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Wozu Lyrik?#

von Harld W. Vetter

Einige kurze Gedanken zu einem fortlaufenden Text#

Ebenso gut könnte man etwa fragen, wozu Oper, Theater oder Film?

Lyrik ist eine Kunstform, die sich aus dem antiken Sprechchor und Lied heraus gebildet hat. Gesang richtet gemeinsame Gefühle aus. Davon hat sich - gleichsam wie aus dem Madrigal – eine Art Textur abgespaltet, deren Musikalität in Wort, Silbe, Rhythmus und Vers ein eigenes Gewebe bildet, dessen geheimnisvolles „Hintergrundrauschen“ manchmal ganz in unsere Existenz hinein reicht.

Das Gedicht als rein reales Konstrukt ist langweilig, wenn es nur beschreibt, bedenkenlos Verse aneinander reimt und damit eine Welt behübscht, die es so niemals gegeben hat und gibt. Der wirkliche, „gegenwärtige“ Lyriker wirft nur seine Netze aus und fischt im kollektiven Unbewussten. Was ihn hier einzig von anderen unterscheidet, ist der kompromisslose Wille zur Formgebung.

Lyrik entsteht vielmehr aus einer Daseinsnot heraus, die wiederum mit einer Ausdruckskrise zu tun hat, der wir alle aufgrund der nicht zuletzt um sich greifenden ökonomischen wie soziokulturellen, gerade eben auch geistigen, also existentiell bedingten Seinsvergessenheit unterworfen sind. Sie verknappt das ohnehin schon dürftig vorhandene Seiend-Wollende noch einmal, ja muss es geradezu tun. Daher scheint das Gedicht die Anklage gegen eine Weise des Notstands zu sein, die uns hörend und sehend macht.

Vielleicht braucht uns die Lyrik ebenso wie wir sie benötigen, um zur Sprache zu kommen? Allerdings muss das gelungene Gedicht in dieser verödeten Zeitenwende ambivalent, fragend, fragwürdig bleiben, die Leser bzw. Rezipienten loslassen in eine Gegend, die ungesichert, eigentlich unbeschrieben nur „da“- seiend ist. Orientieren soll und muss sich ein jeder dort selbst, dies aber ganz im Wissen, dass man die verlorene Kompassnadel auch wieder finden kann.

Joseph von Eichendorff sagte es einmal:
„Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.“

Darum ist Lyrik heute immer mehr zu einem Wagnis für die eigentlich Unbehausten geworden, weil immer weniger auf sie hören können. Technik, Konsumismus, Habsucht und Wucher (Usura) haben viele Menschen blind und taub gemacht. Das kollektive Ganze schwingt in keinerlei Richtung mehr, sondern hyperventiliert höchstens noch.

„Dennoch die Schwerter halten vor die Stunde der Welt“ dichtete Gottfried Benn etwas martialisch. Und der immer noch unterschätzte Joseph Conrad schrieb einmal lakonisch: „Dichten heißt im Scheitern das Sein erfahren.“

Das gelungene Gedicht versucht gerade heute noch immerhin das zusammen zu halten, was zusammen gehört: das Menschentum mit seiner Geistigkeit, zumindest ansatzweise.

Die Lyrik – Bände des Autors#

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Sternensturz. Bucheinband Verlagshaus Hernals 2016
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