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In den Fußstapfen des Homo sapiens#

Pulitzer-Preisträger Paul Salopek folgt dem 60.000 Jahre alten Weg des Homo sapiens bei seiner Besiedelung der Welt – und zwar zu Fuß. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 3. Dezember 2015)

Von

Wolfgang Machreich


Der Weg des Homo sapiens bei der Besiedelung der Welt
Der Weg des Homo sapiens bei der Besiedelung der Welt
Foto: National Geographic © 2013 / MAP: Ryan Morris, NGM Staff

Wadi Rum in der jordanischen Wüste. Top-Sehenswürdigkeit für Touristen, für Paul Salopek nur eine Tagesetappe auf seinem „Out of Eden Walk“. Wobei Spaziergang oder Wanderung eine grobe Verniedlichung für Salopeks Vorhaben ist. Hat er sich doch vorgenommen, vom Garten Eden der Menschheit, dem Dorf Herto in Äthiopien, wo die ältesten fossilen Funde des Homo sapiens entdeckt wurden, bis zur äußersten Verbreitungsgrenze unseres Menschentyps auf der Südspitze des amerikanischen Kontinents zu marschieren und dabei in sieben Jahren eine Wegstrecke von rund 34.000 Kilometern mit geschätzten 30 Millionen Schritten zu bewältigen.

Ein Tag vor Weihnachten des Vorjahres. Beduinenfrauen lassen den US-Journalisten und seinen Gefährten nicht in die Nähe ihrer Zelte kommen, vertreiben sie mit kreischenden, sich überschlagenden Stimmen. Bei palästinensischen Hirten am offenen Feld unter freiem Himmel finden sie Unterschlupf. Drei magere, unrasierte, durch und durch dreckige Hirten vom Sayadeen Stamm, beschreibt Salopek die Gastgeber, die ihnen einen Platz an ihrer Feuerstelle frei machen. Hamoudi, sein einheimischer Begleiter, wird mit einem Dolch im Ärmel auf dem Sandteppich schlafen. Löslicher Kaffee mit Kondensmilch und viel Zucker sind ihr Gastgeschenk; den schwarzen, süßen Sud trinken sie am Feuer hockend aus Plastikhäferln, wie Lords spreizen die Hirten dabei die kleinen Finger ihrer Hände weg, vermerkt der genaue Beobachter Salopek.

Drei Meilen die Stunde #

Weihnachten 2014. Diese Begegnung könnte aber genauso (Plastikhäferl ausgenommen) rund um das erste Weihnachten vor gut 2000 Jahren in dieser Weltecke abgelaufen sein. Für den Monumentalweg „Out of Eden Walk“ gilt deswegen die Umkehrung des Abspanns geläufiger Kinofilme: Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten der Weltgeschichte ist nicht nur keinesfalls zufällig, sondern erbeten, gesucht und erwünscht. Der Mitfünfziger Salopek will sich und seiner Leserschaft die Menschheitsgeschichte ergehen. Und dafür sind „drei Meilen die Stunde genau die richtige Geschwindigkeit“.

Herto-Fund. 1977 wurde der älteste Fossilienfund gemacht, der dem modernen Menschen zugeordnet werden kann: 160.000 Jahre alt sind die Schädelknochen von drei Erwachsenen, welche man 1977 in Äthiopien fand., Foto: © Biolib
Herto-Fund. 1977 wurde der älteste Fossilienfund gemacht, der dem modernen Menschen zugeordnet werden kann: 160.000 Jahre alt sind die Schädelknochen von drei Erwachsenen, welche man 1977 in Äthiopien fand.
Foto: © Biolib

Am 23. November dieses Jahres hat er seinen dreißigsten Meilenstein erreicht: nahe der Stadt Lagodechi im Osten Georgiens, 41°47‘32“ nördliche Breite, 46°14‘28“ östliche Länge. Alle 100 Meilen auf seinem Weg setzt er eine solche virtuelle Markierung, macht ein Foto und stellt es mit der Ortsangabe in sein Internet-Reisetagebuch (www.outofedenwalk.com). Beim 29. Meilenstein im Dorf Balichi, an dem er am 25. Oktober vorbei gegangen ist, läuft ein Hausschwein durch das Bild. „Milestone 30“ ist weniger spektakulär: Schotterstraße, am Horizont die schneebedeckten Ausläufer des Kaukasus, eine alte, von Strauchwerk überwachsene Betonmauer… Widerwillig verlässt er Georgien, schreibt Salopek in seiner Notiz zum Foto, aber er muss weiter, immer weiter: Zentralasien, Indien, Burma, durch China, dann über den Fluss Amur nach Sibirien, mit einem Forschungsschiff bis Alaska, die Westküste der Vereinigten Staaten hinunter bis nach Chile. 1035 Tage ist er schon unterwegs, 2900 Meilen oder 4668 Kilometer, doch erst ein Siebtel seines Weges liegt hinter ihm, am 10. Jänner 2016 kann er die dritte Jahreskerze auf seiner „Weg aus dem Paradies“-Torte anzünden und mit seinen Begleitern auf der ganzen Welt anstoßen.

