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Autorenheimat im Stadtpark#

Vor 50 Jahren, am 4. November 1960, erschien die erste Ausgabe der "manuskripte". Seitdem hat sich die Grazer Zeitschrift zum wichtigsten Sprachrohr der österreichischen Literatur entwickelt#


Von der Wiener Zeitung (Samstag, 31. Oktober 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Peter Landerl


A. Kolleritsch u. P. Handke
„manuskripte“-Gründer Alfred Kolleritsch (l.) bei einem Festakt anlässlich seines 75. Geburtstags 2006 mit Peter Handke
© Wiener Zeitung / Foto: apa/G. Wolf

Das ist ein besonderes Jubiläum: Die Grazer Literaturzeitschrift "manuskripte" wird ein halbes Jahrhundert alt. Man feiert und gedenkt des 50-jährigen Kampfes für die Moderne, den Alfred Kolleritsch, Gründer, Herausgeber, Vater dieser Zeitschrift, allen Widerständen zum Trotz mit unermüdlicher Zähigkeit ausgefochten hat. "Produktiver Ärger, viel Arbeit und viel Freude": so zieht Kolleritsch Bilanz.

Wie er es geschafft hat, sein umfangreiches Tun – als Zeitschriftenmacher, als Autor vieler Romane und Lyrikbände, als langjähriger Präsident des "Forum Stadtpark" und als Gymnasiallehrer – unter einen Steirerhut zu bringen, weiß er selbst nicht so genau. Er habe halt versucht, all diese Tätigkeiten miteinander zu verbinden, und sei sich deshalb trotz der enormen Arbeit nicht fremd geworden. Er bedauere nur, dass sein Schreiben ein wenig zu kurz gekommen sei.

Bisher 188 Ausgaben#

Das erste Heft der "manuskripte" erschien am 4. November 1960 zur Eröffnung des Forum Stadtpark, mit dem die Zeitschrift lange Zeit auf organisatorischer wie auf ideeller Ebene verbunden war. Ein hektografiertes Heft, 15 Blätter in einer Auflage von 100 Stück, Preis drei Schilling, ausschließlich Lyrik beinhaltend. Der Titel "manuskripte" war programmatisch: Es wurden fast nur unveröffentlichte literarische Texte abgedruckt, Essays und kulturpolitische Artikel waren Mangelware, Rezensionen gab es nicht.

Blickt man auf die 188 bisher erschienenen Nummern der Zeitschrift zurück, so entfaltet sich eine deutschsprachige Literaturgeschichte en miniature. Bereits in der zweiten Nummer veröffentlichte Kolleritsch Texte der Vertreter der "Wiener Gruppe", die in den "manuskripten" eines ihrer wichtigsten Veröffentlichungsorgane hatten. Auch Ernst Jandl und Friederike Mayröcker debütierten Anfang der 1960er Jahre in der Zeitschrift. Kolleritsch räumte aber nicht nur der österreichischen Avantgarde einen für sie überlebensnotwendigen Platz ein, sondern bemühte sich auch, ausländische Literaturen zu vermitteln. Schwerpunkte in den frühen Heften waren etwa (von Heimito von Doderer) vermittelte estnische Lyrik, tschechische Experimentalpoesie, brasilianische konkrete Literatur (Noigandres) oder Literatur der Stuttgarter Gruppe.

Die "manuskripte" wollten sprachkritische, experimentelle Literatur publizieren – kein leichtes Unterfangen im österreichischen Literaturbetrieb der 1960er Jahre, der von den Vertretern des konservativen PEN-Clubs dominiert war. Zudem war Graz in der Nachkriegszeit – bevor es in den 1970er Jahren zur "heimlichen deutschen Literaturhauptstadt" avancierte – ein Hort der Rückständigkeit. Nicht verwunderlich, dass Alfred Kolleritsch immer wieder betonte, dass es wahrlich ein Kampf war, seine Zeitschrift am Leben zu erhalten.

Zur Heimat wurde die Zeitschrift auch den Autoren der "Grazer Gruppe", eine Zuschreibung, mit der Kolleritsch allerdings wenig Freude hatte. Barbara Frischmuth, Wolfgang Bauer, Gunter Falk stießen 1962/63 zur Zeitschrift, Peter Handke debütierte in den "manuskripten" 1964 mit seinem Text "Die Überschwemmung" und publizierte im selben Jahr einen Textauszug aus seinem Debütroman "Die Hornissen".

Kolleritsch und Handke verdanken einander viel: Handke erlangte über die "manuskripte" erste Anerkennung, vor allem auch in der BRD, umgekehrt profitierte die Zeitschrift vom rasch wachsenden Ruhm Handkes, da der Autor der Zeitschrift treu verbunden blieb – und ihr von einem seiner ersten Honorare 1000 Mark zur Unterstützung überwies. (2008 kam übrigens der Band "Schönheit ist die erste Bürgerpflicht" heraus, der den Briefwechsel zwischen Handke und Kolleritsch enthält.)

