Der Vater des Papageno#
Vor 200 Jahren starb Emanuel Schikaneder, der eine umtriebige Figur des Wiener Theaterlebens gewesen ist. In die Geschichte ist er vor allem als Librettist von Mozarts "Zauberflöte" eingegangen.#
Mit freundlicher Genehmigung der Wiener Zeitung vom Samstag/Sonntag, 15./16.September 2012
Von
Friedrich Weissensteiner
Am 30. September 1791 fand im Theater auf der Wieden, einer kurzlebigen Wiener Vorstadtbühne, die Premiere der letzten Mozart-Oper statt. Uraufgeführt wurde im vollen Theatersaal, der etwa achthundert Zuseher fasste, das vom Komponisten selbst als "Große Oper" bezeichnete Werk "Die Zauberflöte". Mozart selbst stand am Dirigentenpult, Emanuel Schikaneder, der Textdichter und Prinzipal des Hauses, sang den Papageno, Josepha Hofer, die Schwägerin Mozarts, die Königin der Nacht. Aus späterer Sicht war diese Uraufführung ein eminent bedeutsames Ereignis in der Wiener Musikgeschichte. Die meisten Zeitgenossen haben das freilich nicht so empfunden. Die Kritiker nicht, vor allem aber nicht das Publikum. Es waren größtenteils einfache Leute, die das vier Jahre zuvor eröffnete Theater aufsuchten. Sie kamen, um sich zu unterhalten, Spaß zu haben, zu lachen und für ein paar Stunden den tristen Alltag zu vergessen.
Das Leben in der Vorstadt war im 18. Jahrhundert alles andere als vergnüglich. Niemand wusste das besser als der Theatermacher Emanuel Schikaneder. In den von ihm selbst verfassten und inszenierten Stücken, aber auch in den Possen und Lustspielen anderer Autoren zielt der gewiefte Bühnenpraktiker auf Effekte ab. Auch bei der Erstaufführung der "Zauberflöte" lässt er es an Einfällen und technischen Tricks nicht fehlen. Er hat alles überlegt und durchdacht und mit den Mitteln der damaligen Zeit werbemäßig vorbereitet. Emanuel Schikaneder weiß, was man tun muss, um Vorstadtbewohner in das Theater zu locken. Er versteht es, sich und seine Schauspieltruppe ins rechte Licht zu setzen.
Der große Erfolg#
"Die Zauberflöte" löst beim Premierenpublikum zwar keine Jubelstürme aus, die Zuseher reagieren während der Aufführung verhalten. Der Dirigent befürchtet schon das Ärgste, aber am Ende der Vorstellung gibt es zu seiner Erleichterung freundlichen Beifall. Und auch Schikaneder atmet befreit auf. Die Zustimmung ist doch so groß, dass er im Oktober die Oper 24 Mal auf das Programm setzen kann und er spielt es in diesem Haus dann insgesamt noch 223 Mal. "Die Zauberflöte" wird ins Tschechische und Italienische übersetzt und erobert vom kleinen Vorstadttheater in Wien aus eine Bühne nach der anderen. Aus Frankfurt am Main berichtet am 9. November 1793 Goethes Mutter ihrem Sohn nach Weimar: "Neues gibt’s hier nichts, als dass die Zauberflöte 18 mahl ist gegeben worden - und das Haus immer gepfropft voll war - kein Mensch will von sich sagen lassen - er hätte sie nicht gesehn - alle Handwerker - Gärtner - ja sogar die Sachsenhäußer - deren ihre Jungen die Affen und Löwen machen gehen hinein so ein Specktakel hat mann hier noch nicht erlebt . . . "
Auch Goethe selbst bringt in seiner Amtszeit als Theaterdirektor in Weimar die Oper zur Aufführung. Allerdings in einer von seinem Schwager Christian Vulpius textlich stark veränderten Fassung, die Schikaneder keineswegs gefällt. Aber es wird ein Erfolg. Der Theaternarr aus Straubing kann zufrieden sein. Finanziell ist er zumindest vorübergehend aus dem Wasser. Der zuletzt schwer verschuldete Mozart hat nichts mehr davon. Er ist am 5. Dezember 1791 in seinem letzten Domizil, in der Rauhensteingasse Nr. 8, am "hietzigen Frieselfieber", wie es im Totenbeschauprotokoll heißt, gestorben.
