, so schweigen sie gar ehrwürdig still. Eben so auch die Schriften. Du könntest glauben sie sprächen als verständen sie etwas, fragst du sie aber lernbegierig über das Gesagte, so enthalten sie doch nur ein und dasselbe stets. Ist sie aber einmal geschrieben, so schweift auch überall jede Rede gleichermaßen unter denen umher, die sie verstehen, und unter denen, für die sie nicht gehört, und versteht nicht, zu wem sie reden soll, und zu wem nicht. Und wird sie beleidiget oder unverdienterweise beschimpft, so bedarf sie immer ihres Vaters Hülfe; denn selbst ist sie weder sich zu schützen noch zu helfen im Stande.“

Kunsthistorikerin Monika Lafer
Kunsthistorikerin Monika Lafer

Es scheint, als sei er voller Verachtung für die schreibende Zunft gewesen. Sokrates: „Also wer nichts besseres hat als was er nach langem Hin- und Herwenden, Aneinanderfügen und Ausstreichen abgefaßt oder geschrieben hat, den wirst du mit Recht einen Dichter oder Redenschreiber oder Gesetzverfasser nennen.“

Diese Art der Verächtlichkeit hat sich bis heute gehalten. Ich kann sie an jeder Ecke finden und spätestens seit der Pandemie-Erfahrung hat sie öffentlich Feste gefeiert. Ironischerweise ganz wesentlich über das Verfassen und Verbreiten von Textchens.

Ich denke heute, es ist nutzlos, das anzufechten, es ist gar nicht machbar. Der beste Einwand gegenüber diesem geistigen Schnöseltum besteht in konsequenter Arbeit. Am Beispiel von Monika Lafer: dieses Suchen, das Betrachten und Vergleichen, Analysen, das Ziehen von Schlüssen, um uns damit Orientierungshilfen zu bieten. Wie haben wir sehen gelernt und wie das Denken? Was sind das für Prozesse, in denen Meinungsbildung stattfindet, aber auch Identitätsbildung? Über welche Wege und Ereignisse entwickeln sich jene Narrative, mit denen wir unsere „Wir-Gefühle“ ausgedrückt sehen?

In „Vita Activa“ gab Hannah Arendt zu bedenken: „Wissenschaftliche Arbeit braucht nicht ewig zu sein, sie muß nicht einmal mehr verständlich sein, bzw. der menschlichen Vernunft als solcher zugänglich.“ Ich deute das als einen Hinweis auf die Relevanz einer Berufsausübung, die mit Alltagsbewältigung nichts zu tun hat. Eine Art Grundlagenarbeit, die dann freilich über verschiedene Wege im Gemeinwesen wirksam werden kann.

Sei es ein anregendes Buch, das Zusammenhänge deutlich macht und Denkanstöße bietet. Sei es konkrete Kulturarbeit, die sich an Orten manifestiert; nicht bloß an jenen, welche dem Kulturgeschehen gewidmet wurden. So wie Monika Lafer ihr aktuelles Buch im Forum Kloster präsentiert hat, während im Verwaltungsgebäude der Gleisdorfer Feistritzwerke ihre Ausstellung „Natur Mensch“ hängt.



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