Die verwehrte Chance #
Das Internet ist in der Corona-Krise für die meisten Menschen ein Segen. Dennoch haben 1,6 Millionen Österreicher(innen) den digitalen Anschluss verpasst. Ein Einblick in die Offline-Welt. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (30. April 2020)
Von
Michaela Steger
Wer dieser Tage versucht, Paula Treimel anzurufen, hat es schwer. Meist ertönt nur der Besetztton. Während der Ausgangsbeschränkungen ist ihr Telefon – sie besitzt ausschließlich einen analogen Anschluss – ihre einzige Verbindung zur Außenwelt, zu ihren Freunden und zu ihren Kindern.
„Ich hatte schon immer eine Abneigung gegen alles, was mit dem Internet und Computern zu tun hat“, sagt Paula Treimel, die eigentlich anders heißt, ihren Namen jedoch nicht in der Zeitung lesen will. „Deshalb habe ich mich nie damit auseinandergesetzt. Ich kenne mich überhaupt nicht aus.“
Die Salzburgerin zählt zu den 1,6 Millionen Österreicherinnen und Österreichern, die laut deutschen Vergleichsstudien von „digitaler Exklusion“ betroffen sind. Ein Begriff, den Experten verwenden, wenn Menschen mit neuen Technologien nicht oder in geringem Ausmaß in Berührung kommen. Während für die einen Digitalisierungsprozesse sozialen Austausch, neue Geschäfts- und Arbeitsmodelle sowie Zugang zu Informations-, Dienstleistungs- 3 und Unterhaltungsangeboten ermöglichen, bleiben jenen, die „offline“ sind, diese digitalen Chancen verwehrt.
Überforderung statt Unterstützung #
„Digitale Exklusion betrifft meist ohnehin benachteiligte Menschen, Armutsbetroffene, ältere Menschen und Personen mit niedriger formaler Bildung“, sagt Schifteh Hashemi, Geschäftsführerin von „arbeit plus“. Das Netzwerk gemeinnütziger sozialer Unternehmen in Österreich widmet sich dem Thema schwerpunktmäßig.
Oft hätten Betroffene im Laufe ihres Lebens kaum oder nur schlechte Lernerfahrungen gemacht, sagt Hashemi. „Wem es an Basiskompetenzen wie sinnerfassendem Lesen, Schreiben und Informationsverarbeitung mangelt, für den wird es auch in der digitalen Welt schwieriger, mithalten zu können. Dann kann das Digitale in seiner Komplexität schnell überfordern und Scheu aufbauen.“ Auffallend sei, dass immer mehr Schüler von digitaler Ausgrenzung betroffen sind – vor allem jene aus bildungsferneren Schichten. „Da reicht das Geld oft nur für einen Laptop pro Familie, der zwischen Geschwistern und Eltern geteilt werden muss. Das macht das Lernumfeld schwierig. Diese Kinder verlieren den Anschluss und werden abgehängt.“ (vgl. Kompass in Kürze S. 16) Ähnlich sieht das die Kommunikationswissenschaftlerin Ricarda Drüeke. Als Assistenzprofessorin an der Universität Salzburg forscht und lehrt sie zu Inklusions- und Exklusionsprozessen durch Medien. Immer wieder seien auch ihre Studierenden aufgrund eines langsamen Internetzugangs oder veralteter Hardware nicht in der Lage, am Distance-Learning teilzunehmen.
„Gesellschaftliche Ungleichheiten spiegeln sich im digitalen Bereich wider. Sozial benachteiligte Menschen sind auch bei der Nutzung digitaler Medien benachteiligt. Sei es durch mangelnden Zugang zu Hard- und Software oder durch fehlende Kompetenzen im Umgang mit digitalen Tools und Prozessen. Online- und Offline-Leben sind mittlerweile untrennbar miteinander verbunden.“
Manche Menschen entscheiden sich freilich bewusst gegen den Eintritt in die digitale Welt: Laut Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort gibt es in einem von zehn österreichischen Haushalten keinen Internetzugang. Nur ein Viertel der Personen gibt jedoch an, das Internet aufgrund fehlender Kenntnisse zu meiden. Der Großteil ist schlichtweg der Meinung, keinen eigenen Anschluss zu brauchen – so wie Paula Treimel. Eine Haltung, die auch viel mit Protest zu tun hat.
