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Ein Reh, Sex und viel Klatsch bei Felix Salten#

Zum 150. Geburtstag des erfolgreichen Journalisten, "Bambi"-Schöpfers und "Mutzenbacher"-Erfinders.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 31. August 2019

Von

Christian Hütterer


Felix Salten. Foto, 1907
Felix Salten. Foto, 1907
Foto: © Bildarchiv der ÖNB, Wien, für AEIOU

Es war an einem schönen Frühlingstag, als in einem verborgenen Dickicht im Wald dieser weltweit bekannte Star geboren wurde. Er stand wackelig auf seinen dünnen Beinchen, blickte erstaunt um sich, freute sich über die Liebkosungen und Küsse seiner Mutter. "Was für ein schönes Kind", rief eine vorbeifliegende Elster.

Die Rede ist vom Rehkitz Bambi, dessen Geschichte vom Wiener Felix Salten erfunden und das später durch die Verfilmung von Walt Disney weltweit bekannt wurde. Salten war einer der führenden Feuilletonisten seiner Zeit; neben seiner journalistischen Tätigkeit verfasste er zahlreiche Romane, Novellensammlungen, Theaterstücke und Drehbücher für Filme. Fast alles davon ist in Vergessenheit geraten, nur zwei Bücher haben überdauert und sind heute noch bekannt. Diese beiden Werke könnten aber gegensätzlicher nicht sein, ihre Protagonisten sind nämlich das niedliche Reh Bambi und die derbe Wiener Prostituierte Josefine Mutzenbacher.

Bleiben wir im Wald. Durch den Zeichentrickfilm von Walt Disney wird Bambi heute meist als Kinderbuch gesehen, doch in der zugrundeliegenden Fassung Saltens, die 1923 erstmals erschien, kommen viele existenzielle Themen zur Sprache. Es geht darin um Leben und Sterben, um Zusammenleben und Religion, und an manchen Stellen - etwa bei der Schilderung einer Treibjagd - werden Erinnerungen an die Blutbäder des damals erst kurz zurückliegenden Ersten Weltkrieges geweckt. Salten, der ein begeisterter Jäger war, schildert in seinem Buch die Tiere des Waldes als eine Ansammlung verschiedener Charaktere, denen nichts Menschliches fremd ist. Sie leben in einer Gemeinschaft, aber es gibt Romanzen und Eifersüchteleien, Streitigkeiten und Versöhnungen, im schlimmsten Fall sogar Mord, wenn etwa der Fuchs eine Ente tötet.

Bescheidenes Honorar#

Dennoch folgt das Leben den Gesetzen der Natur, und so bilden die Tiere ein großes Ganzes. Der einzige wirkliche Störenfried ist der Mensch, der in Gestalt des Jägers auftritt und wie Gott nur als "Er" bezeichnet wird. Für die Tiere ist er furchteinflößend, denn anders als sie geht er aufrecht, sein Gesicht ist nackt und in seinen Armen trägt er ein todbringendes Gerät, mit dem er ihr Leben beenden kann.

Die tierische Geschichte verkaufte sich sehr gut, aber Salten hatte wenig vom späteren weltweiten Erfolg. Er trat die Rechte an dem Stoff für die bescheidene Summe von 1000 Dollar ab und konnte später gerade noch einmal 4000 Dollar lukrieren, indem er auf alle weiteren Rechte an Bildern und Merchandising verzichtete - ein Pappenstiel im Vergleich zu den Einnahmen, die Disney durch den Film machen konnte.

Felix Salten im Jahr 1910, fotografiert von Ferdinand Schmutzer. - © historic print Felix Salten im Jahr 1910, fotografiert von Ferdinand Schmutzer. - © historic print

Es gibt aber noch ein weiteres Buch Saltens, das ein großer Erfolg wurde und bis heute gelesen wird. Es geht darin allerdings ganz anders zu als in der heilen Welt des Waldes, denn es handelt sich um die fiktiven Erinnerungen der Wiener Prostituierten Josefine Mutzenbacher. Das Buch erschien anonym und bis heute ist nicht endgültig geklärt, wer es wirklich verfasste. Aufgrund von Vergleichen mit anderen Texten wurde Salten schon bald nach dem Erscheinen des Buches als Autor genannt, und auch wenn er dies nicht zugab, so stritt er seine Autorenschaft auch nie ab.