Schikaneder trauert um seinen Freund und Logenbruder. Die Zusammenarbeit mit ihm ist leider nur kurz, aber dafür ausgesprochen einträchtig gewesen.
Das Theater auf der Wieden, in dem eine der erfolgreichsten Mozart-Opern aus der Taufe gehoben wurde, war Teil eines riesigen Zinshauskomplexes vor dem Kärntnertor am rechten Wienflussufer auf dem Areal zwischen der heutigen Operngasse, der Margareten- und der Wiedner Hauptstraße.
Das auf einem Grundstück der Familie Starhemberg errichtete, mehrmals auf- und umgebaute Freihaus in der Vorstadt Wieden war das größte Mietzinshaus im Umfeld der kaiserlichen Residenzstadt. Es beherbergte in 225 Wohnungen, die auf 32 Stiegen verteilt waren, bis zu eintausend Bewohner: Künstler, niedrige Beamte, Kleinhändler, kleine Geschäftsleute und Handwerker. Die Unterkünfte bestanden größtenteils aus Zimmer, Küche und Kabinett, die größeren Wohneinheiten blieben den sogenannten Herrschaften vorbehalten.
Die Wohnsiedlung war materiell autark. Im Erdgeschoss der insgesamt sechs Innenhöfe befanden sich mehrere Gasthäuser, eine Bäckerei, Schuster- und Tischlerwerkstätten, ein Sattler, ein Schmied, ein Seifensieder und ein Mühlereibetrieb. Es gab eine eigene Apotheke, eine Schule, eine Kirche und eben auch ein Theater. Zugänglich war der Wohnhauskomplex durch vier Tore, die abends geschlossen und bewacht wurden.
Auch Schikaneder bezog dort mit seiner Frau eine Wohnung, als er die Leitung des Theaters übernahm, Mozart ging bei seiner Schwägerin, die mit ihrer Familie in der Anlage wohnte, ein und aus. Als er einmal in seiner Stadtwohnung vor verschlossenen Türen stand, suchte er die Hofers auf und fand dort eine liebevolle Aufnahme.
Der Alleskönner#
Das im Jahr 1787 errichtete Theater, dessen künstlerische Leitung Schikaneder übernahm, befand sich im fünften Hof und war, von außen besehen, ein unscheinbarer Ziegelbau. Im Inneren bot es mit einer Länge von etwa dreißig und einer Breite von fünfzehn Metern genug Raum für Schikaneders Theatervisionen. Auf der großen Bühne, die die Hälfte des gesamten Raumes einnahm, konnte er vor den etwa achthundert bis eintausend Personen, die das Theater fasste, seine Vorliebe für technische Neuerungen in Szene setzen.
Die Vorstadtbühne mit dem größten Publikumszuspruch war damals das von Karl Marinelli 1781 gegründete Leopoldstädter Theater, das mit den Figuren des Kasperls, des Thaddädls und des Staberls in deutschen Singspielen und Volksstücken die Leute magnetisch anzog. Schikaneder gelang es, mit der von ihm kreierten Figur des "dummen Anton" den Kasperliaden in der Leopoldstadt Paroli zu bieten.
Die Theatertruppe, die er auf seiner Bühne aufbot, zählte etwas mehr als vierzig Darsteller, die größtenteils im Freihaus wohnten. Der Prinzipal hielt auf Disziplin. Jeder seiner Schauspieler musste einen Arbeitsvertrag unterschreiben, der ihm genau umrissene Verpflichtungen auferlegte. "Der Herr Akteur" hieß es da, " hat beym Eintritt in die Garderobe den Hut abzunehmen und sich sowohl gegen den Herrn Direkteur als gegen das Frauenzimmer mit Anstand zu betragen." Er muss die ihm zugeteilten Rollen mit dem "bestmöglichen Fleiß und Eifer" spielen, muss pünktlich zu den Proben kommen und darf den Titel und die Handlung eines neuen Stückes nicht ausplaudern.
