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Edmund de Waals Bestseller #

Vor zehn Jahren erschienen - und demnächst in Wien als Gratisbuch verteilt: "Der Hase mit den Bernsteinaugen". Eine Wieder-Lektüre.#


Von der Wiener Zeitung (30. Oktober 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Oliver vom Hove


Edmund de Waal, Autor des Erinnerungsbuches und Ururenkel des Wiener Großbankiers Ignaz Ephrussi, im Palais Ephrussi in Wien.
Edmund de Waal, Autor des Erinnerungsbuches und Ururenkel des Wiener Großbankiers Ignaz Ephrussi, im Palais Ephrussi in Wien.
Foto: © apa / Andreas Pessenlehner

Weitgespannt ist das Netz der Erinnerung. In seinen Maschen fangen sich die zahllosen familiären Geschehnisse und Geschichten meist erst zu später Stunde, nach vollendeter Zeit. Beharrlich bleibt die Eule der Minerva erst am Abend bereit, ihre Flügel auszuspannen.

Weitgespannt ist auch die über ganz Europa verzweigte Geschichte der Bankiersfamilie Ephrussi. Sie beginnt in Odessa und führt über Wien, Paris und London bis nach Japan. Und mit ihr das Reiseabenteuer einer Sammlung von 264 Netsuke, edlen historischen Schnitzereien, die der Keramiker und Ephrussi-Nachkomme Edmund de Waal einst von seinem Großonkel in Tokio geerbt und nach Europa zurückgebracht hat. Es sind kostbare japanische Figürchen aus Elfenbein, Holz oder Knochen, die einst als nützliche Fibeln für Kimonos dienten.

Verzweigte Geschichte#

Die Erfolgsgeschichte der Großfamilie Ephrussi endete nach einem Jahrhundert 1938 in Wien, nach der Übernahme der Herrschaft durch die Barbarei der Nazis. Und obwohl deren Unrechtsstaat 1945 im Inferno des Weltkriegsendes unterging, hat es noch weitere 65 Jahre gedauert, bis ein persönliches Erinnerungsbuch sich des tragischen Schicksals der einst überaus einflussreichen jüdischen Familie in Europa annahm.

100.000 Exemplare dieses Buches werden ab 12. November in Wien gratis verteilt.
100.000 Exemplare dieses Buches werden ab 12. November in Wien gratis verteilt.

In dem 2011 erstmals erschienenen Roman "Der Hase mit den Bernsteinaugen" hat Edmund de Waal mit unbändiger Forscherneugier der bewegten Geschichte seiner Vorfahren nachgespürt, die ab 1830 mit dem Weizengroßhandel im ukrainischen Odessa reich wurden und sich als Bankiers zuerst in Wien, dann auch in Sankt Petersburg, Paris und London niederließen.

"Die Familie Ephrussi ging nach dem Rothschild-Muster vor", beschreibt Edmund de Waal den Aufstieg des Clans. "So wie die Rothschilds ihre Söhne und Töchter zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Frankfurt ausgesandt hatten, um die europäischen Hauptstädte zu kolonisieren, so hatte der Abraham meiner Familie, Charles Joachim Ephrussi, in den 1850er Jahren diese Expan- sion von Odessa aus in die Wege geleitet." Als einer der größten Getreideexporteure der Welt sandte der kinderreiche Patriarch seine beiden älteren Söhne 1857 nach Wien, um von dort aus die Geschäfte der Ephrussi in Österreich-Ungarn zu leiten. Diese Aufgabe übernahm Ignaz Ephrussi, indes sein älterer Bruder Leon eine Niederlassung des Bank- und Handelshauses in Paris gründete.

Der Erzähler Edmund de Waal ist der Ururenkel des Wiener Großbankiers Ignaz Ephrussi. Als Leitfaden für seine breit angelegte Familiengeschichte, die nun ab 12. November im Rahmen der Aktion "Eine Stadt. Ein Buch" in einer Auflage von 100.000 Stück in ganz Wien gratis verteilt wird, hat er die Odyssee der aus Japan stammenden Netsuke-Kollektion gewählt, die in Paris in die Sammlerhände der Ephrussi gelangte. Weshalb er als Entree zu seinem Ephrussi-Panorama nicht Wien, sondern die französische Hauptstadt bestimmt hat.