Wer sich angesichts des Erscheinungsjahres 1906 erwartet, ein prüdes und verklemmtes Buch, das sich mit Andeutungen begnügt, vorzufinden, wird rasch eines Besseren belehrt. Die Lebensbeichte der Mutzenbacher fällt in den Bereich Hardcore, schlimmer noch, sie wäre heute ein Fall für den Staatsanwalt, geht es darin doch vor allem um die sexuellen Abenteuer eines noch minderjährigen Mädchens, bei denen auch Inzest kein Tabu ist.

Felix Salten wurde am 6. September 1869 in Budapest geboren; als er vier Wochen alt war, übersiedelte die Familie nach Wien. In seinen Erinnerungen schrieb Salten über eine harte Jugend, die er auf den Straßen des Vorortes Währing verbrachte hatte. Ob das wirklich so war, bleibt dahingestellt, denn Salten ging mit seiner Lebensgeschichte sehr frei um und passte die Realität in vielen Fällen seiner Fantasie an. Tatsache ist, dass er das Gymnasium in der Wasagasse besuchte, es aber ohne Abschluss abbrach.

Viel mehr als der Schule galt sein Interesse der Literatur - und so freundete er sich im Café Griensteidl mit den Schriftstellern des Jungen Wien an; die engsten Beziehungen unterhielt er zu Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal. Salten blieb in diesem Kreis indes ein Außenseiter, da er als Einziger nicht aus dem großbürgerlichen Milieu stammte. Dazu kam, dass der Lebemann seine Energie lieber in Affären und Fahrradtouren als in das Schreiben steckte. Seine schriftstellerischen Freunde warfen ihm deswegen immer wieder vor, zu oberflächlich für wahre Literatur zu sein. Ein ganz besonderes Verhältnis hatte Salten zu Karl Kraus, denn nach einer kurzen Freundschaft überwarfen sich die beiden, was darin gipfelte, dass Salten im Kaffeehaus Kraus ohrfeigte. Kraus sollte diese Schmach nie vergessen, er schrieb seitdem gegen Salten an und verriss seine Werke, wann immer sich Möglichkeit dazu bot.

Tratschreporter#

Nach einigen literarischen Veröffentlichungen wandte sich Salten dem Journalismus zu, denn dort war leichter und regelmäßiger Geld zu verdienen. Er wurde Redakteur der "Wiener Allgemeinen Zeitung", wo er sich auf Kultur und Theater spezialisierte und durch positive Kritiken seine Freunde förderte. Durch diese Tätigkeit lernte er Erzherzog Leopold Ferdinand kennen, und der Habsburger versorgte Salten mit pikanten Geschichten aus dem innersten Kreis der kaiserlichen Familie. Der Wiener Hof lieferte ausreichend Stoff für Geschichten aller Art - und so wurde Salten zu einem der führenden Tratschreporter von Wien.

Er berichtete aus erster Hand, als Leopold Ferdinand mit seiner großen Liebe, einer Prostituierten, in die Schweiz durchbrannte. Als Leopold Ferdinands Schwester Luise, die mit dem Kronprinzen von Sachsen verheiratet war, in einer Nacht- und Nebelaktion mit ihrem Französischlehrer ebenfalls in die Schweiz floh, war es Salten, der als Erster Interviews mit den Geflohenen führen konnte. Schließlich wurde er sogar zum Fluchthelfer, als sich nämlich die Tochter des belgischen Königs in einen ungarischen Offizier verliebte. Um die Affäre zu beenden, wurde die Prinzessin in ein Sanatorium und der Offizier in ein Gefängnis gesteckt. Salten half beiden, nach Paris zu flüchten, der Lohn waren wieder exklusive Interviews.

