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Die Burg, ein Muttertheater#

Absurd, intellektuell, moralisch: der Dramatiker Václav Havel (1936 - 2011)#


Von der Wiener Zeitung (21. Dezember 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Hans Haider


Schild Havel
Foto: Burgtheater

Prag, Hradschin, früher Jänner 1990. Wissenschaftsminister Erhard Busek überbringt Glückwünsche aus Wien. Václav Havel trägt im Amt, es ist später Vormittag, einen schwarzen Rollkragenpulli. Sein Gesicht strahlt. Er blättert im Pass, den er eben bekommen hat, dem ersten seit zwanzig Jahren. Was seine "Proféssion" ist, liest er zögerlich vor: Président de la République fédérative tchèque et slovaque. Über die Schriftstellerei kein Wort. Aus der von ihm selbst und der Mehrheit der Bürger gewählten Politikerrolle wird der Dichter nie mehr herausfinden.

2008 wollte es der schwer lungenkrebskranke Expräsident noch einmal wissen. Der Entwurf für das Stück "Abgang" (Odchazeni) lag seit 1988 in der Schublade. Ein Staatsmann räsoniert, ironisch-selbstkritisch und darum selbstzerstörerisch, nach dem Verlust der Macht über die verlogenen Mechanismen von Politik und Medien. Ein Achtungserfolg, nicht mehr. "Abgang" wurde als Abrechnung mit Havels Widerpart Václav Klaus missinterpretiert. Er verfilmte den Plot noch selbst als Regisseur - Premiere war heuer im März. Zum Sterben zog sich der 75-Jährige in sein Häuschen im nordböhmischen Weiler Hrádecek zurück. Wo er am 18. Dezember einschlief, probierte er in den Jahren der Verfolgung in Privataufführungen neue Texte aus. Er kannte sein Publikum jenseits des Eisernen Vorhangs kaum. Was dort als universeller aufklärerischer Humanismus ankam, war mit unzähligen Anspielungen gespickt, die nur in der CSSR oder von tschechischen Emigranten zu verstehen waren.

Kein kalter Krieg#

Der Schöpfer von Welterfolgen wie "Das Gartenfest" (1963) und "Benachrichtigung" (1965) saß sechs Jahre im Gefängnis. Warum der Polizeikrieg gegen die Dichter, die Intellektuellen? Der 1968 von der Sowjet-Internationale zerschlagene "Prager Frühling" war eine Kulturbewegung - zugleich Wiederbelebung der Avantgarde in der 1939 schon von den Nazis vernichteten bürgerlichen Republik und jugendkultureller Internationalismus Marke Woodstock. Havel liebte die Prager Popgruppe "Plastic People of the Universe". Als sie ebenfalls drangsaliert wurde, formierten sich ihre Verteidiger zur "Charta 77".

Kritik an kalten bürokratischen, verachtenden Systemen war, mit Orwells "1984" als Leitbuch, eine Waffe im Kalten Propagandakrieg. Kafkas Angstbilder in "Der Prozess" und "Das Schloss" wurden im Westen simpel als vorausgeschaute Beschreibungen von Stalins Terror interpretiert. Havel wollte kein Kalter Krieger sein. Er warb für die Zivilgesellschaft und führte, als Konservativer, in soziotechnokratischen Fiction-Kulissen scheinbar rationale moderne Politsysteme ad absurdum. Wie alle Intellektuellen gar zu gerne, wusste auch Havel das Schicksal der Welt in deren Hände gelegt. Sein Dr. Heinrich Faustka in "Versuchung" (1986) ist ein Wissenschafter in einem Institut zur Bewahrung der reinen materialistischen Lehre. Mephisto spricht für die Hölle, den Staat, das System. Das System siegt, Faust verbrennt. Im Wiener Akademietheater fand Havels geistreiche Zuspitzung wenig Beifall. Sie war die letzte einer Serie von sechs Uraufführungen, die 1976 unter lautem Jubel mit dem Einakter "Audienz" begonnen wurde. Havel durfte trotz Interventionen von Kreisky und Sinowatz nicht zur Uraufführung reisen. Direktor Achim Benning, Dramaturg Rupert Weis und der Rowohlt-Theaterverlag organisierten den Schmuggel der Manuskripte über die Grenze. Havel pries die Burg als sein "Muttertheater" (materské divadlo).