Denn dort erlangte Charles, Sohn von Leon Ephrussi, dank dem immens gewachsenen Vermögen der Familie bereits ab den 1870er Jahren den gesellschaftlich hochgestellten Rang eines Liebhabers und Förderers der Künste. Im Treibhaus der damaligen Pariser Kunstszene etablierte er sich als ein maßgeblicher Sammler mit Weitblick und Kunstverstand. Er war einer der Ersten, der die frühen Impressionisten sammelte: Gemälde von Degas, Manet, Monet, Sisley, Pissarro und Renoir.

Charles Ephrussi, Porträt von Leon Bonnet, 1906.
Charles Ephrussi, Porträt von Leon Bonnet, 1906.
Foto: Christie´s, LotFinder: entry 5474464. Aus: Wikicommons, unter PD

Marcel Proust, der in seinem Palais ein und aus ging, porträtierte den Mäzen in einer späten Charakterstudie als "un amateur de peinture" und schrieb: "Es war sein Verdienst, dass viele Bilder, die halbfertig liegen gelassen worden waren, schließlich vollendet wurden." Für den Romanhelden Charles Swann in Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" diente der Pariser Kunst-Connaisseur, den er in Briefen "meinen lieben und so allgemein geschätzten Charles Ephrussi" nennt, als eines der beiden Vorbilder.

In den frühen Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts wurde Paris von einer Japan-Mode erfasst, die sich zu einer veritablen Hysterie auswuchs. Man kaufte wie besessen japanische Waren: bestickte Seide, Wandschirme mit Blattgold, Spielsachen, vor allem aber Drucke und Keramik. Die Läden waren überschwemmt von Lackarbeiten, Elfenbeinschnitzereien, Emaillen, Fayencen und Porzellan, Bronzen, Holzskulpturen.

Charles Ephrussi und seine Geliebte Louise Cahen d’Anvers waren mit ihrer Sammlerleidenschaft eigentlich spät dran. Umso kostbarer mussten die Objekte sein, denen sie ihr Interesse zuwandten: eine Sammlung von dreiunddreißig schwarz-goldenen Lackkästchen etwa, eine Steingut-Deckeldose aus dem 16. Jahrhundert, vor allem aber die Sammlung jener Netsuke genannten kleinen Schnitzereien von Figuren und Tieren, die man in der Hand halten konnte.

Religion "Japonism"#

In einem langen Essay widmete sich Charles Ephrussi 1878 begeistert der japanischen Kunst. In der Zeitschrift "Paris Herself Again" stand damals der Satz: "Japonism ist für einige sehr kunstbeflissene Amateure wie die Ephrussi und die Camondo eine Art Religion geworden." Die soziale Stellung der Bankiersfamilie festigte sich in den erfolgreichen Gründerzeitjahren mächtig. In Lebensstil und zur Schau gestelltem Belle-Epoque-Prunk konkurrierten sie mit den Rothschilds. Als der Zar in Paris weilte, wurden die Brüder Ephrussi ihm als prominente russische Staatsbürger vorgestellt. Der fulminante gesellschaftliche Aufstieg von Charles und Ignaz Ephrussi rief auch vehemente antisemitische Gegner auf den Plan. "Die Ephrussis, die Rois du Blé, die Weizenkönige, werden zugleich als Emporkömmlinge verachtet und als Mäzene hofiert", schreibt Biograph de Waal.

Die Geschichte des Wiener Ephrussi-Zweigs und der Netsuke-Figuren beginnt bei de Waal mit einer Heirat kurz vor der vorletzten Jahrhundertwende. Denn als am 7. März 1899 Charles’ Cousin Viktor Ephrussi in der Synagoge in Wien die 18-jährige Baronesse Emmy Schey von Koromla ehelicht, trifft aus Paris ein besonderes Geschenk ein: eine schwarze Vitrine mit der Netsuke-Sammlung. Sie umfasst 264 Stück geschnitzte Figuren und erhält ihre neue Heimstatt im bereits 1872/73 vom berühmten dänischen Architekten Theophil Hansen errichteten Ringstraßen-Palais der Wiener Ephrussis am Schottentor, schräg gegenüber der Universität.

