Markante Linienführung#
Wer ist der Designer des Steyr-Puch Haflinger?#
von Martin Krusche
Was habend der mondäne Lotus Esprit und der schlichte Fiat Panda gemeinsam? Sie wurden im Erscheinungsbild grundlegend von Designer Giorgietto Giugiaro geprägt. Giuseppe Bertone war von ihm seinerzeit so angetan, daß er ihn Ende 1959 zum Leiter des Bertone Styling Center machte. Das Bertone-Logo finden Sie auf vielen Karosserien, so auch auf der des fast außeriridischen Lamborghini Miura. Den zeichnete allerdings Marcello Gandini.
Im Rückblick wissen wir also bei etlichen markanten Fahrzeugen, wer für ihre Linienführung verantwortlich war. Das ist freilich nur ein Teilaspekt von Design. Die Funktion bleibt vorrangig.
Manchmal haben sich in einem Betrieb begabte Leute herauskristallisiert, ohne daß ihre Namen in einer Ruhmeshalle vermerkt sind. Andrerseits wurden einige Industriedesigner, wie zum Beispiel Raymond Loewy, zu glänzenden Stars der Branche.
Manche, wie Battista „Pinin“ Farina gaben einer Firma ihren Namen. Das heißt, er kombinierte seinen Spitznamen Pinin mit seinem Familiennamen zu Pininfarina. Andere profilierten sich, wie erwähnt, als Einzelpersonen, indem sie aus diesem oder jenem Schatten heraustraten.
So war zum Beispiel Albrecht Graf von Görtz einige Zeit in Sachen Studebaker für Raymond Loewy tätig. Nachdem er sich selbstständig machte, wurde er vor allem für seinen BMW 507 und für die Mitwirkung am Nissan 240Z bekannt.
Von Erwin Komenda hat bei uns lange niemand gesprochen. Ohne ihn hätten sowohl der VW Käfer als auch frühe Porsches gewiß anders ausgesehen. Was den Steyr-Puch 500 angeht, der den Großteil seiner Bleche vom Fiat Nuova 500 hat, wußte ich immerhin: Dante Giacosa, der leitende Ingenieur, war für das Aussehen verantwortlich. Daß er es gemeinsam mit Giuseppe Alberti, dem Chef der Designabteilung von Fiat, entwickelt hatte, las ich dann erst in Giacosas Buch.
In den ersten Jahrzehnten des Automobilbaus war das Thema leichter überschaubarer. Gut situierte Herrschaften kauften eventuell ein Chassis mit Motor, ließen dann aber ihren Bugatti, Mercedes oder Cadillac beim Karosseriehersteller der eigenen Wahl einkleiden. Anbieter wie Armbruster, Fleetwood, Gläser, Saoutchik und Konsorten mußte man sich freilich leisten können.
Diese Art individueller Fahrzeuggestaltung kam später über die Subkultur des Costumizings wieder. Hot Rods und Custom Cars sind bis heute Gegenstände eigenwilliger Handwerks- und Kulturarbeit. Nach dieser ausladenden Kurve der Annäherung an mein Thema nun also die Frage: Von wem stammt das Haflinger-Design? Wer hat den Steyr-Puch Haflinger gestaltet? Das ist gar nicht so einfach zu klären.
Mercedes-Benz warb für die Neudeutung der G-Klasse, für die überarbeitete 2018er Version, mit dem Statement: „Vor rund 40 Jahren entstand die einmalige DNA der G-Klasse. Ikonische Elemente, die ihr heute wie damals ein einzigartiges Aussehen verleihen.“ Auch daran hat natürlich – einst wie heute – ein Team gearbeitet, aber inzwischen ist der Boss bekannt. Es handelt sich um Gorden Wagener, Chief Design Officer Daimler AG.
So lief das in den 1950er Jahren nicht. Es gab seinerzeit auch noch keine eigene Designabteilung in den Puchwerken. Puch-Designer Friedrich Spekner erzählte mir, die Arbeit an den einzelnen Fahrzeug-Komponenten war gewöhnlich auf mehrere Personen in verschiedenen Abteilungen verteilt. Erst für die Puch Monza fiel die Entscheidung, das an einer Stelle zusammenzufassen.
Design betrifft alles. Jede Kleinigkeit. Für jegliches Teil, auch das kleinste, fallen Entscheidungen an. So erzählte mir der vormalige Werksdirektor und Konstrukteur Egon Rudolf, die erste Aufgabe in seiner Berufslaufbahn sei eine Dehnschraube gewesen, die ihm prompt mißlang. Es muß also eine fast astronomische Menge an Detailwissen zusammengetragen werden, um ein ganzes Fahrzeug tauglich und herzeigbar zu machen. Unvorstellbar, daß eine Person allein dieses Wissen in sich vereint.
Bei all den Entscheidungen ist Aussehen natürlich nur einer der relevanten Aspekte, die Funktionalität steht im Vordergrund. So mußte zum Beispiel anfangs der Haflinger-Bug verändert werden, damit die Halterung für das Sturmgewehr problemlos funktioniert.
