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"Ein beispielloser Kahlschlag" #

Die deutsche Verlagsbranche im dramatischen Umbruch: Der Magazinverlag G+J wird abgewickelt, Springer will abwandern.#


Von der Wiener Zeitung (23. Februar 2023) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Bernhard Baumgartner


Wenig los am Baumwall in Hamburg, dem einst quirligen Verlagshaus von Gruner+Jahr. Die meisten Mitarbeiter sind im Homeoffice, fixe Arbeitsplätze gibt es nicht mehr.
Wenig los am Baumwall in Hamburg, dem einst quirligen Verlagshaus von Gruner+Jahr. Die meisten Mitarbeiter sind im Homeoffice, fixe Arbeitsplätze gibt es nicht mehr.
Foto: KMJ. Aus: Wikicommons, unter CC BY-SA 3.0

Es ist wie beim Einschlag eines Himmelskörpers. Schon lange vorher sieht man das näherkommende Leuchten - der Schweif des Kometen ist mitunter sogar bizarr schön anzusehen. Und dann geht alles plötzlich ganz schnell: Die Katastrophe ist da. Der Tag des Impakts in der deutschen Medienbranche fiel auf den 7. Februar dieses Jahres. An diesem Tag gab Eigentümer RTL bekannt, dass der frisch übernommene ehemalige deutsche Großverlag Gruner+Jahr, mit "Stern" oder "Geo" der ehemalige publizistische Stolz des Landes, zu großen Teilen abgewickelt wird. Insgesamt 23 Magazintitel werden eingestellt oder zum Verkauf angeboten. Nur ein gutes Dutzend, die allerstärksten Marken, bleiben bestehen. Nur dort lohnt es sich noch, zu investieren, und auch da lediglich ins Digitalgeschäft.

Die langen Regalreihen, die man aus den Bahnhofsbuchhandlungen kennt, werden, beginnend schon mit Mai, immer schütterer besetzt sein. Hefte wie "Geo Epoche" und "Geo Wissen", "Brigitte Woman" und "View" wird es nicht mehr geben. Auch die Magazine "Guido" um den Designer Guido Maria Kretschmer und "Barbara" um TV-Moderatorin Barbara Schöneberger werden eingestellt. Für manches gibt es noch eine letzte Chance: "Business Punk", "Art", "P.M.", "Beef!" und "Salon" könnten verkauft werde. Die RTL-Beteiligungen am Fußball-Magazin "11 Freunde" und an der Verlagsgruppe Deutsche Medien-Manufaktur in Münster ("Landlust", "Essen & Trinken") stehen ebenso zum Verkauf.

Doch das Interesse an den schwächelnden Heften ist offenbar endenwollend. Der deutsche Medienkonzern Burda Media, neben G+J und der Bauer Media Group der einzige relevante Magazinverlag, hat nach eigenen Angaben bisher kein Interesse an den zum Verkauf stehenden Zeitschriftentiteln gezeigt. Und dennoch: Burda-Vorstand Philipp Welte tut das nicht aus Desinteresse. Aber er sieht die Lage wohl etwas klarer als der Durchschnitt. In der "Zeit" formuliert er: "Was dort passiert, verändert das Gesicht unserer Branche."

Welte, auch Vorstandsvorsitzender des Zeitschriftenverbands, sagt, er verstehe zwar die Entscheidung, Magazine einstellen zu müssen. Das sei nun mal Teil des Geschäfts. "Aber das ist ein Kahlschlag, den es so noch nie gegeben hat. Ein wichtiger Teil des publizistischen Angebots in Deutschland wird verschwinden." "Wir standen auf vielen Märkten im direkten Wettbewerb mit den Magazinen aus Hamburg. Jetzt ist da plötzlich niemand mehr. Das fühlt sich an, als würde man für ein Fußballspiel ins Stadion einlaufen, aber die gegnerische Mannschaft verlässt die Arena gerade durch die Hintertür." Man müsse jetzt dafür Sorge tragen, "dass nicht die ganze Branche in dieser morbiden Finsternis verschwindet, die G+J umgibt".