Ab den frühen Siebzigerjahren des vorvergangenen Jahrhunderts hatte sich eine unerhörte Dynamik in der ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Entwicklung der Monarchie etabliert, bei der die Politik kläglich hinterherhinkte. Maßstäbe setzte dabei das liberale jüdische Großbürgertum, das sich als führend beim Vorantreiben des Fortschritts bewährte.

Es sind dies die "berauschenden Jahre des Familienaufstiegs in den 1870er Jahren", in denen de Waals Ururgroßvater Ignaz Ephrussi zum größten Bankier von Wien nach Rothschild emporwuchs.

Das Palais Ephrussi in Wien.
Das Palais Ephrussi in Wien.
Foto: Peter Haas. Aus: Wikicommons, unter CC BY-SA 3.0

In dem fünf Stockwerke hohen Riesenbau des Palasts Ephrussi mit dem in Marmor eingelegten Familienmonogramm auf dem Boden der Eingangshalle konnte sich in einer Flucht von Räumlichkeiten ein prunkvoller Lebensstil entfalten. Der feudale Rahmen bot Victor und Emmy Ephrussi jede Gelegenheit, ein großes Haus zu führen: Das Defilee von Nachmittagsbesuchen und Abendgesellschaften erforderte von den 17 Bediensteten viel Umsicht und Einsatz. Die verspiegelte Vitrine mit den Netsuke - darunter der elfenbeinerne "Hase mit den Bernsteinaugen" - wurde in Emmys Ankleidezimmer untergebracht, wo die drei Kinder die Figuren als Spielzeug benützen durften.

Die älteste Tochter Elisabeth schreibt Gedichte und wechselt Briefe mit Rilke. 1924 wird sie als eine der ersten Frauen in Wien in Rechtswissenschaft promoviert. Sie verlässt Wien und lässt sich mit ihrem Mann, dem Holländer Hendrik de Waal, in Paris nieder. Ihre niederländische Staatsbürgerschaft wird später bei der Rettung der Eltern aus dem naziverseuchten Wien hilfreich sein.

Als im Sommer 1914 der Weltkrieg ausbricht, gibt Viktor Ephrussi, der inzwischen zum Baron geadelt wurde, seine russische Staatsbürgerschaft auf und erwirbt die österreichische. Die Juden von Wien erinnern sich des Schutzes, den ihnen der Kaiser stets angedeihen ließ. "Ich dulde keine Judenhetze in Meinem Reiche", hatte Franz Joseph den antisemitischen Agitatoren, ob sie nun Lueger oder Schönerer hießen, entgegengehalten. "Ich bin von der Treue und Loyalität der Israeliten vollkommen überzeugt und die Israeliten können immerdar auf Meinen Schutz rechnen." Bereits 1867 hatte er den Juden in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie die rechtliche Gleichstellung verschafft.

Nun ist in der Weltgeschichte die Stunde der Dankbarkeit gekommen. Im monatlichen Informationsblatt der Österreichisch-Israelischen Union für Juli und August 1914 wird verlautbart: "In dieser Stunde der Gefahr betrachten wir uns als vollwertige Staatsbürger. (...) Wir wollen dem Kaiser mit dem Blute unserer Kinder und mit all unserer Habe dafür danken, dass er uns die Freiheit geschenkt hat; wir wollen dem Staate beweisen, dass wir wahre Bürger sind, so wie jeder andere. (...) Nach diesem Krieg mit all seinen Schrecken kann es keine antisemitische Agitation geben. Wir werden volle Gleichheit fordern können."