Für großes Aufsehen sorgte die Veröffentlichung von Oswald Wieners Roman "die verbesserung von mitteleuropa", der von 1965 bis 1969 in den "manuskripten" auszugsweise erschien und der Zeitschrift eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Pornografie-Gesetz einbrachte. Im Zuge der 1968er Bewegung kam es in der Zeitschrift zu einem Richtungsstreit. Manche Autoren warfen den "manuskripten" vor, zu wenig politisch zu sein.

Kolleritsch verteidigte sich und schrieb: "Die Literatur, die jetzt nur mehr politisch agitatorisch sein soll, wird zu leichtfertig politisch angreifbar gemacht, verliert ihre notwendige Differenziertheit gegenüber der gleichgeschalteten Dummheit, und gibt so die Aktion einer begründbaren Bewusstseinsveränderung auf." Außerdem meinte er, dass "ein konkretes Gedicht heute genauso eine Kampfansage gegen das Establishment ist wie ein ästhetisches Maoabzeichen. Das mögen die Leute in den Metropolen vielleicht nicht begreifen".

Kolleritsch hielt an seinem Kurs fest, die Avantgarde, die "Literatur-Literatur" zu propagieren, und sicherte damit der Zeitschrift Identität und Kontinuität. Seine Autoren in den 1970er Jahren – Elfriede Jelinek, Gert Jonke und Gerhard Roth zählten mittlerweile ebenfalls zu den "manuskripte"-Autoren – verkörperten die österreichische Literatur im deutschsprachigen Ausland. Zusammen mit Jochen Jung, dem Lektor des Salzburger Residenz-Verlags, war es Kolleritsch gelungen, dass das Etikett „österreichische Literatur“ zu einem Markenzeichen in Deutschland geworden war. Der deutsche Literaturkritiker Ulrich Greiner etwa schrieb 1981 über die "manuskripte":

"Jedenfalls richtete der bundesdeutsche Literaturbetrieb in Ermangelung eigener Produktion sein Augenmerk auf Österreich. In Wien gab es kaum eine Studentenbewegung, in Graz schon gar keine. Dort veröffentlichte Alfred Kolleritsch mit nicht nachlassender Hartnäckigkeit jahraus jahrein die 'manuskripte', provokative, vergrübelte, seltsame Texte wenig bekannter Autoren, die sich keinen Deut um die politische Diskussion zu scheren schienen und eigensinnig ihren Träumen, Besessenheiten, subjektiven Erfahrungen nachgingen. Die österreichische Tradition der Sprachskepsis setzte sich hier fort und wirkte, zumindest im konservativ-provinziellen Graz, als Provokation.“

Ständig neue Autoren#

Auch in den 1980er und 1990er Jahren entdeckte Kolleritsch neue Autoren, publizierte etwa Auszüge aus "Der Zögling Tjaž" von Florian Lipuš in der Übersetzung von Peter Handke oder aus dem monumentalen Roman "Dessen Sprache du nicht verstehst" von Marianne Fritz. Außerdem Theaterstücke von Werner Schwab und Texte von Robert Menasse. Kolleritsch suchte unentwegt nach neuen Stimmen, nach jungen Autoren wie etwa Bettina Galvagni, Klaus Händl, Richard Obermayr, Kathrin Röggla, Thomas Stangl oder Gerhild Steinbuch.

Kritik am mehr oder weniger engen Literaturbegriff der "manuskripte" gab es immer. Der Germanist und Literaturkritiker Klaus Zeyringer etwa schrieb: "Anstelle fehlender ästhetischer bzw. theoretischer Überlegungen steht der Inhalt der 'manuskripte', dazu kommen die Produktion und die Signal-Reflexion des Konzeptes 'Kunst in Graz': Es ist eine 'Ästhetik by doing.'" Wie aber anders als mit einer "Ästhetik by doing", so könnte man einwenden, kann denn eine Literaturzeitschrift gemacht werden?

Die Frage, was Kolleritsch sich in Zukunft wünscht, beantwortet er mit einem Wort: Kontinuität. Die Frage, ob Autorenblogs eine Bedrohung für Literaturzeitschriften seien, verneint er. Rechtzeitig zu den Festveranstaltungen Ende November in der Alten Schmiede in Wien und Anfang Dezember im Grazer Schauspielhaus wird eine umfangreiche Jubiläumsnummer mit Texten junger und alter "manuskripte"-Autoren in einer Auflage von 3500 Stück (statt der üblichen 2500) erscheinen.

Das schönste Lob der "manuskripte" schrieb wohl der früh verstorbene Richard Reichensperger zum 40. Geburtstag der Zeitschrift: "An den 'manuskripten' ist so schön, dass man lesend das Gefühl hat, die Texte kämen aus lesendem Austausch. Das Lesen anderer lesend, verläuft sich so die Einsamkeit in einem lesefeindlichen Land."“

Peter Landerl, geboren 1974, ist Literaturwissenschafter und lebt als Autor und Lehrer in Straßburg.Kürzlich ist in der Innsbrucker Edition Laurin sein Erzählungsband "Stromabwärts" erschienen.

Wiener Zeitung, Samstag, 31. Oktober 2010