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Gefährliche Rede von der Lügenpresse #

Ein Begriff, der im Kulturkampf des 19. Jahrhunderts ebenso präsent war wie in der NS- oder DDR-Propaganda, ist wieder salonfähig geworden. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE Donnerstag, 14. April 2016

Von

Fritz Hausjell


Zeitungspapier dient nicht wie im Bild als Schanze, von der die Spartakisten in Berlin anno 1919 schossen, sondern wer von „Lügenpresse“ spricht, unterstellt dem gedrucken Papier, als „Waffe“ in der öffentlichen Auseinandersetzung zu fungieren
Zeitungen als Waffe. Zeitungspapier dient nicht wie im Bild als Schanze, von der die Spartakisten in Berlin anno 1919 schossen, sondern wer von „Lügenpresse“ spricht, unterstellt dem gedrucken Papier, als „Waffe“ in der öffentlichen Auseinandersetzung zu fungieren.
Foto: © IMAGNO

„Lügenpresse“ ist seit der Pegida-Bewegung in Deutschland ein jacks of all trades- Wort im Protest auf der Straße, Online-Foren und in einem Typus alternativer Medien. „Besorgte Bürger“, Kritiker gegenüber der zeitweiligen Willkommenskultur für Asylwerber sowie linke wie rechte Verschwörungstheoretiker fühlen sich von den etablierten Medien belogen und verraten. Der Begriff „Lügenpresse“ zog auch in die österreichischen Debatten ein. War in 233 heimischen Medien laut APA-Defacto-Mediendatenbank im Jahr 2014 gerade einmal in 13 Beiträgen davon die Rede, schnellte der Kampfbegriff im letzten Jahr gleich einmal auf 407 hoch. Im ersten Quartal dieses Jahres kommt die „Lügenpresse“ begrifflich bereits in über 200 Beiträgen vor.

In Deutschland hat der Pegida-Slogan von der „Lügenpresse“ erfolgreich verfangen: Immerhin meinen 39 Prozent der erwachsenen Deutschen, an dem Vorwurf sei etwas dran. Das ergab eine Allensbach-Umfrage im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Verunsicherung oft ohne empirische Belege #

Manche Medienhäuser und Journalisten verunsichert der Vertrauensverlust der klassischen Medien, der allerdings mitunter recht freimütig auch ohne empirische Belege diagnostiziert wird. Debattiert wird unter anderem, sich selbst und dem Publikum gegenüber gemachte Fehler stärker einzubekennen. Gut gemachte Medien praktizieren freilich auch im deutschsprachigen Raum schon seit ein paar Jahren die Korrekturbox, informieren also ihre Leser über Fehler, die dem Medium passiert sind.

Das schützt sie heute dennoch nicht vor dem kollektiv vorgebrachten Vorwurf, Teil der „Lügenpresse“ zu sein. Ein anderer Vorwurf resultiert aus einem Grundmotiv rassistischer rechter Politik: Medien würden die ethnische Herkunft von Straftätern systematisch verheimlichen. Auch in österreichischen Medien sorgt dieser über Online- Foren, Facebook & Co. massiv vorgebrachte Vorwurf in etlichen Redaktionen für Verunsicherung, auch wenn die meisten heimischen Medien bisher ohnedies regelmäßig die Herkunft von Tatverdächtigen durchaus angegeben haben. Der Standard publizierte im Jänner sogar den internen E-Mail-Verkehr zur verunsicherten Redaktionslinie, andere Medien holten sich Experten zum Klären der künftigen journalistischen Linie in Sachen Nennung der Ethnie ins Haus.

Zweifellos ist es in dieser Phase der Vorwürfe klug, sich zu vergewissern, warum man als Medium welche Regeln praktiziert. Allerdings sollte dies nicht defensiv und sich Asche aufs Haupt streuend geschehen. Vielmehr erscheint es mir notwendig, den Mediennutzern ausführlich den Unterschied zwischen recherchiertem Journalismus und dem Sammelsurium von Informationen – von richtigen Beobachtungen über viel Meinung bis Verschwörungstheorie hin zu bewusst in die digitale Welt gepflanzten Lügen – zu erklären. Zudem müssten Medien gründlich erläutern, warum sie über manche Vorgänge – z.B. um Opfer zu schützen – nicht oder sehr zurückhaltend berichten.

Leider leistet unser Bildungssystem diese Medienbildung bisher bei weitem nicht in ausreichendem Maß. Also sollten es Medien selbst in die Hand nehmen. Die Menschen sind kritischer geworden, aber zugleich nicht immer wissender. So wie viele heute vom Arzt selbstverständlich erwarten, dass er sie darüber informiert, warum er welche Behandlung vorschlägt und welche Alternativen es gibt, und sie häufig auch selbst eine zweite ärztlichen Meinung einholen, sollten Medien sich zunehmend auf kritischere Mediennutzer einstellen, damit sie diese nicht an Medien-Quacksalber und mediale Heilsversprecher verlieren.