Viel Platz wird in de Waals beispiellos genauem Erinnerungsbuch den Lebensumständen der Wiener Bankiersfamilie Ephrussi in der Umbruchszeit zu Ende des Weltkriegs eingeräumt. "Zu Kriegsbeginn hatte sich das Haus sehr exponiert angefühlt, ein vom öffentlichen Raum umschlossenes Privathaus. Nun schien der Frieden erschreckender als der Krieg: Es war unklar, wer wen bekämpfte, ob es eine Revolution geben würde oder nicht (...) Der Antisemitismus gewann in diesen Jahren in Wien zunehmend an Boden. Bei lautstarken Demonstra-tionen wurde gegen die ‚Pest des Ostjudentums‘ gehetzt."

Noch wurde in der Familie Ephrussi darüber gelacht, wollte man als assimilierte Juden mit den zugewanderten - allein 100.000 aus Galizien - nichts zu tun haben. Inzwischen hatte sich aber der Vielfraß Inflation ausgebreitet. "Während man schläft, schmilzt das Geld", schrieb Stefan Zweig in "Rausch der Verwandlung". Viktor Ephrussi hatte ein Gutteil seines Vermögens verloren, das vor dem Krieg rund 25 Millionen Kronen sowie etliche Häuser in Wien, das Palais und eine Sammlung Alter Meister umfasst hatte: in heutigem Wert mehr als 300 Millionen Euro.

"Sein Entschluss, sein Geld in Österreich zu belassen, hatte sich als fatal herausgestellt", urteilt de Waal über seinen Urgroßvater: "Der frischgebackene patriotische Österreicher hatte bis 1917 massiv Kriegsanleihen gezeichnet. Auch sie waren wertlos." Die Hälfte der Bank musste 1921 von Financiers übernommen werden. Doch de Waal hält fest: "Das Bankhaus Ephrussi war immer noch lebensfähig, seine Stellung auf dem Balkan machte es zudem zu einem wichtigen Geschäftspartner."

Der Kontinent Europa war für die Ephrussis bis zum März 1938 ein offenes, grenzenloses Reisereich gewesen, ein heimatliches Drehkreuz der weitgespannten Geschäfts- und Einflusssphären. Nun vernichtet Hitler die Souveränität Österreichs und setzt die Juden unter Mitwirkung eines beträchtlichen Teils der Wiener Bevölkerung einer mörderischen Hetzjagd aus: Das Palais Ephrussi wird von den Nazi-Horden geplündert, der verschreckte Prinzipal wird verhaftet und kommt erst wieder frei, nachdem er auf sämtliche Besitztümer verzichtet hat.

Unfähig, eine Entscheidung zu treffen, verschanzt er sich mit seiner Frau Emmy in zwei abgelegenen Räumen seines "arisierten" Palais. Erst seine Tochter Elisabeth, die nach Wien zurückgekehrt ist, erwirkt am 20. Mai für ihre Eltern eine Ausreisegenehmigung. Die Vertriebenen begeben sich ins slowakische Kövecses, auf das Landgut von Emmys Familie Schey. Indes, auch dort sind sie nicht sicher, nachdem Hitler im Herbst 1938 ins Sudetenland einmarschiert. Emmy vermag dem Druck nicht mehr standzuhalten, am 12. Oktober nimmt sie eine tödliche Dosis Herztabletten. Ihrem Mann gelingt erst ein halbes Jahr später, Anfang März 1939, die Flucht nach England, zur Familie seiner Tochter Elisabeth de Waal, der Großmutter des 1964 geborenen Autors.

Antisemitismus#

Die Restitution der geraubten Werte ging nach dem Krieg nur zögerlich vonstatten. Das kriegsbeschädigte Palais musste die Familie 1951 für nur 30.000 Dollar verkaufen. Wundersamerweise hatte sich die Netsuke-Sammlung erhalten: Das Dienstmädchen Anna hatte die Kleinplastiken in ihrer Schürze geborgen und später in ihrer Rosshaarmatratze versteckt. Die Figuren zogen mit Ignaz ("Iggie") Ephrussi, dem Großonkel des Autors, nach Tokio und fanden schließlich als Erbstücke ihre Heimstatt in Edmund de Waals Londoner Haus.