Auch das Benehmen in der Öffentlichkeit war vertraglich geregelt. Die Schikaneder-Mimen durften keine Schulden machen, sich nicht an Schlägereien beteiligen und nicht nachtschwärmen. Bei Zuwiderhandlung gab es Geldstrafen oder die fristlose Kündigung.
Andererseits sorgte der Herr Direktor, der sich selbst diesen Regeln unterwarf, für die Mitglieder seines Ensembles. Die Bezahlung erfolgte wöchentlich, im Krankheitsfall übernahm er die Medikamentenkosten, die Gage wurde sechs Wochen weiter bezahlt. Schikaneder bringt im Theater auf der Wieden Volksstücke, Singspiele, Ballette und außer der Zauberflöte auch noch die Mozart- Opern "Cosi fan tutte", "Die Entführung aus dem Serail", den "Don Giovanni" und den "Figaro" zur Aufführung, alle in deutscher Sprache. 1798 spielt dort Ludwig van Beethoven eines seiner eigenen Klavierkonzerte. Die Vorstellungen sind gut besucht, die Einnahmen sprudeln.
Aber Schikaneder wirft das Geld beim Fenster hinaus und steckt bald tief in Schulden. Am Jahresende 1796 sieht es finanziell derart schlecht aus, dass er daran denkt, das Theater zu schließen. Da rettet ihn in höchster Not ein Logenbruder vor dem Desaster. Der Herr ist steinreich, heißt Bartholomäus Zitterbarth und ist ein ausgesprochener Theaternarr. Zitterbarth übernimmt das verschuldete Theater, Schikaneder bleibt künstlerischer Leiter. Nun, da er einen Geldgeber gefunden hat, greift er gleich auch nach den Sternen. Schon lange träumt er von einem eigenen Theater. Die Konzession für einen Theaterneubau hat er. Kaiser Josef II. hat ihm dieses Privilegium erteilt, dessen Nachfolger, Leopold II. und Franz II., haben es erneuert. Die Genehmigung für den Bauplatz am anderen Wienufer wird behördlicherseits erteilt, am 13. Juni 1801 wird das Theater an der Wien eröffnet, das mit dem Namen Schikaneders untrennbar verbunden ist. Am Tag zuvor hat das Freihaustheater seine Pforten geschlossen. Das neu eröffnete Theater bietet auf 700 gepolsterten Sitzen und 1500 Bänken und Stehplätzen Platz. Es hat fünf Eingänge, eine Unterbühne, einen Schnürboden, Verwaltungs- und Probenräume, Aufenthaltsräume für die Künstler, eine Zu- und Abfahrt für Fiaker.
Das bittere Ende#
Schikaneder ist glücklich. Der Zulauf ist gut, der Geschäftserfolg kann sich sehen lassen. Aber schon bald ziehen am Theaterhimmel Gewitterwolken auf. Der Theatermagier überwirft sich mit Zitterbarth, verkauft ihm sein Privilegium und erwirbt in der Hackhofergasse im Vorort Döbling eine schöne Villa, die von den Franzosen 1809 geplündert wird.
Nach dem Zerwürfnis mit Zitterbarth führt Schikaneder sein unstetes Theaterleben weiter, aber durchschlagenden Erfolg hat er keinen mehr. Gesundheitlich geht es mit ihm rasch bergab. Der am 1. September 1751 im bayerischen Straubing geborene Sohn aus armer Familie starb, bettelarm und geistig völlig verwirrt, am 21. September 1812. Sein Leichnam wurde wie jener Mozarts in einem Massengrab bestattet, aber nicht auf dem St. Marxer, sondern auf dem Währinger Friedhof.
Friedrich Weissensteiner ist Autor zahlreicher historischer und literarhistorischer Werke. Zuletzt erschien von ihm im Amalthea Verlag: "Ich sehne mich sehr nach dir". Frauen im Leben Kaiser Franz Josephs.
Literatur#
- Eva Gesine Baur: Emanuel Schikaneder. Der Mann für Mozart. Beck-Verlag, München, 2012