Wer heute sich in seiner Kritik an Medien des Begriffs „Lügenpresse“ bedient, sollte seine geschichtliche Verwendung kennen. Dass in der Presse auch Lügen vorkommen, darüber wurde übrigens selbst in der Presse immer wieder berichtet, und zwar von Anfang an. Dass der Begriff „Lügenpresse“ eine Geschichte hat, sollte jedem auffallen, denn der Verwurf des Verheimlichens, Hintertreibens und Ablenkens richtet sich ja nicht gegen die gedruckten Blätter alleine, sondern genauso gegen Radio, TV und Online-Medien – es müsste also korrekt „Lügenmedien“ heißen.

Pegida-Gründer Lutz Bachmann (Mi.) nahm den Slogan von der „Lügenpresse“
Eine alte Parole. Pegida-Gründer Lutz Bachmann (Mi.) nahm den Slogan von der „Lügenpresse“
Foto: DPA / Arno Burgizz

Aber der Begriff der „Lügenpresse“ war denen, die ihn wieder in den aktuellen Sprachgebrauch hievten, offensichtlich recht vertraut. „Lügenpresse“-Kampagnen gab es im deutschsprachigen Raum schon zumindest vier markante. Es begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die katholische Presse bekämpfte die aufkommende liberale Presse, die vorwiegend vom jüdischen Bürgertum getragen wurde, als unliebsame Konkurrenz vor allem mit dem Vorwurf „Lügenpresse“. Die katholischen Blätter wähnten sich gegenüber dem weitgehend säkularisierten Judentum zumindest im Besitz der theologischen Wahrheit. Die zweite große Welle des „Lügenpresse“-Vorwurfs richtete sich von deutschen und österreichischen Medien im Dienste der Propaganda gegen die Presse der politischen und militärischen Gegner des Ersten Weltkriegs.

Der Kampfbegriff wurde dann von den Nationalsozialisten wiederbelebt und die Medien der politischen Gegner und dann der militärischen im Zweiten Weltkrieg intensiv mit dem Begriff „Lügenpresse“ zu diskreditieren versucht. Eine kleine Renaissance erfuhr der Begriff schließlich in der DDR, vor allem in der Auseinandersetzung mit der BRD.

Die Nationalsozialisten beschränkten sich in den 1930er-Jahren – vor und nach der Machtergreifung – nicht auf die verbale Denunziation der gegnerischen Medien. Tätliche Übergriffe auf Journalisten waren schon vor 1933 an der Tagesordnung, nach 1933 herrschte dann die durch Schriftleitergesetz und andere Bestimmungen abgesicherte Entrechtung, Vertreibung und auch Ermordung der nicht NS-konformen Journalisten.

Auf Pegida-Demonstrationen werden heute Journalisten nicht mehr nur aggressiv beschimpft („Lügenpresse halt die Fresse!“), sondern bereits auch körperlich attackiert. Die neu-rechte Partei Alternative für Deutschland (AfD) indes lässt auf ihren Parteiveranstaltungen über einzelne Journalisten, die bisher kritisch über diese Partei berichtet haben, abstimmen, ob sie bleiben dürfen. Dieses Verständnis von Pressefreiheit per Mehrheitswahl sorgt dafür, dass nur mehr die wenig und nicht kritischen Journalisten direkt berichten können. In Österreich fällt die FPÖ dadurch auf, dass sie immer stärke auf eigene Medien setzt. Hier kann zumindest niemand dazwischenfragen.

Medienkritik – schon seit 25 Jahren #

Wer heute zu einer medienkritischen Debatte, die dann zumeist unter dem Stichwort „Lügenpresse“ geht, findet zwar deutlich mehr Publikum als früher vor, aber die an die Journalisten gerichteten Vorwürfe sind fast durchwegs ähnlich wie jene bei medienkritischen Diskussionen in den letzten 25 Jahren. Auch nicht ganz neu ist dabei etwa der Vorwurf, die Politik würde sich via viele öffentliche Inserate freundliche Politikberichterstattung kaufen. Das Gefühl, Medien könnten zu sehr von Interessen der Inserenten gesteuert werden, ist strukturell durchaus argumentierbar. Noch nie waren Medien so stark finanziell von Werbung abhängig. Dann freilich ist der gegen die Politik gerichtete Vorwurf recht kurz greifend, denn die Privatwirtschaft mit ihren Interessen inseriert erheblich umfänglicher.

Kritisieren wir also unsere Medien hart. Bessern können sie sich nur durch unsere präzisen Widersprüche (aber auch durch Anerkennung, wo sie gerechtfertigt ist). Reden wir aber zugleich lieber nicht von „Lügenpresse“, wenn wir demokratischere Medien wollen. Denn jene, die bisher den „Lügenpresse“-Begriff gegen Journalisten benützten, wollten nicht freie Medien in einer demokratischen Gesellschaft hervorbringen oder stärken.

Der Autor ist Medienhistoriker und Medienwissenschafter an der Uni Wien.

DIE FURCHE Donnerstag, 14. April 2016

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