Notiz 044: Das letzte Kapitel#
von Martin KruscheDer formelle Sommerbeginn liegt eben erst hinter uns, die Sommersituation geht für mich schon auf deren Mitte zu. Die Korrekturfahnen des Buches reichen augenblicklich bis zur Seite 103. Da fehlt noch ein letztes Stück. Das heißt, ich hab dieses Paket in der Kühle des Morgens rausgehauen, denn der Drucker heizt ganz passabel. Das gleicht sich in der Früh noch aus.
Ich achte auf die Temperaturverläufe. Da waren nun etliche Regenstunden, doch die nächste Sendung aus der Sahara ist unterwegs.
Das heißt, mein Korrekturlesen wird sich unter den hohen Bäumen des Gleisdorfer Stadtparks abspielen. Dieser Baumbestand ist mein Zufluchtsort, wenn die Temperaturen in meinem Büro unterm Dach zu drückend werden.
Es ist eine klassische Pose. Lesen. Dazu heißer Kaffee und kaltes Wasser. Stille und Langsamkeit. Ich habe das eben mit Kulturwissenschafter Matthias Marschik erörtert, der mir zu manchen Fragen mit Michel Foucault auf die Sprünge half.
Monate der Recherche, diese träge Geste des Schreibens, das Durchlaufen von Arbeitsschleifen, wieder und wieder, denn man muß zum eigenen Text einigen Abstand schaffen, um seine Schwächen entdecken zu können. (Im ersten Schreiben bin ich dafür blind.)
All das, der heiße Kaffee, das kalte Wasser, Anachronismen. Und doch unverzichtbar, auch in die Zukunft weisend.
Ich hab grade Jahre durchlaufen, da schien mir, ich sei aus der Zeit gefallen. Bin ich deshalb so gerne in den Werkstätten von Atlantis, bei den alten Meistern? Marschik hilft mir, darüber hinauszublicken, meint: „Nein, noch nicht rausgefallen, aber zunehmend am Rande der Zeit.“
Und dann kommt er mir mit einem brisanten Punkt: „In einer Zeit des Jugendwahns und der markttauglichen Aufbereitung (statt Inhalten) sind unsere Ideen vermutlich wirklich nicht mehr ‚zeitgemäß‘.“ Dahinter tut sich ein Universum der Denkmöglichkeiten auf, von dem heute viele nicht einmal mehr den Vorgarten erkunden möchten, weil ihnen das zu mühsam erscheint. Ich nehme das zur Kenntnis. An dieser Art von Leichtigkeit werde ich nicht Maß nehmen.
Es hat gute Gründe, daß mein Buch kein bloß technisches Kompendium ist, sondern „Eine kleine Kulturgeschichte des Steyr-Puch Haflinger 700 AP“. Eine zu ihrer Zeit völlig für sich stehende Konstruktion in einem für sich vollkommen neuen Staat, unserer Zweiten Republik, die ihre Konturen als eine merkwürdige Drehscheibe des Kalten Krieges gewonnen hat, nachdem man einen großen Teil der Intelligenz dieses Landes vertrieben oder ermordet hatte.
In so ein atemberaubendes Kräftespiel ist meine eigene Biographie eingebettet, denn ich bin kurz vor dem Haflinger in die Welt gekommen, also ein Kind dieser Ära. Wie beschreibt man das angemessen, ohne in Pathos zu verfallen? Eine schöne Aufgabe, in der ich nun noch das letzte Kapitel des Buches zu verfassen hab.