Aber auch Nutzfahrzeuge sollen nicht bloß klaglos funktionieren, ihren Zweck erfüllen, sondern uns auch attraktiv erscheinen. Ein Beispiel. Vergleichen Sie den Haflinger mit dem wenige Jahre später produzierten Kraftkarren (Kraka) der Zweirad Union, einer Tochterfirma von Faun. Das macht deutlich: Form und Funktion finden in einer großen Bandbreite von Möglichkeiten zusammen. Um dem Haflinger-Design auf die Spur zu kommen, war mir nun Alfred Urleb sehr hilfreich. Er bildet gemeinsam mit Willi Gangl das Industriedesign-Duo WIGL-Design, ist nicht bloß vom Fach, sondern hat überdies seine Berufslaufbahn im Puchwerk begonnen.
Urleb nennt zwei wesentliche Gründe für ein Werksdesign, wenn es nicht einer exponierten Persönlichkeit zugeschrieben wird. Erstens: „Die Firma möchte den eigentlichen Designer nicht nennen. Aus Wettbewerbsgründen oder ganz schlicht aus Eitelkeit.“ Und zwar im Sinn von: „Der Designer ist mein Angestellter, der wird nicht genannt.“
Urleb meint: „Wenn es ein externer Designer ist, also kein Angestellter, so wird der sehr oft nicht genannt. Die Firma macht schließlich alles selbst. Und ein externer Designer könnte auch von der Konkurrenz angeworben werden. Da ist es besser den Namen nicht zu nennen. So ging es auch uns. Das Produkt wurde bei einem Wettbewerb eingereicht. Es gewann und wurde als Werksdesign bezeichnet.“ (Das war übrigens der Dänische Staatspreis für Industriedesign.)
Der zweite Grund: „Es war ganz einfach kein Designer bei der Produktentwicklung dabei. Die Form hat der Konstrukteur erschaffen. Dies vermute ich einmal beim Haflinger. Darum wäre auch der leitende Konstrukteur, also der, der zuerst den gesamten Haflinger aufgezeichnet hat, als dessen Designer zu bezeichnen.“ Also Erich Ledwinka.
Urleb betont, daß es seit dem Haflinger-Start freilich einen grundlegenden Wandel des Produktdesigns gegeben habe. „Der Haflinger kam 1959 auf den Markt. Ich würde also vermuten er wurde so zwischen 1955 und 1958 entwickelt. In dieser Zeit stand man noch vor dem Zeichenbrett. Fertigungsbedingt, aber auch konstruktionstechnisch bedingt machte man damals möglichst viele gerade Striche. Wurde etwas gebogen, so verwendete man Radien.“
Die Digitale Revolution setzte erst später ein. Der vormalige Werksdirektor Egon Rudolf ist bis heute überzeugt, daß der Mensch an Kompetenzen verliere, wenn er bloß virtuelle Objekte am Bildschirm bewege, statt im realen Raum greifbar damit umzugehen.
Linien, Kurven, Flächen… Urleb: „Natürlich gab es auch funktionale Anforderungen. Aber die konnten durch eine gerade Fläche ebenso gut erfüllt werden wie durch eine Freiformfläche. Wobei, der Begriff Freiformfläche 1955 bestenfalls in der Mathematik bekannt war. Wollte man wirklich und unbedingt gekrümmte Flächen, behalf man sich mit einem Modell.“ (Etliche solcher Holz-Modelle kann man heute im Johann Puch-Museum Graz sehen.)
Die Freiformfläche ist laut „Spektrum der Wissenschaft“ eine Fläche, deren Form nur grob, zum Beispiel „durch zu approximierende Kontrollpunkte und zu interpolierende Randkurven“, festgelegt ist.
Urleb weiter: „Dies blieb in der Produktentwicklung auch sehr lange so. Ich kann mich noch sehr genau an meine Zeit bei der Puch G-Entwicklung erinnern. Da wurde zum Beispiel die Mittelkonsole als Linienriss gezeichnet. Das ist eine 2D-Zeichnung, die nicht bemaßt ist. Der Modellbauer oder Werkzeughersteller musste alle Maße aus der Zeichnung messen.“
Hier wird erkennbar, was heute ein Fall für das technische Museum ist: „Nun hatte er jedoch niemals eine Originalzeichnung, sondern eine Pause. Diese konnte bei den Maßen bereits im Millimeterbereich abweichen. Der Modellbauer machte mit viel Geschick und Gefühl den ersten Teil. Ein Modell, welches meist überarbeitet wurde. Danach wurde die Zeichnung wiederum angepasst und vom Modell, vom Urmodell, ein Serienteil entwickelt.“
Man staunt und zweifelt. Das klingt nach Maßen im Modus „Pi mal Auge“. Urleb bekräftigt: „Heute unvorstellbar! Heute zeichnet und fertigt man im Zehntel- und Hundertstelmillimeter.“ Das ist eben eine Konsequenz der Digitalen Revolution. Urleb: „Erst durch die 3D Computertechnik hat sich die Formentwicklung radikal geändert. Heute verwendet man 3D Computermodelle. Da sind ausgefallene Formen relativ einfach und in jeder Form machbar. Die 3D Daten werden auf eine Rapid Prototyp-Maschine oder auf die Werkzeugmaschine gespielt und die schönsten Formen sind möglich.“ Sein Fazit: „So gesehen hat sich die Arbeit eines Produktdesigners oder auch die eines Konstrukteurs komplett geändert.“
- Der Haflinger (Ein Online-Projekt zum Steyr-Puch Haflinger 700 AP)