Direkte Nachkommen der Ephrussis: Edmund de Waal mit Sohn Benjamin (l.) und Vater Victor de Waal 2019 in Wien.
Direkte Nachkommen der Ephrussis: Edmund de Waal mit Sohn Benjamin (l.) und Vater Victor de Waal 2019 in Wien.
Foto: © apa / Hans Punz

De Waals weitgespannter Bericht bringt ein unersetzliches Stück Kulturgeschichte zurück, das von den Nazis mit pathologischem Hass und tödlichem Vernichtungswillen zerstört wurde.

Hätte es den Massenmord an den Juden durch die Nazis nicht gegeben, könnten wir die Geschichte der Ephrussis und Camondos zurückgelehnt als herausragendes Kapitel der europäischen Wirtschafts- und Kunstgeschichte lesen. So aber müssen wir uns zum Fanal der Vernichtung von Menschen bekennen, die mit ihrem Fachwissen, der kultivierten Weltläufigkeit und ihrer Leidenschaft unbedankt zur Bereicherung von Fortschritt, Einheit und Schönheit auf unserem Kontinent beigetragen haben.

Der Antisemitismus ist nicht verschwunden in den letzten 75 Jahren in Europa. Im Gegenteil: Zuletzt hat er bedenklich stark zugenommen, durch die alteingesessene Judenfeindlichkeit, die sich wieder frisch erhebt, aber auch durch den aus islamischen Ländern eingeschleppten Hass auf die Juden und ihren erfolgreichen Staat Israel. Sofern die Geschichte eine Warnschrift für willige Schüler ihrer bitteren Lektionen bereithält: Diese hier ist eine der herausragendsten, bewegendsten.

"Camondo" als Epilog#

"Eine Familie, eine Bank, eine Dynastie." Dieser Trias folgte de Waal ausgiebig in seinem ersten Buch. Es ist auch das Motto für seine jüngst auf Deutsch erschienene Auseinandersetzung mit der Bankiersfamilie Camondo in Paris - ein Parallelfall zu seinem Ephrussi-Clan. Gleichsam wie einen Epilog, der aber ein weiteres bedeutsames Stück jüdisch-europäischer Kulturgeschichte darstellt, hat der Autor hier eine kleine Familiengeschichte der Camondos nachgeschoben.

In fiktiven Briefen, gerichtet an den Patriarchen und Kunstsammler Moise de Camondo. "Beide unsere Familien, die Ephrussi und die Camondo, kommen 1869 nach Paris, meine aus Odessa, Ihre aus Konstantinopel, und beide unsere Familien erwerben im selben Jahr Grundstücke in der Rue des Monceau."

Buchcover: Camondo
Buchcover: Camondo

Nicht nur plutokratische Geldbeherrscher wie die aus Ägypten stammenden Bankiers Cattaui und einige Rothschilds wohnten dort, sondern auch Theodor Herzl, Pariser Korrespondent der "Neuen Freien Presse", und - um die Ecke - Marcel Proust. In der Beschreibung des Palais Camondo, das seit 1936 als Museum zugänglich ist, kommt nun der Ästhet de Waal zu Wort, der nicht schwärmerisch genug den luxuriösen und zugleich feinsinnigen Lebensstil preisen kann und sich höchstens einmal wundert, dass es bei Camondos "ein eigenes Zimmer für das Dekantieren des Weins" gab.

Erkennbar wird hier, welchen Sinn diese jüdischen Gründerzeitfamilien dem Reichtum zuwiesen: den Lebensanspruch auf Schönheit in allem - Wohnen, Kleidung, Reisen, Kunsterwerb - bis aufs Äußerste erfüllbar zu machen. Die Poiesis der Lebensverfeinerung auf die Spitze zu treiben, zum Staunen aller und zur Bewunderung vieler.

Edmund de Waal. Camondo. Eine Familiengeschichte in Briefen. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2021, 192 Seiten, zahlr. Abb., 26,80 Euro.

Oliver vom Hove lebt als Dramaturg, Literaturwissenschafter und Publizist in Wien.

Wiener Zeitung, 30. Oktober 2021

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