„Ich finde es furchtbar, wie sich alle hinter ihren Bildschirmen verschanzen oder wie die Mitarbeiter von Selbstbedienungskassen ersetzt werden“, sagt Treimel. „Ich möchte kein Teil dieser Entwicklung sein. Ich treffe meine Freunde und Kinder lieber persönlich und nicht in einem Chatroom. Wenn ich etwas wissen will, kaufe ich die Zeitung und schalte das Radio oder den Fernseher ein.“ Auch von Online-Bestellungen halte sie nichts. Sie wolle Dinge angreifen können, bevor sie dafür bezahle – und vielleicht noch ein paar nette Worte mit der Verkäuferin wechseln.
Nach Ansicht des Medienpsychologen Christian Gutschi gebe es zwar auch unter Jüngeren Internetverweigerer, meist handle es sich jedoch um ältere Menschen. „Der Bezug zu digitalen Technologien hat viel mit der eigenen Persönlichkeit zu tun“, meint Gutschi. „Da gibt es die Neugierigen, die aktuellen gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen gegenüber schon immer aufgeschlossen waren. Und es gibt die Sicherheitsdenker, die mit dem zufrieden sind, was sie haben.“ Diese Menschen würden sich oft gar nicht als ausgegrenzt bezeichnen, weil sie nichts vermissen.
Paula Treimel hat zwar nicht das Gefühl, fernab des Internets etwas zu verpassen, dennoch nimmt sie wahr, dass man der Digitalisierung immer weniger entkommen könne. Egal, ob man eine Wohnung sucht, nach einem Job Ausschau hält oder einen Antrag an die Behörde stellen will: „Überall heißt es, man soll sich dieses und jenes Formular im Internet herunterladen oder eine E-Mail schicken. Unter Job- und Wohnungsangeboten findet man heute oft eine E-Mail-Adresse statt einer Telefonnummer. Sogar mein Hautarzt ist zu einem großen Teil auf Online-Terminvereinbarung umgestiegen.“
Ein weiterer Aspekt: Menschen abseits der digitalen Sphäre sind immer häufiger vom Arbeitsmarkt abgeschnitten. „Digitale Kompetenzen und Hardwareausstattung werden für den Job immer wichtiger“, sagt Schifteh Hashemi von „arbeit plus“. „Wer den Anschluss an die digitale Welt verliert, hat als Arbeitnehmer weitaus geringere Chancen.“Um Betroffenen den Zugang zum Digitalen zu erleichtern, brauche es niederschwellige Offline-Angebote. Bei „arbeit plus“ plant man unter anderem eine Bustour durch Wien, bei der die Leute den Umgang mit digitalen Angeboten trainieren könnten. „Das können ganz banale Dinge sein“, erklärt Hashemi, „etwa: Wie steige ich beim AMS ein, wo kann ich mich arbeitslos melden, wo finde ich passende Stellenanzeigen?“
Online-Terminvereinbarung beim Arzt #
Paula Treimel hat ihre eigene Strategie entwickelt, um sich trotz fehlender Digitalkompetenzen am Arbeitsplatz zurechtzufinden: „Ich arbeite in der Gastronomie, wo das Digitale zum Glück eine untergeordnete Rolle spielt. Unsere Kassa und Musikanlage laufen über einen Laptop. Die einzelnen Schritte habe ich mir genau erklären lassen und dabei mitgeschrieben. Auf diese Mitschrift konnte ich zurückgreifen, bis ich auswendig wusste, wo ich draufklicken muss“, erzählt Treimel. „Und wenn ich wirklich nicht weiterweiß, frage ich einen Kollegen, die Stammgäste oder rufe meine Kinder an.“ Ein solches Netzwerk sei für Menschen ohne Zugang zu digitalen Technologien eine große Erleichterung, ergänzt Christian Gutschi. „Vielen Menschen, besonders älteren, fällt es schwer, um Hilfe zu bitten. Umso wichtiger ist es, nachzufragen und Unterstützung anzubieten.“
Für die Zukunft wünscht sich Paula Treimel vor allem eines: mehr Akzeptanz für jene, die kein Teil der digitalen Welt sein möchten. „Ich finde es gut, Menschen einzubeziehen, die den Umgang mit dem Internet lernen möchten. Aber man sollte nicht vergessen, dass nicht jeder dazugehören will. Für diese Menschen muss es nach wie vor die Möglichkeit geben, Arzttermine und Bewerbungsgespräche telefonisch auszumachen und ein Formular mit der Post abzuschicken.“
Derzeit wird Treimels Protesthaltung übrigens auf den Prüfstand gestellt: Ihre Kinder haben ihr kürzlich ein Smartphone geschenkt. Noch ist es originalverpackt. „Ich habe darüber nachgedacht, das Ding zum Fenster hinauszuwerfen“, sagt Treimel und lacht. „Aber meine Kinder könnten mir damit Fotos aus dem Urlaub schicken. Eventuell mache ich eine Ausnahme.“