Druckpreise sind explodiert#

Erst zu Jahresbeginn 2022 hatte RTL die Magazinsparte des Hamburger Verlagshauses Gruner+Jahr übernommen. Es war ein interner Wechsel, beides gehört letztlich zum Bertelsmann-Konzern. Am Bertelsmann-Sitz in Gütersloh sieht man das nüchtern: Wenn die Zahlen nicht stimmen, herrscht Handlungsbedarf. Über Sentimentalitäten, etwa darüber, dass G+J am noblen Hamburger Baumwall über Jahrzehnte das Herz der deutschen Publizistik war, sieht man in der Kreisstadt am Teutoburger Wald und bei RTL in Köln gerne hinweg. Schon lange sind in Hamburg die einst stolzen, quirligen Redaktionsbüros eingespart, zusammengelegt und die Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt worden. Wer heute noch ins Büro kommt, muss sich täglich einen freien Allzweckplatz zuweisen lassen. Kommunikation findet hier ohnehin nur noch digital statt. Bald wird es noch leerer in den Hamburg Büros, wenn wie geplant 700 der 1.900 Jobs wegfallen.

Ein Drittel der Magazine wackelt#

Wenn über Gründe für diesen "beispiellosen Kahlschlag" gesprochen wird, hört man viel über "die Rahmenbedingungen". Die seien eben sehr schlecht, konzediert auch Welte. "Es ist eine harte Zeit und wenn die Bedingungen so bleiben, kann bis zu einem Drittel der Magazine in den kommenden Jahren die Luft ausgehen." Und nicht nur jenen aus Hamburg. Einfach, weil sie nicht mehr wirtschaftlich sind. Kein Wunder, haben sich doch die Papierpreise seit drei Jahren vervielfacht. Dazu kommt, dass Druck und Vertrieb technologiebedingt energieintensiv sind und sich daher allein im letzten Jahr besonders stark verteuert haben.

Wenn sogar die Konkurrenz Kritik übt, sollte doch Reflexion angesagt sein. Selbst Funke-Verlegerin Julia Becker ("WAZ") hat den Konkurrenten Bertelsmann kritisiert und in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen "Runden Tisch" von Verlegerinnen und Verlegern vorgeschlagen.

Doch auch in einer anderen Ecke der Branche sieht man den Schweif des Kometen schon bedenklich nahe. Wenn man dem gemeinhin gut informierten "manager magazin" glaubt, könnte sich der Springer-Konzern demnächst überhaupt komplett aus Deutschland zurückziehen. Denn sowohl seine Zeitungen "Bild" wie auch "Welt", die noch vor wenigen Jahren satte dreistellige Millionen-Erträge einbrachten, drohen, in den nächsten fünf Jahren in die Verlustzone zu rutschen. In internen Planungen sieht man deren Potenzial bereits als "vernachlässigbare Größe". Spätestens nach dem Scheitern von "Bild TV", das Projekt war offenbar die letzte digitale Chance für "Bild", soll die Sache dem Ende zustreben.

Konzernchef Mathias Döpfner soll über "interne Pläne, die öffentlich bislang nur bruchstückhaft kommuniziert werden", verfügen. Ihnen zufolge sollen die US-Marken "Politico" und "Business Insider" "den Kern des neuen, wohl wieder börsennotierten Springer-Konzerns" bilden. In dieser Vision würde Döpfner "sogar das lange Undenkbare wagen: die deutschen Wurzeln weitgehend zu kappen", so das "manager magazin".

Betroffenheit allerorts#

Mitarbeiter von Gruner+Jahr sind mittlerweile sogar - ganz analog - in einem Protestmarsch vor das Rathaus gezogen. Hamburgs Mediensenator Carsten Brosda (SPD) sagte vor protestierenden Mitarbeitern, das sei ein Tag, der "ihn sehr betroffen" mache. Zugleich bekräftigte er, dass die Politik sich weiter starkmachen wolle für den Medienstandort Hamburg. Verlagsmitarbeiter übergaben dem Politiker eine Unterschriftenliste gegen Arbeitsplatzabbau. Die Gewerkschaft Verdi sprach von "fehlgeleiteter Strategie". Der Deutsche Journalisten-Verband kritisierte einen "verheerenden Aderlass für den renommierten Medienstandort Hamburg".

Von Verbesserung der Rahenbedingungen, von Steuern auf digitale Medien aus den USA (die den Markt leersaugen) oder Subventionen, um die Transformation zu bewältigen, war hingegen wenig zu hören.

Wiener Zeitung, 23. Februar 2023