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Der dezentrale, soziale Mensch#

Im Internet dreht sich derzeit alles um Künstliche Intelligenz, doch zugleich erwachsen neue Soziale Netzwerke.#


Von der Wiener Zeitung (3. Mai 2023) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Gregor Kucera


Im Mittelpunkt stehen der Anwender und seine digitale Welt. Das sogenannte Fediverse führt zusammen, was Facebook, Twitter und Co. getrennt halten wollen
Im Mittelpunkt stehen der Anwender und seine digitale Welt. Das sogenannte Fediverse führt zusammen, was Facebook, Twitter und Co. getrennt halten wollen.
Screenshot: Fediverse

Viel wird derzeit geredet über die Künstliche Intelligenz und deren Auswirkung und zudem auch über Soziale Netzwerke, allen voran Elon Musk und seinen Twitter-Wahnsinn - und deren Ende. Das Ende ist nicht so nahe, wie man denken könnte, auch bei Twitter nicht, aber es tut sich etwas, was die Alternativen betrifft. Und ganz ehrlich, wäre es nicht viel besser, wenn sich endlich die unterschiedlichen Netzwerke untereinander austauschen könnten, als dass alle Menschen auf einmal sinnbefreite Bilderchen generieren lassen?

Die Lösung und die Hoffnung für die Zukunft der Sozialen Netzwerke liegt im sogenannten Fediverse, ein Kofferwort aus Federation und Universe. Er steht für ein Universum unabhängiger dezentraler Dienste, die untereinander Inhalte föderieren, sich also zusammengeschlossen haben, um Inhalte untereinander auszutauschen. Das Fediverse bildet nun eben jenes dringend notwendige Gegenmodell zu den kommerziell betriebenen "geschlossenen Gärten", den "Walled Gardens", wie etwa Twitter oder Facebook.

Rettet ActivityPub das Internet?#

Während sich die Nutzer bei den kommerziellen Diensten für jeden separat registrieren müssen, um sich dort mit anderen austauschen zu können, und dann auch selten über Grenzen hinweg, stellt das Fediverse ein gemeinschaftlich betriebenes dezentrales Netzwerk dar, in dem sich alle dienstübergreifend miteinander verbinden können - ein einziger Account genügt. So können Anwender mit einem Account bei Mastodon zum Beispiel problemlos ein Video beim YouTube-Pendant PeerTube oder eine Story bei der Facebook-Alternative Pixelfed kommentieren. Einige Grenzen gibt es aber doch (noch): Wer zum Beispiel Videos bei PeerTube, Podcasts bei Castopod oder Buchrezensionen bei Bookwyrm einstellen möchte, benötigt dort auch jeweils eigene Accounts.

Bereits seit 2018 sprechen alle Dienste als Standard eine gemeinsame Sprache: ActivityPub. ActivityPub-Benutzer werden im Rahmen des Protokolls auch als Actors bezeichnet. Jeder Actor hat eine Inbox und eine Outbox mit einer eindeutigen Anschrift, die sich aus der Adresse der Heiminstanz und dem Nutzernamen zusammensetzt. Um andere Actors im Fediverse zu erreichen, verfasst ein Actor einen Text, der nach dem Absenden in der Outbox abgelegt wird und nun von der Außenwelt abgerufen werden kann. Analog dazu landet eine an den Actor adressierte Nachricht in dessen Inbox. Auf diese Weise können Actors über Instanzen und Dienste hinweg kommunizieren.

Nach fast zwei Jahrzehnten des Kampfes für diese Vision des Internets haben die Menschen, die an eine solche Föderation der Dienste geglaubt haben, das Gefühl, dass sie endlich gewinnen werden. Die Nutzer schaffen so ihre eigenen Identitäten und Räume, unabhänigig von den großen Unternehmen.

Die Veränderung, die sie sich vorstellen, erfordert immer noch viel Aufklärung und Schulung - und viel Arbeit, damit diese Dinge für die Benutzer funktionieren. Aber der grundlegende Wandel von Plattformen zu Protokollen scheint eine nie dagewesene Dynamik zu haben. Seit Jahrzehnten ist das offene Web immer wieder auf Endpunkte gestoßen: Dinge wurden an SMS oder E-Mail oder an Dritte wie Facebook oder Twitter übergeben. Jetzt heißt es, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen. Es liegt an den Anwendern, wie das Internet der Zukunft aussehen wird. Und niemand, nicht einmal Elon Musk, kann einem im Fediverse in die Quere kommen.

Wiener Zeitung, 3. Mai 2023