Automotive 4: Woher bekommt man gute Leute?#
(Unentbehrliche Lehrwerkstätten)#
von Martin Krusche
Tausend spezielle Handgriffe zu einem speziellen Anlaß im Werk Graz-Thondorf: In einer der Lehrwerkstätten von Magna Steyr wurde jene alte Karosserie überarbeitet und auf Hochglanz gebracht, die als Wegweiser zum Johann Puch Museum dient. Dieses Museum ist auf dem Boden des Stammwerkes von Puch eingerichtet, in der letzten authentischen Halle aus den Tagen des Altmeisters.
Damit wird ein symbolischer Bogen gezogen. Das Blechgehäuse stammt von einem Steyr-Puch 500 S. Heuer sind es 60 Jahre, daß das „Puch-Wagerl“ in Graz als ein „Auto für alle“ der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Die Fertigung dieses ersten österreichischen PKW in der Zweiten Republik verband damals das Einser- und das Zweierwerk. Das Zweierwerk (Graz-Thondorf), so nannten es die alten Puchianer, ist heute eine moderne Fabrik von internationalem Rang.
In den Tagen von Altmeister Johann Puch entfaltete sich gerade erst die Zweite Industrielle Revolution mit ihren damals sensationellen Formen der Automatisierung.
Das war nicht nur Anlaß zum Bau jener Halle, in der heute das Museum etabliert ist. Es gab zu Beginn des 20. Jahrhhunderts, etwa zwischen 1908 und 1912, sehr gute Gründe, eigene Lehrwerkstätten einzurichten, um dort jene Fachkräfte auszubilden, die der Fabrikant dringend brauchte. Diese Anforderung besteht bis heute. Wir können derzeit bloß spekulieren, ob unsere Enkelkinder noch Autos bauen und instandhalten werden, wie wir das aktuell kennen. Wir müssen allerdings spekulieren, ob all die Fertigkeiten, derer es bedarf, um Autos so zu bauen und zu warten, noch weiterhin gebraucht werden, während sich diese Branche völlig verändert. Das meint die Kombination von technischem Verständnis und Handfertigkeit. Man kann heute ruhig schon von altem Handwerk sprechen, das teilweise in den Lehrwerkstätten von Magna Steyr weitergegeben wird, ergänzt um zeitgemäße Fertigkeiten, die noch sehr jung sind.
Das heißt, die Company sorgt, wie ihre Vorläufer-Betriebe, selbst für den handwerklichen Nachwuchs. Es wird ja gesamtgesellschaftlich ganz deutlich unterschätzt, wo die Technik-Branchen heute angekommen sind, worunter auch das Image dieser Berufe etwa leidet; völlig zu Unrecht.
„Die Hackler“, das hieß mit Beginn der Industrialisierung Europas: Ein Minimum an Bildung und Ausbildung, hohe körperliche Belastbarkeit und die Fähigkeit, möglichst genau das zu tun, was einem gesagt wird. Da reden wir von einer Art finsterer Vergangenheit der Industriearbeit. Das beschreibt freilich längst nicht mehr ihre Gegenwart, ihre Zukunft schon gar nicht.
Wie sich die Produkte durch Technologiesprünge verändern, in diesem Fall Automobile, so müssen sich natürlich auch die Jobs verändern, also die Anforderungen an Fachkräfte. Durch simples Zupacken ohne komplexere Kompetenzen läßt sich da heute nirgends mehr das Brot verdienen.
Man kann sich davon einen Eindruck verschaffen, wenn man alten Puchianern begegnet, wie zum Beispiel Ferdinand „Fredi“ Thaler und Manfred „Hasi“ Haslinger, die in der Verständigung mit Herbert Walser dafür gesorgt haben, daß der Museums-Wegweiser für das 2017er Jubiläum auf Stand kommt.
Walser ist Leiter des Berufsausbildungszentrums von Magna Steyr. Thaler und Haslinger repräsentieren jenes „alte Handwerk“, das in den aktuellen Modernisierungsschüben zur Debatte steht. (Wir derlei noch gebraucht? Können wie es auslaufen lassen?) Da geht es also nicht um den historischen „Hackler-Typ“, der einst bloß ein paar Handgriffe und ein paar Abläufe beherrschen mußte, damit man ihn an irgendeine Position in der Anlage stellen konnte, wo er nur zu tun brauchte, was man ihm auftrug.
Es ging schon längst und geht zukünftig noch mehr um ein Zusammenwirken von Problemlösungskompetenzen mit Handfertigkeit und das Begreifen größerer Zusammenhänge. Es geht gewissermaßen um das gemeinsame Beherrschen von Aufgabenstellungen und Material, ergänzt um die Bedienung einer modernen Werkzeugwelt.
Das wiederum bedeutet, die Arbeiterschaft, gleichermaßen Männer und Frauen, tut ihre Jobs in Koexistenz mit einer radikal neuen Maschinenwelt, in der heute Computer vielfach Dinge können, die man jüngst nur Menschen zugetraut hat.
Das bedeutet auch, mit neuen Werkstoffen zu hantieren, mit Abläufen konfrontiert zu sein, die sehr viel komplexer sind als die historischen Prozesse in Fabriken, da konkrete Maschinen, denen man ihre Funktion eindeutig ansah, über Wellen und Treibriemen angetrieben wurden. Damit sei um so deutlicher hervorgehoben, daß ein Konzern, in dem diese neuen Verfahrensweisen Grundlagen seiner Produktion sind, auch selbst die Fachkräfte ausbildet, welche für eben diesen Betrieb gebraucht werden.
Dabei sind technisches Zeichnen oder die Elektrotechnik für die Anlagen- und Betriebstechnik ebenso wichtig, wie Werkstofftechnik oder Prozesstechnik. Aber auch Karosseriebautechnik oder Fahrzeugsattlerei werden gebraucht, Kunststofftechnik nicht zu vergessen. Von der Mechatronik haben heute selbst Laien schon gehört. Klassische Kompetenzen sind nach wie vor gefragt, Werkzeugbau, Maschinenbau und Zerspanungstechnik. Aber ohne Systemelektronik und Hochvolttechnik wäre wohl auch nichts zu machen.
Natürlich sah das in den Tagen des Pucherls noch ganz anders aus, also in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre. Da berührten sich nun, anläßlich des Jubiläums, die alte und die neue Welt der Industriearbeit so kurz wie symbolträchtig in der Arbeit an diesem kleinen Denkmal. Damit wird ein nun frisch glänzendes Exponat auf der Kreisverkehrs-Insel am südlichen Stadtrand von Graz zu einer Markierung des Umbruchs, der einst von der Ersten in die Zweite Industrielle Revolution führte, nun aber von der Dritten in die Vierte.
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