Denn Salopek ist nicht allein, neben Kamelen, Mulis und orts- und sprachkundigen Weggefährten verfolgen mehr als 100.000 Leser seine Berichte auf genannter Website, weitere Tausende Menschen sind über Facebook und Twitter mit ihm in Kontakt und im National Geographic berichtet er regelmäßig exklusiv von seiner Tour. Daneben skypt er mit Schulklassen oder beantwortet Journalistenfragen bei Interviews vor Ort – oder weltweit per Mail (siehe Interview). Auf diese Art versucht der frühere Chicago Tribune- Korrespondent neben seinem Nachgehen der ersten Völkerwanderung auch Avantgardist für ein neues Medienformat, den „langsamen Journalismus“ zu sein. Dieser konzentriert sich nicht auf Einzelaspekte, sondern nimmt das große Ganze in den journalistischen Blick. In einem Interview mit der FAZ beschreibt Salopek den Vorzug von Journalismus per pedes: „Ich stoße immer wieder auf verblüffende Zusammenhänge, die mir früher, als ich hauptsächlich mit dem Flugzeug oder Auto unterwegs war, entgangen wären. Nebenstränge der Geschichten, die heute die Schlagzeilen bestimmen, sind häufig interessanter und aufschlussreicher als die Schlagzeilen selbst.“

„Gehen ist nach vorne fallen“ #

Da das „journalistische Ein-Mann-Orchester“ Salopek auch eine der ältesten Erzählformen der Menschheitsgeschichte, die Heldenreise, zum Klingen bringen will, ist er im Gefolge Homers auch noch der Dichter und Philosoph des nächsten Schritts: „Gehen ist nach vorne fallen“, beginnt er den ersten National Geographic-Artikel über seinen Weg. „Mein Gehen ist Tanzen“, jubelt der globale Peripatetiker, als er in Tel Aviv in einen Purim-Festzug ultra-orthodoxer Juden hineinstolpert und mitgerissen wird. Das kollektive Trance-Erlebnis dient ihm als ein heutiger Beleg dafür, dass der Mensch aller Zeiten und Kulturen, immer schon und immer noch diesem ozeanischen Gefühl des Einsseins mit der Welt nachjagt, etwas, was uns über Zeit und Raum verbindet.

Auszug aus Afrika. Vor rund 60.000 Jahren überquerte der Mensch die schmale Meerenge am Südrand der Arabischen Halbinsel. Der Auszug aus Afrika war möglich durch einen deutlich niedrigeren Meeresspiegel., Foto: © NASA/Goddard Space Flight Center
Auszug aus Afrika. Vor rund 60.000 Jahren überquerte der Mensch die schmale Meerenge am Südrand der Arabischen Halbinsel. Der Auszug aus Afrika war möglich durch einen deutlich niedrigeren Meeresspiegel.
Foto: © NASA/Goddard Space Flight Center

Wenn er unterwegs gefragt wird, wohin es ihn ziehe, dann sagt er nach Djibouti, oder nach Jerusalem, nach Tiflis … – Feuerland, sein eigentliches Ziel, ist noch viel zu weit weg und damit bedeutungslos. Ein 100, 200 Kilometer entfernter Ort reicht schon aus, dass er von seinem Visavis gefragt wird: „Bist du krank?“ oder „bist du verrückt?“ Die nicht alltägliche Idee, von einem Ende der Welt zu Fuß zum anderen zu gehen, öffnet ihm aber auch Tore, die für „normale“ Journalisten verschlossen bleiben. So drücken bei der Bearbeitung seiner Visa-Anträge Beamte regelmäßig beide Augen zu, sagt Salopek, und so war er beispielsweise der erste ausländische Journalist seit 1916 und der Zeit der Arabischen Revolte, der Saudi- Arabien zu Fuß durchqueren durfte.

Salopek trinkt aus den gleichen Quellen wie die legendären Orientreisenden Johann Ludwig Burckhardt und Sir Richard Francis Burton oder der bis heute in der Region verehrte Lawrence von Arabien. So wie seine Vorgänger taucht auch der Nachgeher in die Kultur ein, die er durchwandert, fastet im Ramadan, auch wenn er kein Muslim ist – aus Respekt. Und lernt: „Die Welt wird eine andere, wenn du durstig bist – sie schrumpft.“ Aber nicht nur von Brot allein lebt der Mensch. Das sieht Salopek in der jordanischen Ausgrabungsstätte Wadi Faynan 16, dem Geburtsort unserer Sesshaftigkeit, ein Ort für einen gemeinsamen Ritus, wie auch immer der ausgesehen hat, und Salopek zu der These bringt: „Spiritueller Hunger, nicht leere Bäuche hat unser Herumziehen beendet; etwas sehr Altes hat hier geendet, etwas Neues angefangen.“

Aber wo der Weltgeher auch geht, immer sind vor, hinter, neben ihm bereits andere Menschen unterwegs. Flüchtlinge, Arbeitsmigranten, Suchende … Wie einst Abraham und Lot, so sind sie heute unterwegs – Salopek: „Wir erleben die größte Massenwanderung, die unsere Spezies je gemacht hat.“ Er kommt an ausgebleichten Leichen von toten Eritreern in den Lava-Feldern vor Djibouti vorbei. Auf der Suche nach Arbeit haben sie sich in die Wüste gewagt, wie Salopek mit dem Ziel Golf von Aden. In der Levante trifft er auf syrische Flüchtlinge, die sich als Tagelöhner in den Tomatenfeldern verdingen. Sie reichen ihm Tee in filigranen Tassen und sitzen im staubigen Zelt unter feinen Stickereien – Erinnerungen an ein Zuhause, das verloren ist, das wieder gefunden werden will. Salopek, der Weltgeher und Weltversteher, entdeckt wieder eine Schleife unserer Menschheitsgeschichte: „Hier haben wir die Städte erfunden, hier verteilen wir uns durch den Krieg wieder wie Mosaiksteinchen zurück ins Nomadentum.“

DIE FURCHE, Donnerstag, 3. Dezember 2015

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