Einen Rückschlag gab es, als Salten in das boomende Unterhaltungsgeschäft einsteigen wollte und eine Theatertruppe gründete, die Hochkultur und Unterhaltung vereinen sollte. Gleich die erste Vorstellung war ein künstlerischer Reinfall, dazu kamen Vorwürfe des Plagiats und andere juristische Streitigkeiten. Das geschäftliche Abenteuer war rasch beendet, statt des erhofften Reichtums blieben Schulden in der Höhe von 6000 Kronen.

Wie zum Trost folgte auf das wirtschaftliche Desaster privates Glück: Salten heiratete seine langjährige Liebe Ottilie Metzl, bald kamen ein Sohn und eine Tochter zur Welt. Salten lebte weiterhin auf großem Fuß, bezog eine Villa und unternahm mit der Familie teure Reisen. Um sein Einkommen zu erhöhen, schrieb er Libretti für Operetten und Drehbücher für das noch junge Medium Film, doch das zusätzliche Einkommen wurde schnell wieder ausgegeben.

Wie gerufen kam daher ein finanziell einträgliches Angebot aus Berlin. Dort wurde Salten bald nach seiner Ankunft im Frühling 1906 mit einem journalistischen Husarenstück bekannt. Als die ersten Nachrichten eintrafen, dass San Francisco von einem schweren Erdbeben erschüttert worden war, erfand er mit Wissen aus einem Lexikon und einem Atlas, vor allem aber mit viel Fantasie, exklusive Berichte aus der zerstörten Stadt und war damit den Konkurrenzblättern um die entscheidenden Stunden voraus.

Portrait Theodor Herzl. Photographie. 1896
Portrait Theodor Herzl. Photographie. 1896
Foto: © IMAGNO/Austrian Archives

Salten fühlte sich in Berlin allerdings nicht wohl und kehrte schon nach wenigen Monaten wieder nach Wien zurück. Dort konnte er an seine journalistischen Erfolge anschließen, schrieb für verschiedene Zeitungen und arbeitete als Korrespondent für internationale Blätter.

1914 begrüßte er den Ausbruch des Krieges: "Es muss sein", titelte er in einem Feuilleton - und: "Selbstverständlich sitzt mir die Gewissheit in der Brust, dass wir den Sieg für uns haben werden." Bekanntlich sollte er sich täuschen, vier Jahre später war die Monarchie Geschichte, doch Salten blieb auch in der Ersten Republik ein bedeutender Journalist und wurde sogar Präsident der österreichischen Sektion der Schriftstellervereinigung PEN.

Vertrauter von Herzl#

In politischer Hinsicht war Salten flexibel, man könnte ihn sogar einen Opportunisten nennen. In der Monarchie sang er Loblieder auf den Kaiser und dessen Bedeutung für das Land, in der Ersten Republik gab er eine Wahlempfehlung für die Sozialdemokraten ab, aber schon einige Jahre später verteidigte er bei den Februarkämpfen des Jahres 1934 das Vorgehen der christlich-sozialen Regierung. Lediglich in einer politischen Frage blieb Salten beharrlich, er galt nämlich als Vertrauter von Theodor Herzl und Unterstützer des Zionismus.

Die finanzielle Lage Saltens verschlechterte sich, als die Nazis 1933 in Deutschland die Macht übernahmen, denn nun konnte er dort nur noch unter Einschränkungen veröffentlichen; damit brachen wichtige Einnahmen für ihn weg. Zwei Jahre später wurden seine Bücher in Deutschland verboten, auch sein Engagement in der Filmmetropole Berlin kam zum Erliegen.

Nach dem "Anschluss" Österreichs wurden die Lebensumstände für Salten noch schwieriger. Wegen seiner Bekanntheit und durch den Schutz des amerikanischen Konsuls blieb er zwar von Repressalien verschont, angesichts der immer bedrohlicher werdenden Lage entschloss er sich aber im Frühling 1939 zur Emigration in die Schweiz. Seine ohnehin schon angespannte finanzielle Lage wurde noch schlimmer, als die USA in den Krieg eintraten und deswegen die Tantiemen aus Übersee wegfielen. Salten zog sich immer mehr zurück und starb am 8. Oktober 1945 in Zürich.

Christian Hütterer, geb. 1974, arbeitet in Brüssel und schreibt Kulturporträts und Reportagen.

Wiener Zeitung, 31. August 2019