Ekel vor Intellektuellen#

Joachim Bissmeier traf bravourös die existenzielle Traurigkeit und Unbeugsamkeit des Alter-Ego Ferdinand Vanek, ein Schriftsteller, der wie Havel zur Zwangsarbeit in einer Brauerei verdonnert wurde. Der Braumeister muss der Polizei Überwachungsprotokolle schicken, scheitert aber am Formulieren. Der Dichter nimmt ihm die Arbeit ab. In den Fortsetzungen debattiert Vanek seine Freiheitsideale mit bürgerlichen Aufsteigern ("Vernissage") und Intellektuellen ("Protest"). Und wendet sich angeekelt von denen ab.

Im Jänner 1977 wird die "Charta 77" bekannt, an der Havel mitgeschrieben hat. Die Amnesty-Gruppe Burgtheater lud zur Solidaritätsaufführung - und Kreisky, Sinowatz, Taus, Busek kamen. Wie nach der Premiere im Oktober fuhr eine Tafel mit dem Namen des Dissidenten aus dem Schnürboden.

Der junge Havel, als Klassenfeind vom Studium ausgeschlossen, tippte auf der Schreibmaschine visuelle Poesie wie Ernst Jandl. Im Prager Frühling befreite er sich aus der Zwangsrolle des anonymen Dramaturgen im Theater am Geländer - einer Kleinbühne unter der Leitung von Jan Grossman. Der inszenierte 1965 Havels in absurde Höhen geschraubte Totalitarismus-Satire "Benachrichtigung". Funktionäre tyrannisieren die Bürger mit der Kunstsprache "Ptydepe", die Knechte des Systems sind schaurige Jasager. Im "Berghotel" (1981) entlarvt sich ein totalitäres System in einsamer Höhenlage bei einem Bal macabre. Anders als Vanek resigniert hier die Hauptperson, wieder ein kritischer Schriftsteller. In "Largo desolato" gab Bissmeier einen Philosophen, traumatisiert von Verfolgung und Isolation. Er widersteht der Versuchung, proletarischer Märtyrer zu werden. Wieder waren es eigene Skrupel, die Havel zur Feder greifen ließen. Wieder wurden sie im Ausland nur von kritischen Intellektuellen und von den Hütern autoritärer Systeme verstanden. In seinem Essay "Versuch, in der Wahrheit zu leben" schrieb er 1980 Klartext, der in den Kanon der politisch-moralischen Weltliteratur einging.

Briefe als kleine Fenster im Gefängnis#

(cb) Erich Lessing hat auf ebay Glück gehabt. Dort hat er ein Exemplar von Vaclav Havels "Briefe an Olga" ergattert. Dieses Buch ist nämlich vergriffen. Also nicht ganz. Denn der Thomas Reche Verlag hat einige der Briefe Havels aus dem Gefängnis neu herausgegeben. In dem Buch sind Briefe aus dem Jahr 1981 mit Bildern des Magnum-Fotografen Lessing illustriert ("Fünfzehn Stimmungen"). Es sind einerseits Fotos, die Lessing in den Jahren 1956 bis 1958 in Prag gemacht hat (siehe Bild). Auf der anderen Seite sind es Bilder, die das Eingesperrtsein verbildlichen: Mauern, tiefe Brunnen, kleine Fenster. Die Briefe mussten durch eine strenge Zensur - Havel erzählt in einem Interview, dass er besonders kompliziert formulieren musste, damit die Texte durchgingen. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass die Briefe als literarische Signale in der Außenwelt aufgenommen wurden. Die Texte wurden zur einzigen Leidenschaft jener Zeit. Ein versprochenes Vorwort für das Buch hat Havel nicht mehr geschafft. Aber, so Lessing, Havel hat das Buch noch gesehen. "Ich habe ein von ihm signiertes Exemplar. Vaclav Havel steht da, mit einem Herz."

Wiener Zeitung, 21.12.2011