Notiz 015: Phaëton#
(An der frischen Luft)#
von Martin KruscheIst Ihnen der Begriff Herrenfahrer geläufig? Lange Zeit waren ja bloß sehr gut situierte Herrschaften finanziell in der Lage, ein Auto zu kaufen und zu erhalten. Die anspruchsvolle Bedienung lag dann vorerst bei sachkundigem Personal. Allerdings bot das Fahren genug Reiz, daß manche Herrschaften selbst „Autler“ werden mochten.
Im Jahr 1927 erschien die zwölfte Auflage des handlichen Büchleins, das in ich einem Grazer Antiquariat erstanden hab. „Ohne Chauffeur“ (Ein Handbuch für Besitzer von Automobilen und Motorradfahrer) von Filius; so das Pseudonym des Adolf Schmal, dessen Anleitung für Selbstfahrer, also Herrenfahrer, offenbar lange nachgefragt wurde.
Schmal (1872 bis 1919) war als Sportler ein erfolgreiche Säbelfechter, gewann als Radrennfahrer 1896 in Athen einen olympischen Wettbewerb (Zwölf Stunden-Rennen), wurde schließlich in Wien zum erfolgreichen Journalisten.
Das erwähnte Buch ist erstmals 1904 erschienen, also ein Jahr bevor die Behörde in Österreich eine Registrierungspflicht für Autos und Motorräder einführte, da es über die Jahre durch Raserei zu vielen Ungelegenheiten, Unfällen und Beschwerden gekommen war. Die Raserei kam damals, von einigen Ausnahmen abgesehen, über 35 bis 40 km/h kaum hinaus.
Einer der prominentesten Raser im Steirischen war der „Ingenieur und Leiter der Firma Puch, Karl Slevogt aus Oberfranken“, den man in so manchem Phaeton ziemlich schnell ankommen und verschwinden sah. Slevogt bevorzugte das eine oder andere leistungsstarke Auto, „von dem die Zeugen behaupten, daß es rasend wie ein Schnellzug einhergesaust sei“, weshalb er sich manchmal wegen „Gefährdung der Sicherheit des Lebens“ vor Gericht verantworten mußte; siehe dazu: „Vom Steirerwagerl zum Puch G“!
Sie merken schon, ich schweife ein wenig ab. Doch Österreich, und da auch die Steiermark, sind voll der Querbezüge zum Thema. Herrenfahrer meint also einen Automobilisten, der sein Fahrzeug nicht von einem Bediensteten lenken läßt, sondern selbst fährt. Dazu mußte man in den frühen Jahren Kenntnisse und Fertigkeiten haben, wie später bloß noch die Mechaniker.
Nun war der Begriff Phaëton schon sehr lange vor der Automobil-Ära gebräuchlich. Zum Beispiel als Bezeichnung für eine sogenannte Herrenkutsche, die nicht von Personal, sondern von Herren und Damen selbst gelenkt wurde. Ein offener Wagen mit einer Sitzreihe, wie später auch in der Automobilwelt.
Automobile mit zwei Sitzreihen wurden folglich Doppelphaëton genannt. (Einige Zeit lang kamen Wagen mit drei Sitzreihen vor und hießen folglich Triple-Phaëton.) Nun mag einem dämmern, der 2002 bis 2016 gebaute VW Phaeton war keiner, sondern ein geschlossener Innenlenker, also Sedan.
Das Wort Phaëton wurzelt in der griechischen Mythologie und ist im vorliegenden Zusammenhang wie bestellt. Hephaistos, der göttliche Schmied, hatte Sonnengott Helios einen prächtigen Wagen gebaut, der von vier mächtigen Rossen gezogen wird. Sie merken bestimmt, dieser Sonnenwagen, mit dem täglich zu fahren ist, entspricht unserer Sonne. Phaeton, der Sohn von Helios, hatte seinem Vater lange in den Ohren gelegen, dieses Prachtstück einmal fahren zu dürfen. Der Alte zögerte, weil er ahnte: junger Bub und fette Karre, das kann Probleme geben.
Genau so kam es auch, als Phaeton seinen Wunsch durchgesetzt hatte. Die Pferde spürten, daß der Jüngling diese Situation nicht beherrscht, gingen ihm prompt durch. Es kam zu einem schweren Unfall, der fast einen Weltenbrand auslöste, wobei Phaeton ums Leben kam. (Junger Schnösel und kräftiger Porsche ergibt eben meist keine gute Kombination.)
Ein anderer Begriffsursprung verweist auf Eos, die Göttin der Morgenröte, wie Prometheus dem Geschlecht der Titanen entsprungen. Sie galt ursprünglich als die Mutter des Phaeton, ist die Schwester des Helios.
Eos fuhr bei dessen alltäglicher Tour über den Himmel in ihrem eigenen Wagen voraus. (Tja, Frauen am Steuer haben eine recht prominente Vorgeschichte.) Von Homer erfahren wir, daß eines ihrer Pferde Phaethon (der Schimmernde) heißt, das andere Lampos (der Helle).
Sie sehen, ich bin hier unterwegs von der ursprünglichen Schreibweise Phaëton zum komfortableren Phaeton übergegangen. Es sollte eigentlich auch „Fa-Äton“ gesprochen werden, aber ich belasse es bei „Fääton“. Sprache darf sich ja unserer Bequemlichkeit anpassen.
Der Rückblick macht deutlich, daß dieser Begriff einst vor allem auf Tourenwagen mit hochgezogenen Seitenwänden angewandt wurde. Aus der Kutschenwelt waren so viele Begriffe in den Automobilismus übernommen worden, daß es allein für kleinere Zweisitzer eine Vielzahl an Worten gab, Buggy, Roadster, Runabout etc.
Beizeiten blieben wir in unserer Sprache beim Cabrio, was sich von der Kutschenart des Cabriolets hergeleitet hat. Briten sagten zum Beispiel Drophead Coupé, Amerikaner Convertible, Italiener Trasformabile. Aus den PR-Abteilungen kamen gelegentlich auch so Lustigkeiten wie das Landaulet wieder, also ein geschlossenes Fahrzeug mit Klappverdeck im Heckbereich. Der Phaeton ist Geschichte.
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